BDSL-Klassifikation: 16.00.00 Jahrhundertwende (1880-1914) > 16.15.00 Zu einzelnen Autoren
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Arthur Schnitzlers "Medardus Affairen" : Teil II: Materialien / mitgeteilt von Hans Peter Buohler
(2013)
Der umfänglichen "dramatischen Historie" "Der junge Medardus" kommt innerhalb des OEuvres Arthur Schnitzlers ein Sonderstatus zu. Dieser gründet zum einen in der schieren Fülle des nachgelassenen Materials, das mit ungefähr 1.700 Blatt quantitativ bei weitem die Entwurffassungen und Skizzen der übrigen Dramen übertrifft. Zum anderen bietet das seinerzeit außerordentlich erfolgreiche Werk die seltene Gelegenheit, eine plurimediale "Mehrfachverwertung" par excellence beobachten zu können, da sich neben dem Lesedrama auch die Strichfassung der Uraufführung, ein Drehbuchentwurf Schnitzlers und eine unter der Regie von Mihály Kertész/Michael Curtiz (1888-1962) ausgeführte Verfilmung vollständig erhalten haben. Lediglich eine 1931 - ohne Schnitzlers Wissen erstellte - Rundfunkbearbeitung muss als verloren gelten. Mit Hilfe des Tagebuchs von Arthur Schnitzler lässt sich überdies die Entstehungsgeschichte beinahe lückenlos rekonstruktieren.
Während der erste Teil der "Medardus Affairen" die zu großen Teilen unbekannte Korrespondenz Schnitzlers mit dem Wiener Burgtheater, den Schauspielern, seinem Verleger Samuel Fischer sowie der Sascha-Filmgesellschaft präsentiert hat, dokumentiert der zweite Teil exemplarisch Entstehung und Wirkung des Dramas
Als die Festwochen der Stadt Berlin im September 1953 zu Ende gehen, spricht Rudolf Alexander Schröder in der Eichengalerie des Charlottenburger Schlosses über sein Berlin – die Stadt, die "mir am nächsten ans Herz gewachsen ist". Schröder hält sich um 1900 regelmäßig dort auf, wohnt zwischen 1905 und 1908 beim Ehepaar Meier-Graefe in der Genthiner Straße und erweist in seiner Rede einer langen Reihe von Freunden und Weggefährten seine Referenz, von Detlev von Liliencron und Paul Scheerbart über Johannes Schlaf, Richard und Ida Dehmel und Stanislaw Przybyszewski bis hin zu Harry Graf Kessler. Schließlich kommt er auf "eine der denkwürdigsten Gestalten meines engeren Freundeskreises" zu sprechen: Eberhard von Bodenhausen. In schneller Folge lässt Schröder dessen berufliche Laufbahn Revue passieren. Dem gelernten Juristen, der "zu den tätigsten Mitbegründern und Mitarbeitern des Pan" zählt und der - nach dem Studium der Kunstgeschichte - "die heute noch führende Arbeit über Gerard David" schreibt, gelingt der Eintritt in das Kruppsche Direktorium. Als 1914 der Krieg ausbrach, war Bodenhausen - äußerlich ein Hüne - schon ein müder Mann; gegen Kriegsende war er aus dem Amt geschieden, hatte das Angebot der Nachfolge Wilhelm von Bodes und sogar den Reichskanzlerposten ablehnen müssen.
Schließlich äußert der Redner den Wunsch, man möchte sich in Berlin einen der würdigsten Vertreter deutscher Geistigkeit um die Jahrhundertwende ins Gedächtnis zurückrufen.
