BDSL-Klassifikation: 15.00.00 19. Jahrhundert > 15.11.00 Vormärz und Revolution 1848
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Mit der Trias "Neue Zeit - Neue Kunst - Neue Technik" sind die Leitideen vormärzlicher Kunsttheorie und -praxis päzis umschrieben. Zunächst schien es so, daß mit der neuen Zeit, dem in der Julirevolution sichtbar gewordenen Bündnis von König und Volk eine schöne, bedeutungsvolle Zeit anbrechen würde, [...]
Dieser Enthusiasmus sollte allerdings nicht lange anhalten. An die Stelle der Schöheit trat bekanntlich die Karikatur des Bürgerkönigs, an die Stelle des Pathos die Farce, an die Stelle von Geist das Geld, ein Umstand, der freilich nicht auf Frankreich besschränkt blieb [...]
Öffentlichkeit bedarf, um zu gedeihen, einerseits bestimmter staatlicher und rechtlich abgesicherter Außenbedingungen [...] anderereits bestimmter kommunikativer und urbaner Binnenbedingungen. Öffentlichkeit ist und wird aber auch geprägt von bestimmten Erfahrungs- und Wahrnehmungsformen. Eine Gelehrtenöffentlichkeit kann z.B. lokalitätsüberschreitend durch Schrift [...] und vor Ort in bestimmten Formen der Oralität, etwa der Vorlesung oder Disputation, stattfinden. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Physiognomie der Öffentlichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr dominant von einer exzessiven Lese- und Schreibsucht geprägt wie noch im 18. Jahrhundert, sondern von einem unersättlichen Bilderhunger. Geht man auf die Suche nach den eigentümlichen Konstitutionsbedingungen literarischer Öffentlichkeit in der Epoche der Spätromantik und des Vormärz, so darf man nicht bei der Literatur stehen bleiben, sondern muß von der Interferenz von Literatur und Bild (wie in anderer und paralleler Weise von Literatur und Lied) ausgehen.
Hatten wir zu zeigen versucht, daß in der Romantik die "glückliche Vereinigung des Entgegengesetzten" - Kritik und Ethos - konstitutiv für die Gattung der Charakteristik wurde, so stoßen wir am Ende des Idealismus und der Kunstperiode auf die Verbindung von Kritik und Humor. [...] War freilich die Charakteristik in der Romantik mit ihrer Synthesebildung aus Philosophie, Philologie, Historie und Poesie die höchste Form der Kritik, ist sie jetzt im Vormärz nur noch eine gewichtige Vorübung für andere Bildungsarten.
Die Polemik lebt aus der Spannung extremer Gegensätze: von Affekt und Besonnenheit, von Argument und Bluff, von Logik und Paralogismen, von Dokument und Metapher, von akribischer Kriminalistik und wilder Spekulation, von rigorosem ethischem Prinzip und brutalem Vernichtungswillen, von kalkulierter Wirkungsstrategie und dem Spiel mit dem Zufall. Diese Spannungen sind in der Polemik so organisiert, daß sie die Sprache bis an die Grenze ihrer Verbalität, ja über sie hinaus zu treiben versuchen. Das Wort soll, was es nicht kann, nicht mittelbar, sondern unmittelbar Tat werden. Diese polemische Grenzüberschreitungssucht ihres Mediums der rational argumentierenden Sprache macht die Brisanz, das Interesse, aber auch die fortdauernde Distanzierung von der Polemik, zumal in der Aufklärung, verständlich. Im folgenden sollen einige Stationen der Verdächtigung und Legitimierung der Gattung Polemik von der Aufklärung bis zum Vormärz nachgezeichnet werden, wobei - unumgänglich - das Verhältnis der Polemik zur entstehenden Kritik in Aufklärung und Romantik ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt.