BDSL-Klassifikation: 15.00.00 19. Jahrhundert > 15.11.00 Vormärz und Revolution 1848
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Zwischen 1843 und 1888 veröffentlichte Fanny Lewald 24 teils mehrbändige Romane, 27 Bände Novellen und Erzählungen, eine sechsbändige Autobiographie, fünf Reisetagebücher, zahlreiche Feuilletons, Erinnerungen an bekannte Persönlichkeiten, frauenemanzipatorische Schriften und soziale Appelle in Zeitungen und Zeitschriften - ein umfangreiches Werk. Über den Zeitraum von annähernd einem halben Jahrhundert spiegeln ihre Schriften die wechselvolle deutsche Geschichte wider - Vormärz, Märzrevolution 1848, Restauration, Reichseinigung, Kaiserreich - ebenso wie die Geschichte der deutschen Literatur von jungdeutscher Tendenz- und Reflexionsliteratur bis hin zum poetischen Realismus und Naturalismus. Denn mit zahlreichen romantheoretischen Äußerungen, die sich sowohl in ihren Prosawerken wie in Briefen und anderen nichtfiktiven Schriften finden lassen, macht Fanny Lewald wie wenige andere Autorinnen des Vormärz ihren poetologischen Standpunkt deutlich. Früh- und Spätwerk der Autorin sind, bezogen auf ihr erzählerisches Konzept und die Gestaltungsweise, sehr unterschiedlich. Doch in einem Punkt bleibt sich Fanny Lewald treu - ihre Prosa bleibt lebensnah, zeitlebens favorisiert sie den sozialen und psychologischen Roman.
Heine artikuliert seine kunsttheoretischen Reflexionen in publizistischen Texten in Form von Korrespondenzartikeln und Briefen, Tagesberichten und Notizen. Diese Kleingattungen besitzen die typischen Kennzeichen des literarischen Genres der Moderne: Sie sind offen und temporär und damit Bewegungsliteratur per se. Die Negierung der traditionellen Gattungsgrenzen und die Favorisierung von literarisch-journalistischen Kleinformen, durch welche die Umbruchssituation der Epoche ihren formalen Niederschlag in der Literatur finden soll, verbindet Heine mit den anderen jungdeutschen Autoren. Der Aufschwung der prosaischen Textsorten beruht auf der von ihren Verfassern postulierten Eigenschaft, authentische Dokumente einer verschriftlichten Gegenwart zu sein. Mittelpunkt der revolutionären Gegenwart ist für viele engagierte Autoren die Revolutionsstadt Paris, deren Urbanität und charakteristische Atmosphäre der Beschleunigung eine große Faszination ausüben und den Diskurs über das Phänomen Großstadt definieren. Heine nimmt dabei die Wahrnehmungsperspektive des flanierenden Betrachters ein, der kaleidoskopartig die vielschichtigen Aspekte des großstädtischen Lebens erfasst und reflektiert, um darin die Signatur der Zeit zu entziffern. Diese vor allem visuelle Perzeption in einzelnen Partikeln und Fragmenten sowie die Diskontinuitt der wahrgenommenen Eindrücke determinieren die Kompositionsweise der publizistischen Schriften: Die Flanerie wird zum narrativen Prinzip. Eine solche kompositorische Struktur, in der Einzelelemente selbständige Bedeutung erlangen, lässt sich nicht mehr mit den Parametern der idealistischen Ästhetik und dem Prinzip der geschlossenen Ganzheit erfassen.
Heines Naturästhetik
(2001)
1828 verkündet Heinrich Heine das Ende der Kunstperiode, die er durch Goethes Klassizismus formal und inhaltlich geprägt sieht. Die autonome Kunstauffassung des Weimarers schürt den von Heine erkannten Konflikt zwischen Kunst und Lebenswirklichkeit, der nur gelöst werden kann, wenn sich ein Dichter mit den politischen und sozialen Problemen seiner Gegenwart auseinandersetzt und sich einem harmonischen, ganzheitlichen Weltbild verweigert. Mit seiner Naturästhetik zielt er auf eine Überwindung der traditionellen ästhetischen Normen der Klassik und Romantik, die er als formalistischen Zwang empfindet, verlangt Anschaulichkeit und Natürlichkeit der Sprache, einer Sprache, die sich am Menschen orientiert und nicht an Poetiken, einer Sprache, die Subjektivität und Erfahrungen zuläßt und die auch im sozialen Interesse die Kunst dem Leben, der Wirklichkeit öffnet. Diese Natürlichkeitsideale tiefergehend zu untersuchen - so Heines Auseinandersetzung mit der Naturphilosophie, seine kulturkritischen Reflexionen im Rahmen einer Kulturgeschichte der Natur und im Rahmen der Natürlichkeitsvorstellungen anderer Schriftsteller, z.B. die der Aufklärer wie Albrecht von Haller -, vielleicht kann dazu die vorliegende Skizze einladen.
