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Im Jahr 1894 stellt Frank Wedekind mit seinem Drama "Die Büchse der Pandora. Eine Monstretragödie" seine erste literarische Auseinandersetzung mit dem Lulu-Stoff fertig, später folgen die Bearbeitungen »Der Erdgeist« im Jahr 1895, "Die Büchse der Pandora" aus dem Jahr 1903 und 1913 die Zusammenführung "Lulu". Diese Urfassung markiert somit den Beginn einer knapp 20 Jahre andauernden Beschäftigung mit jener Thematik, die Wedekinds umstrittenen Ruf als Autor beim Publikum und den Zensurbehörden gleichermaßen begründet.
Angesichts der jegliche Deutung des Stückes überlagernden Sitten- und Schamlosigkeit des Stoffes wird häufig übersehen, dass Wedekinds erste Beschäftigung mit der Thematik im Rahmen der "Monstretragödie" zugleich einen zentralen Kulminationspunkt seiner bis dahin andauernden literarischen Beschäftigungen darstellt. Es sind in erster Linie zwei Themengebiete, die seine ersten Arbeiten bis dahin prägen: In seinem literarischen Erstling "Frühlings Erwachen" setzt er sich 1891 intensiv mit den Fragen der Sexualität und damit zusammenhängend der gesellschaftlichen Sexualmoral auseinander und schafft damit einen wichtigen thematischen Grundpfeiler - auch für spätere Werke
Das Buch "Kohelet" des Alten Testaments, auch unter den Titeln "Der Prediger Salomo" oder "Ecclesiastes" überliefert, entstand wahrscheinlich im 3. Jahrhundert vor Christus. Vor allem die Eingangskapitel gehören zu den bekanntesten Texten der sogenannten biblischen Weisheitsbücher. Das kann allein schon die Tradition einiger 'Geflügelter Worte' durch die Jahrhunderte bezeugen wie etwa die folgenden Sätze oder Wendungen: "Es ist alles ganz eitel"; "Nimmersatt"; "Und geschiehet nichts Neues unter der Sonne"; "Ein jegliches hat seine Zeit"; "Sich gütlich tun"; "Viel Büchermachens ist kein Ende".
Spuren eines Einflusses auf das Werk Hofmannsthals scheinen sich etwa im Auftrittsmonolog des "Jedermann" zu finden, wenn er mit seinem stattlichen "Haus", seinem "Hausgesind" oder seinen "Meierhöf voll Vieh" prahlt; denn auch "Kohelet" rühmt sich der von ihm gebauten "Häuser", in denen sein "Gesinde, im Hause geboren" für ihn arbeitet, sowie seiner großen "Habe an Rindern und Schafen".
Diese Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten sind allerdings nur indirekt, weil die direkte Vorlage für Jedermanns Eingangsmonolog eine Dichtung des Hans Sachs ist. Die Textpassage findet sich nicht in Hofmannsthals Hauptquelle, dem "Everyman" aus dem 15. Jahrhundert. So gestaltete sie Hofmannsthal nach seiner zweiten "Jedermann"-Quelle, dem 1549 gedichteten Geistlichen Spiel "Ein comedi von dem reichen sterbenden menschen, der Hecastus genannt".
"Wir haben diesen Dichter geliebt" : Hugo von Hofmannsthal und Eduard Korrodi ; Briefe und Dokumente
(2017)
Der Schweizer Journalist, Essayist und Literaturkritiker Eduard Korrodi, geboren am 20. November 1885 in Zürich, ist heute, mehr als 60 Jahre nach seinem Tod am 4. September 1955, selbst in Literaten- oder Germanistenkreisen nahezu unbekannt. Seinen Zeitgenossen hingegen galt er als wegweisender Mentor und Anreger, als "schweizerischer Geisteswärter", als "das literarische Bundesgericht" der Schweiz und allmächtiger "Literaturpapst". Diese einzigartige Position eines "Entdeckers" und "Erweckers", "Richters" und "Vernichters" hat er in der Feuilletonredaktion der "Neuen Zürcher Zeitung" zwischen 1915 und 1950 über 35 Jahre hin behauptet - "geliebt, geehrt" und "angegriffen", immer aber "ernst genommen", so dass kaum ein Schweizer Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihn nicht in Tagebüchern oder Memoiren "erwähnt" oder "in gereizter Weise 'behandelt'".
Als jüngster Sohn des angesehenen Lehrers, Schulbuchautors und Lyrikers "für den Hausgebrauch" Johann Heinrich Korrodi (1834-1910) und der Marie Zurgilgen (1852-1950), die der Vater 1882 in dritter Ehe geheiratet hatte, besucht Korrodi die Schule in Zürich und ab Oktober 1898 das Kollegium "Maria Hilf" in Schwyz. Ab dem Wintersemester 1905/06 studiert er deutsche Philologie, Alt-Isländisch und Kunstgeschichte in seiner Heimatstadt und wird hier, nach einem Berliner Auslandssemester im Winter 1907/08 bei Erich Schmidt und Richard Moritz Meyer,10 im Januar 1910 mit der von Adolf Frey (1855-1920) betreuten Dissertation "Stilstudien zu C.F. Meyers Novellen" zum Dr. phil. promoviert.
Als im Januar 1904 die von Paul Nikolaus Cossmann, Josef Hofmiller und Wilhelm Weigand konzipierten "Süddeutschen Monatshefte" in München zu erscheinen beginnen, handelt es sich dabei um eine der letzten großen Neugründungen im Feld der reichsdeutschen Rundschaupublizistik vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Trotz ihres verhältnismäßig späten Erstpublikationsdatums hatte die Zeitschrift eine offenkundige Lücke innerhalb der Münchner Presselandschaft geschlossen. Darauf weist bereits der Germanist Franz Muncker hin, wenn er die "Süddeutschen Monatshefte" in einer Rezension aus Anlass ihres fünfjährigen Jubiläums als die "erste Münchner Monatsschrift" charakterisiert - und damit keineswegs nur den führenden Rang der Zeitschrift herausstreicht.
Die Rezeption eines Kunstwerks, sagt Schopenhauer, sei nur dann ganz befriedigend, wenn sie etwas hinterläßt, das wir, bei allem Nachdenken darüber, nicht bis zur Deutlichkeit eines Begriffs herabziehen können." Er fügt allerdings hinzu, dies sei vor allem bei solchen Kunstwerken der Fall, die den Vorzug hätten, "aus einem Guß" zu sein, "das lautere Werk der Begeisterung des Augenblicks, der Inspiration, der freien Regung des Genius […], ohne alle Einmischung der Absichtlichkeit und Reflexion", wie dies für die erste Skizze des Malers, für eine Melodie oder ein Gedicht gelte. Weniger gelte es hingegen für die Werke "von langsamer und überlegter Ausführung", an denen "die Reflexion, die Absicht und durchdachte Wahl bedeutenden Antheil" haben.
Verstand, Technik und Routine müssen hier die Lücken ausfüllen, welche die geniale Konception und Begeisterung gelassen hat, und allerlei nothwendiges Nebenwerk muß, als Cäment der eigentlich allein ächten Glanzpartien, diese durchziehen.
Der "Turm", der in drei verschiedenen Druckfassungen vorliegt, gehört offensichtlich in diese letztere Kategorie.
"[D]ie ganze Welt stürzt zusammen", schrieb Hofmannsthal am 26. November 1918 an Ottonie Gräfin Degenfeld. Drastisch schildert er das massenhafte Sterben an der Grippeepidemie in Wien ebenso wie die Angst vor Arbeiteraufständen, vor Schießereien und Plünderungen, vor freigelassenen Kriegsgefangenen und Kriminellen. Hofmannsthal hatte im k.u.k. Kriegspressequartier den Weltkrieg als Verteidigung der Kultur propagandistisch unterstützt. Spätestens nach dessen Ende erschien ihm wie vielen seiner Zeitgenossen der Weltkrieg als eine Katastrophe bisher unbekannten Ausmaßes, die alle materiellen wie geistigen Bereiche der Kultur fundamental averänderte. Seine ungeheure Zerstörungskraft kündigte einen Umbruchsprozess an, der zu einer völligen Neukonfiguration der politischen und ökonomischen Kräfteverhältnisse, des individuellen Selbstverständnisses und der kollektiven sozialen Beziehungen führte. Wie Mathias Mayer bemerkt, war dementsprechend für Hofmannsthal die "Konfrontation von Chaos und Ordnung" das zentrale "Problem der Nachkriegszeit".
"wo ist dem Tier sein End?" : das Politische, das Poetische und die Tiere in Hofmannsthals "Turm"
(2016)
In Hofmannsthals "Turm"-Projekt gibt es viele Tiere. Dies gilt für alle vier Fassungen. Nimmt man Begriffe wie Jagd, Reiten und Kreatur hinzu, dann lassen sich allein in der zweiten Fassung ungefähr 170 Tiererwähnungen nachweisen. Die mit Abstand größte Tierdichte findet sich dabei im ersten Auftritt des ersten Aktes, gefolgt vom zweiten Auftritt des zweiten Aktes. Offenbar sind die Tiere für die Entfaltung der Problemlage, wie sie in der ersten Hälfte des Dramas vorgenommen wird, wichtiger als für die Lösungen des Problems, die mit den verschiedenen Enden des Dramas angeboten werden. Bei der Entfaltung der Problemlage spielen die Tiere deshalb eine so zentrale Rolle, weil in ihnen zwei Themen aufeinander bezogen werden, die zum Kernbestand des "Turm"-Projekts gehören: die Frage des Politischen und die Frage des Poetischen. Um die damit gegebene trianguläre Beziehung von Politik, Metapher und Tier wird es im Folgenden gehen.
"Der Turm" und der Krieg
(2016)
"Vor dem Turm. Vorwerke, halb gemauert, halb in Fels gehauen. Zwischen dem Gemäuer dämmerts, indessen der Himmel noch hell ist." Die Szenenbeschreibung zu Beginn von Hofmannsthals Trauerspiel "Der Turm" skizziert eine düstere, unbehagliche Situation. Ein wuchtiges Hindernis stellt sich da in den Weg, zur Hälfte von Menschenhand gebildet, zur anderen aus der Natur genommen. Dunkle Konturen, die sich eben erst, im Licht der Dämmerstunde, zu neuen Formen ordnen. Vom Blick der Herannahenden erfasst wird das massive Bollwerk im Vorfeld eines beeindruckend aufragenden Verlieses, jenes titelgebenden Turmes, der hier buchstäblich seinen Schatten voraus wirft.
Räumliche Lage und dramaturgischer Zeitpunkt treten zu einer doppelt bestimmten Schwellenposition zusammen, beide befinden sich vor dem Turm. Es sind Kriegszeiten, das Leben ist karg, die Söldner murren, sind aufgewühlt. Soldaten "auf Grenzbewachung" durchstreifen das Gelände.
"Ich hatte Zweifel geäußert", erinnert sich Max Mell an ein Gespräch mit Hugo von Hofmannsthal vom Mai 1925, über die Art, wie Sigismund von der Zigeunerin ermordet wird, und sagte: es gibt eine mystische Art der Verknüpfung […] und eine intrigante, die das alte Schauspiel meinte; daß aber diese mystische Art die Sinnfälligkeit der intriganten, ihre theatralische Qualität haben müßte. […] [Olivier] müßte also schon zu Beginn eine drohende Haltung einnehmen, etwa konspirieren und seine künftige revolutionäre Haltung andeuten […]. Das leuchtete Hofmannsthal sehr ein […].
Versteht man Hofmannsthals ein Jahr spätere Äußerung, in der dritten Fassung des "Turm" die epische Tendenz abwehren und statt dessen das dramatische Moment wahren zu wollen, vor dem Hintergrund dieses Gesprächs, liegt es nahe, das Dramatische an die Intrige zu knüpfen.
Ich äußere mich hier nicht als Hofmannsthal-Experte und bin auch seit langem nicht mehr hauptberuflich Philologe. Dennoch habe ich gern den Vorschlag angenommen, hier etwas beizutragen, weil "Der Turm" auch von großem theatertheoretischen Interesse ist. Zudem hatte ich mich immer wieder mit dem Dichter Hofmannsthal zu beschäftigen, zumal mit den frühen lyrischen Dramen, die in die Genealogie des postdramatischen Theaters der Gegenwart gehören. Das letztere ist keineswegs, wie oft geargwöhnt wird, per se textfeindlich, nur weil es eine Fülle überraschender neuer Theatermöglichkeiten jenseits des klassischen Modells einer Dramen-Aufführung entdeckt hat. Im Gegenteil kennt es von Peter Handke bis Heiner Müller, von Elfriede Jelinek bis Sarah Kane großartige zeitgenössische Theatersprachen, die allerdings nicht mehr dem Modell der dramatischen Repräsentation entsprechen. Sie entfernen sich mehr oder weniger weit von der tradierten Spannungslogik des dramatischen Theaters, ohne es doch gänzlich zu verlassen, während umgekehrt Künstler wie Robert Wilson, Jan Lauwers, Jan Fabre, Claude Régy und andere Bühnenidiome von komplexer 'poetischer' Art schaffen.
Ein Gegenstand des vorliegenden Jahrbuchs ist mit den "Turm"-Dramen ein Werkkomplex, der den Lesenden und Forschenden die Rezeption nicht leichtmacht. Zweifellos ist der späte Hofmannsthal mit seinen Schrifttumsbelehrungen und taumelnden Führerschaften, seinen mitteleuropäischen Größenphantasien und dem aggressiven Kulturkonservativismus nicht eben populär - weder unter den Hofmannsthal-Leserinnen und -Lesern, noch in der Forschung. Das Unternehmen der 18. internationalen Tagung der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft, sich im September 2014 in Basel ausschließlich diesem formal zerklüfteten und schwer zugänglichen Werkkomplex zu widmen, stellte daher ein Wagnis dar. Ein Wagnis auch deshalb, weil die einzig angemessene analytische Zugangsweise zu den drei im Zeitraum zwischen 1925 und 1927 entstandenen Dramen die ideologiekritische zu sein scheint. Doch hat die Forschung zu den politischen Ideologien des späten Hofmannsthal diese ideologiekritische Arbeit bekanntlich bereits geleistet. So wurde im weiteren Kontext der politischen Schriften der 1920er Jahre die erste Fassung des Dramas als für den Totalitarismus ideengebender Denkraum gedeutet. Die Frage nach den Herrschafts- und Souveränitätskonzeptionen, die im Zentrum der "Turm"-Dramen steht, wurde von einer fatalen historischen Finalität her gelesen, nämlich der Annahme einer Zwangsläufigkeit des Wegs von der Avantgarde in den Nationalsozialismus.
Dichterhäuser produzieren Mythen. Dies ist bei Hofmannsthals barockem Wohnhaus in Rodaun bei Wien nicht anders. Als Vorbesitzer seines Hauses erwähnt Hofmannsthal in einem Brief an Eberhard von Bodenhausen vom 16. März 1901 beiläufig einen Fürsten Trautson: das Haus sei "zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia von einem Fürsten Trautsohn, der ein Schwarzkünstler gewesen sein soll, für seine Geliebte gebaut worden". Das gemeinhin als 'Schlösschen Fuchs' oder 'Fuchs-Schlössel' bezeichnete Anwesen wurde von Hofmannsthal von 1901 bis zu seinem Tod 1929 bewohnt und von seiner Familie noch bis 1937 gemietet. Das Landhaus aus dem 17./18. Jahrhundert, dessen Erbauungs- oder Umgestaltungsdatum nicht belegbar ist, wird in der Forschungsliteratur zu Hofmannsthal, in Zeitungsartikeln und in der Lokalgeschichtsschreibung kaum mit Trautsohn, sondern vielmehr mit einer anderen Vorbesitzerin in Verbindung gebracht: mit einer der Kaiserin Maria Theresia nahestehenden Gräfin Fuchs.
Du dilettantisme = Über den Dilettantismus / herausgegeben und übersetzt von Rudolf Brandmeyer
(2016)
Der hier übersetzte Text ist das zweite Kapitel einer Renan-Studie, die Bourget 1882 in einer französischen Zeitschrift veröffentlichte: Paul Bourget: Psychologie contemporaine. Notes et portraits. M. Ernest Renan. In: La Nouvelle Revue, 15. Jg., 15. März 1882, S. 233–271, hier S. 245–254: II. Du dilettantisme.
Die Titelgebung zeigt die relative Selbstständigkeit des Kapitels an: Abweichend von den anderen Kapitelüberschriften dieser Studie wird die behandelte Person nicht genannt und eine für Abhandlungen typische Überschriftsform gewählt. In diesem Punkt ist das Kapitel der "Théorie de la décadence" aus Bourgets Baudelaire-Studie von 1881 verwandt, gibt es doch ebenso wie jene "Théorie" eine aus dem Werk des behandelten Autors gewonnene, aber Anschlussfähigkeit suchende Analyse und Kritik des eigenen Zeitalters. Für deren Diagnose gab Bourget mit diesen beiden Texten wesentliche und prägende Vorgaben. Die Renan-Studie bildet das zweite Stück einer Serie von insgesamt zehn Aufsätzen zur "psychologie contemporaine", die in der "Nouvelle Revue" von November 1881 bis Oktober 1885 erschienen.
Hermann Menkes war die längste Zeit seines Berufslebens Journalist, seit 1907 fest angestellt beim "Neuen Wiener Journal" (NWJ). Neben Rezensionen, Theater- und Ausstellungsbesprechungen sowie Kulturnachrichten bespielte er ein Format, das, unter der Überschrift "Bei …", von Besuchen im Hause von Wiener Künstlern berichtete. Vier seiner hier erstmals vollständig dokumentierten und kommentierten Artikel galten Hofmannsthal. Zwei, aus den Jahren 1907 und 1910, sind im engeren Sinne 'Hausbesuche'; einer ist ein Gespräch anlässlich der Wiener Erstaufführung des "Jedermann" von 1913. Ein Artikel vom Januar 1924 erinnert an den jungen Hofmannsthal im Vorfeld seines 50. Geburtstages - wie überhaupt Menkes in den 1920er Jahren in einer Reihe von Reminiszenzen an die Jung-Berliner und -Wiener offenkundig an einem Mythos 'Jahrhundertwende' arbeitete (s. dazu den bibliographischen Überblick). Nicht aufgenommen wurden ins Thema der Hausbesuche Menkes' Nachruf auf Hofmannsthal und seine Besprechung des "Buches der Freunde" von 1929; auf einen Artikel vom 8. März 1934, drei Jahre nach Menkes' Tod, eine Bricolage aus seinen bereits gedruckten Gesprächen mit Hofmannsthal unter der Überschrift "Mein Wiedersehen mit Hofmannsthal", wurde ebenfalls verzichtet.
Zürich im Jahr 1888: Frank Wedekind, die Brüder Hauptmann, Agnes Bluhm, Alfred Ploetz, Auguste Forel, Gustav von Bunge und andere Literaten und Naturwissenschaftler bilden einen Diskussionskreis, in dem Literatur und Wissenschaft ein äußerst fruchtbares Wechselverhältnis miteinander eingehen. Besonders die zu jener Zeit immer stärker aufkommende Frage nach der genetischen Entwicklung der Menschheit bestimmt auch die Debatten des Zirkels und stellt zugleich einen zentralen Ausgangspunkt für weitere Überlegungen dar, wie sich Gerhart Hauptmann später erinnern wird: "Vererbungsfragen sind schon damals in der Medizin und darüber hinaus viel diskutiert worden. Unter Forels und Ploetzens Führung auch in unserem Kreis".
Für den jungen Frank Wedekind sind die in diesem Rahmen vor allem von Alfred Ploetz hervorgebrachten Ansätze einer gezielten Steuerung des menschlichen Erbguts in den ersten Jahren seines schriftstellerischen Schaffens prägend. Insbesondere die von Ploetz und anderen Vertretern der Eugenik aufgezeigte Notwendigkeit eines Aufbegehrens gegen die bestehende Gesellschaftsordnung zieht Wedekind in ihren Bann. Am deutlichsten tritt die literarische Adaptation eugenischer Themen und Motive in seinem Fragment gebliebenen Prosastück "Mine-Haha oder Über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen" aus dem Jahr 1895 zutage, das wiederum eng mit dem Drama "Hidalla" von 1905 verknüpft ist. Doch auch spätere Werke Wedekinds stehen unter dem Einfluss seiner in diese Zeit fallenden intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik.
Seit 1894 hatte sich Hugo von Hofmannsthal mit dem "Alkestis"-Stoff befasst, hauptsächlich angeregt durch die 438 v. Chr. entstandene Tragödie des Euripides. Teile seiner Neubearbeitung erschienen im Frühjahr 1895 und im Dezember 1898, ehe er die vollendete Dichtung 1909 im "Hesperus" veröffentlichte. Zwischenzeitlich (Ende März 1907) hatte ihm Rainer Maria Rilke seine Anfang Februar 1907 entstandene "Alkestis"-Ballade zusammen mit der "Rosenschale" zur Veröffentlichung angeboten. Am 2. April 1907 antwortete Hofmannsthal: "'Alkestis' fand ich etwas schwächer als die früheren ähnlichen Sachen, vielleicht nur beim ersten Lesen. Ich bin mir noch nicht ganz klar, was der Stoff in Ihrem Sinne herzugeben schien wodurch er Sie lockte." Am 13. September 1907 erschienen dann beide Rilke-Gedichte im Lyrikteil des "Morgen". Selbstverständlich fand das "Alkestis"-Thema Hofmannsthals besonderes Interesse wegen seiner eigenen vorausliegenden Arbeiten an der Neufassung der Euripides-Tragödie, und es ist nicht auszuschließen, dass die Veröffentlichung seiner Dichtung im "Hesperus" zweieinhalb Jahre später durch Rilkes Einsendung der Ballade angeregt worden ist.
On July 17, 1904, Hugo von Hofmannsthal wrote in his notebook: "'Elektra' […] Die Verwandtschaft und der Gegensatz zu Hamlet waren mir auffallend". He reiterated the parallels in two letters to two different addressees, Christiane Thun-Salm (October 12, 1903) and Ernst Hladny (ca. 1909-1911), and in 1912 he wrote to Richard Strauss, whose opera based on the play had premiered in 1909, about the similarity between the two royal children: "[D]a sind alle Grundmotive identisch, und doch, wer denkt bei Elektra an Hamlet!" Indeed, comparing William Shakespeare’s "Hamlet" (ca. 1600) and Hugo von Hofmannsthal's "Elektra" (1903) may not seem to be the most obvious task to undertake. At first glance, the English Renaissance humanism of "Hamlet" may appear utterly incompatible with the Viennese fin-de-siècle modernism of "Elektra", but the parallels and similarities of the two plays far exceed the mere fact that both protagonists are children of murdered kings whose mothers pick their new lovers from among their relatives. In fact, I should like to suggest that "Elektra" is a direct response to "Hamlet", and should be read as the modernist continuation of the humanist Prince of Denmark and his "antic disposition".
Am 26. Januar 1907 tritt Rudolf Kassner seine große Reise nach Nordafrika an. Ob er mit dem Schiff von Genua über Marseille oder gleich von Marseille übersetzt, wissen wir nicht. Jedenfalls trifft er kurz vor dem 1. Februar 1907 in Algier ein und steigt im "Hôtel de la Regence" an der Place de Gouvernement ab. Von dort hatte er Gerty von Hofmannsthal am 1. Februar berichtet: "Überfahrt schlecht, Wetter hier auch schlecht. So fängt es aber bei mir an, d.h. ich fange immer von Anfang an." Und ganz ähnlich hatte Lili Schalk unter demselben Datum lesen können: "Überfahrt mäßig, Schiff erbärmlich, Wetter häßlich. Bleibe einige Tage hier."
Die Verbindungen Hugo von Hofmannsthals zu der Familie von Lieben sind schon dort wirksam, wo sie nur in der engen Verflechtung mit den Familien Auspitz, Gomperz und Wertheimstein und der Verzweigung im gesellschaftlichen Leben Wiens liegen: Josefine von Wertheimstein war eine Schwester Sophie Todescos, deren Tochter Anna 1871 Leopold Lieben heiratete. Der erfolgreiche Bankier und spätere Präsident der Wiener Börsenkammer gilt als gebildet und künstlerisch veranlagt. Neben eigenen Versuchen in der Malerei sammelt er Gemälde; das Palais der Familie wird über die Jahre ein "Sammelpunkt von Gelehrten und Künstlern". Seine Brüder Adolf und Richard Lieben machen sich in der Wissenschaft einen Namen, Schwester Helene heiratet Rudolf Auspitz, Ida, die jüngere, Franz Brentano.
Aus der Ehe Leopold Liebens mit Anna gehen fünf Kinder hervor: Ilse, Valerie, Ernst, Robert und Henriette. 1894 freundet sich der junge Hofmannsthal mit dem Erfinder Robert von Lieben an. Aus dem Briefwechsel der beiden weiß man, dass es auch eine Beziehung zur jüngsten Lieben-Tochter Henriette gab, doch deren nähere Umstände werden aus der Korrespondenz nicht ganz klar, nur dass zwischen der 14-jährigen Henriette und dem 22-jährigen Hofmannsthal wohl - für die Familie problematische - Briefe gewechselt wurden.
Vorliegende Ausgabe der 'Mitteilungen der Hugo-von-Hofmannsthal-Geseellschaft' enthält u.a.:
Zum Tode von Ewald Rösch [Nachruf] / Lothar Pikulik und Günter Schnitzler
Hofmannsthals "Turm"-Dramen : Politik, Wissen und Kunst in der Zwischenkriegszeit ; Internationale Tagung der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft, Universität Basel – 4. bis 6. September 2014 / Anna-Katharina Gisbertz
Wandverwandlung : Menzels "Haus im Abbruch" und Rilkes
"Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge"
(2014)
Die sogenannte Hauswand-Episode in Rilkes "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" wird von der Forschung seit einiger Zeit "als Bildbeschreibung" gelesen. Im konventionellen Vokabular der Ekphrasis - "da waren", "man sah", "man konnte sehen" - schildert Malte die "Innenseite" eines abgebrochenen Hauses: "Nicht [um] die erste Mauer der vorhandenen Häuser" geht es ihm, sondern [um] die letzte der früheren." Insbesondere wegen der detailreichen Nuancierung der "Farben" und der "Umrisse" gerät diese merkwürdige Innenseite zu einem jener erzählten Bilder, die für die "Aufzeichnungen" charakteristisch sind.
Die Passage zählt dadurch zum Inventar einer Intermedialitätsdebatte, die mit unterschiedlicher Akzentuierung den Ort dieser Poetologie der Bilder in der "bildobsessive[n] Zeit um 1900" zu bestimmen sucht. Was allerdings das Sujet des Abbruchhauses selbst betrifft, so wurde bisher trotzdem nicht nach einer möglichen Vorgeschichte in der Malerei gefragt. Adolph von Menzels Gouache "Haus im Abbruch" aus dem "Kinderalbum" (1863-1883) legt diese Frage jedoch nahe.
"Im Oktober 1904" bringt der Wiener Verlag in der kurz zuvor erst lancierten Buchreihe "Bibliothek moderner deutscher Autoren" als deren zweite Nummer eine auf 1905 vordatierte Sammlung von Prosatexten Hugo von Hofmannsthals auf den Markt. Eine kunstvoll gestaltete Ausgabe im zeitgemäßen Kostüm: Der in einer Breitkopf-Fraktur gesetzte Titel "Das Märchen der 672. Nacht" wird zusammen mit dem Autornamen auf dem Einband von zwei kolorierten, stark stilisierte männliche Gesichter vorstellenden Jugendstilornamenten umklammert. Drei Viertel des Raumes nimmt eine farbige, von Walter Hampel angefertigte Graphik ein, die der zeitgenössische Leser als Ausgestaltung eines wichtigen Motivs der titelgebenden Erzählung bestimmen konnte. Die Titelseite ist komplett von einer ausgebreitete Schmetterlingsflügel stilisierenden Graphik Bertold Löfflers in den Farben Blau und Schwarz grundiert, in die zwei Vignetten eingelassen sind mit den bibliographischen Angaben.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs bereitete der privilegierten Villenexistenz, die Rudolf Borchardt seit 1906 in Italien geführt hatte, ein jähes Ende. Er stellte zugleich die moralische Autorität des Schriftstellers in Frage; denn der Verfasser der offen zum Krieg aufrufenden "Ballade von Tripolis" (1911), der aggressiv-militante "Spectator Germanicus" der "Süddeutschen Monatshefte" von 1912 hatte sich bis dahin erfolgreich um die Ableistung des Wehrdienstes gedrückt. Das erregte sogar den Unmut seiner Freunde, wie Alfred Walter Heymels Brief an Rudolf Alexander Schröder vom 21. September 1914 zeigt:
Wir wollen ruhig abwarten, aber wenn er [Borchardt] nach Ablauf dieses Krieges sich nicht gestellt hat, dann bin ich für meine Person fertig mit ihm und wenn seine philologischen, kritischen, rhetorischen Begabungen noch grösser wären als sie sind […]. Ich hoffe aber inbrünstig, dass sich alles aufklären wird und er längst als Freiwilliger gedrillt wird.
Tatsächlich hatte sich Borchardt schon am 2. August 1914 beim Deutschen Generalkonsul in Livorno freiwillig gestellt. Am 15. Oktober 1914 wurde er in Lörrach gemustert und dem 7. Badischen Infanterieregiment Nr. 142 Müllheim zugeteilt, wo er mit 37 Jahren die Grundausbildung als Musketier absolvierte. Er wurde am 29. Januar 1915 zum Gefreiten und eine Woche später zum Unteroffizier befördert; der dringend ersehnte und auf verschiedenen Wegen angestrebte Aufstieg zum 'standesgemäßen' Offiziersrang blieb Borchardt jedoch den ganzen Krieg über verwehrt. Die militärischen Stellen gelangten vielmehr schon bald zur Einschätzung, dass dieser Soldat vor allem - zum Reden tauge.
Als Rudolf Kassner Anfang Dezember 1900 nach zehnmonatigem Aufenthalt in Frankreich in die väterliche Wiener Wohnung nahe der Karlskirche zurückkehrt, lässt er knapp vier Wochen verstreichen, ehe er sich am 4. Januar 1901 brieflich bei Houston Stewart Chamberlain in Erinnerung bringt. Wie manchen anderen "geehrten und geschätzten Geistern" hatte er dem Autor des bewunderten Buchs "Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts" sein zu Jahrhundertbeginn bei Eugen Diederichs in Leipzig erschienenes Erstlingswerk "Die Mystik, die Künstler und das Leben" vom Verlag zusenden lassen und nach längerer Wartezeit am 13. Mai 1900 begeisterte Zustimmung erfahren. Noch in der ersten Januardekade 1901 betritt er das hochgelegene "Studierzimmer" in der Blümelgasse 17 und wird als "junger Schriftsteller und Gelehrter von seltener Begabung" sofort in den engeren Freundeskreis aufgenommen. Hier lernt er im Spätherbst desselben Jahres Hermann Graf Keyserling kennen. Der führt ihn nicht nur bei Hugo von Hofmannsthal in Rodaun ein, sondern auch in den "internationalen Salon der Fürstin Marie von Thurn und Taxis" in der Wiener Victorgasse 5a. Die erste Begegnung Kassners mit dem Fürstenpaar findet vermutlich Anfang 1902 statt, da die Fürstin "selten mit ihrem Train vor Weihnachten aus Lautschin" nach Wien "übersiedelt". Genauere Belege fehlen; doch dürfte der Besuch in eine gewisse zeitliche Nähe zum Treffen mit Hofmannsthal zu rücken sein, das für den 4. Dezember 1901 bezeugt ist. Die überlieferte Korrespondenz setzt im Frühjahr 1902 ein. Sie erstreckt sich über mehr als drei Jahrzehnte und liest sich, trotz erheblicher Lücken, die aus anderen Quellen, nicht zuletzt dem Briefwechsel zwischen der Fürstin und Rainer Maria Rilke, zu erschließen sind, als Dokument einer Lebensfreundschaft, die von ungeteilter, liebevoll verehrender Hochachtung getragen ist.
In der "Frankfurter Zeitung" erschien am 2. Oktober 1912 ein Interview, das Hofmannsthal anlässlich der Ernennung seines Jugendfreundes Clemens von Franckenstein (1875-1942) zum neuen Intendanten der Münchner Hoftheater gegeben hatte und das sich nun wiedergefunden hat. Der vorherige Generalintendant der Münchner Hoftheater, der 54-jährige Albert von Speidel, war am 1. September 1912 gestorben. Als sein Nachfolger wurde am 30. September 1912 überraschend der noch recht unbekannte 37-jährige Komponist und Dirigent Clemens von Franckenstein ernannt. Hofmannsthal, der sich zu dieser Zeit in München befand, wird in dem Interview ausführlich wörtlich zitiert, sagt aber in einem Brief an Franckenstein, der noch in Berlin weilte: "Es ist natürlich wie immer, alles etwas ungeschickt wiedergegeben".
Vor beinahe 100 Jahren, in den ersten Monaten des Ersten Weltkriegs, erschien am 10. Januar 1915 in der Berliner "Vossischen Zeitung" ein Aufsatz von Hugo von Hofmannsthal: "Wir Österreicher und Deutschland". Zu der Zeit arbeitete der Dichter in der Presseabteilung des Kriegsfürsorgeamtes und kämpfte, wie eine Journalistin im April 2014 formulierte, "mit Worten statt mit Waffen an der Seite Österreichs". Es mag daher verwunderlich erscheinen, dass Hofmannsthal gerade in diesem Kontext aus der Presseabteilung den Befehl erklingen ließ, es solle "über jedes Tor, das nach Österreich führt", geschrieben werden: "Hier oder nirgends ist Amerika." Obwohl Hofmannsthal zeitlebens nie amerikanischen Boden betritt, verkörperte das Land jenseits des Atlantiks für ihn das 'Junge' und 'Unverbrauchte'. Mit aufklärerischer Intention stützte er sich deshalb während des Weltkriegs auf den "Begriff eines europäischen Amerika", der zu einer Erneuerung der altehrwürdigen österreichischen Kultur beitragen möge. Nach dem Kollaps der Habsburgermonarchie jedoch behielt die Metapher "Amerika" ihre Bedeutsamkeit für den Dichter bei und gewann zudem sowohl an Relevanz als auch an Kontur.
Von 1922 bis 1928 war Hofmannsthal der Wien-Korrespondent für "The Dial" (1920-1929), die führende amerikanische literarische Monatsschrift der Zwischenkriegszeit. Die Zeitschrift druckte insgesamt neun Texte von Hofmannsthal auf Englisch: Sechs "Wiener Briefe" (1922, 1923, 1924, 1928); ausgewählte Aphorismen aus dem "Buch der Freunde" (1922); "Lucidor. Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie" (1922); und eine geänderte Fassung seines "Balzac"-Aufsatzes (1925). Fünf der sechs "Vienna Letters" stellen sogar Erstveröffentlichungen Hofmannsthals dar.
Zu Rainer Maria Rilkes und Peter Handkes besonderem Verhältnis zu Paul Cézanne ist bereits viel gesagt und geforscht worden. Das Thema ist über die vielfältigen intermedialen Bezüge von Kunst und Literatur hinaus, die sich hier an besonders reichhaltigen und qualitätvollen Materialien untersuchen lassen, jedoch von grundsätzlicherer Bedeutung: Es geht nicht ausschließlich um ästhetische Rezeptionsphänomene, sondern im emphatischen Sinn um 'Lehren', wie Handke seinen Cézanne-Roman "Die Lehre der Sainte-Victoire" (1980) betitelt; sie werden von dem verehrten Vorbild nicht nur vordoziert, sondern vorgelebt, und von seinen Schülern nicht nur auswendig gelernt, sondern in lebendige Praxis überführt. Beide Autoren verstehen ihre Begegnung mit Cézanne als eine Art Bekehrung, eine einschneidende Lebenswende.
Seit Ende der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts liegt in der Handschriftenabteilung des Freien Deutschen Hochstifts Frankfurt als Dauerleihgabe der Stiftung Volkswagen ein in 29 Tranchen aufgeteiltes, rund 170 Autografen umfassendes Briefkonvolut, das aus dem Nachlass Hugo von Hofmannsthals stammt und über Oxford, dem letzten Wohnsitz der vor den Nazis geflohenen Witwe Hofmannsthals, an den Main gelangt ist. Und da jede dieser Tranchen ein gleichgestaltetes archivalisches Kennzeichen trägt -"Degenfeld, Ottonie, v." - erübrigt es sich fast zu sagen, womit man es zu tun hat: Es sind die Briefe, die Ottonie Gräfin Degenfeld-Schonburg, ursprünglich angeregt durch ein Schreiben Hofmannsthals vom September 1909, zwischen 1910 und Hofmannsthals Todesjahr 1929, überwiegend von Schloss Neubeuern am Inn, dem Anwesen ihrer Schwägerin Julie Freifrau von Wendelstadt bzw. dessen nahegelegenem, testamentarisch an die Gräfin gefallenen Meierhof Hinterhör, dann aber auch von Orten wie Berlin, Dresden, München, Paris, Stuttgart, Weimar, dem elterlichen Gut im thüringischen Sondershausen oder dem schwäbischen Sitz ihrer Schwiegerfamilie Eybach aus an Hofmannsthal adressiert hat.
Im November 1892 erscheint die erste größere Auswahl von Mallarmés Schriften: Vers et Prose. Morceaux choisis (Paris: Perrin 1893, 224 S.). Der Band enthält Gedichte, Übersetzungen (Poe) und unter dem unscheinbaren Titel "Plusieurs pages" Prosagedichte sowie literaturkritische Texte, darunter, die Auswahl abschließend, zwei mit ausgesprochen programmatischem Charakter.
In der Einleitung seiner sich auf diese Ausgabe beziehenden Studie mustert Lanson die bisherige Wirkung von Person und Werk Mallarmés bis zu diesem aktuellen Zeitpunkt mit Ironie und bissigen Bemerkungen. Sie stellt sich ihm als Ergebnis einer Werkpolitik dar, mit der ein dem Anschein nach öffentlichkeitsscheuer, aber klug agierender Autor Schüler gewinnt, ein zunehmend irritiertes bürgerliches Publikum zudem neugierig macht und schließlich einen Band vorlegt, an dem die Analyse eines singulären Kunstanspruchs nun anzusetzen vermag. Mit dieser Einschätzung steht Lanson nicht alleine da. Zehn zwischen Dezember 1892 und Februar 1893 erschienene Rezensionen markieren den mit "Vers et Prose" markierten Einschnitt in der Wirkungsgeschichte Mallarmés, und alle begreifen ihn als Aufforderung zu Urteil und Resümee.
Lanson, der spätere Begründer der französischen Literaturwissenschaft, ist zu diesem Zeitpunkt Professor für Rhetorik am renommierten Pariser Gymnasium Charlemagne. Er hat von Mallarmé ein Exemplar mit Widmung erhalten, ist aber nicht Literaturkritiker wie all die anderen Rezensenten, und auch der Publikationsort seiner Studie zeigt Distanz an.