Das Leben Hugo von Hofmannsthals stellt die Biographen vor nicht unbeträchtliche Herausforderungen. Es handelt sich nicht nur darum, dass ein am Schreibtisch verbrachtes Leben wenig an äußeren Ereignissen zu bieten hat, oder darum, daß Hofmannsthal selbst Biographien stets mit Skepsis begegnet ist. Schwerer wiegt, daß sich weder aus den äußeren Umständen noch aus dem literarischen Werk eine schlüssige Lebenserzählung ergibt. So sehen sich die biographisch Interessierten auf Selbstaussagen verwiesen, die zwischen diesen Polen zu liegen scheinen. Laut Mathias Mayer sind die autobiographischen Notizen "Ad me ipsum" "ein ebenso unentbehrlicher wie gefährlicher Schlüssel" des Verständnisses geworden. Diejenigen, die sich darüber hinaus dem Briefwerk zuwenden, lernen im Verkehr mit Schriftstellern und Künstlern wie Rudolf Borchardt, Richard Strauss, Arthur Schnitzler, Stefan George, mit Freunden wie Carl Jacob Burckhardt, Rudolf Pannwitz, Walther Brecht und Rudolf Kassner eine andere Seite des Schriftstellers kennen. Hier zeigt sich Hofmannsthal als hoch sensibel, intellektuell großzügig, abgründig zweifelnd und zutiefst einsam. Aus jeder der genannten Quellen ergeben sich zwar Facetten eines Lebens, aber "keine Biographie im strengen Begriff", wie Ulrich Weinzierl - bislang neben Werner Volke Hofmannsthals einziger Biograph - behauptet hat.
Im Jahr 2009 erschien im Residenz Verlag unter dem Titel "Der Fliegenpalast" ein schmaler Roman des österreichischen Schriftstellers Walter Kappacher. "Der Fliegenpalast" sollte nicht nur seinem Verfasser zu einem späten Durchbruch verhelfen - Kappacher erhielt im selben Jahr den prestigeträchtigen Georg-Büchner-Preis -, sondern wurde umgehend auch als Biographie Hofmannsthals wahrgenommen, die mit den Mitteln der Fiktion das rekonstruiert, was sich dem Diskurs zu entziehen scheint.
Es war Theodor W. Adorno, der Richard Wagner "den berühmtesten erotischen Künstler der bürgerlichen Welt" genannt hat. Möchte man sich dieses Aperçu zu eigen machen, so wird man sich in erster Linie an den Dichter Richard Wagner halten – und erst in zweiter Linie an den Musiker. Wagner selbst hat es genau so gesehen: genau in solcher Gewichtung. Anlässlich des "Fliegenden Holländers" schreibt er über den Beginn der Arbeit an diesem Werk: "Ich war von nun an in bezug auf alle meine dramatischen Arbeiten zunächst Dichter, und erst in der vollständigen Ausführung des Gedichtes ward ich wieder Musiker." Und in seinen minutiösen Anweisungen für die Aufführung des "Tannhäuser" von 1853 insistiert Wagner vorsorglich, die Dichtung müsse "in ihrem ganzen Umfange" den Darstellern bekannt gemacht werden (vgl. II, 111), und zwar: bevor diese mit der Musik in Berührung kämen. Das Augenmerk der vorliegenden Abhandlung richtet sich also zunächst und vor allem auf den Dichter, den Dramatiker Richard Wagner: als einen Darsteller von erotischen Leidenschaften; als einen Kenner der abendländischen Liebes-Theorien.
Who has any doubt nowadays that our past is the key to our present, and by articulating this past, verbalizing it to a therapist, we can divest ourselves of its debilitating weight? Memory liberates, narration heals, history redeems […]. […] to remember is to heal. Heal from what? From the amnesia that 'dissociates' the psyche, from the forgetting that breaks the continuity of my history and therefore keeps me from being my self. Ever since (and because of) Anna O.'s miraculous cure, forgetting has ceased to be a simple lapse of memory […].
Soll die in Erzählung gegossene Erinnerung aber nicht nur befreiende, sondern gar heilende und erlösende Kräfte besitzen, muß Vergessen von der Gedächtnislücke (lapse of memory) zum Sündenfall überhöht werden. Die Wiener Jüdin Bertha Pappenheim (1859-1936), von Freud und Breuer in den 1895 publizierten "Studien über Hysterie" sorgsam unter dem Decknamen Anna O. verborgen, gilt Mikkel Borch-Jacobsen daher sowohl als Kronzeugin für die das 20. Jahrhundert beherrschende Macht der Erinnerung wie auch für die Verwissenschaftlichung der Beichte durch die Psychoanalyse.
