BDSL-Klassifikation: 17.00.00 20. Jahrhundert (1914-1945) > 17.18.00 Zu einzelnen Autoren
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Der Begriff der Verblendung, ein oft implizit immer wiederkehrendes Thema in der Literatur, Philosophie, und auch in der Religion, hat eine komplexe Bedeutungsebene, die es vielleicht wohl zu bewahren gilt, anstatt sie zu fixieren und damit die Lesemöglichkeiten, die er eröffnen kann, zu reduzieren. Das Wort, das Offenes (etwa eine Hingabe an einen Glauben, die auch eine Selbsttäuschung, ein Fehler sein kann, aber auch Mut bedeuten kann) und Verborgenes (eine mehr oder weniger bewusste Täuschung anderer) zugleich andeutet, entzieht sich durch diese doppelte Struktur von 'Oberfläche' und 'Hintergrund' in gewisser Weise, ohnehin einer festen BeDeutungsgebung. In besonderer Weise bleibt der Begriff mit dem als 'Verliebtheit' umschriebenen Zustand als einer ambivalenten un/wahren, irrational und affektiv besetzten, relationalen, inneren Vorstellung und äußeren Projektion des Selbst und eines Anderen verbunden. Der Begriff kann die Hingabe an eine (trügerische) Romantik oder eine (trügerische) Hingabe an eine Romantik meinen, der ein Selbst und ein Anderes in eine affektive Beziehung zueinander setzt, und so auch die Möglichkeit des Unheimlichen, das Hineinbrechen eines Trug(-Bild)-es kennzeichnen. Dies wiederum ist engstens mit Angst und Wut, den oft als destruktiv dargestellten Affekten und affektiv besetzten Effekten verbunden. Verblendung ist somit auch ein Begriff, der Vorstellungen von 'Rationalität' und (affektiv-besetzter) 'Irrationalität', von 'Richtigkeit' und 'Falschheit' beinhaltet.
Susanne Klimroths Beitrag widmet sich den Texten zu Oskar Kokoschkas Alma-Mahler-Puppe und stellt den fiktionalisierten Status insbesondere der eigenen Schilderungen der 'Puppenepisode' des doppelbegabten Künstlers heraus. Sie argumentiert für eine Widerspenstigkeit sowohl der Materialität der Puppe als auch der Überlieferung der literarisierten Puppe.
Einige Beiträge zum aktuellen ZfL-Jahresthema erinnerten zuletzt an dieser Stelle daran, dass das Begriffspaar "Aktivismus und Wissenschaft" von einem alten Spannungsverhältnis geprägt ist, welches sich gegenwärtig wieder bemerkbar macht. [...] Tatsächlich sehen sich Forschende heutzutage immer öfter dazu genötigt, den unmittelbar praktischen Mehrwert ihrer Arbeit im Namen eines vermeintlichen Aktivismus zu Markte zu tragen, nicht zuletzt, um den Empfang etwaiger Fördergelder zu rechtfertigen. [...] So drängt sich die Frage auf, worin eigentlich der kritische Zug im Verhältnis von Wissenschaft und Aktivismus liegt, wenn die institutionelle Konvergenz der Aktivismen von oben und unten zur Affirmation tendiert? [...] Möglicherweise ist es lohnenswert, Geulens Verfahren des Rückgriffs aufzunehmen und sich auf ein weiteres streitbares Beispiel aus der frühesten Geschichte des Aktivismusbegriffs zu besinnen, von dem zuweilen behauptet wird, es handele sich um die früheste Okkurenz dieses Wortes überhaupt. Die Rede ist vom sogenannten "literarischen Aktivismus", auf den auch Henning Trüper in seinem Blogbeitrag zum ZfL-Jahresthema anspielt, wenn er vom "Umfeld des Expressionismus" spricht, in dem der "Aktivismusbegriff nach dem Ersten Weltkrieg erstmals politisch Fuß fasste". Was hat es hiermit auf sich? Tatsächlich ist es so, dass Kurt Hiller (1885–1972) - deutsch-jüdischer Publizist, expressionistischer Impresario und pazifistischer Aktivist - diese Wortprägung für sich beansprucht. So soll bei einem Treffen seines Berliner Kreises anno 1914 "Literarischer Aktivismus" als Name der von ihm gegründeten, "ethisch-politischen" Bewegung beschlossen worden sein. Die Organe dieses Aktivismus waren vorrangig Periodika, allen voran die ab 1916 von Hiller und seinem Kreis herausgegebene Zeitschrift "Das Ziel: Aufrufe zu tätigem Geist", in deren Namen sich bereits eine gewisse Vorstellung von Aktivität ankündigt.
Anhand der Heimatkonzeption von Ernst Bloch soll der Begriff der 'Heimat' einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Grundlegende Merkmale in zeitlicher wie räumlicher Perspektive ausmachend, formuliert Bloch ein Heimatkonzept, das jenseits abgrenzender Selbst-Fremd-Dichotomien eine Zukunftsperspektive entwirft, die durch das Handeln gesellschaftlicher wie individueller Akteur:innen erst erreicht werden muss. Zusammen mit dem Raumkonzept der 'Nicht-Orte' von Marc Augé werden in Vicki Baums "Menschen im Hotel" (1929) Potenziale zukünftiger Heimatkonstruktionen nachgespürt und analysiert.
Von der Annahme ausgehend, dass die Zukunftsthematik neben einzelnen Textanalysen insbes. im Kontext der diachronen Betrachtung einer literarischen Gattung von Interesse ist, konzentriert sich der vorliegende Beitrag auf die Gattung der Robinsonade. Mit dem Fokus auf Daniel Defoes "Robinson Crusoe", Ernst Wiecherts "Das einfache Leben" sowie Andy Weirs "The Martian" - drei Werke, die vom Prototyp der Gattung bis zu dessen Situierung im Science Fiction-Genre reichen - erfährt die Zukunft zwar eine an den historischen und gesellschaftlichen Kontext gebundene Ausformung, ihr grundierendes narratives Schema bleibt in ihrer die Gattung umspannenden Position jedoch bei jeder Robinsonade gleich. Im Zentrum geht es dabei um die Bewältigung individueller und gesellschaftlicher Zukünfte, wobei sich in der Entwicklung verschiedener Zukunftsentwürfe und -vorstellungen, die zudem mit einer verstärkten Vergangenheitsreflexion verfahren, mögliche unsichere und sichere Zukünfte einander gegenüberstehen.
In seinen während des Ersten Weltkriegs entstandenen "Betrachtungen eines Unpolitischen" widmet sich Thomas Mann im letzten Kapitel der Ironie, die er als dem Radikalismus diametral entgegengesetzte Haltung versteht (seltsamerweise erwähnt er die soeben stattgefundene Oktoberrevolution kein einziges Mal). Diese Ausführungen, die keine klare Definition des Phänomens bieten, sowie spätere Äußerungen, in denen er sich als Erzähler zur Ironie bekennt, haben erheblich darauf gewirkt, dass der sechs Jahre nach den Betrachtungen veröffentlichte, aber schon vor diesen erstmals konzipierte "Zauberberg" in der Rezeption als stark ironiehaltiges Werk betrachtet wurde und wird. Auch Musils "Mann ohne Eigenschaften" wird häufig mit Ironie in Verbindung gebracht, und eine vorurteilslose Lektüre des Romans kann diese Verbindung nur bestätigen, auch wenn Musil in seinen Schriften den Begriff selten erwähnt. Sind die beiden Spitzenromane der Zwischenkriegszeit durch ihren Ironiegehalt vereint - oder eher, weil dieser sich unterschiedlich darbietet, getrennt?