Arthur Schnitzlers "Medardus Affairen" : Teil II: Materialien / mitgeteilt von Hans Peter Buohler
(2013)
Der umfänglichen "dramatischen Historie" "Der junge Medardus" kommt innerhalb des OEuvres Arthur Schnitzlers ein Sonderstatus zu. Dieser gründet zum einen in der schieren Fülle des nachgelassenen Materials, das mit ungefähr 1.700 Blatt quantitativ bei weitem die Entwurffassungen und Skizzen der übrigen Dramen übertrifft. Zum anderen bietet das seinerzeit außerordentlich erfolgreiche Werk die seltene Gelegenheit, eine plurimediale "Mehrfachverwertung" par excellence beobachten zu können, da sich neben dem Lesedrama auch die Strichfassung der Uraufführung, ein Drehbuchentwurf Schnitzlers und eine unter der Regie von Mihály Kertész/Michael Curtiz (1888-1962) ausgeführte Verfilmung vollständig erhalten haben. Lediglich eine 1931 - ohne Schnitzlers Wissen erstellte - Rundfunkbearbeitung muss als verloren gelten. Mit Hilfe des Tagebuchs von Arthur Schnitzler lässt sich überdies die Entstehungsgeschichte beinahe lückenlos rekonstruktieren.
Während der erste Teil der "Medardus Affairen" die zu großen Teilen unbekannte Korrespondenz Schnitzlers mit dem Wiener Burgtheater, den Schauspielern, seinem Verleger Samuel Fischer sowie der Sascha-Filmgesellschaft präsentiert hat, dokumentiert der zweite Teil exemplarisch Entstehung und Wirkung des Dramas
Als die Festwochen der Stadt Berlin im September 1953 zu Ende gehen, spricht Rudolf Alexander Schröder in der Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses über sein Berlin – die Stadt, die "mir am nächsten ans Herz gewachsen ist". Schröder hält sich um 1900 regelmäßig dort auf, wohnt zwischen 1905 und 1908 beim Ehepaar Meier-Graefe in der Genthiner Straße und erweist in seiner Rede einer langen Reihe von Freunden und Weggefährten seine Referenz, von Detlev von Liliencron und Paul Scheerbart über Johannes Schlaf, Richard und Ida Dehmel und Stanislaw Przybyszewski bis hin zu Harry Graf Kessler. Schließlich kommt er auf "eine der denkwürdigsten Gestalten meines engeren Freundeskreises" zu sprechen: Eberhard von Bodenhausen. In schneller Folge lässt Schröder dessen berufliche Laufbahn Revue passieren. Dem gelernten Juristen, der "zu den tätigsten Mitbegründern und Mitarbeitern des Pan" zählt und der - nach dem Studium der Kunstgeschichte - "die heute noch führende Arbeit über Gerard David" schreibt, gelingt der Eintritt in das Kruppsche Direktorium. Als 1914 der Krieg ausbrach, war Bodenhausen - äußerlich ein Hüne - schon ein müder Mann; gegen Kriegsende war er aus dem Amt geschieden, hatte das Angebot der Nachfolge Wilhelm von Bodes und sogar den Reichskanzlerposten ablehnen müssen.
Schließlich äußert der Redner den Wunsch, man möchte sich in Berlin einen der würdigsten Vertreter deutscher Geistigkeit um die Jahrhundertwende ins Gedächtnis zurückrufen.
Das Leben Hugo von Hofmannsthals stellt die Biographen vor nicht unbeträchtliche Herausforderungen. Es handelt sich nicht nur darum, dass ein am Schreibtisch verbrachtes Leben wenig an äußeren Ereignissen zu bieten hat, oder darum, daß Hofmannsthal selbst Biographien stets mit Skepsis begegnet ist. Schwerer wiegt, daß sich weder aus den äußeren Umständen noch aus dem literarischen Werk eine schlüssige Lebenserzählung ergibt. So sehen sich die biographisch Interessierten auf Selbstaussagen verwiesen, die zwischen diesen Polen zu liegen scheinen. Laut Mathias Mayer sind die autobiographischen Notizen "Ad me ipsum" "ein ebenso unentbehrlicher wie gefährlicher Schlüssel" des Verständnisses geworden. Diejenigen, die sich darüber hinaus dem Briefwerk zuwenden, lernen im Verkehr mit Schriftstellern und Künstlern wie Rudolf Borchardt, Richard Strauss, Arthur Schnitzler, Stefan George, mit Freunden wie Carl Jacob Burckhardt, Rudolf Pannwitz, Walther Brecht und Rudolf Kassner eine andere Seite des Schriftstellers kennen. Hier zeigt sich Hofmannsthal als hoch sensibel, intellektuell großzügig, abgründig zweifelnd und zutiefst einsam. Aus jeder der genannten Quellen ergeben sich zwar Facetten eines Lebens, aber "keine Biographie im strengen Begriff", wie Ulrich Weinzierl - bislang neben Werner Volke Hofmannsthals einziger Biograph - behauptet hat.
Im Jahr 2009 erschien im Residenz Verlag unter dem Titel "Der Fliegenpalast" ein schmaler Roman des österreichischen Schriftstellers Walter Kappacher. "Der Fliegenpalast" sollte nicht nur seinem Verfasser zu einem späten Durchbruch verhelfen - Kappacher erhielt im selben Jahr den prestigeträchtigen Georg-Büchner-Preis -, sondern wurde umgehend auch als Biographie Hofmannsthals wahrgenommen, die mit den Mitteln der Fiktion das rekonstruiert, was sich dem Diskurs zu entziehen scheint.
Es war Theodor W. Adorno, der Richard Wagner "den berühmtesten erotischen Künstler der bürgerlichen Welt" genannt hat. Möchte man sich dieses Aperçu zu eigen machen, so wird man sich in erster Linie an den Dichter Richard Wagner halten – und erst in zweiter Linie an den Musiker. Wagner selbst hat es genau so gesehen: genau in solcher Gewichtung. Anlässlich des "Fliegenden Holländers" schreibt er über den Beginn der Arbeit an diesem Werk: "Ich war von nun an in bezug auf alle meine dramatischen Arbeiten zunächst Dichter, und erst in der vollständigen Ausführung des Gedichtes ward ich wieder Musiker." Und in seinen minutiösen Anweisungen für die Aufführung des "Tannhäuser" von 1853 insistiert Wagner vorsorglich, die Dichtung müsse "in ihrem ganzen Umfange" den Darstellern bekannt gemacht werden (vgl. II, 111), und zwar: bevor diese mit der Musik in Berührung kämen. Das Augenmerk der vorliegenden Abhandlung richtet sich also zunächst und vor allem auf den Dichter, den Dramatiker Richard Wagner: als einen Darsteller von erotischen Leidenschaften; als einen Kenner der abendländischen Liebes-Theorien.
Who has any doubt nowadays that our past is the key to our present, and by articulating this past, verbalizing it to a therapist, we can divest ourselves of its debilitating weight? Memory liberates, narration heals, history redeems […]. […] to remember is to heal. Heal from what? From the amnesia that 'dissociates' the psyche, from the forgetting that breaks the continuity of my history and therefore keeps me from being my self. Ever since (and because of) Anna O.'s miraculous cure, forgetting has ceased to be a simple lapse of memory […].
Soll die in Erzählung gegossene Erinnerung aber nicht nur befreiende, sondern gar heilende und erlösende Kräfte besitzen, muß Vergessen von der Gedächtnislücke (lapse of memory) zum Sündenfall überhöht werden. Die Wiener Jüdin Bertha Pappenheim (1859-1936), von Freud und Breuer in den 1895 publizierten "Studien über Hysterie" sorgsam unter dem Decknamen Anna O. verborgen, gilt Mikkel Borch-Jacobsen daher sowohl als Kronzeugin für die das 20. Jahrhundert beherrschende Macht der Erinnerung wie auch für die Verwissenschaftlichung der Beichte durch die Psychoanalyse.
Der jüngeren George-Forschung ist mit wenigen Ausnahmen das hier aufgegriffene Thema fremd geworden. Nachdem von geisteswissenschaftlicher Seite mit dem Buch von Enid Lowry Duthie 1933 ein beachtlicher Anfang gemacht war, Georges Anknüpfung an den französischen Symbolismus zu erhellen, und die sorgfältige Studie von Claude David 1952 die von Duthie aufgeworfenen Fragen vertieft, erweitert und für längere Zeit auch abschließend beantwortet hat, ist es nur Bernhard Böschenstein in einer Reihe einzelner Studien gelungen, auch Georges Spätwerk zu poetologischen Positionen der französischen Dichtung um 1890 in Beziehung zu setzen: Georges Mallarmé-Rezeption zu seinem Blick auf Hölderlin, ein Gedicht aus dem "Neuen Reich" zu einem Text von Francis Vielé-Griffin von 1889. Das im Stefan George Archiv gesammelte, Georges Biographie betreffende Quellenmaterial hat Robert Boehringer 1967 weitgehend ausgewertet, einiges hat der Ausstellungskatalog "Stefan George und der Symbolismus" von Werner Paul Sohnle 1983 hinzufügen können, die brillant geschriebene George-Biographie von Thomas Karlauf baut für Georges Paris-Beziehungen auf diesem Material auf.
Das Gedicht 'Verse, auf eine Banknote geschrieben' unterscheidet sich in der Formensprache derart von der frühen Lyrik Hofmannsthals, dass sich beinahe der Eindruck eines absichtsvoll Schlechten herstellt. Es handelt sich um Gedankenlyrik, die kaum etwas von der subtilen Widerständigkeit und traumhaften Hermetik aufweist, die an der Lyrik des jungen Hofmannsthal bewundert worden ist. Andererseits ist der Gedankengang so scharfsinnig und verdichtet durchgeführt, dass der Text trotz der konventionellen Form den meisten Zeitgenossen vermutlich unzugänglich gewesen wäre. Das Raffinierte des Texts besteht in einer merkwürdigen Dialektik von Mimesis an den besprochenen Gegenstand und Selbstverleugnung in einer Poetik der Nichtidentität.
Hofmannsthals frühe Gedichte und lyrische Dramen sind durchsetzt mit Evokationen vergangener Ereignisse und Zustände. Gleichzeitig handelt es sich um Reflexionen des Übergangs gegenwärtiger - und in ihrer Gegenwärtigkeit vergänglicher - Momente in vergangene. Angesprochen sind Zeitmomente, Passagen, in denen Vergänglichkeit in den Fokus der dichterischen Auseinandersetzung rückt. Am einprägsamsten wohl in der Terzine "Über Vergänglichkeit". Vergänglichkeit ist die Prämisse dafür, dass es Vergangenes und somit, das Disparate zusammengefasst, Vergangenheit gibt. So gesehen, gehören die beiden Aspekte Vergänglichkeit und Vergangenheit strikt zusammen.
Ob man auch Vers an Verse flicht,
Der Reime Blüten rastlos bricht,
Nur Abglanz ist's und Wiederhall,
Ob man es singt, ob man es spricht:
Doch aller Gedichte Vollendung ist - -
O glaube mir, - - ein getanztes Gedicht.
Dieser aus sechs vierhebigen, rhythmisch leicht holpernden Versen bestehende Text ist einer der wenigen Versuche Hugo von Hofmannsthals in der ursprünglich arabischen, besonders aber von persischen Dichtern entfalteten Form des Ghasels, und er ist sogar eines von drei Ghaselen, die Hofmannsthal zu seinen Lebzeiten selbst veröffentlicht hat, wenn auch bloß in dem als Privatdruck erschienenen Ballprogramm "Ein Tanz durch Wien" vom 21. Februar 1891.
Eine erste Notiz zu dem geheimnisvollen, oft gedeuteten und viel umrätselten "Magie"-Gedicht des 21jährigen Hofmannsthal entstand in Göding, am 14. Juli 1895; vollendet wurde es Ende Oktober desselben Jahres. Es geht hier um den Aufweis einer Quelle oder Parallele zu einigen Motiven in den sieben Eingangsstrophen, die insgesamt genau die erste Hälfte des Gedichts ausmachen:
Ein Traum von großer Magie
Viel königlicher als ein Perlenband
Und kühn wie junges Meer im Morgenduft,
So war ein großer Traum, wie ich ihn fand.
[…]
In seiner ersten Notiz skizzierte Hofmannsthal den Plan zu diesem Gedicht: "als Einleitung halbwacher Morgentraum mit undeutlich bewusster Wohnung: in einem Lusthaus […]. Ein Traum von großen Magiern". Aus dem "halbwachen Morgentraum" soll und wird ein Gedicht hervorwachsen - eine Szenerie, die ganz genau so und teilweise wörtlich in Richard Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" (III.1) vorgebildet ist.
Es gibt, neben zahlreichen Bezugnahmen im Zusammenhang umfassenderer Fragestellungen, fünf größere Arbeiten, die sich ausschließlich auf Hugo von Hofmannsthals Gedicht "Ein Traum von großer Magie" konzentrieren. Reizvoll an diesen Arbeiten ist unter anderem der Umstand, dass sie in größeren zeitlichen Abständen erschienen sind, und somit auch etwas von den sich wandelnden Erkenntnissen, Modetrends und Verlegenheiten der Fachgeschichte selbst transportieren. Der frühe Aufsatz von Martin Stern gibt einen eingehenden editionsphilologischen und geistesgeschichtlichen Kommentar zu diesem Gedicht, das von der Forschung bis dahin, wie Stern betont, öfter gelobt als gedeutet [wurde]. Es gehört nach allgemeiner Auffassung zu seinen vollendetsten und dunkelsten und gilt gemeinhin als 'unausschöpfbar'.