Der jüngeren George-Forschung ist mit wenigen Ausnahmen das hier aufgegriffene Thema fremd geworden. Nachdem von geisteswissenschaftlicher Seite mit dem Buch von Enid Lowry Duthie 1933 ein beachtlicher Anfang gemacht war, Georges Anknüpfung an den französischen Symbolismus zu erhellen, und die sorgfältige Studie von Claude David 1952 die von Duthie aufgeworfenen Fragen vertieft, erweitert und für längere Zeit auch abschließend beantwortet hat, ist es nur Bernhard Böschenstein in einer Reihe einzelner Studien gelungen, auch Georges Spätwerk zu poetologischen Positionen der französischen Dichtung um 1890 in Beziehung zu setzen: Georges Mallarmé-Rezeption zu seinem Blick auf Hölderlin, ein Gedicht aus dem "Neuen Reich" zu einem Text von Francis Vielé-Griffin von 1889. Das im Stefan George Archiv gesammelte, Georges Biographie betreffende Quellenmaterial hat Robert Boehringer 1967 weitgehend ausgewertet, einiges hat der Ausstellungskatalog "Stefan George und der Symbolismus" von Werner Paul Sohnle 1983 hinzufügen können, die brillant geschriebene George-Biographie von Thomas Karlauf baut für Georges Paris-Beziehungen auf diesem Material auf.
Das Gedicht 'Verse, auf eine Banknote geschrieben' unterscheidet sich in der Formensprache derart von der frühen Lyrik Hofmannsthals, dass sich beinahe der Eindruck eines absichtsvoll Schlechten herstellt. Es handelt sich um Gedankenlyrik, die kaum etwas von der subtilen Widerständigkeit und traumhaften Hermetik aufweist, die an der Lyrik des jungen Hofmannsthal bewundert worden ist. Andererseits ist der Gedankengang so scharfsinnig und verdichtet durchgeführt, dass der Text trotz der konventionellen Form den meisten Zeitgenossen vermutlich unzugänglich gewesen wäre. Das Raffinierte des Texts besteht in einer merkwürdigen Dialektik von Mimesis an den besprochenen Gegenstand und Selbstverleugnung in einer Poetik der Nichtidentität.
Hofmannsthals frühe Gedichte und lyrische Dramen sind durchsetzt mit Evokationen vergangener Ereignisse und Zustände. Gleichzeitig handelt es sich um Reflexionen des Übergangs gegenwärtiger - und in ihrer Gegenwärtigkeit vergänglicher - Momente in vergangene. Angesprochen sind Zeitmomente, Passagen, in denen Vergänglichkeit in den Fokus der dichterischen Auseinandersetzung rückt. Am einprägsamsten wohl in der Terzine "Über Vergänglichkeit". Vergänglichkeit ist die Prämisse dafür, dass es Vergangenes und somit, das Disparate zusammengefasst, Vergangenheit gibt. So gesehen, gehören die beiden Aspekte Vergänglichkeit und Vergangenheit strikt zusammen.
Ob man auch Vers an Verse flicht,
Der Reime Blüten rastlos bricht,
Nur Abglanz ist's und Wiederhall,
Ob man es singt, ob man es spricht:
Doch aller Gedichte Vollendung ist - -
O glaube mir, - - ein getanztes Gedicht.
Dieser aus sechs vierhebigen, rhythmisch leicht holpernden Versen bestehende Text ist einer der wenigen Versuche Hugo von Hofmannsthals in der ursprünglich arabischen, besonders aber von persischen Dichtern entfalteten Form des Ghasels, und er ist sogar eines von drei Ghaselen, die Hofmannsthal zu seinen Lebzeiten selbst veröffentlicht hat, wenn auch bloß in dem als Privatdruck erschienenen Ballprogramm "Ein Tanz durch Wien" vom 21. Februar 1891.
Eine erste Notiz zu dem geheimnisvollen, oft gedeuteten und viel umrätselten "Magie"-Gedicht des 21jährigen Hofmannsthal entstand in Göding, am 14. Juli 1895; vollendet wurde es Ende Oktober desselben Jahres. Es geht hier um den Aufweis einer Quelle oder Parallele zu einigen Motiven in den sieben Eingangsstrophen, die insgesamt genau die erste Hälfte des Gedichts ausmachen:
Ein Traum von großer Magie
Viel königlicher als ein Perlenband
Und kühn wie junges Meer im Morgenduft,
So war ein großer Traum, wie ich ihn fand.
[…]
In seiner ersten Notiz skizzierte Hofmannsthal den Plan zu diesem Gedicht: "als Einleitung halbwacher Morgentraum mit undeutlich bewusster Wohnung: in einem Lusthaus […]. Ein Traum von großen Magiern". Aus dem "halbwachen Morgentraum" soll und wird ein Gedicht hervorwachsen - eine Szenerie, die ganz genau so und teilweise wörtlich in Richard Wagners Oper "Die Meistersinger von Nürnberg" (III.1) vorgebildet ist.