In seinen Schriften, insbesondere seinen späten des letzten Lebensjahrzehnts, prägte Stéphane Mosès die Begriffe der normativen und der kritischen Moderne innerhalb der jüdischen Tradition. Er erklärt, wie diese beiden Tendenzen im jüdischen Denken des 20. Jahrhunderts fast zeitgleich entstehen, nämlich in und nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, und wie zwei parallele Stränge nebeneinander bestehen. [...] Der Dialog von Benjamin und Scholem über Kafka gehört zu den bedeutenden Briefwechseln der Literaturgeschichte, vergleichbar demjenigen von Lessing und Mendelssohn über das Trauerspiel, der erst im 20. Jahrhundert, lange nach seinem Entstehen, wirklich bekannt und rezipiert wurde. Es ist ein großes Verdienst von Stéphane Mosès, diesen Briefwechsel von Benjamin und Scholem kommentiert und uns die Positionen der beiden Denker lebendig vor Augen geführt zu haben. Ich habe meinerseits versucht, im Sog dieses Briefwechsels das Wesentliche hervorzuheben, um Benjamin in die jüdische Moderne einzubetten. Dabei scheinen mir die Gedanken des "Zerfallsprodukts der Weisheit" und des "Gerüchts von den wahren Dingen" sowie auch der einer "theologischen Flüsterzeitung, in der es um Verrufenes und Obsoletes geht" die Diagnose vom Traditionszerfall in der jüdischen und nicht jüdischen Moderne äußerst prägnant zu begleiten.
"Liebe Deinen Nächsten" von Remarque war als Fortsetzungstext für das US-Magazin "Collier's Weekly" gedacht und wurde 1941 zuerst in der englischen Übersetzung von Denver Lindley aufgelegt. Der Roman, dessen deutsche Fassung im selben Jahr in einem Stockholmer Verlagshaus erschien, nimmt sich eines Themenfeldes an, das auch heutzutage hochaktuell ist: des Problems der Emigration, des Heimatverlustes, der Heimatsuche und der (abhanden gekommenen) Humanität in Zeiten einer moral-menschlichen Krise, in denen Hass und Hetze gegen den Nachbarn hoch auf der Agenda stehen und toleriert werden. Remarque, der nach 1933 vor den Nationalsozialisten ins Ausland fliehen musste, brachte seinen Roman zunächst im österreichischen, später auch im französischen und Schweizer Exil zu Papier, nachdem ihm die Geschichte von einem deutschen politisch verfolgten Flüchtling zu Ohren gekommen war, der, um seine in Berlin gebliebene und im Sterbebett liegende Ehefrau zum letzten Mal zu sehen, in die Hauptstadt fährt und von seinem Widersacher verhaftet wird. Das Ziel der folgenden sich an Film und Literatur orientierenden Untersuchung besteht darin, Remarques Roman "Liebe Deinen Nächsten" aus dem Blickwinkel eines räumlichen Filmerzählens zu beleuchten, um somit auf die metamedialen Korrespondenzen aufmerksam zu machen. Ausgearbeitet werden einige narrative Aspekte, anhand deren man den literarischen Text auf sein Filmpotential hin abfragen kann.
Kein anderer seiner Romane bereitete Hermann Broch größere Mühe als die niemals abgeschlossene, in drei Fassungen vorliegende "Verzauberung". Zu Beginn der dreißiger Jahre konzipiert, war dieser "Bergroman" (so Brochs inoffizielle Bezeichnung) als literarische Analyse der Massenwirkung Hitlers geplant, die zugleich eine Vielzahl mythen- und religionsgeschichtlicher Bezugnahmen integrieren sollte. [...] Was bis zum Ende im Status "unentschiedener Entscheidung" verblieb, spaltet auch die Leserschaft seit je. Allerdings betreffen die Probleme weniger das Unzugängliche dieser sicherlich sperrigen literarischen Hinterlassenschaft des 20. Jahrhunderts. Der wichtigste Streitpunkt ist vielmehr eine häufig gespürte, unheimliche Nähe der Broch'schen Faschismusanalyse zu ihrem Sujet selbst. [...] Auf der anderen Seite hat man schon früh versucht, den "Bergroman" als Vorläufer der Anti-Heimatliteratur zu retten; auch jüngst sind bedenkenswerte Aufsätze erschienen, die ihn als Versuch würdigen, 'gefährliche' Diskurse umzuschreiben: zeitübliche Tiefensemantiken etwa oder eben Tendenzen der Remythisierung. Auch der vorliegende Essay steht nicht auf der Seite derer, die Brochs Romanversuch als Rückzug in "extreme geistige Provinz" abtun. Stattdessen lässt er sich von den Fragen leiten, woran Broch hier eigentlich arbeitete und was von seiner unabgeschlossenen, vielleicht sogar unabschließbaren Auseinandersetzung mit dem Massenphänomen Hitler noch oder gerade heute zu lernen wäre. Speziell drei zusammenhängende Motive Brochs sollen in diesem Sinn neu beleuchtet werden: Erstens seine spezifische Arbeit am Thema des Opfers, zweitens sein Rekurs auf die (Vor-)Geschichte der griechischen Tragödie; und drittens soll ein bestimmter technikphilosophischer Einsatz Brochs betrachtet werden, der sich von heute aus als Reaktion auf den epochalen Aufstieg einer "environmentalen Macht" erweist. In allen drei Punkten wird sich zeigen, dass Broch durchaus wegweisend Fragen aufwarf, die Theoriebildung und philosophische Diskurse auch der jüngeren und jüngsten Zeit bewegt haben, wie zeitgebunden auch immer manche seiner Instrumentarien waren.
So abenteuerlich die Wege von deutschen Exilschriftstellerinnen und -schriftstellern des letzten Jahrhunderts waren, so verworren sind meist auch die Wege ihrer Nachlässe. Selten finden sich alle Manuskripte, Briefe und persönlichen Gegenstände an einem Ort versammelt. Häufig verteilen sich Nachlässe auf verschiedene Orte und Länder. Im schlimmsten Fall hat überhaupt niemand etwas aufbewahrt. Der Nachlass des Schriftstellers und Philosophen Hermann Borchardt (1888–1951) findet sich an zwei Standorten: im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 in Frankfurt am Main, wohin ihn der verdienstvolle Exilforscher John M. Spalek überführte, und in der Rubenstein Rare Book & Manuscript Library in Durham, North Carolina. Ein unerwarteter Fund, den mein Kollege Christoph Hesse und ich dort machten, veranlasste uns, Borchardt mit einer Werkedition als wichtigen Schriftsteller des Exils zu würdigen.