Die Szene der Einfluß-Angst und ihre Vorgeschichten : Lyrik und Poetik beim frühen Hofmannsthal
(2012)
Die vielleicht elementarste Antwort auf die Frage, warum erzählt werde, lautet, dass für das Dasein der Dinge eine Herleitung, eine aus der Genese entwickelte Begründung gegeben wird. Das factum wird auf das facere zurückgeführt, dem Sein eine Vorgeschichte gegeben. Die erzählte Vorgeschichte legitimiert einen Zustand aus seinem Gewordensein, der begründenden Hauptgeschichte wird eine begründende Vorgeschichte zuteil. Diese Erzähl- und Denkform ist offenkundig so elementar und zugleich so universell, dass sie sich auf ihre eigene Form anwenden lässt und permanent angewandt wird. Erzählt jemand eine Vorgeschichte, dann wird ihm die Frage gestellt werden, was die Vorgeschichte dieser Vorgeschichte gewesen sei. Die begründungsaffine Narrationsform der Vorgeschichte schematisiert nicht nur die Denkform der Kausalität vor, sie formiert nicht nur die Temporalität, sie öffnet vielmehr auch in grundsätzlicher Weise die symbolische Explikation des Weltverständnisses überhaupt, indem sie zu jeder Geschichte eine weitere, sie begründende Geschichte hinzufügt und so ein Gewebe von Geschichten etabliert, welches in zunehmender Verdichtung die Zusammenhänge dessen darstellt, was wir Welt nennen.
Feingesponnene Gedichte, wie sie das lyrische OEuvre Hofmannsthals aufweist, erfordern vom Wissenschaftler theoretische Zurückhaltung, hermeneutische Diskretion. Deswegen nehmen nachfolgende Überlegungen ihren Ausgang nicht von Abstraktionen wie etwa dem im Titel geführten Begriff "Subjektivität", sondern von Beobachtungen, die aufgrund ihrer Textnähe leicht nachvollziehbar sein dürften. Diese gelten zudem einem Gebilde, das, obzwar intrikat gefügt, an das unmittelbare Verständnis keine allzu großen Anforderungen stellt. Gemeint ist der erstmals 1892 in den "Blättern für die Kunst" veröffentlichte Text "Vorfrühling".
Hofmannsthals Unkenntnis der Slawen vor der Zäsur des Großen Krieges ist trotz der Freundschaft, die ihn mit dem böhmisch-stämmigen Schriftsteller Robert Michel verbindet, der zeitlebens Österreichs eigenen Orient in der okkupierten und dann annektierten Provinz Bosnien-Herzegowina beschreibt, kaum zu überbieten. Die weitaus größte Sprachgruppe der Monarchie ist für ihn höchstens ein imperiales Kolorit; sie wirkt - wenn überhaupt - exotisierend, erotisierend und dämonisierend wie in der "Reitergeschichte" (1899), in welcher der Wachtmeister Anton Lerch auf dem Feldzug Radetzkys in Mailand Frau Vuic erliegt. Der Slawe bleibt vorab das Feindbild Nummer eins im Innern Österreichs, dessen kulturprägende Komponente im Selbstverständnis Hofmannsthals deutsch ist. Gerade seine herausgeberischen Tätigkeiten sind symptomatisch für seine zunächst bornierte Haltung. Die deutsche "Cultur" (denn eine andere gibt es in der Wahrnehmung Hofmannsthals lediglich marginal) sei zu fördern, hier habe der Dichter "Führerschaft" anzumelden - wie er es 1906 in seinem Essay "Der Dichter und diese Zeit" formuliert. In Anschluss an Goethe sieht er darum seine Aufgabe mitunter darin, kanonische Literatur in den beiden Bänden "Deutsche Erzähler" (1910) und "Deutsches Lesebuch" (1912) zu versammeln.
"Wir sind nur Arlekin und Truffaldino / in einem tollen Stück", bemerkt Baron Weidenstamm zu seinem Diener Le Duc in Hofmannsthals Drama "Der Abenteurer und die Sängerin oder Die Geschenke des Lebens". Und zu Lorenzo Venier gewandt, urteilt er über sich selbst:
Hätte dieser da das Feur in seinem Blut so schön gebändigt wie du, so stünde nun ein andrer hier, ich bin ein Kartenkönig.
Auch Hofmannsthals Entwurfsnotizen zu "Ad me ipsum" setzen die Figur des Abenteurers in Relation zu einer Variation des Typus komische Person, zum Harlekin. Hofmannsthal führt diese Verwandtschaft in "Ad me ipsum" nicht deutlich aus. Seine Stichworte und auch andere Stellen im Werk lassen jedoch darauf schließen, daß die Gestalt des Abenteurers oder Verführers (ich verwende beide Bezeichnungen im folgenden synonym) und die Gestalt des Harlekins strukturell mindestens in drei Qualitäten miteinander korrelieren: Sie sind beide ohne Schicksal, sie sind beide ohne Schuld und sie beherrschen beide die Kunst des Wechsels, des Maskenspiels. Sie stehen außerhalb der Gesellschaft und ihrer sozialen Forderungen. Sie sind Maske, das heißt ohne Gewissen und jenseits der Umfriedung durch eine konventionelle Moral. Sie flottieren frei, sie beginnen, sie beenden, sie tauschen aus, sie verführen und lassen wieder zurück.
'Schweigen und tanzen' : Hysterie und Sprachskepsis in Hofmannsthals Chandos-Brief und "Elektra"
(2011)
Hugo von Hofmannsthals Tragödie "Elektra" wurde bereits 1903 bei ihrer Uraufführung in Berlin von der zeitgenössischen Kritik als Inszenierung einer hysterischen Krankengeschichte aufgefasst. Die germanistische Forschung hat die Ansicht, dass Hofmannsthals Drama "klinisches Material in bürgerliches Bildungstheater" verwandle, immer wieder aufgegriffen und variiert. Als Vorlage für die Figur der Elektra gilt dabei gemeinhin die Hysterikerin Anna O. aus Joseph Breuers und Sigmund Freuds "Studien über Hysterie". Eine solche eindimensionale Interpretation ist jedoch aus verschiedenen Gründen - nicht nur im Hinblick auf Hofmannsthals Kenntnis der "Studien über Hysterie" zum Zeitpunkt der Niederschrift seines Dramas - fragwürdig: Vernachlässigt wird dabei insbesondere die Bedeutung des Prozesses einer Umschrift von Fallgeschichten in Literatur, mithin die Transposition, welche die Versatzstücke aus dem medizinsch-psychoanalytischen Bereich erfahren, wenn sie in das poetische Gefüge eines literarischen Textes eingerückt beziehungsweise in den Zusammenhang eines Gesamtwerkes wie dasjenige Hofmannsthals und seiner ihm eingeschriebenen Poetologie gestellt werden.
Das offizielle Programmheft der Salzburger Festspiele 2010, die ganz im Zeichen des 90jährigen Geburtstags der Festspielgründung standen, stellt die Veranstaltungen des Jubiläumsjahres in eine Kontinuität von Hofmannsthals Festspielkonzept, dem eine dezidiert europäisch-kosmopolitische Ausrichtung nachgesagt wird: Mitten im Ersten Weltkrieg reifte in den Gründervätern, Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt, Richard Strauss, Alfred Roller und Franz Schalk, der Entschluss, die gegeneinander gehetzten Völker durch Festspiele miteinander zu versöhnen, ihnen ein vereinendes Ziel zu geben. Hofmannsthal habe - so das damalige Festspieldirektorium - mit seinem "so zeitlos gültigen Gründungsauftrag" den "Friede[n] und de[n] Glaube[n] an Europa" in den "Mittelpunkt" jeder zukünftigen Festspielplanung gestellt. Doch bildet eine solche weltbürgerliche Ausrichtung tatsächlich das ideologische Fundament des von Hofmannsthal formulierten Festspielgedankens?
Arthur Schnitzlers "Medardus Affairen" : Teil I: Korrespondenzen / mitgeteilt von Hans Peter Buohler
(2011)
Der Erfolg, den Arthur Schnitzlers "dramatische Historie" "Der junge Medardus" bei und nach seiner Premiere am 24. November 1910 im Wiener Burgtheater feierte, steht in auffälligem Kontrast zu seiner weiteren Rezeptionsgeschichte. Zunächst bescherten die Vorstellungen dem Theater seiner Zeit einen "[n]och nicht erreichte[n] Record"; 1914 erhielt Schnitzler für sein Drama den Raimund-Preis, und Richard Specht mutmaßte, es könne diejenige "Historie sein […], die Arthur Schnitzlers Namen als den des österreichischen Dramatikers kraftvoller als seine anderen Schöpfungen zu den Späteren hintragen" würde. Doch zählt der Medardus heute sicherlich nicht mehr zu seinen bekannteren Stücken und ist im Fahrwasser der Zeitläufte von den Bühnen verschwunden: Seit einer Aufführung anläßlich des 100. Geburtstages von Schnitzler 1962 wurde es in den vergangenen 50 Jahren an keiner deutschsprachigen Bühne mehr inszeniert.
In ihrer Osterausgabe vom Sonntag, dem 21. April 1957, brachte die Neue Zürcher Zeitung unter der Überschrift "Dichtung und Darstellung in der gegenwärtigen Literatur der Schweiz die Beiträge zweier renommierter Autoren: "Ewige Wiederkehr" von Max Rychner und aus der Feder von Carl Jacob Burckhardt "Spaziergang mit François Franzoni". Burckhardts Beitrag, auf dem das Folgende beruht, erfuhr dank seiner Aufnahme in einen Band seiner Essays in der "Manesse Bibliothek der Weltliteratu mit dem Titel "Begegnungen" (1958) weite Verbreitung. Auch in den vierten Band von Burckhardts "Gesammelten Werken", welcher "Porträts und Begegnungen" (1971) betitelt ist, wurde der "Spaziergang mit François Franzoni" aufgenommen.
Zahlreich finden sich im Werk Hofmannsthals Spuren, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk Molières belegen. Dazu gehört die Gedenkrede "Worte zum Gedächtnis Molières", die für die Feier zum 300. Geburtstag Molières am 15. Januar 1922 im Wiener Burgtheater bestimmt war und einer Aufführung der Komödie "Der eingebildete Kranke" vorausgehen sollte. Bereits im Jahr 1899 hatte der damalige Direktor des Burgtheaters, Paul Schlenther, Hofmannsthal um einen Prolog für eine Feier zum 150. Geburtstag Goethes gebeten, die dann am 8. Oktober 1899 stattfand. Hofmannsthals Wertschätzung für Molière, die er mit seinem Vorbild Goethe teilte, dürfte Anlass gewesen sein, ihn im Jahr 1921 erneut um einen Prolog zu bitten. Ein Brief Hofmannsthals vom 19. Dezember 1921 an den Direktor des Burgtheaters, Anton Wildgans, lässt darauf schließen, dass er der Anfrage zu entsprechen beabsichtigte.
Paul Scheerbarts astrale Hermeneutik : Vorschlag zu einer Bestimmung des Begriffs "Neoromantik"
(2010)
Im Februar 1904 erscheint in der Zeitschrift "Kunst" eine Reihe von Zeichnungen Paul Scheerbarts unter dem Titel "Der magnetische Spiegel". Eingebettet in einen pseudodokumentarischen Rahmentext illustrieren Kopffüßler und andere groteske Kreaturen den Erfahrungsbericht eines optisch-physikalischen Versuchs. Mit Hilfe einer in Schottland entdeckten Bauanleitung konstruiert der namenlose Berichterstatter einen magnetischen Spiegel, der ihm den Blick auf eine neue Kunst ermöglicht:
Rein äußerlich betrachtet, sind die geheimnisvollen Spiegel ganz einfache, spiegelnde Metallplatten. Wird nun die nach der Vorschrift hergestellte Metallplatte zur Erdbebenzeit in die richtige Lage gebracht, so zeigt sich bei Beobachtung der Platte mit eigens präparierter Lupe ein Bild von besonderer Anziehungskraft. Und wer diese Bilder in den Hauptzügen richtig zu kopieren vermag, der hat die "neue Kunst" entdeckt.
Magnetismus und 'neue Kunst' verweisen auf eine romantische Poetik und deren Projekt einer wissenschaftlichen Erforschung des Paranormalen; ein solches Amalgam von Technologie und esoterischem Wissen zielt auf eine naturwissenschaftliche Metaphysik und die Sichtbarmachung des Unsichtbaren.
"Und, was das komische Fach angeht, lassen wir uns durch irgend etwas zum Wiehern bringen, was nicht plump und dick aufgetragen und dann noch dreimal unterstrichen ist?", fragte einst Richard Alewyn rhetorisch und hielt Hugo von Hof mannsthal postum für "berufen […], eine deutsche Lustspielbühne" gewissermaßen jenseits plumpen Wieherns zu schaffen. Seither ist zu Hofmannsthals Komödien nicht wenig geforscht worden; erstaunlich selten aber finden sich Arbeiten, die genauer nach der Komik in seinen Lustspielen fragen. Die meisten Untersuchungen greifen dramaturgische, historische, auch gesellschaftskritisch-politische oder motivliche Spezialaspekte heraus und stellen wichtige Interpretationsangebote auch zum "Unbestechlichen" zusammen. Auf Seiten der Komik- und Humor-Forschung ist das Bild nicht anders; bei der Suche nach Beispielen für systematisch interessante Lachanlässe in Theaterstücken fällt der Blick kaum je auf Hofmannsthal.
