BDSL-Klassifikation: 15.00.00 19. Jahrhundert > 15.14.00 Stoffe. Motive. Themen
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Mehr als 65 Jahre lang setzte sich der Schriftsteller und Literaturkritiker Rudolf Gottschall (1823-1909) mit Heine auseinander - in Aufsätzen, Rezensionen, Literaturgeschichtsbüchern und sogar in Gedichten. Gottschall war mit Heine persönlich bekannt: er hatte ihn 1851 in Paris besucht und ging in seinen Memoiren davon aus, daß Heine "günstig über [ihn] dachte". Auch wenn Gottschall von Heines 'Charakter' mitunter enttäuscht war, so blieb er doch stets ein großer Verehrer von Heines 'Talent'. Daran änderte sich auch nichts, als aus dem liberalen Oppositionellen der 1840er Jahre ein Geheimer Hofrat mit Adelstitel geworden war, der Hymnen auf den deutschen Kaiser verfasste. Der alte Gottschall nahm Heine sogar gegen Angriffe von rechts in Schutz.
Mit Nachdruck hat der österreichische Dichter Nikolaus Lenau 1833 die Vorstellung zurückgewiesen, nach Goethe ließe sich keine Faust-Dichtung mehr schreiben, der Stoff habe in Goethes Werk seine letzt-, weil mustergültige Gestaltung gefunden. Der kategorische Ton, mit dem Lenau nur ein Jahr, nachdem der nachgelassene zweite Teil des Goetheschen 'Faust' erschienen war, damit das Projekt einer eigenen Faust-Bearbeitung verteidigt, dient der Klärung von Differenz; er ist dem Bemühen geschuldet, die ästhetische Autonomie des noch im Entstehen begriffenen eigenen Textes gegen den zu erwartenden Vorwurf des Nachzeitigen und Epigonalen zu verteidigen, kurz: das Besondere im scheinbar Vertrauten oder Ähnlichen des Sujets, die eigene, von Goethe abweichende Auffassungsweise des Stoffs ins rechte Licht zu rücken.
Der Vormärz ist die Epoche, in der in Deutschland die soziale Frage erstmals in das Blickfeld einer breiteren Öffentlichkeit trat. Auch im Protestantismus wurden die damit gestellten Herausforderungen von den verschiedenen Flügeln angenommen. Wichtige Organisationen und programmatische Überlegungen entstanden in den beiden Jahrzehnten vor der Märzrevolution. Trotzdem wurde die Zeit vor 1848 in den meisten Überblicksdarstellungen zur Geschichte des sozialen Protestantismus nur ganz am Rande gewürdigt und im wesentlichen nur als Vorgeschichte der "Inneren Mission" wahrgenommen. Eine umfassendere Aufarbeitung des Problemfeldes sollte nun von einer Tagung im Januar 2000 eingeleitet werden. Im Rahmen der seit 1998 jährlich stattfindenden 'Bochumer Foren zur Geschichte des sozialen Protestantismus' (veranstaltet vom Lehrstuhl Christliche Gesellschaftswissenschaften an der Ruhr-Universität in Verbindung mit der Hans-Ehrenberg-Gesellschaft) stand in diesem Jahr die Vormärzepoche im Blickpunkt.
Das Schöne und das Nützliche
(2001)
Neben den fachphilosophischen Auseinandersetzungen mit den Problemen der Ästhetik findet in unserer Periode, derjenigen des Vormärz, der um das Schöne als Naturschönes kreisende Diskurs die verschiedenartigsten Ausformungen bis hin zu einer Ästhetik des Hässlichen. Die Frage nach dem Schönen und dem Nützlichen und ihrem Verhältnis zueinander, nach der Priorität, die dem einen oder dem anderen einzuräumen sei, durchzieht seit Beginn der Neuzeit nicht nur die Diskussion der sogenannten Schönen Künste, insbesondere die der Architektur und Gartenkunst; sie gewinnt gegen Ende des 18. Jahrhunderts, im heraufziehenden Industriezeitalter, eine neue Dimension. Die je nach Fragestellung wechselnde Präponderanz oder Verbindung von Ästhetik und Ethik im Sinn des antiken Schön-Gutseins fokussiert sich nun auf einen neuen Schwerpunkt, den der Industrieästhetik einerseits, der ökologischen und sozialen Verträglichkeit der Begleiterscheinungen der neuen Produktionsweisen andererseits - Fragestellungen und Zielkonflikte, die uns auch heute nicht fremd sind. Da sich im frühen Vormärz hier der Blick schon besonders auf England richtete, war naheliegend: Als seit seinem Industrialisierungsschub vom Anfang des 18. Jahrhunderts bevorzugter Studienraum für Bildungs-, Informations- und Geschäftsreisen der Kontinentalen ist England hinreichend bekannt und vielfach untersucht worden. Um die Spannweite der möglichen Auseinandersetzungen mit dem Schönen und dem Nützlichen im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts nicht auszumessen, aber augenfällig zu machen, werden im Folgenden die Beobachtungen im wesentlichen um zwei so verschiedene Autoren kreisen, wie es der Landschaftsarchitekt und Reiseschriftsteller Hermann von Pückler und der Kaufmann und sozialistische Dichter Georg Weerth sind.