Die Produktion historischer Romane wurde von den Versuchen der Zeitgenossen begleitet, sich über die Neuerung - da sie einmal als solche empfunden wurde - zu verständigen und über ihren Wert Gewißheit zu erlangen. Von diesen Versuchen wird der vorliegende Beitrag handeln. In ihm geht es also weder um allgemeine Überlegungen zur Literaturtheorie, die Romantheorie eingeschlossen, noch speziell um die Theorie des historischen Romans überhaupt. Größtenteils muss zudem außer Betracht bleiben, was die Forschung der letzten Jahrzehnte an empirischem Wissen über die Verfasser historischer Romane im Vormärz und diese selber zu Tage gefördert hat, auch an Abhandlungen zur Interpretation. Der vorliegende Beitrag zielt lediglich auf einen einzigen Punkt: die Theorie des historischen Romans in Autor-Reflexionen aus dem Vormärz (unter gelegentlichem Einschluss von Äßuerungen aus dem Nachmärz). Sie stammen von einigen der wichtigsten Schriftsteller der Epoche, ob sie nun selber Beispiele der Gattung schufen oder nicht, und lauten in der Regel entweder ablehnend, manchmal sogar krass ablehnend, oder befürwortend, von milder bis zu enthusiastischer Zustimmung.
Der Prozess einer allmählichen, stellenweise auch plötzlichen Umorientierung literarischer Wertmaßtäbe um 1830 soll an einem Fallbeispiel konkretisiert werden, nämlich der zeitgenössischen publizistischen Rezeption von Grabbes Dramen. Gefragt wird nach den Details eines literaturkritischen Diskurses, in dessen Verlauf die sakrosankte Gattungsnorm der Tragödie 'hohen Stils' suspendiert wird zugunsten eines offeneren Dramenkonzepts, das vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts wieder aufgegriffen und fruchtbar gemacht wird. Die Reaktionen auf Grabbes Dramen bieten sich für eine solche Fallstudie zum einen deshalb an, weil seine Dramen bei ihrem Erscheinen äußerst kontrovers diskutiert werden, und zum anderen, weil die dazu nötigen mühseligen positivistischen Vorarbeiten, nämlich das Auffinden und Sammeln zeitgenössischer Rezensionen, in diesem Fall schon seit Jahrzehnten abgeschlossen und publiziert sind: Zwischen 1958 und 1966 veröffentlichte der Grabbe-Forscher Alfred Bergmann in einer sechsbändigen, bislang von der Forschung weitgehend unbeachtet gebliebenen Dokumentation Grabbes Werke in der zeitgenössischen Kritik sämtliche erreichbaren publizistischen Äußerungen zu den Dramen Grabbes.
Schon vor Mitte des 19. Jahrhunderts war mit der Romantik auch der frühromantische, von Friedrich Schlegel vorgebrachte Grundsatz, Poesie kann nur durch Poesie kritisiert werden, zusamt der ihn begleitenden Konzentration auf Dichtungskritik obsolet geworden. Heine prägte 1831 die berühmte - Romantik und Klassik umgreifende - Formel vom Ende der Kunstperiode. Der konstatierte Paradigmenwechsel von einer autonomen, alltagsabgehobenen Dichtung hin zu einer politisch lebensbezogenen Literatur bedeutete aber nicht, dass poetische Ansprüche aufgegeben worden wären. Dies war, was keines neuerlichen Nachweises bedarf, weder bei Heine selbst der Fall, noch bei einer Vielzahl seiner gleichfalls innovativen literarischen Zeitgenossen im Vor- und Nachmärz. Es ist ferner geläufig, dass sie zumeist darin übereinkamen, eine neue Poesie, eine mehr oder weniger zukünftige Poesie des Lebens zu fordern und zu suchen - im einzelnen freilich auf unterschiedlichen Wegen. Vernachlässigt hingegen hat man die Rolle der Literaturkritik bei diesen Bemühungen. Zu fragen ist nicht nur nach dem Verhältnis von politischen und poetologischen Schriftstellerkonzepten, sondern insbesondere nach der ästhetischen Fundierung politisierter literaturkritischer Feststellungen, Wertungen und Forderungen der Zeit um 1850. Es geht um die Praxis damaliger Literaturkritik, die bisher hinter einem Forschungsinteresse an der Theorie und an programmatischen Selbstbekundungen der Kritiker zurückstand. Versucht wird deshalb zunächst ein Umriss am Beispiel dreier exponierter Autoren: Ludolf Wienbarg, Friedrich Theodor Vischer und Julian Schmidt - Literaturkritiker alle drei, die beiden erstgenannten zudem Schriftsteller und Ästhetiker.