In einer Sonntagsnachmittagsvorstellung veranstaltete der "Verband der Freien Volksbühnen" im Februar 1915 eine "Jedermann"-Aufführung im Haus des »Deutschen Theaters« in Berlin. Die "Freie Volksbühne Berlin" war 1890 von der deutschen Arbeiterbewegung gegründet worden. Sie verstand sich als Besucherorganisation, die ihren Mitgliedern zu stark ermäßigten Preisen Theateraufführungen anbot. Der einflussreiche Theaterdirektor Otto Brahm (1856-1912) stand zunächst an der Spitze der Organisation, tatkräftig von dem streitbaren Bruno Wille (1860-1928) unterstützt, der hier eine Möglichkeit sah, seine Ideale einer in jeder Hinsicht freien Kunst zu verwirklichen und einem dezidiert als 'proletarisch' angesprochenen Publikum zu vermitteln. Brahm, früher Leiter des "Deutschen Theaters" in Berlin, wollte sein Programm vor allem mit Stücken profilieren, die von der Zensur verboten oder der Politik missliebig waren.
"Warum muß der Wachtmeister Anton Lerch sterben? Warum muß er so sterben? Nicht den Tod, auf den er vorbereitet ist, einen glorreichen Tod vor dem Feind, sondern - niedergeschossen wie ein Hund von der Pistole seines eigenen Kommandeurs, einen schimpflichen, einen unnützen, einen grausamen Tod?" - Mit diesen Fragen beginnt Richard Alewyn seine Deutung von Hofmannsthals 1899 erschienener "Reitergeschichte" und tatsächlich stellen sie sich unweigerlich. Um sie zu beantworten, muss die Erzählung von Beginn an nach denjenigen Momenten des Ungehorsams und der Insubordination durchsucht werden, die die tödliche Bestrafung des Wachtmeisters durch seinen Kommandeur aus militärischer Sicht möglicherweise rechtfertigen. Begreifen lässt sich das Geschehen jedoch erst, wenn auch die Motive, die verborgenen Wünsche und Begierden hinter den Handlungen der zwei Widersacher aufgedeckt werden.
Dieser Beitrag sucht einen bescheidenen Anfang zu machen, indem er in diplomatischer Transkription jene Briefe dokumentiert, die Vollmoeller und Hofmannsthal austauschten, und welche heute vornehmlich in der Bibliothek des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt (FDH) aufbewahrt werden. Die sieben Briefe Vollmoellers stammen aus den Jahren 1903 bis 1925, drei Briefe Hofmannsthals an Vollmoeller aus dem Jahr 1927 liegen in Abschriften vor. Hinzu kommt noch ein Kondolenzschreiben Vollmoellers an Christiane von Hofmannsthal-Zimmer, datiert auf den 19. Juli 1929.
Im Sommer 1913 folgt Elsa Bruckmann, geb. Prinzessin Cantacuzène einem Rat Rudolf Kassners und reist mit ihrem Gatten Hugo das Paar hatte am 24. November 1898 in Starnberg geheiratet - Anfang Juli nach Noordwijk aan Zee, um hier, im "am schönsten gelegenen Badeort der holländischen Küste", nach längerer Krankheit Stärkung zu suchen. Die regen- und sturmreichen Wochen "am nordischen Meer" mit seinem melancholischen "feuchten Grau" inspirieren sie zu fruchtbarem lyrischen Schaffen und lassen den Wunsch aufkommen, den am Ort wohnenden Dichter Albert Verwey kennenzulernen. So bittet sie dessen alte Münchner Freundin Hanna Wolfskehl um Vermittlung, die "diese Anfrage gleich" weiterleitet und dem Ehepaar Verwey die unbekannten Gäste in liebevoller Ausführlichkeit vorstellt:
Also Herr Direktor Bruckmann ist einer der ersten Verleger Deutschlands […] aus einer ächten alten Münchner Patrizier-Familie! seine Frau ist aber die Seele des Unternehmens! sie ist eine geborene Prinzessin Cantaguzeno […] hat den größten officiellen Salon für Kunst! sie war die Egeria von Hofmannsthal, sie ist eine Freundin von Klages! Karl und ich lieben sie sehr weil sie so eine richtige Frau und Dame ist und lieb dabei – sogar Stefan George hat sie gern. Gundolf verehrt sie sehr u.s.w. und ihr Neffe der junge Hellingrath ist der, der den Hölderlin neu herausgiebt. Den Winter sah ich sie wenig weil sie viel krank war. Nun ist sie zur Erholung an der See! Also wenn Sie wollen dann lassen Sie sie bitten! Ja so – den Mann auch! der versteht seine Sache wohl sehr aber alle Menschen reden nur von ihr.
"[…] sie war die Egeria von Hofmannsthal" - eine heute wohl überraschende Antonomasie, bei der offen bleibt, ob sie Elsa Bruckmann oder Hanna Wolfskehl nach deren Erzählung gefunden hat.
Hofmannsthal war auch als Philologe Dichter. Das zeichnet seine literaturkritischen Arbeiten aus, macht sie aber einzigartig subjektiv. Zudem ist die Denk- und Empfindungsweise der Epoche in diesen Texten deutlich präsent. Das gilt für das Meiste, was er an Würdigungen, Einleitungen und Reden schrieb. Es wird uns hier in seinen Urteilen über Nestroy und Raimund beschäftigen.
Name und Werk Otto Freiherrn von Taubes, geboren am 21. Juni 1879 in Reval, der Hauptstadt des damals zum Russischen Reich gehörenden Estland, ist heute selbst in Literaten- oder Germanistenkreisen nahezu vergessen - trotz eines weitgefächerten OEeuvres, das, mit Ausnahme des Bühnendramas, alle Gattungen erprobt hat: Seine Gedichte, Romane, Novellen, seine Erinnerungen, Essays und historischen Abhandlungen, seine Übersetzungen aus acht Sprachen, vor allem dem Englischen, Französischen, Italienischen, Portugiesischen, Russischen und Spanischen, von den Zeitgenossen aufmerksam und wohlwollend zur Kenntnis genommen, sind verschollen oder vergriffen; der neueste Sortimenterkatalog meldet kein einziges Buch des Autors als lieferbar; die wissenschaftliche Beschäftigung bewegt sich in schmalen Bahnen.
Im Literaturarchiv der Monacensia München liegt im Nachlass Otto von Taubes eine Mappe mit Briefen Hugo von Hofmannsthals. An Taube gerichtet sind fünfzehn Briefe - darunter zwei Gedichte Otto von Taubes mit handschriftlichen Kommentaren Hofmannsthals -, eine Postkarte, ein Telegramm, ein leerer Briefumschlag sowie eine in Hofmannsthals Namen geschriebene Nachricht von fremder Hand; hinzukommen ein kleines Schreiben Hofmannsthals an Baronin Marie von Taube und eine gedruckte Danksagung Gerty von Hofmannsthals an "Baron und Baronin Taube" für deren Teilnahme an Hofmannsthals Tod. Neun Gegenbriefe von Taube an Hofmannsthal verwahrt das Hofmannsthal-Archiv im Freien Deutschen Hochstift zu Frankfurt am Main. Wie Anspielungen in den überlieferten Schreiben belegen, ist auf beiden Seiten eine nicht unbeträchtliche Zahl von Sendungen verloren gegangen. Die erhaltenen Briefe bezeugen einen anfangs losen, später vertrauter werdenden Kontakt; Schwerpunkte bilden zwei Zeitschriftenprojekte: zunächst in den Jahren 1907/1908 während Hofmannsthals verantwortlicher Mitarbeit am "Morgen", dann nach 1922 im Rahmen seiner eigenen Zeitschrift, der "Neuen deutschen Beiträge", die von 1922 bis 1927 im Verlag der Bremer Presse erscheinen.
Hugo von Hofmannsthal und Josephine Fohleutner : Briefe 1881–1902 / mitgeteilt von Katja Kaluga
(2006)
Die vorliegende Edition will anhand von insgesamt 92 Briefen, Karten und Telegrammen von Hofmannsthal und 27 Briefen von Josephine Fohleutner versuchen, die verbliebene Leerstelle zu füllen und einen Beitrag zu seiner frühen Biographie zu bieten. Erhalten haben sich vornehmlich Briefe aus der Kindheit und frühen Jugend Hofmannsthals, ferner eher sporadisch gewechselte Nachrichten aus der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, von denen die meisten, auch in dichterer Folge, während der Sommerreisen geschrieben wurden. Während seiner Reisen schrieb Hofmannsthal fast täglich an die Eltern, die seine Briefe oft an die Großmutter zur Lektüre weitergaben.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
"Hock war ganz nett; auch klug; relativ ehrlich; im ganzen steht er mir mit Hochschätzung gegenüber, die durch Germanistik und Renegatentum erheblich beeinträchtigt wird" - Arthur Schnitzler, Tagebuch 15/12/1920
Schnitzler hatte mit Germanisten nicht immer Glück, vielleicht gründet von da her seine Skepsis gegenüber der Zunft. Und wenn man sich genauer ansieht, was nachgeborene Germanisten und Editoren manchmal mit dem angestellt haben, was er geschrieben hat, ist man geneigt, diesem absprechenden Urteil beizustimmen.
Die Geschichte der Fassungen von "Cristinas Heimreise" ist nicht nur kompliziert und langwierig - sie erstreckt sich von 1908 bis 1926 -, sie ist als Teil von Hofmannsthals Bühnenerfahrung auch schmerzlich, denn diesem von ihm selbst schließlich als "uneigentliches Theaterstück" qualifizierten Werk blieb trotz vielfacher Bemühungen der Durchbruch versagt. Dabei ist gerade der Versuch, im Bereich der Komödie Fuß zu fassen, für die Bemühung um das "Soziale" von programmatischer Bedeutung: Der Bruch mit George, die Zusammenarbeit mit Richard Strauss und schließlich das gescheiterte Ringen um "Silvia im Stern" stellten bereits erschwerte Vorbedingungen dar. 1908 als "Florindos Werk" begonnen, aber nicht publiziert, folgten 1910 zwei Aufführungen der daraus hervorgegangenen Komödie "Cristinas Heimreise", einmal im Februar 1910 in Berlin (drei Akte), dann im Mai 1910 in Budapest (mit der Opferung des Schlußaktes). Weitere Aufführungen - als Einakter "Florindo" 1921 und dann wieder in der Budapester Fassung 1926 an der Wiener Josefstadt - blieben folgenlos.
Dabei ist diese schmerzliche, durchaus aufschlussreiche Textgeschichte auch mit der Wahrnehmung durch die Zeitgenossen verknüpft. Schon die Dokumentation der Zeugnisse Hofmannsthals aus seinen Briefwechseln konnte Einblicke in die Werkstatt bieten. Aber erst die Chronik der öffentlichen Aufnahme, überwiegend der Theateraufführungen, kann nun ein authentischeres Bild davon vermitteln, mit welchem Erwartungshorizont der Zeitgenossen eine Hofmannsthalsche Bühnenaufführung zu rechnen hatte. Aus den nachfolgend abgedruckten Rezensionen zwischen 1910 und 1930, ergänzt um wenige Stimmen von Lesern, die keine Aufführung beschreiben (Josef V. Widmann, Arnold Zweig, Arnold Gehlen), geht das mehr als kritische Klima anschaulich hervor, in das Hofmannsthals Komödie kam.
Im Nachlass von Paul Kahn (Privatbesitz) befinden sich vier Briefe von Hugo von Hofmannsthal, die hier mitgeteilt werden. Alle sind vierseitig auf 17,7×22,4 cm großen Bogen geschrieben. Auch zwei kleine Umschläge (9,3×12 cm) sind erhalten. Aus dem Poststempel des einen ergibt sich die Jahreszahl 1905.
Paul Kahn (1871–1947) war ein Sohn des wohlhabenden Mannheimer Bankiers und Fabrikanten Bernhard Kahn (1827–1905). Einige der Geschwister von Paul waren mit dem Berliner Kultur- und Wirtschaftsleben verbunden.
Durch seine Geschwister Clara und Robert lernte er Gerhart Hauptmann kennen, verbrachte mit ihm und Robert im August 1899 Ferientage auf Hiddensee und wohnte bei ihm 1903 und 1904 jeweils einige Wochen als "Sekretär, Freund und lieber Hausgenosse" in Agnetendorf. Sehr beliebt war er dort auch als Klavierbegleiter der Geige spielenden Margarete Hauptmann. Hofmannsthal hat ihn wahrscheinlich Ende Oktober 1903 getroffen, als er sich zur Uraufführung seiner "Elektra" in Berlin aufhielt.
Hugo von Hofmannsthal und Robert Michel : Briefe / mitgeteilt und kommentiert von Riccardo Concetti
(2005)
Die Herausgabe des Briefwechsels zwischen beiden Autoren bietet nun eine Gelegenheit, dem Vergessen entgegenzuwirken: Neben dem Versuch, die Konturen dieser am Rande der österreichischen Literaturgeschichtsschreibung gebliebenen Figur zu umreißen, soll aufgezeigt werden, aus welchen Motiven heraus Hofmannsthal Michel unterstützte und ihm eine nicht marginale Rolle bei seinen Kriegspublikationen einräumte, ja, ihn im Laufe der Zeit geradezu als Inbild des österreichischen Dichters ansah.