Das Wunschkind ist ein tränentreibendes Buch, das das in der christlichen Passionsgeschichte über die Jahrhunderte gesammelte Pathos einsetzt. Der Plot, den es nutzt und besetzt, ist der Opfertod des christlichen Erlösers, erzählt aus der Perspektive der Pathosträgerin: Stabat Mater. Nur ist es bei Seidel nicht der himmlische Vater und die Verheißung des himmlischen Vaterlandes, sondern die Mutter, die das Opfer des Sohnes aus purer Mütterlichkeit bringt. Über die Mutter wird die Leidensgeschichte ins Nationale wendbar. Der treffend benannte Sohn Christoph verkörpert ganz das national vereinte Deutschland, denn in ihm mischen sich Rheinland und Preußen, preußischer Protestantismus und rheinischer Katholizismus. "Christophs Leben und Sterben für Deutschland" hätte der Roman auch betitelt sein können. Für dieses Opfer müssen Mütter ihre Söhne als "Priesterinnen" bereit machen, indem sie sie gegen die Verlockungen der "Schauspielerinnen" immunisieren.
Anders aber als in den Deutungen der frühen dramatischen Schriften [...] ist 'Die Harzreise' bislang nicht als eine für die Topographie des jüdischen Gedächtnisses entscheidende Wegmarke eingeschätzt und interpretiert worden. Dies verwundert um so mehr, da "Die Harzreise" im Kontext eines ausgiebigen Studiums der "historia judaica" entstanden ist.
Der Dandy gehört zum wohlvertrauten Figurenrepertoire des europäischen Fin de Siècle und Symbolismus; er verkörpert neben dem Flaneur und dem Spieler einen jener berühmt-berüchtigten Typen des literarischen und kulturellen Lebens im 19. Jahrhundert, die von Dichtern und Kultursoziologen - von Charles Baudelaire bis Walter Benjamin - immer wieder fasziniert beobachtet und mit zeitdiagnostischem Blick detailfreudig beschrieben wurden. Der Attraktivität des Themas entsprechend, mangelt es nicht an wissenschaftlichen Studien zu diesem Gebiet, etwa die richtungweisende literaturwissenschaftliche Arbeit von Hiltrud Gnüg ("Kult der Kälte. Der klassische Dandy im Spiegel der Weltliteratur" Stuttgart: Metzler 1988) oder die jüngst erschienene, breit gefächerte kulturgeschichtliche Untersuchung des Berliner Kultur- und Literatursoziologen Günter Erbe ("Dandys - Virtuosen der Lebenskunst. Eine Geschichte des mondänen Lebens" Köln: Böhlau 2002), die einen umfassenden Überblick über den Dandy als kulturelles Phänomen in Europa bietet. Warum also, so könnte man sich fragen, noch eine weitere Studie über jene oft geschilderte und vielfach analysierte literarische und kulturelle Erscheinungsform? Zunächst ist man versucht anzunehmen, das Thema sei weitgehend erschöpft und daher eher unergiebig. Gleichwohl ist die von Fernand Hörner vorgelegte Studie weit mehr als dandyhafter Luxus, denn es gelingt dem Verfasser, die proteische Gestalt des Dandys durch ein subtiles methodologisches Netzwerk, im Rückgriff auf Michel Foucaults Archäologie und den New Historicism, zu erfassen und aus der gewählten systematischen Perspektive subtil zu beleuchten.
Unter den verbindenden Elementen der hier zugrunde zu legenden Selbstlebensbeschreibungen soll in der Untersuchung allerdings ein einziges den Vorzug haben: Als Material dienen die Jugendgeschichten ausschließlich solcher Menschen, die im Verlauf ihres Lebens zu Künstlerpersönlichkeiten heranreiften. Stellten die Verfasserinnen und Verfasser eine Verbindung her zwischen ihrer Jugend im Vormärz und ihrer späteren Existenz als Künstlerinnen oder Künstler, und welchen Besonderheiten der Ära schrieben sie einen bedeutenden oder sogar überragenden Einfluß auf ihre Persönlichkeitsentwicklung zu?
In die Vormärz-Phase fällt die beginnende Philologie moderner deutscher Klassiker, die zunächst als feuilletonistisch und universitärer Weihen nicht würdig verstanden wurde und daher vor allem Arbeitsfeld ambitionierter Lehrer war. Zeitgleich lief die Diskussion um die Validität des absoluten Idealismus und großenteils in diesem Kontext auch die um den Stellenwert des Christentums - oft verbunden mit der Hoffnung auf eine neue, die alten Glaubensinhalte mit der modernen Gesellschaft versöhnenden Reformation. In diesem Zusammenhang spielten Biographien eine nicht zu unterschätzende Rolle. Dass sich in der Moderne ein emphatisches Verhältnis zur Jugendphase mit ihrem Aufbegehren gegen die Elterngeneration, der Suche nach eigenen Lebensentwürfen und den damit auftretenden Konflikten ausgebildet habe - an der Biographik vor 1850 lässt sich dies schwerlich nachweisen, und dies gilt auch tendenziell für den Rest des Jahrhunderts. Das liegt nicht zuletzt an der oft lückenhaften Überlieferung, die kein kohärentes Bild entstehen lässt. Noch wichtiger ist, dass die Jugendphase - wie schon seit der antiken Biographik - bei großen Persönlichkeiten lediglich als Vorausdeutung dieser noch kommenden Größe verstanden wird, eine Phase, aus der man sich also möglichst schnell herausarbeiten muss. Anekdotisches, Einzelzeugnisse von Zeitzeugen aus der Umgebung des jeweiligen Helden müssen in der Regel ausreichen, die Jugendphase zu schildern. Dabei gewinnen Pedanterie und Strenge in Elternhaus und Schule geradezu topische Qualität: kaum ein Text, der ohne sie auskommt, aber zugleich wird das Aufbegehren dagegen eher gleichmütig geschildert, jedenfalls - weil von vorneherein klar ist, dass es sich um ephemere Phänomene handelt - nicht dramatisch ausgemalt.