Es gibt, neben zahlreichen Bezugnahmen im Zusammenhang umfassenderer Fragestellungen, fünf größere Arbeiten, die sich ausschließlich auf Hugo von Hofmannsthals Gedicht "Ein Traum von großer Magie" konzentrieren. Reizvoll an diesen Arbeiten ist unter anderem der Umstand, dass sie in größeren zeitlichen Abständen erschienen sind, und somit auch etwas von den sich wandelnden Erkenntnissen, Modetrends und Verlegenheiten der Fachgeschichte selbst transportieren. Der frühe Aufsatz von Martin Stern gibt einen eingehenden editionsphilologischen und geistesgeschichtlichen Kommentar zu diesem Gedicht, das von der Forschung bis dahin, wie Stern betont, öfter gelobt als gedeutet [wurde]. Es gehört nach allgemeiner Auffassung zu seinen vollendetsten und dunkelsten und gilt gemeinhin als 'unausschöpfbar'.
Die Szene der Einfluß-Angst und ihre Vorgeschichten : Lyrik und Poetik beim frühen Hofmannsthal
(2012)
Die vielleicht elementarste Antwort auf die Frage, warum erzählt werde, lautet, dass für das Dasein der Dinge eine Herleitung, eine aus der Genese entwickelte Begründung gegeben wird. Das factum wird auf das facere zurückgeführt, dem Sein eine Vorgeschichte gegeben. Die erzählte Vorgeschichte legitimiert einen Zustand aus seinem Gewordensein, der begründenden Hauptgeschichte wird eine begründende Vorgeschichte zuteil. Diese Erzähl- und Denkform ist offenkundig so elementar und zugleich so universell, dass sie sich auf ihre eigene Form anwenden lässt und permanent angewandt wird. Erzählt jemand eine Vorgeschichte, dann wird ihm die Frage gestellt werden, was die Vorgeschichte dieser Vorgeschichte gewesen sei. Die begründungsaffine Narrationsform der Vorgeschichte schematisiert nicht nur die Denkform der Kausalität vor, sie formiert nicht nur die Temporalität, sie öffnet vielmehr auch in grundsätzlicher Weise die symbolische Explikation des Weltverständnisses überhaupt, indem sie zu jeder Geschichte eine weitere, sie begründende Geschichte hinzufügt und so ein Gewebe von Geschichten etabliert, welches in zunehmender Verdichtung die Zusammenhänge dessen darstellt, was wir Welt nennen.
Feingesponnene Gedichte, wie sie das lyrische OEuvre Hofmannsthals aufweist, erfordern vom Wissenschaftler theoretische Zurückhaltung, hermeneutische Diskretion. Deswegen nehmen nachfolgende Überlegungen ihren Ausgang nicht von Abstraktionen wie etwa dem im Titel geführten Begriff "Subjektivität", sondern von Beobachtungen, die aufgrund ihrer Textnähe leicht nachvollziehbar sein dürften. Diese gelten zudem einem Gebilde, das, obzwar intrikat gefügt, an das unmittelbare Verständnis keine allzu großen Anforderungen stellt. Gemeint ist der erstmals 1892 in den "Blättern für die Kunst" veröffentlichte Text "Vorfrühling".
Hofmannsthals Unkenntnis der Slawen vor der Zäsur des Großen Krieges ist trotz der Freundschaft, die ihn mit dem böhmisch-stämmigen Schriftsteller Robert Michel verbindet, der zeitlebens Österreichs eigenen Orient in der okkupierten und dann annektierten Provinz Bosnien-Herzegowina beschreibt, kaum zu überbieten. Die weitaus größte Sprachgruppe der Monarchie ist für ihn höchstens ein imperiales Kolorit; sie wirkt - wenn überhaupt - exotisierend, erotisierend und dämonisierend wie in der "Reitergeschichte" (1899), in welcher der Wachtmeister Anton Lerch auf dem Feldzug Radetzkys in Mailand Frau Vuic erliegt. Der Slawe bleibt vorab das Feindbild Nummer eins im Innern Österreichs, dessen kulturprägende Komponente im Selbstverständnis Hofmannsthals deutsch ist. Gerade seine herausgeberischen Tätigkeiten sind symptomatisch für seine zunächst bornierte Haltung. Die deutsche "Cultur" (denn eine andere gibt es in der Wahrnehmung Hofmannsthals lediglich marginal) sei zu fördern, hier habe der Dichter "Führerschaft" anzumelden - wie er es 1906 in seinem Essay "Der Dichter und diese Zeit" formuliert. In Anschluss an Goethe sieht er darum seine Aufgabe mitunter darin, kanonische Literatur in den beiden Bänden "Deutsche Erzähler" (1910) und "Deutsches Lesebuch" (1912) zu versammeln.