This chapter proposes the scar as a productive image to conceptualize the relation of speakers to the particular language otherwise called mother tongue, native or first language. Thinking of this relation in terms of a scar avoids the biopolitical implications of concepts derived from the context of family and birth that have, throughout the nineteenth and twentieth century, come to present language as basis of a nation state. The image of the scar also avoids the biographical normalization and linguistic hierarchization implied in the term first language, as both are equally important biopolitical strategies of forming individuals and communities. Thinking of the mother tongue in terms of a scar emphasizes the intensity of lasting formation and identification entailed by acquiring this particular language, and it highlights the violence inherent to these processes that tends to be covered up by the naturalizing and family-related imagery of native or mother tongue as well as by the favour implied in the term first language.
Nachdem Gabriele Tergit in den 1930er Jahren als Autorin von Reportagen und einem ersten Roman in der Weimarer Republik sehr erfolgreich gewesen war, wurden ihre Texte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts lange Zeit wenig oder gar nicht rezipiert. In den späten 1970er Jahren gab es eine erste kleine 'Wiederentdeckung', aber erst seitdem ihre Werke seit 2016 im Schöffling Verlag unter der Herausgeberschaft von Nicole Henneberg neu aufgelegt bzw. zum Teil überhaupt erstmals veröffentlicht werden, erfährt Tergit eine späte Anerkennung und Rezeption als eine große Autorin der Weimarer Republik und des Exils.
Stefan Zweig entwickelt in "Castellio gegen Calvin" (1936) die These, dass Machtformen, die Lebensprozesse mit Zwang regulieren und elementare Bedürfnisse dauerhaft unterdrücken, Widerstände hervorrufen, die letztlich die Emanzipation und Entfaltung des Unterdrückten forcieren. Am Beispiel des Liberalismus ursprünglich autoritär geprägter calvinistischer Gesellschaften veranschaulicht der 1934 nach London emigrierte Autor die Dialektik von Unterdrückung und deren Überwindung. Er thematisiert ein Verhältnis von Leben und Politik, das Michel Foucault mit dem Begriff der "Bio-Politik" bezeichnet. Dieser Begriff, der vor allem in jüngerer Vergangenheit vermehrt Aufmerksamkeit erfährt, beschreibt eine spezielle Form politischer Herrschaft, die sich durch "verschiedenste Techniken zur Unterwerfung der Körper und Kontrolle der Bevölkerungen" kennzeichnet. Die Anwendung dieser 'biopolitischen' Disziplinierungstechniken bringt nach Foucault einen speziellen Machttyp, die "Bio-Macht", hervor, die sich zu einem Prinzip aller modernen Staaten entwickelt und somit nicht nur auf Extremfälle zu beschränken ist. [...] In diesem Beitrag soll untersucht werden, inwiefern Stefan Zweig in "Castellio gegen Calvin" anhand der Darstellung des Calvin'schen Gottesstaats biopolitische Herrschaft thematisiert. Ausgehend von einigen Überlegungen zu dessen Komposition und der Schwierigkeit einer eindeutigen gattungstheoretischen Zuordnung wird Zweigs Darstellung von Calvins Herrschaft hinsichtlich der politischen Unterwerfung und Kontrolle des Lebens analysiert. Die Untersuchung schließt mit Blick auf den parabolischen Charakter des Textes, der eine Erklärung dafür bietet, warum Zweigs Darstellung des Calvin'schen Gottesstaats aus dem 16. Jahrhundert Charakteristika eines Machttyps aufweist, der sich nach Foucault erst Mitte des 18. Jahrhunderts entwickelt.
Die labyrinthische Organisation des Erzählraums, die bisweilen dem Prinzip der Assoziation durch Josef K. zu folgen scheint, korrespondiert historisch mit der desorientierten Wirklichkeitserfahrung der Moderne - einem "Gefühl der 'Ohnmacht' und der 'Entfremdung' des 'modernen Menschen'". Nicht ohne Grund wird "Der Proceß" so in der verbreiteten sozialgeschichtlichen (und vor allem sozialkritischen) Lesart zur literarischen "Gestaltung der verwalteten Welt, der vielfältigen Einengungen und Bedrohungen, die das Individuum heute durch anonyme Mächte erfährt, zur Anklage des Kapitalismus, zur prophetischen Vorwegnahme der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts oder, aktueller und à la Foucault, zur Verbildlichung der das Begehren unterdrückenden 'Macht'". Der vorliegende Beitrag unternimmt den Versuch, diese sozialgeschichtliche Lesart unter Hinzunahme des in der Kafka-Forschung bislang nur randläufig berücksichtigten Paradigmas der 'Biopolitik' bzw. 'Biomacht', wie es insbesondere von Michel Foucault analysiert wurde, noch einmal produktiv zu erweitern. [...] Franz Kafkas literarisches Werk befasst sich zweifellos immer wieder mit modernen Machtverhältnissen und Normierungsprozessen sowie auch mit den Individuen, die vor der (scheinbaren) Wahl stehen, sich zu assimilieren oder von eben jenen verschüttet zu werden. Dieser Beitrag wird erstens zu zeigen versuchen, wie das Gericht in Der Proceß durch seine Raumordnung als Metapher für eine breitere Machtökonomie der diegetischen Gesellschaftsordnung lesbar wird. Zweitens wird er der Frage nachgehen, inwieweit die Kategorie des Angeklagten als Schnittpunkt gelesen werden kann, der zwar intradiegetisch einen eigenen institutionellen und epistemologischen Stellenwert hat, auf der Metaebene allerdings der Logik des modernen Zusammenspiels bio- und disziplinarpolitischer Interventionen und Prozesse nachspürt.
"Berührungsfurcht" : soziale Imaginationen der Unterklassigen in der Kanon-Literatur der Moderne
(2020)
Die gutbürgerliche Literatur verwahrt sich mit allem, was ihr eigen ist - Sprache, Aisthesis, Kreativität, Imagination, Wissen und Bildung - gegen den Übergriff des Anderen und Fremden in Gestalt des sozial Niederen und Subalternen im eigenen Erfahrungsbereich, durchsetzt mit Empathie und Aggression. Aus der Sicht der noblen Literatur fällt der Blick auf die schäbigen Volkssänger, von denen sich Gustav Aschenbach, Thomas Manns Identifikationsfigur im "Tod in Venedig", auf der Hotelempore des Lido bedrängt fühlt, auf die elenden "Schalen von Menschen" in den Straßen und Krankenanstalten von Paris in Rilkes "Malte Laurids Brigge", auf die im Gerede sprachlosen Scheusale von Haushälterin und Hausbesorger in Canettis "Blendung", auf die im 'Jargon' agierende chassidische Schauspieler-Bagage, die Kafka so vehement gegen den Prager Kulturzionismus verteidigt. Die kulturelle Hybris gegenüber den Subalternen und Deklassierten folgt der Spur eines elitären Gestus, auch im politischen Handeln: Verachtung, Abscheu, Angst und Erschrecken angesichts der 'Deplorables', des bedauernswerten Elends der sozial Deklassierten und minder Kultivierten. [...] Das entsprechende Bildrepertoire an einsinnigen Klischees begegnet, ästhetisch nuanciert, in der literarischen Zeitgenossenschaft um 1900 bei Autoren unterschiedlichster Weltanschauung und Schreibweise. Und seitdem, was im Folgenden aufzuzeigen ist, in fast jedem uns vertrauten Text moderner, als bürgerlich verbürgter deutscher Literatur, der sich dem sozial Anderen außerhalb des eigenen Lebens- und Erfahrungsbereichs zuwendet, mehr oder weniger emphatisch oder verdrossen. Bei diesem kleinen Streifzug durch einige Kanon-Texte der Moderne kann es nicht um ihre sozialpsychologische und sozialhistorische Erklärbarkeit gehen. Vielmehr interessieren, als kleiner Nachtrag zur Lektüre der uns wohl bekannten Werke, gewisse Wege und Abwege der sozialen Imagination: der moralisch und ästhetisch oft verquere Umgang mit einem Fremden, das nicht nur in anderen Ländern und Kulturen zu suchen, sondern daheim, hier und jetzt, zu entdecken ist. In der Ferne so nah, voller "Berührungsfurcht", wenn nicht panischem Erschrecken vor dem Anderen.