Jedem von uns ist das schon begegnet: ich will ein Wort verwenden. Es fällt mir einfach nicht ein. Mein Hirn macht sich auf die Suche und legt erst einmal alles andere lahm. Meine ganze Aufmerksamkeit peilt dieses eine Wort an, das sich entzieht. Ich kann mich auf nichts anderes konzentrieren. Ja, ich kann nicht einmal einschlafen, weil dieses unauffindbare Wort alle Funktionen, sogar vegetative, stört. Es hat sich mit dem ganzen Wortfeld eingekapselt, abgeschottet.
Wenn ich wenigstens ein Synonym finden könnte, irgendein Wort, das sinngemäß eine Richtung weist, ich könnte mich daran weiterhangeln, auch wenn mir der Boden unter den Wörtern abhanden gekommen ist. Grad noch das Wort davor ist verfügbar, ich klammere mich dran fest. Der Wortfluß, bisher moderat, schwemmt alles weg - und wo grad noch ein Meer von Wörtern war, nichts als eine wortlose Dürre. Nichts mehr da.
Das Klangtal
(2003)
Die Worte Österreich, England, Europa, London, Wien habe ich das erste Mal im Jahr 1962 gehört, bei einem unserer Ausflüge zu den Hügeln draußen vor der Stadt und zu den Wäldern und Tieren. Ich hörte sie das erste Mal im Zusammenhang mit einem Brief, den die Mutter vorgelesen hat, laut gelesen hat, weil sie die Sprache in diesem Brief gerne hörte, laut, weil es ein englischer Brief war, der nicht auf Englisch geschrieben war, weil sie vielleicht dieses Aber-Englisch hören wollte, laut vielleicht, dass ich zuhören konnte. Es sei ein Brief, der von einem Kind namens Katharina erzählt und von einem Fisch. "Ich lese den englischen Brief vor", sagte die Mutter, dann las sie auf Deutsch. So hatte das Kind die Gewissheit, dass das Englische und Deutsche eins sind.
...
Auf einem der Hügel auf dem Festland standen im Halbkreis Hütten, dort zogen englische Ferienfamilien ein, spielten Fußball und Tennis und Badminton, Leser saßen dazwischen und lasen The Times und The Daily Mirror und Kriminalromane und malaysischenglische Wörterbücher. "Achte einmal darauf, ich lese dir stückerlweise den Brief aus Österreich vor." Österreich? Österreich? "Ja, das ist ein Land, das weit weg in der Mitte von Europa liegt." Europa? Europa? "Ja, das ist eine Sammlung von Ländern, eine Art Asien wie hier, wo wir sind." Wer hat dir den Brief geschickt? "Den Brief hat mir niemand geschickt. Der Brief ist an Francis Bacon in England gerichtet worden, vor vielen hundert Jahren." Wer hat ihn geschrieben? "Das weiß ich nicht. Ein Mann namens Philipp Chandos, ich weiß nicht, wer der war. Ich weiß nur von einem anderen Chandos namens Grey, 5th Baron Chandos. ...
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Es erschwert eine differenzierte Beschäftigung mit Eduard von Keyserling, dass sein Gesamtwerk als ein geschlossenes Ganzes von geringer Variationsbreite genommen wird. Mit seiner "eigentümliche[n] Geschlossenheit, was den handelnden Personenkreis angeht, und […] nahezu beengende[n] Begrenztheit in Hinsicht auf das erzählerische Lokal" gehört er zu jenen Autoren, die man nach exemplarischer Lektüre rasch zu begreifen meint, und die in bestimmten Diskussionen ihren festen, sicheren Platz haben, wenn auch eher im Sinne eines kurzen Querverweises. Bis heute hat sich an einem vorwiegend biographisch geprägten Verständnis seiner Werke wenig verändert.
Über Assimilation, deutsch-jüdische "Symbiose" und politischen Antisemitismus in Wien und Österreich während der k.u.k. Monarchie und der Ersten Republik gibt es umfangreiches Material, das Interessierten sowohl mentalitätsgeschichtlich als auch soziologisch und statistisch über die damaligen Verhältnisse gründlich Auskunft erteilt. Und seit Carl Schorskes vieldiskutierter Darstellung des "Fin de siècle" ist auch Hofmannsthal mehrfach in diese Untersuchungen einbezogen worden, eindrücklich von Jens Rieckmann. Debattiert wurde einerseits, ob – und in welcher Form – Hofmannsthals jüdisches Erbe in seinem Werk erkennbar sei, aber ebenso, ob er, insbesondere mit seiner heftigen Reaktion auf Dichtungen von Schnitzler und Beer-Hofmann, dabei einer Art von "jüdischem Selbsthaß" erlegen sei, der abgelehnte Ichanteile nach außen und auf andere projizierte. Und mehrfach besprochen wurde auch, wie abweisend Hofmannsthal in den 20er Jahren auf Versuche antwortete, ihn - durchaus lobend - in Publikationen zusammen mit jüdischen Autoren darzustellen.
Vorliegende Ausgabe der 'Mitteilungen der Hugo-von-Hofmannsthal-Gesellschaft' enthält:
Zum Tod von Renate Böschenstein-Schäfer / Karl Pestalozzi
Andreas Zimmer (14. Mai 1930 – 21. Juni 2003) / Elsbeth Dangel-Pelloquin
Tagung der Hugo vom Hofmannsthal-Gesellschaft in Wien 12. –15. September 2002 / Juliane Vogel
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert.
Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Hofmannsthal wurde auf das Motiv des Musikinstruments im "Jedermann" durch eine briefliche Mitteilung des Komponisten Clemens zu Franckenstein vom 12. April 1903 hingewiesen, der bei der Beschreibung einer Londoner Aufführung des "Everyman" besonders die musikalischen Elemente und Requisiten hervorhob: "Everyman" […] geht langsam, ein Serenadenartiges Lied singend und begleitet sich auf der Laute die er an einem Bande umgehängt trägt […] "Fellowship" […] tritt auf "Everyman" zu. "Everyman" reicht ihm beim Abschied seine Laute.
Die Idee, das Instrument zunächst in seiner Funktion als Begleitinstrument eines Liedes einzuführen und es zuletzt zum Zeichen für den endgültigen Abschied vom Freund zu setzen, dürfte Hofmannsthal dieser Bühnenbeschreibung Franckensteins entnommen haben. Die erotischen Konnotationen, die das Requisit im Prosa-Jedermann gewinnt, und vor allem die symbolische Zerschneidung seiner Saiten, als es am Ende dem Freund gegeben wird, hat Hofmannsthal neu eingebracht.
Hofmannsthals "Gespräch über Gedichte", nur ein Jahr nach dem Chandos-Brief konzipiert und 1904 erstmals, mit dem Titel "Über Gedichte", veröffentlicht, leidet unter einer fatalen Anschuldigung. "Hofmannsthal sucht im Georgedialog das ästhetische Symbol als Opferritual zu fassen", erklärt Theodor W. Adorno in einem Essay von 1939. Er zitiert dann die berühmte Erzählung Gabriels vom ersten Opferer, mit ein paar Auslassungszeichen allerdings, und kommt zu dem Schluß: "Diese blutrünstige Theorie des Symbols, welche die finsteren politischen Möglichkeiten der Neuromantik einbegreift, spricht etwas von ihren eigentlichen Motiven aus. Angst zwingt den Dichter, die feindlichen Lebensmächte anzubeten: mit ihr rechtfertigt Hofmannsthal den symbolischen Vollzug. Im Namen der Schönheit weiht er sich der übermächtigen Dingwelt als Opfer." Blutrünstig und politisch finster, Angst und Selbstopfer - da öffnet sich ein ästhetischer und gleich auch politischer Abgrund. Denn umstandslos setzt dieser Begriffswirbel Symbol (also auch Poesie) und Blutopfer, den Dichter und den Opferer gleich.
Nachfolgende Beobachtungen zum Chandos-Brief Hofmannsthals haben die im letzten Drittel des Briefes beschriebenen "guten Augenblicke" zum Thema, die als exemplarische Darstellungen einer ästhetischen bzw. poetischen Erlebnisweise ausgewiesen werden sollen. Getragen ist also die Lektüre von der vielleicht kontroversen Voraussetzung, daß in die Schilderung der guten Augenblicke ein poetologischer Vorstellungskreis eingeht, der auch über die Grenzen des Chandos-Briefs hinaus für Hofmannsthals Schreiben bestimmend bleibt. So wird sich die Argumentation auch auf spätere Texte beziehen, zumal auf solche wie "Das Gespräch über Gedichte" oder den Vortrag "Der Dichter und diese Zeit", deren Anliegen ein explizit poetologisches ist.
Den berühmten Text, um den es hier geht, schrieb Hugo von Hofmannsthal im Sommer 1902 und veröffentlichte ihn im selben Jahr in zwei Folgen in der Berliner Zeitschrift "Der Tag". Aus demselben Sommer sind viele persönliche Briefe Hofmannsthals erhalten, die dasselbe Thema der Sprach- und Schreibkrise behandeln. Hofmannsthal erlebte in dieser Zeit längere unproduktive Phasen, die mit einem Vertauensschwund in das Wort als künstlerisches Medium und Ausdruck von Realität zusammenhingen. Im OEuvre des Autors markiert der Brief eine Zäsur zwischen den Jugendwerken und denen des reiferen Alters, die zugleich auf einen Wechsel der Gattungen verweist. Hofmannsthal verkündet hier, so schreibt Gotthart Wunberg, "seine große Absage an die lyrische Produktion seiner frühen Jahre, an die Werke, die ihn berühmt gemacht haben." Es ist der Abschied von der Magie des lyrischen Worts und die Hinwendung zu einer Prosa, die er ebenfalls als als 'reine Form' zu binden erhofft. Das Prinzip der Form - wie immer wieder bemerkt worden ist, wurde dieser Essay über das Verstummen in einer meisterhaften Prosa artikuliert - überbrückt nicht nur den Abstand zwischen Lyrik und Prosa, sondern auch den zwischen den biographischen Briefen und dem literarischen Brief.
Die rhetorische Bravour des "Briefes" – eine Bravour, die bekanntlich ihr eigenes Dementi voraussetzt und damit zur glanzvollsten Präteritio ihrer selbst gerät –, diese Bravour also findet sich exemplarisch in einem seiner Sätze:
Es begegnete mir, daß ich meiner vierjährigen Tochter Katharina Pompilia eine kindische Lüge, deren sie sich schuldig gemacht hatte, verweisen und sie auf die Notwendigkeit, immer wahr zu sein, hinführen wollte, und dabei die mir im Munde zuströmenden Begriffe plötzlich eine solche schillernde Färbung annahmen und so ineinander überflossen, daß ich den Satz, so gut es ging, zu Ende haspelnd, so wie wenn mir unwohl geworden wäre und auch tatsächlich bleich im Gesicht und mit einem heftigen Druck auf der Stirn, das Kind allein ließ, die Tür hinter mir zuschlug und mich erst zu Pferde, auf der einsamen Hutweide einen guten Galopp nehmend, wieder einigermaßen herstellte.
Der als Sprachkrise inszeniertea "mystische Weg", den Hofmannsthal rückblickend als Weg des Lord Chandos beschworen hat, bezeichnet weniger den "Anstand des Schweigens", als vielmehr eine literarisch äußerst produktive und semiotisch folgenreiche Poetologie des inneren Sehens, der endogenen Bilder des Bewußtseins.
"Es ist mir völlig die Fähigkeit abhanden gekommen, über irgend etwas zusammenhängend zu denken oder zu sprechen." Wohl kein Leser hat es versäumt, den Widerspruch zu bemerken, daß der berühmte Satz einer Erfahrung gilt, die Lord Chandos macht oder erleidet, nicht aber den Sätzen, in denen er diese Erfahrung formuliert und mitteilt. Um die Paradoxie zu erklären, möchte ich vorschlagen, den Chandos-Brief als poetologisches Experiment zu lesen. Hofmannsthal zerstört - oder setzt für die Dauer eines Textes außer Kraft - , was man die Spielregel der kreativen Reproduktion nennen könnte. Seit der Goethezeit und das 19. Jahrhundert hindurch stellte sie eine unantastbare Einheit dar: als jene persönliche Instanz, die Welt vernimmt oder wahrnimmt und dem Vernommenen oder Wahrgenommenen wiederum Ausdruck gibt. Diese Instanz entfällt; nicht nur die Sprache, auch Lord Chandos selber zerfällt in Teile, in eine erlebende und in eine erzählende Person. Eine Anregung hierfür, das wäre mein zweiter Vorschlag, konnte Hofmannsthal den Schriften Ernst Machs entnehmen, zumal dem ebenso berühmt gewordenen Satz "Das Ich ist unrettbar". Was geschieht, wenn man diesen Satz auf die Autorschaft anwendet? Schließlich und drittens wäre zu bedenken, ob nicht die Erlebnisse eines Autors, dem sich der Ausdruck versagt, gleichwohl Manifestationen von Kreativität sein könnten. In diesem Sinne möchte ich besonders die "guten Augenblicke" (S. 50) des Lord Chandos erörtern. ...