"Wir sind nur Arlekin und Truffaldino / in einem tollen Stück", bemerkt Baron Weidenstamm zu seinem Diener Le Duc in Hofmannsthals Drama "Der Abenteurer und die Sängerin oder Die Geschenke des Lebens". Und zu Lorenzo Venier gewandt, urteilt er über sich selbst:
Hätte dieser da das Feur in seinem Blut so schön gebändigt wie du, so stünde nun ein andrer hier, ich bin ein Kartenkönig.
Auch Hofmannsthals Entwurfsnotizen zu "Ad me ipsum" setzen die Figur des Abenteurers in Relation zu einer Variation des Typus komische Person, zum Harlekin. Hofmannsthal führt diese Verwandtschaft in "Ad me ipsum" nicht deutlich aus. Seine Stichworte und auch andere Stellen im Werk lassen jedoch darauf schließen, daß die Gestalt des Abenteurers oder Verführers (ich verwende beide Bezeichnungen im folgenden synonym) und die Gestalt des Harlekins strukturell mindestens in drei Qualitäten miteinander korrelieren: Sie sind beide ohne Schicksal, sie sind beide ohne Schuld und sie beherrschen beide die Kunst des Wechsels, des Maskenspiels. Sie stehen außerhalb der Gesellschaft und ihrer sozialen Forderungen. Sie sind Maske, das heißt ohne Gewissen und jenseits der Umfriedung durch eine konventionelle Moral. Sie flottieren frei, sie beginnen, sie beenden, sie tauschen aus, sie verführen und lassen wieder zurück.
'Schweigen und tanzen' : Hysterie und Sprachskepsis in Hofmannsthals Chandos-Brief und "Elektra"
(2011)
Hugo von Hofmannsthals Tragödie "Elektra" wurde bereits 1903 bei ihrer Uraufführung in Berlin von der zeitgenössischen Kritik als Inszenierung einer hysterischen Krankengeschichte aufgefasst. Die germanistische Forschung hat die Ansicht, dass Hofmannsthals Drama "klinisches Material in bürgerliches Bildungstheater" verwandle, immer wieder aufgegriffen und variiert. Als Vorlage für die Figur der Elektra gilt dabei gemeinhin die Hysterikerin Anna O. aus Joseph Breuers und Sigmund Freuds "Studien über Hysterie". Eine solche eindimensionale Interpretation ist jedoch aus verschiedenen Gründen - nicht nur im Hinblick auf Hofmannsthals Kenntnis der "Studien über Hysterie" zum Zeitpunkt der Niederschrift seines Dramas - fragwürdig: Vernachlässigt wird dabei insbesondere die Bedeutung des Prozesses einer Umschrift von Fallgeschichten in Literatur, mithin die Transposition, welche die Versatzstücke aus dem medizinsch-psychoanalytischen Bereich erfahren, wenn sie in das poetische Gefüge eines literarischen Textes eingerückt beziehungsweise in den Zusammenhang eines Gesamtwerkes wie dasjenige Hofmannsthals und seiner ihm eingeschriebenen Poetologie gestellt werden.