Im Folgenden soll zunächst die epistemische Situation der frühen Krebsforschung skizziert werden. Der wissenshistorischen Situierung derselben dienen auch, immer in Hinblick auf eine Geschichte der Krebserkrankungen, kurze Rückblicke auf den gegen sich selbst revoltierenden Organismus, wie man ihn in den Entzündungslehren französischer Kliniker findet, sowie den Parasitismus in der romantischen Medizin. Im Anschluss gilt es, anhand von Klenckes wissenschaftlichen Untersuchungen und seinem Roman eine Konstellation von Literatur und Zelltheorie vor 1848 zu beschreiben.
Während der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde in vielen Bereichen gerade erst begonnen, die Grenzen von Wissenschaftlichkeit klarer abzustecken und auch das Verhältnis von Wissenschaft und Politik wurde intensiv neu verhandelt. Anhand der deutschen Amerika-Forschung während des Vormärz lassen sich damit zwei wesentliche Prozesse nachvollziehen: Zum einen die Verwissenschaftlichung eines populären Themas; zum anderen die Politisierung, die mit diesem Prozess einherging. Sie greifen ineinander, denn nicht selten wurde sowohl in der Öffentlichkeit als auch von den Aufsichtsorganen der Regierungen die wissenschaftliche Beschäftigung mit Amerika an sich, aufgrund einer latent radikalen Aufladung, bereits als politisches Statement ausgelegt. Andererseits waren es gerade die Arbeiten der so genannten 'politischen Professoren', etwa zum amerikanischen Staatssystem und Verfassungsrecht, die das Themenfeld während des Vormärz zusehend politisierten.
Obwohl man also schon allein mit der Leistung der Beiträge zufrieden sein kann, Material für eine phänomenal und medial unterbestimmte Theoriedebatte beizubringen, möchte diese Einführung sie mit der Skizze einer haltbaren Theorieoption begleiten. An einer solchen Theoretisierung scheint es, trotz einschlägiger Kontroversen, nach wie vor zu mangeln. Die Forschung ist darin weit weniger vorangekommen, als es die aufgeregten Debatten zwischen kulturwissenschaftlicher Wissenspoetik auf der einen Seite und robuster Axiomatik der analytischen Literaturwissenschaft auf der anderen vermuten lassen.
Die in diesem Band versammelten Beiträge gehen allesamt 'medias in res'. In einem weitläufigen Sinne kann man sie deshalb als Fallstudien ansprechen, die empirisch Material zusammentragen und philologisch informiert Texte aufschließen. Obwohl man angesichts der neu entbrannten Debatten um Legitimität und angemessene Verfahren einer solchen Verknüpfung von Literatur mit Wissen und Wissenschaft vorwerfen könnte, hinsichtlich ihrer theoretischen Voraussetzungen und methodischen Orientierung naiv zu sein, dokumentieren die Beiträge doch zweierlei: Zum einen ist die Fragestellung nach gut einem Jahrzehnt der Latenz und einem weiteren der Virulenz im vergangenen Jahrzehnt in gewisser Weise selbstverständlich geworden. Zum anderen aber mangelt es noch immer an solchen Fallstudien, die tatsächlich neuartige Gegenstände konstituieren und Einsichten in unbeachtete, übersehene Zusammenhänge ermöglichen.
Einen Gipfelpunkt findet die Begeisterung für das Griechentum bekanntlich in der Weimarer Klassik, doch ist der Philhellenismus auch in späteren Jahrzehnten, so im Vormärz, aktuell. Die Gründe dafür liegen erstens in gesellschaftlichen Strukturen und Traditionen, durch die Wissen um die Antike weiter vermittelt wird. Dazu tragen das obligate Studium griechischer und lateinischer Sprache an den höheren Schulen und die Verbreitung antiker literarischer Texte und Mythen durch Übersetzungen ins Deutsche bei. [...] Zweitens ist vor allem der europaweit beobachtete griechische Unabhängigkeitskrieg ein Bezugspunkt politischen Denkens. Griechenland-Bilder werden im Vormärz nicht mehr nur wegen ihrer spezifisch ästhetischen, als überzeitlich geltenden Merkmale in bildender Kunst, Literatur, im Kunsthandwerk und in der Architektur (re-)konstruiert, sondern gewinnen zeitgeschichtlich an Aktualität. Dies umso mehr, als im Vormärz Forderungen nach dem Gegenwartsbezug von Kunst und Literatur unüberhörbar werden. [...] Die Auseinandersetzung mit dem antiken griechischen Erbe und den politischen Entwicklungen im zeitgenössischen Griechenland wird zu einem Kennzeichen des Vormärzes - in Wissenschaft, Literatur und Publizistik ebenso wie in politischen Vereinigungen, kulturellen Zirkeln und unter Studenten.