Sehr geehrte Freunde des Varietés,
sehr geehrte Artisten und Claqueure,
es freut mich, daß Sie so zahlreich erschienen sind zu dieser Versammlung, und daß ein jeder von ihnen seinen Zehnt abgibt von seinem Herz, womit wir die Kosten des Mitleids mit Herrn Chandos tragen wollen. Von den Reden meiner zahlreichen Vorgänger kam viel Mitgefühl für sein Schicksal, daß der Tag davon nun bereits bis an den Rand gefüllt ist, und nur ein Seufzer noch fehlte, und schon schwappte etwas davon über und tropfte in mein Gemüt, und dann besitze auch ich ein paar Tränen. Damit will ich aber nun lieber mein Unglück beweinen. Es ist nicht so elegant gekleidet wie das des Herrn Chandos, der seinen Traum wie einen viel zu großen Anzug auf sich zurechtschneidern ließ, damit er ihm am Ende dann auch paßte. ...
Brief an Lord Chandos
(2003)
Brief an Lord Chandos ...
... mit groszer Anteilnahme habe ich Ihre Klagen aufgenommen und möchte zu Ihrer Tröstung bekennen, dasz es mir vor einiger Zeit ähnlich ergangen ist: ich hatte in dieser meiner Krise aller Welt vorgemacht, ich sei an der Arbeit, muszte mir jedoch eingestehen, dasz ich in Wahrheit völlig ausgebrannt war, ja, dasz die Vorstellung mich verfolgte, ich hätte noch nie auch nur I Wort aufgeschrieben, ich würde nie wieder Pläne oder Ahnungen von Gedanken empfangen können, am allerwenigsten jene so wundertätigen Verbalträume, die mich jederzeit mitten hinein in die Produktion katapultiert hatten. Aber dann versuchte ich mich selbst aufzufangen, indem ich den Gründen meines Versagens nachzuforschen begann, und ich entdeckte, warum es mir so elend erging. …
"Ich bin Hofmannsthal das erstemal Anfang 1902 begegnet. In seinem Rodauner Haus, wohin mich Hermann von Keyserling brachte. Jahre also, nachdem ich schon der Bezauberung durch seine Gedichte und einige Aufsätze unterlegen war. Ich sage Gedichte, denn auch seine kleinen Dramen nahm ich für solche. Seinen Aufsätzen hatte ich unter anderem den ersten Hinweis auf englische Dichter wie A. C. Swinburne und den Ästheten und Essayisten Walter Pater verdankt, auch auf andere, von denen später mein erstes Buch gehandelt hat, das im übrigen auch die Brücke war, die mich, da mir jede andere Verbindung mit ihm gefehlt hat, zu Hofmannsthal hinüberführen sollte."
Mit diesen Worten gedenkt Kassner nach mehr als einem Menschenalter, im Jahre 1946, der Anfänge dieser Freundschaft und der Rolle, die sein Erstlingswerk dabei gespielt hat. In der Tat beruft er sich in dem zu Beginn des neuen Jahrhunderts erschienen Band "Die Mystik, die Künstler und das Leben", für jeden Kundigen deutlich, in der allgemeinen geistigen Haltung vielfach auf Hofmannsthal und zitiert, offen oder verdeckt, an mehreren Stellen dessen Werk.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert.
Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Das dramatische OEuvre Arthur Schnitzlers ist von der Forschung immer wieder in ein Früh- und ein Spätwerk unterteilt worden. In diesem Sinne wurde für den 'frühen' Schnitzler konstatiert, daß ein "[…] extremer Subjektivismus […] bis kurz nach der Jahrhundertwende insofern charakteristisch [sei], als er vornehmlich Diagnosen eines Menschentypus vermittelt, der, bei zerfallender Ich-Identität ohne zeitliche und räumliche Kontinuität, d.h. im isolierten Augenblick und asozial, lebt". Das 'Spätwerk' hingegen öffne sich für allgemeine, sozial bedingte Fragestellungen und gewinne damit eine 'historische' Dimension. "Die Überwindung der dekadent-impressionistischen Phase führt Schnitzler […] unter den Leitbegriffen 'Kontinuität' und 'Verantwortung' zum einen zur kritischen, in der Gegenwart angesiedelten Gesellschaftskomödie, zum anderen aber auf den Weg des historischen Dramas."
Die folgenden Überlegungen zum Konnex von Subjektproblematik und Liebesauffassung gehen davon aus, daß diese Zäsur eher ein Oberflächenphänomen darstellt, in dem sich unterschiedliche Lösungsstrategien eines philosophischen Problems manifestieren.
Über den heute vielleicht bekanntesten seiner Texte schrieb Arthur Schnitzler 1897, es handele sich um "nichts als eine Scenenreihe, die vollkommen undruckbar ist, literarisch auch nicht viel heißt, aber, nach ein paar hundert Jahren ausgegraben einen Theil unserer Cultur eigentümlich beleuchten würde." Lediglich in Bezug auf den Zeitraum hat Schnitzler sich geirrt. Ein Schlaglicht auf die Kultur des ausgehenden 19. und angehenden 20. Jahrhunderts hat "Reigen" bereits zu Lebzeiten seines Verfassers geworfen, und lange Zeit stand Schnitzlers "Scenenreihe" nicht nur im Licht, sondern auch im Schatten der Auseinandersetzungen, die bereits unmittelbar nach der ersten Drucklegung des Textes im Jahr 1900 entbrannten und in den zwanziger Jahren in einer Reihe von Prozessen ihren Höhepunkt fanden. Die Kontroversen, die sich um Zensurmaßnahmen und Aufführungsverbote entspannen, haben den Gegenstand des Anstoßes keineswegs vergessen gemacht, vielmehr haben sie die Aufmerksamkeit umso stärker auf jenen Bereich der Kultur der frühen Moderne gelenkt, der nach Schnitzlers eigener Einschätzung in "Reigen" so "eigentümlich" zur Darstellung kommt: auf die Bestimmung des Menschen ausgehend von seiner Physis und seinen Trieben. Gegenstand des Textes, darin waren Kritiker und Befürworter von "Reigen" sich stets einig, ist der "homo sexualis", der Mensch im Spiegel seiner Triebe.
Kaum ein größerer Gegensatz ist denkbar als der zwischen Ritual und Trauma. Rituale sind kollektive Wiederholungen symbolischer Handlungen, die kulturell prägende Sinnzuschreibungen und Motivationen in Umlauf bringen. In der Ökonomie des gesellschaftlichen Zeichentauschs sind sie daran beteiligt, die "Zirkulation von sozialer Energie" nach Mustern der herrschenden Zeichenordnungen zu regulieren. Rituale sind in der Regel streng kodifiziert. Deshalb ist ihr Ablauf weitgehend vorhersehbar.
Traumata dagegen sind ihrem Wesen nach unvorhersehbar. Nach Freud entsteht ein Trauma, wenn das Ich übermächtigen Sinnesreizen oder nicht kontrollierbaren Triebschüben schutzlos preisgegeben ist. Das Trauma bringt die psychische Ökonomie der Betroffenen so nachhaltig aus dem Gleichgewicht, dass die von ihm verursachten Symptome auch die Ökonomie des gesellschaftlichen Zeichentauschs stören. Während Rituale an der Stiftung von kulturellem Sinn wesentlichen Anteil haben, sind traumatische Ereignisse dadurch gekennzeichnet, dass für sie "alle kulturell vorgeprägten Sinnrahmen versagen".
"Man ficht und spricht heute schneller als vor 100 Jahren. Sogar von Demosthenes zu Cicero läßt sich die Entwicklung zum Telegraphenstil, zur mangelhaften Verknüpfung der Sätze, zur Wirkung durch abgerissene bedeutende Wörter beobachten".
Hugo von Hofmannsthal, Aufzeichnungen aus dem Nachlaß (1890?)
Die Bemerkung, die Hugo von Hofmannsthal im Alter von 16 Jahren gemacht haben soll, weist ihn schon vor dem eigentlichen Beginn seiner schriftstellerischen Laufbahn als feinfühligen Beobachter sprachhistorischer Entwicklungen, aber auch medialer Einflüsse aus. Mit seiner Ferndiagnose zur Entwicklung des literarischen Stils von Demosthenes bis Cicero, die er unter dem Eindruck des Telegraphenstils seiner eigenen Epoche vornimmt, bestätigt er nicht nur seine klassische Bildung, sondern auch seine medienkulturhistorische Zeitgenossenschaft. Der wahrgenommene Effekt ist einer der Dynamisierung und Fragmentierung von Kommunikation.
Am 26. April 1916 findet am Deutschen Theater in Berlin unter der Regie von Max Reinhardt die Uraufführung eines Balletts "Die grüne Flöte" statt, dem ein einaktiges Lustspiel vorausgeht: "Die Lästigen. Nach Molière". Die Aufführung steht unter dem Protektorat der Stadt Berlin zugunsten der zerstörten Karpatenorte; der Weltkrieg hat bereits eine für Deutschland kritische Wendung genommen. Die Kritiken in den Zeitungen am nächsten Tag reagieren ausschließlich positiv: Das Ballett erregt "helles Entzücken" und der Einakter findet Gefallen; ein Kritiker will darin sogar "den ganzen Molière in der Größe seiner Anschauungen" erkennen, das sei "echter Molière, jener Molière, der uns Deutschen heute nähersteht als manchem seiner Landsleute". Der nationalistische, von der Kriegspropaganda nicht ganz freie Ton, der Molière gegen seine eigenen Landsleute ausspielt, ist nicht zu überhören. Aber am französischen Autor selbst kommt kein Zweifel auf, der Text des Lustspiels wird in dieser und anderen Besprechungen eindeutig Molière zugewiesen.
Die Sache hat allerdings einen Haken, der den meisten Kritiken entgangen ist. Das Stück "Die Lästigen" trägt zwar den übersetzten Titel von Molières "Les Fâcheux", aber es ist nicht von Molière: von ihm stammt nur - wie der tatsächliche Verfasser Hofmannsthal in einem Brief an Pannwitz bemerkt - der "Titel und vagste Grundidee", sonst sei alles eine "völlige Improvisation", was der "ganzen breitmäuligen Presse" entgangen sei. Und an Richard Strauss schreibt Hofmannsthal: "Übrigens ganz im Vertrauen: Reinhardt spielte die letzten 6 Wochen allabendlich einen Molière, die 'Lästigen', wovon außer dem Titel keine Zeile von Molière war, sondern jedes Wort vom ersten bis zum letzten von Ihrem ergebenen Librettisten, ohne daß die Kritik 'Mau' sagte." Die Genugtuung, das Publikum und vor allem die Kritik so hintergangen zu haben, die Freude, daß der Schwindel nicht aufgeflogen ist, klingt in diesen Sätzen durch.
Seit der Publikation seiner Tagebücher besteht die Möglichkeit, die zeitgenössische Rezeption der Werke Arthur Schnitzler genauer zu erforschen. Manche wichtige Rezension zu seinen Buchveröffentlichungen wird - besonders wenn sie aus dem engeren Bekannten- und Freundeskreis stammt - im Tagebuch erwähnt und lässt sich aus den gelegentlich nur sporadischen Angaben Schnitzlers ermitteln. "Fräulein Else" – zunächst in Heft 35 der "Neuen Rundschau" vom Oktober 1924 erschienen - kommt schon am 25. November als Buch bei Zsolnay heraus. Am 23. November notiert Schnitzler ins Tagebuch: "Auf dem Heimweg zu Salten; ihm sagen, wie ich mich über das Else Feuilleton freute", und am Tag darauf heißt es über Salten, dass er am "Sonntag in der N. F. P. eine große Fanfare für Frl. Else blies". Die Fanfare, pünktlich zur Begrüßung der Buchfassung, findet sich als mehrspaltige begeisterte Rezension in der "Neuen Freien Presse" vom 23. November 1924 und ist eine der zahlreichen "Elogen über Frl. Else", die Schnitzler mit Stolz am 6. Dezember 1924 vermerken kann. "Therese. Chronik eines Frauenlebens" erscheint 1928 bei S. Fischer, vor dem 7. Mai 1928, denn unter diesem Datum lesen wir bereits: "Mit Vicki […] genachtm[ahlt]. Seine Kritik über 'Therese' in der Vossischen (herzlich und gescheidt)". Die Recherche führt hier zur "Literarischen Umschau", der Beilage der "Vossischen Zeitung" vom Sonntag, den 29. April 1928. Es sind selbstverständlich die Erstrezensionen, die Schnitzlers Interesse erregen, eine weitere Besprechung Victor Zuckerkandls Ende des Jahres in der "Neuen Rundschau" findet im Tagebuch keine Erwähnung mehr. In dieser zweiten Rezension gibt es im Übrigen keine redundanten Wiederholungen aus der ersten, beide entwickeln eine eigene Perspektive auf den Roman "Therese".
Vorbemerkung [Ludwig Dietz]:
Anlässlich meines Versuchs zu Robert Musil im "Losen Vogel" und Reaktionen darauf wurde ich aufmerksam gemacht auf ein bisher nicht bekannt gewordenes Exemplar der Buchform des "Losen Vogels", das handschriftliche Einträge Franz Bleis zu den Verfassern der anonym gedruckten Beiträge enthält. Es befindet sich seit 1978 im Deutschen Literaturarchiv Marbach a.N., als zweites Exemplar relativ versteckt unter den Rara des Archivs. Was es zeigt, welche Hilfen es zur Aufschlüsselung bietet, zu welchen Fragen und möglichen Antworten es führt, soll hier skizziert und an Beispielen begründet werden.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrundegelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommenn davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.