Das offizielle Programmheft der Salzburger Festspiele 2010, die ganz im Zeichen des 90jährigen Geburtstags der Festspielgründung standen, stellt die Veranstaltungen des Jubiläumsjahres in eine Kontinuität von Hofmannsthals Festspielkonzept, dem eine dezidiert europäisch-kosmopolitische Ausrichtung nachgesagt wird: Mitten im Ersten Weltkrieg reifte in den Gründervätern, Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt, Richard Strauss, Alfred Roller und Franz Schalk, der Entschluss, die gegeneinander gehetzten Völker durch Festspiele miteinander zu versöhnen, ihnen ein vereinendes Ziel zu geben. Hofmannsthal habe - so das damalige Festspieldirektorium - mit seinem "so zeitlos gültigen Gründungsauftrag" den "Friede[n] und de[n] Glaube[n] an Europa" in den "Mittelpunkt" jeder zukünftigen Festspielplanung gestellt. Doch bildet eine solche weltbürgerliche Ausrichtung tatsächlich das ideologische Fundament des von Hofmannsthal formulierten Festspielgedankens?
Arthur Schnitzlers "Medardus Affairen" : Teil I: Korrespondenzen / mitgeteilt von Hans Peter Buohler
(2011)
Der Erfolg, den Arthur Schnitzlers "dramatische Historie" "Der junge Medardus" bei und nach seiner Premiere am 24. November 1910 im Wiener Burgtheater feierte, steht in auffälligem Kontrast zu seiner weiteren Rezeptionsgeschichte. Zunächst bescherten die Vorstellungen dem Theater seiner Zeit einen "[n]och nicht erreichte[n] Record"; 1914 erhielt Schnitzler für sein Drama den Raimund-Preis, und Richard Specht mutmaßte, es könne diejenige "Historie sein […], die Arthur Schnitzlers Namen als den des österreichischen Dramatikers kraftvoller als seine anderen Schöpfungen zu den Späteren hintragen" würde. Doch zählt der Medardus heute sicherlich nicht mehr zu seinen bekannteren Stücken und ist im Fahrwasser der Zeitläufte von den Bühnen verschwunden: Seit einer Aufführung anläßlich des 100. Geburtstages von Schnitzler 1962 wurde es in den vergangenen 50 Jahren an keiner deutschsprachigen Bühne mehr inszeniert.
In ihrer Osterausgabe vom Sonntag, dem 21. April 1957, brachte die Neue Zürcher Zeitung unter der Überschrift "Dichtung und Darstellung in der gegenwärtigen Literatur der Schweiz die Beiträge zweier renommierter Autoren: "Ewige Wiederkehr" von Max Rychner und aus der Feder von Carl Jacob Burckhardt "Spaziergang mit François Franzoni". Burckhardts Beitrag, auf dem das Folgende beruht, erfuhr dank seiner Aufnahme in einen Band seiner Essays in der "Manesse Bibliothek der Weltliteratu mit dem Titel "Begegnungen" (1958) weite Verbreitung. Auch in den vierten Band von Burckhardts "Gesammelten Werken", welcher "Porträts und Begegnungen" (1971) betitelt ist, wurde der "Spaziergang mit François Franzoni" aufgenommen.
Zahlreich finden sich im Werk Hofmannsthals Spuren, die eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk Molières belegen. Dazu gehört die Gedenkrede "Worte zum Gedächtnis Molières", die für die Feier zum 300. Geburtstag Molières am 15. Januar 1922 im Wiener Burgtheater bestimmt war und einer Aufführung der Komödie "Der eingebildete Kranke" vorausgehen sollte. Bereits im Jahr 1899 hatte der damalige Direktor des Burgtheaters, Paul Schlenther, Hofmannsthal um einen Prolog für eine Feier zum 150. Geburtstag Goethes gebeten, die dann am 8. Oktober 1899 stattfand. Hofmannsthals Wertschätzung für Molière, die er mit seinem Vorbild Goethe teilte, dürfte Anlass gewesen sein, ihn im Jahr 1921 erneut um einen Prolog zu bitten. Ein Brief Hofmannsthals vom 19. Dezember 1921 an den Direktor des Burgtheaters, Anton Wildgans, lässt darauf schließen, dass er der Anfrage zu entsprechen beabsichtigte.