An einer bisher nicht gesehenen 'Wahlverwandtschaft' zwischen Bertold Brechts "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" und Fritz Langs "Metropolis" soll hier gezeigt werden, dass sich das Verhältnis zwischen Lang als international bekanntem Schöpfer monumentaler Filmepen und Brecht nicht nur mit Vokabeln wie Abgrenzung und Differenz beschreiben lässt. Der Film "Metropolis" und das Stück "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" sind in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe entstanden, vor allem aber gibt es einige thematische und strukturelle Korrespondenzen, die man dahingehend interpretieren könnte, Brecht habe mit seiner kapitalismus- und religionskritischen modernen Tragödie eine Kontrafaktur zu Fritz Langs filmischer Sozial- und Liebesutopie geliefert. Statt es bei einer kontrastierenden Gegenüberstellung zu belassen, kann man aber auch eine unterschwellige Affinität zwischen Brecht und Lang herausarbeiten. Diese Affinität lässt sich im Kern daran festmachen, dass bei Brecht wie bei Lang am Ende ein falsches Opferritual vollzogen wird, um den ob der himmelschreienden sozialen Ungerechtigkeit drohenden Gewaltexzess zu bannen. Bei Brecht ist die Opferung und anschließende Heiligsprechung Johannas als parodistische Replik auf die pathetische Schlussszene von Schillers "Die Jungfrau von Orleans" gelesen worden. So wie die Kanonisierung Johannas als Heilige der Schlachthöfe für das Publikum offensichtlich das Ergebnis einer zynischen Manipulation durch den Großkapitalisten Mauler ist, so ist auch das happy end bei Fritz Lang, die Versöhnung zwischen Kapital und Arbeiterschaft im Schatten der Kathedrale, falsch, weil das Ritual, durch das der Gewaltexzess kanalisiert und die Versöhnung vorbereitet wird, ungültig ist. Verbrannt wird in Metropolis ein Opfer, das, folgt man der Argumentation René Girards, nicht opferfähig ist: eine Automatenfrau, die als solche nicht Teil der Gesellschaft ist, der weder etwas Heiliges noch Unheiliges anhaftet, sondern die, mit Walter Benjamin gesprochen, die Wahrnehmungs- und Erkenntniskrise des neuen Medienzeitalters - die mediale Verfasstheit einer entauratisierten Welt - repräsentiert.
Am Fall Husserl soll aufgezeigt werden, wie das wiederholte Von-vorn-Beginnen unweigerlich in eine bestimmte Form des Philosophierens mündet. Dies zu verfolgen erfordert aber weniger eine philosophische als eine poietologische Perspektive. Die konstante Beschäftigung mit dem Anfang führt zu besonderen Schreibformen und entwirft ganze Lebensentwürfe. Dem entspricht ein Lektüremodus, der besonderen Wert auf diejenigen "höchst artistische[n] Volten und Manöver" legt, die im Umgang mit Anfangs- und Ursprungsszenarien zu beobachten sind, und der die daraus erwachsenden praxeologischen Bestimmungen und poetologischen Entwürfe als notwendiger Bestandteil dieser Bemühungen versteht. Es geht also weder darum, die philosophischen Aporien rund um den richtigen Anfang zu lösen, noch darum, ein Theoriemodell des Anfangens zu entwerfen, das in der Literaturwissenschaft aufzunehmen und anzuwenden wäre. Im Fokus stehen soll vielmehr das Zusammenspiel von Epistemologie und Po(i)etologie, das sich über das Anfangsproblem präsentiert und für das sich die "unendliche Aufgabe" von Husserls Phänomenologie, aufgrund der Ernsthaftigkeit ihres Rückfragens und der daraus resultierenden Denk- und Schreibpraxis, besonders eignet. Um die textuellen Konsequenzen der Anfangsaufgabe herausarbeiten zu können, soll in einem zweiten, sich von Husserl lösenden Schritt auf einen Autor zurückgegangen werden, der in der literaturwissenschaftlichen Forschung bereits vielfach als ein ständig neu beginnender und nie zum Schluss kommender beschrieben wurde: Franz Kafka. [...] Im Folgenden sollen also diese beiden Sachverhalte untersucht werden: Zum einen: Welche poetologischen Perspektiven auf das Anfangsproblem schlagen sich in Husserls vielfältigen Fragestellungen und Reflexionsfiguren nieder (III)? Zum anderen: Inwiefern kann Kafkas Form des ständigen Neubeginnens als konsequente Fortführung der Husserl'schen Problemstellung verstanden werden (IV)?
Die Habsburgermonarchie lässt sich von heute aus betrachtet als transnationales Projekt begreifen, das mit seinen Vorzügen, aber auch mit seinen Problemen vielfach an die EU erinnert. Im "Mann ohne Eigenschaften", der am Vorabend des Habsburgerreiches spielt, genauer: im zweiten Teil des Romans, "Seinesgleichen geschieht", wird die letztlich gescheiterte Suche nach einer verbindenden transnationalen Idee - jenseits der Akzeptanz eines gemeinsamen Monarchen - geschildert. Unter anderem hieran knüpft Menasse in seinem Roman an und transponiert damit - so die These der vorliegenden Untersuchung - Musils Roman auf die Ebene der EU, so dass sich Menasses Roman als 'Mann ohne Eigenschaften 2.0' apostrophieren lässt. Dies scheinen auf den ersten Blick auch die deutlichen Verweise auf den "Mann ohne Eigenschaften" in der "Hauptstadt" besagen zu wollen: So wird nicht nur das Werk mehrmals ausdrücklich genannt, sondern auch dessen berühmte Eröffnungspassage parodiert. Das allzu Offensichtliche des Bezuges wie auch die Komik, die mit im Spiel ist, suggerieren dem Leser leicht fehlende Tiefe. Diese Spur soll hier jedoch ernstgenommen werden; im Folgenden wird der Versuch unternommen, die Bezüge auf Musils Hauptwerk bei Menasse in ihrer Tiefe auszuloten. Zunächst werden die Parallelen zwischen der musilschen "Parallelaktion" und dem "Jubilee Project" in der "Hauptstadt" untersucht. Danach soll den Spuren von Musils Unterscheidung zwischen "Wirklichkeitssinn" und "Möglichkeitssinn" und damit dem Utopischen als einer den Zeitgeist transzendierenden Kraft in der "Hauptstadt" nachgegangen werden. Abschließend treten Prolog und Epilog in den Fokus der Untersuchung und es wird versucht zu klären, was es mit dem rätselhaften Schwein dort auf sich hat.