Einen Gipfelpunkt findet die Begeisterung für das Griechentum bekanntlich in der Weimarer Klassik, doch ist der Philhellenismus auch in späteren Jahrzehnten, so im Vormärz, aktuell. Die Gründe dafür liegen erstens in gesellschaftlichen Strukturen und Traditionen, durch die Wissen um die Antike weiter vermittelt wird. Dazu tragen das obligate Studium griechischer und lateinischer Sprache an den höheren Schulen und die Verbreitung antiker literarischer Texte und Mythen durch Übersetzungen ins Deutsche bei. [...] Zweitens ist vor allem der europaweit beobachtete griechische Unabhängigkeitskrieg ein Bezugspunkt politischen Denkens. Griechenland-Bilder werden im Vormärz nicht mehr nur wegen ihrer spezifisch ästhetischen, als überzeitlich geltenden Merkmale in bildender Kunst, Literatur, im Kunsthandwerk und in der Architektur (re-)konstruiert, sondern gewinnen zeitgeschichtlich an Aktualität. Dies umso mehr, als im Vormärz Forderungen nach dem Gegenwartsbezug von Kunst und Literatur unüberhörbar werden. [...] Die Auseinandersetzung mit dem antiken griechischen Erbe und den politischen Entwicklungen im zeitgenössischen Griechenland wird zu einem Kennzeichen des Vormärzes - in Wissenschaft, Literatur und Publizistik ebenso wie in politischen Vereinigungen, kulturellen Zirkeln und unter Studenten.
Gibt Geld Geltung?
(2014)
Mit Luhmanns autopoietischem Begriff des Geldes, Hörischs Thesen zum Literatur-Geld als Transsubstantiationsmedium und Baeckers Verweis auf den potenziell umstürzlerischen "Unruhefaktor" des Geldes in einer pauperisierten Bevölkerung zeigt Hans-Joachim Hahn das Ausmaß der teils aus nackter Not gebotenen quasi-religiösen Fetischisierung des Geldes im fortgeschrittenen Vormärz auf. In einem Großteil der herangezogenen Schriften von Friedrich Engels über Georg Büchner, Annette von Droste-Hülshoff, Moses Hess und weiteren werden dem Geld in je verschiedenen Konstellationen unmoralische Eigenschaften und die Verursachung allgemeinen Sittenverfalls zugeschrieben. Insbesondere bei Droste und Hess figuriere Geld als "satanischer Mammon", während Marx und Büchner zwischen dem Tauschwertcharakter des Geldes und seiner Spekulationsfunktion zu unterscheiden wüssten. Nicht nur die unablässige Zirkulation, sondern vor allem auch der Mangel an Geld könne zum "Unruhefaktor" werden - sofern nicht, wie in einem anonym erschienenen Artikel vorgeschlagen, durch Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus oder eine politisch zu erkämpfende Distributionsgerechtigkeit Abhilfe geschaffen werde.
An der Transformation ökonomischen Wissens zwischen 1780 und 1830 lassen sich im Kern vier Schlussfolgerungen ablesen: Erstens trete die externe politische Steuerung des ökonomischen Feldes und seiner Akteure zugunsten der schon bei Adam Smith beschriebenen Selbstregulierung zurück, "die sich im Bezug auf Rückkopplung, Regelkreise und Selbstreferenz vom Diktat souveräner Repräsentation wie auktorialer Intervention absetzen und sich durch die Unabschließbarkeit ihres Prozessierens auszeichnen." Zweitens sei die Triebkraft des Ökonomischen die Erfahrung einer "fundamentalen Knappheit", die sich trotz einer gigantischen Überschussproduktion daraus ergebe, dass "den anderen stets fehlt, was man selbst nicht besitzt." Daraus resultiere drittens eine neue Arbeitsweise, in der das Produkt "vor allem das Sich-Selbst-Fremd-Werden des Produzenten repräsentiert" und in der Arbeit als das "materielle Entäußern des Eigensten" verstanden werden müsse. Der vierte Aspekt betrifft Folgen dieses Prozesses für die Deckungskraft der im gesellschaftlichen Verkehr produzierten, nicht mehr an eine spezifische Materialität gebundenen Wert-Zeichen, die, gerade weil sie als "Zeichen eines Fehlens von Realität erscheinen", mit dem "Titel eines poetischen Geistes versehen worden" sind.
Einleitung
(2015)
Das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts war die Zeit einer sich verstärkenden religiösen Dynamik. Sie kann geradezu als Experimentalphase angesehen werden, die von mitunter überraschenden Konstellationen geprägt war. In der Forschung gibt es, bis auf das reiche Feld von Detailstudien, allerdings keine zusammenhängenden Untersuchungen, die verschiedenen Aspekten dieses 'Experimentalfelds' vergleichend nachgehen. So bleibt es bei einem Nebeneinander von literaturwissenschaftlichen, philosophischen, theologischen und historischen Arbeiten, die sich methodisch und theoretisch zu wenig befruchten. Allein aufgrund dieses Forschungsdefizits scheint ein ausdrücklich interdisziplinär angelegtes Jahrbuch zu dieser Thematik legitimiert. Es erweist sich aber auch aus anderen Gründen als produktiv. Denn aufgrund dieses Forschungsdefizits bestehen nach wie vor mitunter vereinfachende Sichtweisen, so etwa die Annahme der Kongruenz sozialökonomischer, politischer und religiöser Emanzipationsdiskurse. Eine solche vereinfachende Perspektive, die politisches Fortschrittsdenken, wirtschaftlich-soziales Fortschrittsdenken und kulturelles Fortschrittsdenken (eingeschlossen den Aspekt Religion) zu unreflektiert in eins setzt, folgt einem Forschungsparadigma, das nach klaren Zuordnungen begehrt, letztlich aber nicht aufrechterhalten werden kann.
Das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts war die Zeit einer sich verstärkenden religiösen Dynamik. Sie kann geradezu als Experimentalphase angesehen werden, die von mitunter überraschenden Konstellationen geprägt war. In der Forschung gibt es, bis auf das reiche Feld von Detailstudien, allerdings keine zusammenhängenden Untersuchungen, die verschiedenen Aspekten dieses "Experimentalfelds" vergleichend nachgehen. So bleibt es bei einem Nebeneinander von literaturwissenschaftlichen, philosophischen, theologischen und historischen Arbeiten, die sich methodisch und theoretisch zu wenig befruchten. Allein aufgrund dieses Forschungsdefizits scheint ein ausdrücklich interdisziplinär angelegtes Jahrbuch zu dieser Thematik legitimiert. Die Ausgangsthese dieses Jahrbuchs ist dagegen, dass die Epoche durch eine "Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen" gekennzeichnet war. Befanden sich soziale, politische und religiöse Emanzipationsdiskurse keinesfalls in Einklang, vermischten sich darüber hinaus gerade auf religiösem Gebiet 'Vormärzliches' und 'Biedermeierliches' (bzw. Restauratives) sowie 'Emanzipatives' und 'Traditionelles' auf eine Weise, die nicht Übersichtlichkeiten, sondern Unübersichtlichkeiten beförderte.
Die USA - Terra incognita für die meisten Europäer im frühen und mittleren 19. Jahrhundert - spielten als Modell staatswissenschaftlichen, verfassungsrechtlichen und politischen Denkens bei den Vertretern und Verteidigern der monarchischen Herrschaft und ihres Machtgefüges genauso wie bei den Anführern und Anhängern gemäßigter und radikaler Reform-, Oppositions- und Widerstandsbewegungen, aber auch an deutschen Universitäten und Akademien, in literarischen und philosophischen Zirkeln, in Unternehmer- und Verlegerkreisen, Künstlerbünden und der medialen Öffentlichkeit eine zentrale Rolle. Zugleich stellte die Neue Welt ein Sehnsuchtsziel für Freiheitsliebende, politische Flüchtlinge, Auswanderungswillige und Wirtschaftsmigranten, aber auch bisweilen die gefürchtete Endstation für verbannte Gefangene dar: Das Spektrum der Funktionen, Aufgaben, Bilder und Vorstellungen ist breit, das die Vereinigten Staaten von Amerika in der Wahrnehmung der Zeitgenossen im Vor- und Nachmärz einnahmen und das ihnen zugeschrieben wurde - nicht zuletzt auch in der (Emigrations-)Literatur.