Paul Scheerbarts astrale Hermeneutik : Vorschlag zu einer Bestimmung des Begriffs "Neoromantik"
(2010)
Im Februar 1904 erscheint in der Zeitschrift "Kunst" eine Reihe von Zeichnungen Paul Scheerbarts unter dem Titel "Der magnetische Spiegel". Eingebettet in einen pseudodokumentarischen Rahmentext illustrieren Kopffüßler und andere groteske Kreaturen den Erfahrungsbericht eines optisch-physikalischen Versuchs. Mit Hilfe einer in Schottland entdeckten Bauanleitung konstruiert der namenlose Berichterstatter einen magnetischen Spiegel, der ihm den Blick auf eine neue Kunst ermöglicht:
Rein äußerlich betrachtet, sind die geheimnisvollen Spiegel ganz einfache, spiegelnde Metallplatten. Wird nun die nach der Vorschrift hergestellte Metallplatte zur Erdbebenzeit in die richtige Lage gebracht, so zeigt sich bei Beobachtung der Platte mit eigens präparierter Lupe ein Bild von besonderer Anziehungskraft. Und wer diese Bilder in den Hauptzügen richtig zu kopieren vermag, der hat die "neue Kunst" entdeckt.
Magnetismus und 'neue Kunst' verweisen auf eine romantische Poetik und deren Projekt einer wissenschaftlichen Erforschung des Paranormalen; ein solches Amalgam von Technologie und esoterischem Wissen zielt auf eine naturwissenschaftliche Metaphysik und die Sichtbarmachung des Unsichtbaren.
"Und, was das komische Fach angeht, lassen wir uns durch irgend etwas zum Wiehern bringen, was nicht plump und dick aufgetragen und dann noch dreimal unterstrichen ist?", fragte einst Richard Alewyn rhetorisch und hielt Hugo von Hof mannsthal postum für "berufen […], eine deutsche Lustspielbühne" gewissermaßen jenseits plumpen Wieherns zu schaffen. Seither ist zu Hofmannsthals Komödien nicht wenig geforscht worden; erstaunlich selten aber finden sich Arbeiten, die genauer nach der Komik in seinen Lustspielen fragen. Die meisten Untersuchungen greifen dramaturgische, historische, auch gesellschaftskritisch-politische oder motivliche Spezialaspekte heraus und stellen wichtige Interpretationsangebote auch zum "Unbestechlichen" zusammen. Auf Seiten der Komik- und Humor-Forschung ist das Bild nicht anders; bei der Suche nach Beispielen für systematisch interessante Lachanlässe in Theaterstücken fällt der Blick kaum je auf Hofmannsthal.
In einer Sonntagsnachmittagsvorstellung veranstaltete der "Verband der Freien Volksbühnen" im Februar 1915 eine "Jedermann"-Aufführung im Haus des »Deutschen Theaters« in Berlin. Die "Freie Volksbühne Berlin" war 1890 von der deutschen Arbeiterbewegung gegründet worden. Sie verstand sich als Besucherorganisation, die ihren Mitgliedern zu stark ermäßigten Preisen Theateraufführungen anbot. Der einflussreiche Theaterdirektor Otto Brahm (1856-1912) stand zunächst an der Spitze der Organisation, tatkräftig von dem streitbaren Bruno Wille (1860-1928) unterstützt, der hier eine Möglichkeit sah, seine Ideale einer in jeder Hinsicht freien Kunst zu verwirklichen und einem dezidiert als 'proletarisch' angesprochenen Publikum zu vermitteln. Brahm, früher Leiter des "Deutschen Theaters" in Berlin, wollte sein Programm vor allem mit Stücken profilieren, die von der Zensur verboten oder der Politik missliebig waren.
"Warum muß der Wachtmeister Anton Lerch sterben? Warum muß er so sterben? Nicht den Tod, auf den er vorbereitet ist, einen glorreichen Tod vor dem Feind, sondern - niedergeschossen wie ein Hund von der Pistole seines eigenen Kommandeurs, einen schimpflichen, einen unnützen, einen grausamen Tod?" - Mit diesen Fragen beginnt Richard Alewyn seine Deutung von Hofmannsthals 1899 erschienener "Reitergeschichte" und tatsächlich stellen sie sich unweigerlich. Um sie zu beantworten, muss die Erzählung von Beginn an nach denjenigen Momenten des Ungehorsams und der Insubordination durchsucht werden, die die tödliche Bestrafung des Wachtmeisters durch seinen Kommandeur aus militärischer Sicht möglicherweise rechtfertigen. Begreifen lässt sich das Geschehen jedoch erst, wenn auch die Motive, die verborgenen Wünsche und Begierden hinter den Handlungen der zwei Widersacher aufgedeckt werden.
