BDSL-Klassifikation: 16.00.00 Jahrhundertwende (1880-1914) > 16.15.00 Zu einzelnen Autoren
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Zu den Auftraggebern der großen Wiener Architekten gehörten im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts auch Wiener Schriftsteller. [...] Mit dem Auftrag an Strnad hatte sich Hofmannsthal für einen Architekten entschieden, dessen Gestaltungen für eine entspanntere, gleichsam wohnlichere Form der Wohnkultur standen - und damit für eine pragmatischere Moderne als die der Wiener Werkstätte und der Sezession. [...] Der konzeptionelle Wandel von Repräsentation zu Individualität machte das Interieur zu einem "Spielraum" für "Lebens‑ und Charakterentwürfe" des Bewohners, der darin stilistisch und materiell unterschiedliche Möbelstücke und Gegenstände wie Requisiten frei kombinieren, umstellen und austauschen konnte. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde diese von Architekten und Gestaltern wie Oskar Strnad und Josef Frank geprägte Spielart der Wohnkultur mit ihrer "undogmatischen und benutzerorientierten Definition von Funktionalität" als Neues Wiener Wohnen zum Begriff. [...] Obwohl kaum schriftliche Zeugnisse der Zusammenarbeit zwischen Hofmannsthal und Strnad existieren, belegen die beiden gemeinsamen Projekte - die Einrichtung der Wohnung Stallburggasse und die Bühneneinrichtung der Komödie "Der Schwierige" - eine große Nähe zur Idee einer "Veränderung der Wohnung", bei der nicht nur die Konzeption der Räume als Wiener Räume eine wichtige Rolle spielt, sondern auch deren individuelle Gestaltung.
"Wir sind nur Arlekin und Truffaldino / in einem tollen Stück", bemerkt Baron Weidenstamm zu seinem Diener Le Duc in Hofmannsthals Drama "Der Abenteurer und die Sängerin oder Die Geschenke des Lebens". Und zu Lorenzo Venier gewandt, urteilt er über sich selbst:
Hätte dieser da das Feur in seinem Blut so schön gebändigt wie du, so stünde nun ein andrer hier, ich bin ein Kartenkönig.
Auch Hofmannsthals Entwurfsnotizen zu "Ad me ipsum" setzen die Figur des Abenteurers in Relation zu einer Variation des Typus komische Person, zum Harlekin. Hofmannsthal führt diese Verwandtschaft in "Ad me ipsum" nicht deutlich aus. Seine Stichworte und auch andere Stellen im Werk lassen jedoch darauf schließen, daß die Gestalt des Abenteurers oder Verführers (ich verwende beide Bezeichnungen im folgenden synonym) und die Gestalt des Harlekins strukturell mindestens in drei Qualitäten miteinander korrelieren: Sie sind beide ohne Schicksal, sie sind beide ohne Schuld und sie beherrschen beide die Kunst des Wechsels, des Maskenspiels. Sie stehen außerhalb der Gesellschaft und ihrer sozialen Forderungen. Sie sind Maske, das heißt ohne Gewissen und jenseits der Umfriedung durch eine konventionelle Moral. Sie flottieren frei, sie beginnen, sie beenden, sie tauschen aus, sie verführen und lassen wieder zurück.
Keine andere Figur verletzt so eklatant die ungeschriebenen Regeln des Spiels, als das sich soziale Interaktion im aristokratischen Milieu von Hofmannsthals Komödie »Der Schwierige« gestaltet, wie der neu eingestellte Diener Vinzenz, der eben deshalb das Privileg erhält, den Vorhang über dem Spiel zu heben. Als Vinzenz in der ersten Szene des ersten Akts in die Räumlichkeiten des Bühlschen Palais eingeführt wird, unterrichtet er das Publikum nicht nur über den zeitgeschichtlichen Kontext des Stücks und die Lebensverhältnisse seines Protagonisten. Er bringt die Sprache auch umgehend auf jenen "Punkt", der sich für alle Beteiligten als der "Hauptpunkt" erweisen wird. "Jetzt kommt alles darauf an: geht er [Bühl] mit der Absicht um, zu heiraten?", eröffnet er dem alten Diener Lukas und fügt erläuternd hinzu: "Wenn er sich die Verwandten da ins Haus setzt, heißt das soviel als: er will ein neues Leben anfangen. Bei seinem Alter und nach der Kriegszeit ist das ganz erklärlich."
Inmitten der epochalen Katastrophe des Ersten Weltkriegs eine Komödie zu schreiben, die das konventionelle Komödienthema der Heirat im konventionellsten Komödienschema des Missverhältnisses von Absicht und Verwirklichung an einigen Repräsentanten des Wiener Hochadels durchspielt, welche den Krieg weitgehend unbeschadet überstanden haben - dass diese Konstellation beim zeitgenössischen Publikum für Irritationen sorgen könnte, hat Hofmannsthal zumindest geahnt.