Kafkas Romanfragment "Das Schloß" wird üblicherweise nicht mit einem persönlichen Handlungsspielraum oder Emanzipation in Verbindung gebracht. Und doch lohnt es sich, den Roman neu zu betrachten und die Frage zu stellen, ob man sich K. nicht auch als einen glücklichen Menschen vorstellen kann, dem sich durchaus ein Raum für Agency öffnet. Zwar ist die Schlosslandschaft, in der K. sich bewegt, alles andere als frei, und doch wird der Roman durch zahlreiche Ereignisse bestimmt, in denen K. auf eigentümliche Weise frei wirkt. [...] K.s Agency zeigt sich demnach vor allem dann, wenn man sich nicht so sehr auf seine absurde Unfreiheit, sondern eher auf seine absurde Freiheit konzentriert. Dieser Perspektivwechsel soll mit Hilfe des Konzepts des Institutionenromans vorgenommen werden. Es eignet sich nicht nur dazu, K.s Gefangensein auf dem Schlossterritorium zu analysieren, sondern ebenso, seinen geschickten Befreiungskampf in den Blick zu bekommen, indem man das Zusammenspiel von Arbeit und Müßiggang in unterschiedliche institutionelle Kontexte einordnet. K.s Freiheit taucht so in unübersichtlichen Schichtungen und Zusammenhängen auf und K. versteht sie zu nutzen, indem er sich, wie Kant es fordert, mit Entschlossenheit und Mut seines eigenen Verstandes bedient. Aufgrund der Gegenmacht des Schlosses kommt es aber auch zu 'Bedienungsfehlern' des Verstandes. Deshalb erzählt der Roman neben K.s Erfolgen auch von den Widerständen und Rückschlägen beim optimistischen Gebrauch der Kant'schen Aufklärungsformel. Den theoretischen Rahmen meiner Untersuchung bilden Konzepte, welche die Unterdrückung (Campe), Aushebelung (Vogl) und Förderung subjektiver Agency (Rancière) zum Thema haben.
The present essay engages with the short story 'The Burrow', written by Franz Kafka between 1923 and 1924, a few months before his death. The ambiguity of the original title, 'Der Bau', which defies translation by pointing at the same time at a construction and an excavation work, anticipates the multilayered image of the burrow itself. While both nature and function of the burrow are hard to pinpoint (is it a dwelling, a shelter, a fortress, a labyrinth, a ruin?), the initially reported success of its construction is revealed as illusory, thus prompting the ongoing first-person narration of the incessant builder's work. Similarly unsuccessful is any attempt of the reader to attain metaphorical closure. In the light of other impossible, i.e., unfinished, bound-to-fail, ruinous, or selfdismantling structures portrayed by Kafka, as well as on the background of coeval texts by Paul Valéry and Georg Simmel, the essay investigates the wide and deep significance of the burrow’s countering the classical ideal of architectural wholeness.
Cet article s'intéresse à la collaboration entre le poète Carl Spitteler, l'ancien détenu C. A. Loosli - surnommé le "Philosophe de Bümpliz" - et Jonas Fränkel, brillant spécialiste de la littérature originaire de Pologne. À travers leurs attitudes et leurs ambitions artistiques, ces individualistes et libres penseurs intellectuellement indépendants se sont opposés aux principales forces culturelles et politiques de la Suisse (allemande). Celles-ci ont toutefois réussi à écarter le professeur Fränkel, chargé par Spitteler de l'édition de ses oeuvres, et à le déposséder littérairement. Le conseiller fédéral conservateur Philipp Etter a joué un rôle déterminant dans ce processus. L'injustice commise à l'encontre de Spitteler et de Fränkel est toujours d'actualité. Aujourd'hui, un travail de réparation devrait être pris en charge par la germanistique et la politique.
Zu welchem Verständnis [...] führen die von Kästners Erzähler ausgelegten Spuren in (die Berichterstattung über) das politische und diplomatische Tagesgeschehen die Leserinnen und Leser? Wer die Erzählung im Dezember 1928 in den "Danziger Neuesten Nachrichten", 1929 im Januar im "Sächsischen Volksblatt", im Juni in der "Zeitschrift der Büchergilde Gutenberg", 1930 im Januar im Wiener "Abend" und schließlich im November im "Ansageblatt des Westdeutschen Rundfunks" rezipiert, wird sich mit dem 'Diskurs', mit der 'Namenlosigkeit des Gemurmels' bescheiden müssen, zu dem sich die vielen im zeitlichen Umfeld der Veröffentlichung publizierten Äußerungen über den Völkerbund in Genf formieren (lassen), denn Genf und die dort ausagierte internationale Politik kommen in den Nummern selbst nicht zur Sprache.
Es bleibt festzustellen, dass Kafkas "Kleine Frau" kein Fremdkörper im "Hungerkünstler"-Band ist. Vielmehr führt der Text wie alle Geschichten ab 1912 Kafkas zentrale Themen Freiheit und Religion durch, und dass er dabei durch Andeutungen und Parabolik, wie sie der Zürauer Sprachaphorismus zu denken gibt, die Deutung erlaubt, macht Spekulationen über die Psyche des Autors überflüssig. Durch die Figur des Schriftstellers und die Frage nach einer 'reinen' Literatur lässt sich die Erzählung in die Reihe der Künstlererzählungen des Zyklus einrücken.
Welt, Wort, Mensch : (Un-)Gestalten des Ganzen in Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften"
(2022)
Musil entwickelt seine literarische Ganzheitsreflexion in enger Auseinandersetzung mit der Wissenschaft seiner Zeit: von der Gestaltpsychologie bis hin zur Thermodynamik, wie Inka Mülder-Bach in ihrer Lektüre des "Mann ohne Eigenschaften" zeigt. Musils Text sei einerseits von zahlreichen Dualismen geprägt, andererseits erteile er einem 'klassischen' Verständnis von Teil und Ganzheit eine deutliche Absage. Einem Briefpartner beschied Musil 1931 kurz und bündig: "Eine Totalität lässt sich nicht durch noch so viele Einzelheiten darstellen." Zentral ist hierbei nicht zuletzt der Begriff der Darstellung. Totalität wird bei Musil in erster Linie zu einem Problem des eigenen literarischen Verfahrens. Mülder-Bach legt dar, dass das Phänomen der Ganzheit unzählige Aspekte seiner Schreibweise tangiert: vom Wortbau über die Syntax und die Metaphorik bis hin zu der für die Darstellungsebene des Romans zentralen Form des 'Gleichnisses'. Auch die politische Prekarität 'Kakaniens' oder das Geschwisterverhältnis seien als Spiegelungen und Ausdruck der Ganzheitsproblematik zu begreifen. Den Umgang mit Figuren der Vielfalt, der Vollständigkeit, der Teilung, der Verdopplung, der Mitte, der Grenze, der Symmetrie oder des Gleichgewichts sieht Mülder-Bach dabei oft in zunächst paradox erscheinende Versuche einmünden, Trennung und Verbindung irgendwie zusammenzuziehen oder gar zu vereinen. Auch die bekannte auf die Geschwister gemünzte Wendung der "Ungetrennten und Nichtvereinten" erschließe sich erst vor diesem Hintergrund. Angesichts des fragmentarischen Charakters des Romans seien alle Musil'schen Antworten auf das Ganzheitsproblem freilich als "tentativ" zu begreifen.
Das Kriegserlebnis im für und wider : "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque (1929)
(2011)
Der nationale und internationale Erfolg deutet darauf hin, dass "Im Westen nichts Neues" zehn Jahren nach Kriegsende den Nerv der Nachkriegszeit getroffen haben musste, indem er einen im angloamerikanischen Raum inzwischen etablierten Kriegs- und Nachkriegsmythos der "verlorenen Generation" aufgriff, nach Deutschland importierte, ihm eine neue deutsche Eigenart verlieh und in dieser bereicherten und neuen Form wieder exportierte. Der Roman hat eine aktuelle politische Bedeutung und eine spätere Langzeitwirkung.
Erich Knauf übernahm am 1. Juli 1928 die literarische Leitung der Büchergilde. [...] Er war nicht nur an einer thematischen Erweiterung der Angebotspalette um "zeitgenössisch sozialkritische Werke" interessiert. Es ging ihm offensichtlich zugleich um eine methodische Neuausrichtung des kulturpolitischen Konzeptes der Büchergilde. [...] Der Titel von Knaufs Buch 'Empörung und Gestaltung' ist [...] Programm. Er sollte implizit das neuartige sozialrevolutionäre und ästhetische Konzept für die weitere Gestaltung des Programms vorstellen.
Wechselseitige Infiltration von Grenzregion und Interieur in Joseph Roths "Das falsche Gewicht"
(2012)
Es existieren viele Leitworte in der Erzählung "Das falsche Gewicht". Dominant und führend ist das Wort 'Zuhause'. [...] Die Geschichte "Das falsche Gewicht" stellt einen Auszug von 'Zuhause' dar, einen Weggang von 'Zuhause' in Etappen und dem Versuch ein oder zwei oder drei 'Ersatzzuhause' zu finden.
Einen Roman zu betiteln ist eine der prekärsten ästhetischen Aufgaben. Der Titel sollte den Inhalt spiegeln, weder banal noch kryptisch sein, nicht zu lang - jedenfalls in den letzten zwei Jahrhunderten -, nicht missverständlich, dafür griffig, und bei alldem werden die guten Titel mit der Zeit knapp. [...] "Die Strudlhofstiege" ist für Ortsfremde ziemlich kryptisch, schwer zu merken und zu schreiben, dazu noch ein Roman mit einem Unter- oder besser: Nebentitel, gemäß dem "sive" in Doderers geliebtem Latein: "Die Strudlhofstiege oder Melzer und die Tiefe der Jahre" (1951). Hier beginnt auch schon die Raffinesse, denn Doderers Roman hat nicht weniger als drei 'Helden', und alle drei sind darin genannt: Die Strudlhofstiege, Melzer, die Tiefe der Jahre - der Ort, der Protagonist, die Zeit an sich. [...] Interesse weckt die Titelformulierung schon deshalb, weil sie "Melzer und die Tiefe der Jahre" miteinander konfrontiert. Es ist gewissermaßen eine staunende Begegnung, die hier erzählt wird, denn der vornamenlose Major Melzer wird bekanntlich "Mensch", indem ihm seine Vergangenheit bewusst und ihm via Zeitreise subtil klar wird, was für sein Leben nottut. [...] Im Mittelpunkt jenes Verfahrens, das den polychronen Roman Dodererscher Prägung trägt, steht die Frage: Wie zeigt, wie simuliert man das Vergehen der Jahre? Man ahnt bereits, dass dem typischen memorialen Zeitroman die 'Tiefe der Jahre' als Metapher für subjektives Zeiterleben und die Sondierungsbohrung der Erinnerung dient. Doch wenn man von Polychronie spricht, ist vom Modell des memorialen auch der chronikalische Roman abzugrenzen, der ebenfalls eine - und zwar beträchtliche - Tiefe der Jahre aufbietet, freilich und gerade weit jenseits der Lebens- und Erinnerungsspanne des Individuums. Die zeit- und erinnerungsmimetische Funktion der Vertikalität wird jedoch erst erfüllt, wenn der kognitive Adaptionsprozess in beide Richtungen verläuft. Dann entsteht durch eine Art Hin- und Herzoomen eine (beinahe) sinnliche Erfahrung, die in dem knappen Horizont ästhetischer Erfahrung Zeitbewusstsein und Erinnerung erfolgreich simuliert.
Die Redaktion von "leibniz" hat für die Ausgabe ihres Magazins zum Thema "Anfänge" (Heft 3, 2020) dreizehn Menschen aus der Leibniz-Gemeinschaft gebeten, ihre liebsten ersten Sätze kurz zu kommentieren. Eva Geulen, Direktorin des ZfL, hat hierfür einen Satz aus Heimito von Doderers Roman "Ein Mord den jeder begeht" ausgewählt. Wir veröffentlichen auf unserem Blog die Langfassung ihres Textes.
Die zweibändige Brecht-Biographie "Das Leben des Bertolt Brecht oder Der Umgang mit den Welträtseln" des DDR-Germanisten Werner Mittenzwei (1927–2014) gilt bis heute als Standardwerk. Seit ihrem Erscheinen 1986 im Aufbau-Verlag und ein Jahr später im westlichen Suhrkamp Verlag erlebte sie mehrere Auflagen. In der zeitgenössischen bundesrepublikanischen Kritik fand sie ein eher verhaltenes Echo. Das hatte politische und wissenschaftsgeschichtliche Gründe. Mittenzweis Werk, das bis dahin in der DDR Unerhörtes zu Brecht und der marxistischen Intellektuellengeschichte aus den Archiven zutage gefördert und kritisch dargestellt hatte, geriet schnell in den Schatten der von der Sowjetunion ausgehenden radikaleren Umwertungen während der Perestroika- und Glasnost-Politik. Das Echo war aber sicher auch deswegen verhalten, weil Mittenzweis biographische Methode weder traditionellen noch zeitgenössischen Erwartungen - etwa der Diskurstheorie, des Strukturalismus oder der Dekonstruktion - entsprach, denen Kategorien wie Autor und Werk und damit auch das Genre der Biographie überhaupt fragwürdig geworden waren. Liest man dreißig Jahre später Mittenzweis bedeutendstes Werk wieder, so relativieren sich beide Vorwürfe. Heute erscheint das Buch als der nur kurzzeitig mögliche Versuch, Brecht kritisch aus einer Epoche, einer Bewegung heraus zu verstehen, welcher der Biograph selbst noch angehörte.
Realismus revisited
(2016)
Während sich unsere Wirklichkeit medial, technologisch und politisch rasant wandelt, macht Realismus wieder von sich reden. In der Philosophie liest man vom spekulativen oder neuen Realismus, Politiker werben um mehr Realismus, in den Sozialwissenschaften beginnt man am Primat des Konstruktivismus zu zweifeln, und auch in der Literatur hat Realismus Konjunktur. Das Semesterthema des ZfL widmet sich der Rückkehr des Realismus und seinen unterschiedlichen Manifestationen. Dabei geht es uns nicht nur um Sichtung und Analyse der aktuellen Realismus-Diskurse, sondern auch um ihre mehr oder weniger latenten Vorgeschichten. In ihnen spielt der künstlerische Realismus seit langem eine besondere Rolle.
Nach einer Rekonstruktion des Forschungsstandes (I.) soll in dieser Studie die literarische Modellierung des Frauenmörders Moosbrugger aus Musils "Der Mann ohne Eigenschaften" nach Bleulers (II.), vor allem aber nach Freuds Konzept der Paranoia (IJI.) untersucht werden. Im Mittelpunkt steht dabei Moosbruggers narzisstische Persönlichkeitsstruktur und die, aus einer freudschen Perspektive gesprochen, damit zusammenhängende Vorstellung, dass "hinter den Weibern der andere Mann" steckt. In einem letzten Schritt wird untersucht, inwieweit diese Persönlichkeitsstruktur die Voraussetzung für eine, mit Ulrich parallelisierte, mystische Öffnung Moosburggers darstellt (IV.).
Franz Kafka manteve doze cadernos in-quarto ao longo de quatorze anos e fez neles o registro da sua peculiar existência. Conhecidos como seus diários íntimos, esses cadernos servem de valiosa fonte para a compreensão não apenas da vida do escritor como também – e especialmente – do seu legado literário. Não obstante, pouca atenção ainda é dada pela crítica e pela academia a esses textos como objeto exclusivo de investigação, ora pelo constrangimento exercido pelos resquícios das abordagens pós-estruturalistas, ora pela recepção e pela tradução a que se sujeitaram. Este artigo tem o propósito de apresentar um panorama desses doze cadernos, abrangendo sua origem, sua recepção, sua tradução, suas particularidades, sua estrutura e seu conteúdo. Por ser a crítica em nosso país tanto a respeito do gênero diário quanto dos cadernos in-quarto de Kafka escassa, essa apresentação pode auxiliar potenciais leitores e interessados nesses diários a contextualizá-los e consequentemente permitir o desenvolvimento de pesquisas mais aprofundadas acerca dessas notas.
Este artigo pretende apresentar algumas das ideias de Brecht sobre o cinema e a fotografia, elaboradas em obras literárias, ensaios e notas escritos ao longo de sua trajetória. A proposta aqui é oferecer ao leitor de português acesso a uma importante faceta do pensamento brechtiano, ainda pouco conhecida no Brasil: suas reflexões sobre a imagem técnica.
Der Schwierige von Hugo von Hofmannsthal reflektiert die Lage, die dem Niedergang der Habsburger Monarchie parallel verläuft. Gleichzeitig ironisiert das Lustspiel eine Gesellschaft, die von den Krisen der Moderne geprägt ist und infolge dieser deren bisher bestehende Form sich auflöst. In der vorliegenden Untersuchung wird das Argument stark gemacht, dass Der Schwierige in einer krisenhaften Phase auf alte gesellschaftliche Normen und Werte zu verweisen sucht und dass dieser Verweis eine nostalgische Haltung repräsentiert. "Der Schwierige" stellt im Sinne einer kulturellen Restaurierung eine Beschönigung althergebrachter Lebensformen dar, die der Ungewissheit des Jetzt gegenübergestellt wird.
In der folgenden Studie soll der Roman "Das kunstseidene Mädchen" (1932) verfasst von Irmgard Keun unter besonderer Berücksichtigung der intermedialen Aspekte untersucht werden. Ziel ist hierbei dem in der Türkei kaum gewürdigten Werk von Irmgard Keun an Sichtbarkeit zu verhelfen als auch in einem intermedialen Rahmen zu betrachten und ferner die negativen Einflüsse der Massenmedien anhand des Fallbeispiels "Doris" stellvertretend für junge Frauen im 21. Jahrhundert darzustellen. Hierbei soll die Intermedialität und die leserbezogene Methode Richtlinien dieser Arbeit darstellen. Verschiedene Medien wie beispielsweise der Film, die Musik und die Werbung werden im Roman hinreichend aufgegriffen. Besonders um 1920, bedingt durch das neue Frauenbild, aus welchem durch die Medien ein enormer Umschwung der Geschlechterverhältnisse resultierte und außerdem die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau beeinflusste, zeigt sich eine deutliche Wendung der Frau des 20. Jahrhunderts. Medienpersönlichkeiten werden weitgehend zu Idealen der jungen Frauen, was in der Fallstudie Doris eine Schlucht zwischen Realität und Fiktion zur Folge hat. Diese Studie beabsichtigt die negativen Folgen der durch die Massenmedien vermittelten Schönheitsideale aufzuführen und in diesem Rahmen ein gegenwärtiges, soziales sowie zeitloses Problem vor Augen der Leser zu führen.
1881 Viyana doğumlu olan Stefan Zweig, savaş ortamını bizzat yaşamış ve eserlerinde daima savaş karşıtı bir tutum sergilemiştir. Zweig'ın tek isteği, yaşanılan savaş sonrasında, insanların huzuru ve barışı yakalamasıdır. 1938-1942 yılları arasında Brezilya'da sürgündeyken kaleme aldığı "Satranç" adlı son eseri de göstermek istediği değerler açısından büyük bir öneme sahiptir. Zweig, insan ruhunun derinliklerine inerek, betimlemelerle ve benzetmelerle Nazizm'in/ Nazi Almanya'sının ülke ve insanlar üzerinde bıraktığı sosyal ve psikolojik etkileri yansıtmaya çalışır. Savaşın insanlığı getirdiği noktada, yazarın intiharından önce bıraktığı bir veda mektubu niteliği taşıyan bu eserde, Hitler iktidarının toplama kamplarının haricinde aydınlar için kullandığı başka bir yönteme dikkat çekilir. Zweig'e göre kullanılan bu yöntem, belki de toplama kamplarındaki insanların yaşadıklarından bile daha ağır bir zulümdür.
Alman Edebiyatı'nda önemli bir yere sahip olan Stefan Zweig, "Satranç" adlı eserinde, satranç oyunu üzerinden, yaşanılan tüm olumsuzluklara rağmen savaş döneminde bireylerin ayakta kalma/ var olmaya çalışma süreçlerini aktarır. Otobiyografik özellik gösteren eserde, savaş döneminde Naziler tarafından tutuklandıktan sonra yersiz-yurtsuzluğa mahkûm edilen bir karakterle, dünya satranç şampiyonu olan bir karakterin satranç mücadelesi ele alınır. 20. yüzyılın acımasızlığı gözler önüne serilirken, tarihsel olayların bıraktığı izlere ve o izlerle yaşamaya çalışmanın ne demek olduğuna yakından tanık olmak mümkündür. Bu çalışmada, eserden hareketle (metne bağlı/werkimmanent yaklaşımla) Nasyonal Sosyalizmin toplumda ve insanlar üzerinde bıraktığı izler, yarattığı yıkımlar ve Nasyonal Sosyalizm dönemi aktarılmaya çalışılmıştır.
Der Beitrag behandelt die Schwierigkeiten der Definition und Abgrenzung der Biografie als Gattung und zeigt an drei Beispielen aus der österreichischen Literatur, dass die literarische Biografie aufgrund ihrer Offenheit als ideales Feld für die Überschreitung von Genregrenzen gelten kann. Denn die literarische Biografie ermöglicht nicht nur die Konstruktion der fremden Biografie, sondern auch der Biografie ihres Autors oder ihrer Autorin. Die Genrespezifik wird an drei Texten aus drei Jahrhunderten dargestellt: Auf- und Untergang. Lebensbild (1844) von Betty Paoli, Joseph Fouché. Bildnis eines politischen Menschen (1929) von Stefan Zweig, und Wiener Fenstersturz oder: die Kulturgeschichte der Zukunft (2017) von Egyd Gstättner.
Ende Mai 1935 übersendet Walter Benjamin ein Exposé zur "Passagenarbeit" an Theodor W. Adorno. Dieser reagiert Anfang August mit seinem großen "Hornberger Brief", in dem er regelrecht Gericht über Benjamins Exposé hält und unter anderem scharf gegen das Fehlen des ihm aus früheren Stadien der Arbeit bekannten Motivs der Moderne als Hölle protestiert. [...] Benjamins hier spekulativ elaborierte Antwort auf Adornos Vorwurf verdeutlicht, dass das Fehlen des Motivs der Hölle im Exposé von 1935 nicht zu einem theoretischen Plausibilitätsverlust des Paradies-Topos führt und die Darstellung auch nicht insgesamt in archaische Muster zurückfallen lässt. Mit der Bestimmung der Moderne als schamlose Sumpfwelt erfolgt kein Rekurs auf ein politisch indifferentes kollektives Unbewusstes. Vielmehr wird das praktische Nicht-Wiedereintreten des technisch möglich gewordenen Paradieses als ökonomische Klassenfrage erkennbar.
In diesem Aufsatz wird die These vertreten, dass in Kafkas Türhüter-Legende der Begriff "Gesetz" nicht nur, wie man es häufig in der jüngeren Forschung findet, theologisch, sondern auch juristisch gelesen werden kann. Die Titel-Formulierung "Vor dem Gesetz" wird als Aufruf des im zeitgenössischen österreichischen Verfassungsrecht verankerten Gleichheitsgrundsatzes "Vor dem Gesetze sind alle Staatsbürger gleich" verstanden. Dieser Aufruf erfolgt mit einer Neu- bzw. Wiederbetonung der ursprünglich räumlichen Bedeutung der zu Kafkas Zeit grammatikalisiert verwandten Präposition "vor", die ihren sprachlichen Ursprung im Vortreten des Menschen vor den Richterstuhl hat.
Die Persönlichkeit des Schriftstellers Johannes Freumbichler (1881-1949) ist für die meisten Literaturwissenschaftler erst dann interessant, wenn sie sich mit ihr im Zusammenhang mit Thomas Bernhard beschäftigen, dessen Werk direkte wie auch indirekte Bezüge und Verbindungen zu dem seines Großvaters enthält. [...] Jiří Schoffer versucht, anhand einiger autobiographischen Quellen und Artikel, in denen sich Bernhard über seinen Großvater geäußert hatte, die Beziehung zu seinem wichtigsten Familienmitglied und selbstverständlich vor allem zu dessen literarischer Produktion zu erleuchten.
Den im Jahre 2006 herausgegebenen Briefen an Harden läßt sich entnehmen, daß Hedwig Pringsheim mit besonderer mütterlicher Liebe den weiteren Lebensweg ihrer Tochter verfolgte. Diese Briefschaft verwahrt das Bundesarchiv in Koblenz mit dem schriftlichen Nachlaß Hardens, dessen Gegenbriefe nicht überliefert sind. Von einer engen Verbundenheit mit Katia legen aber auch die bisher unveröffentlichten Briefe aus den Jahren 1933-1941 beredtes Zeugnis ab, die das Thomas-Mann-Archiv in Zürich verwahrt; diese sollen aus Anlaß des 125. Geburtstags von Katia am 24. Juli 2008 Gegenstand des nachfolgenden Berichts sein.
Ende mit Schrecken : Arnold Zweigs "Judenzählung vor Verdun" als Bild aufgeschobener Identität
(2008)
Ein Schriftsteller, dessen gesamtes Werk zwischen der Beschäftigung mit Antisemitismus einerseits und der Reflexion über den richtigen Weg des Zionismus andererseits pendelt, ist Arnold Zweig. Zweig gehörte in der alten Bundesrepublik nicht zu den bekanntesten deutsch-jüdischen Autorinnen und Autoren, doch finden sich (gerade deswegen) in seinem umfangreichen essayistischen und literarischen Werk von der literaturwissenschaftlichen Forschung noch ungehobene Schätze. Eine besonders bedeutsam funkelnde Vignette stellt der zweieinhalbseitige poetische Text mit dem Titel "Judenzählung vor Verdun" dar, der am ersten Februar 1917 in der Wochenzeitschrift 'Die Schaubühne' erscheint. In ihm konkretisiert sich die abstrakte Eingangsfrage auf emblematische Weise. In einem ersten Teil möchte ich hier den historischen und geistesgeschichtlichen Kontext von Zweigs Text aufrollen, bevor ich in einem zweiten Teil zu einer genauen Lektüre komme.
[E]ine Interpretation der Erzählung aus psychoanalytischem Blickwinkel […], die auf Texte und Theoriemodelle Freuds rekurriert, die ungefähr im selben Zeitraum wie Döblins Erzählung entstanden sind und die mit ihren eigenen Mitteln und eigenen Kategorien die damaligen gesellschaftlichen Beziehungsmuster, intrapsychischen Befindlichkeiten und kulturelle Semantik ebenfalls widerspiegeln.
Olmis Verfilmung ist mit Roths Text, mit dessen Schweben zwischen Glauben und Ironie durchaus kompatibel. Diese Feststellung wird im folgenden mit einer intermedialen Analyse belegt, die sich auf den Schluß von Vorlage und Verfilmung konzentriert, um Rauminszenierung als Phänomen von Diegesis und Mimesis zu untersuchen.
Es gehört zu den Eigenarten der Romane Klaus Manns, daß ihre Handlung vorzugsweise in der Gegenwart oder zumindest der jüngsten Vergangenheit angesiedelt ist. Das war - um nur diese Beispiele zu nennen - der Fall in "Flucht in den Norden", in "Mephisto" und in "Der Vulkan". Es trifft in besonderem Maße für einen Fragment gebliebenen Roman "The Last Day" zu. Er sollte an einem einzigen Tag, dem 13. August 1947, spielen, und dies war auch der Tag, an dem Klaus Mann die ersten Notizen zu dem Roman niederschrieb. Ein hohes Maß an Aktualität war diesem Projekt also von Anfang an eigen, und dieses Maß verringerte sich bis zum April 1949, dem Zeitpunkt der letzten Arbeiten an dem Manuskript, nicht im geringsten, es nahm eher noch zu. Wie bekannt, handelt es von dem tragischen Untergang zweier Intellektueller im Kalten Krieg.