Dieser Beitrag sucht einen bescheidenen Anfang zu machen, indem er in diplomatischer Transkription jene Briefe dokumentiert, die Vollmoeller und Hofmannsthal austauschten, und welche heute vornehmlich in der Bibliothek des Freien Deutschen Hochstifts in Frankfurt (FDH) aufbewahrt werden. Die sieben Briefe Vollmoellers stammen aus den Jahren 1903 bis 1925, drei Briefe Hofmannsthals an Vollmoeller aus dem Jahr 1927 liegen in Abschriften vor. Hinzu kommt noch ein Kondolenzschreiben Vollmoellers an Christiane von Hofmannsthal-Zimmer, datiert auf den 19. Juli 1929.
Im Sommer 1913 folgt Elsa Bruckmann, geb. Prinzessin Cantacuzène einem Rat Rudolf Kassners und reist mit ihrem Gatten Hugo das Paar hatte am 24. November 1898 in Starnberg geheiratet - Anfang Juli nach Noordwijk aan Zee, um hier, im "am schönsten gelegenen Badeort der holländischen Küste", nach längerer Krankheit Stärkung zu suchen. Die regen- und sturmreichen Wochen "am nordischen Meer" mit seinem melancholischen "feuchten Grau" inspirieren sie zu fruchtbarem lyrischen Schaffen und lassen den Wunsch aufkommen, den am Ort wohnenden Dichter Albert Verwey kennenzulernen. So bittet sie dessen alte Münchner Freundin Hanna Wolfskehl um Vermittlung, die "diese Anfrage gleich" weiterleitet und dem Ehepaar Verwey die unbekannten Gäste in liebevoller Ausführlichkeit vorstellt:
Also Herr Direktor Bruckmann ist einer der ersten Verleger Deutschlands […] aus einer ächten alten Münchner Patrizier-Familie! seine Frau ist aber die Seele des Unternehmens! sie ist eine geborene Prinzessin Cantaguzeno […] hat den größten officiellen Salon für Kunst! sie war die Egeria von Hofmannsthal, sie ist eine Freundin von Klages! Karl und ich lieben sie sehr weil sie so eine richtige Frau und Dame ist und lieb dabei – sogar Stefan George hat sie gern. Gundolf verehrt sie sehr u.s.w. und ihr Neffe der junge Hellingrath ist der, der den Hölderlin neu herausgiebt. Den Winter sah ich sie wenig weil sie viel krank war. Nun ist sie zur Erholung an der See! Also wenn Sie wollen dann lassen Sie sie bitten! Ja so – den Mann auch! der versteht seine Sache wohl sehr aber alle Menschen reden nur von ihr.
"[…] sie war die Egeria von Hofmannsthal" - eine heute wohl überraschende Antonomasie, bei der offen bleibt, ob sie Elsa Bruckmann oder Hanna Wolfskehl nach deren Erzählung gefunden hat.
Hofmannsthal war auch als Philologe Dichter. Das zeichnet seine literaturkritischen Arbeiten aus, macht sie aber einzigartig subjektiv. Zudem ist die Denk- und Empfindungsweise der Epoche in diesen Texten deutlich präsent. Das gilt für das Meiste, was er an Würdigungen, Einleitungen und Reden schrieb. Es wird uns hier in seinen Urteilen über Nestroy und Raimund beschäftigen.
Name und Werk Otto Freiherrn von Taubes, geboren am 21. Juni 1879 in Reval, der Hauptstadt des damals zum Russischen Reich gehörenden Estland, ist heute selbst in Literaten- oder Germanistenkreisen nahezu vergessen - trotz eines weitgefächerten OEeuvres, das, mit Ausnahme des Bühnendramas, alle Gattungen erprobt hat: Seine Gedichte, Romane, Novellen, seine Erinnerungen, Essays und historischen Abhandlungen, seine Übersetzungen aus acht Sprachen, vor allem dem Englischen, Französischen, Italienischen, Portugiesischen, Russischen und Spanischen, von den Zeitgenossen aufmerksam und wohlwollend zur Kenntnis genommen, sind verschollen oder vergriffen; der neueste Sortimenterkatalog meldet kein einziges Buch des Autors als lieferbar; die wissenschaftliche Beschäftigung bewegt sich in schmalen Bahnen.
Im Literaturarchiv der Monacensia München liegt im Nachlass Otto von Taubes eine Mappe mit Briefen Hugo von Hofmannsthals. An Taube gerichtet sind fünfzehn Briefe - darunter zwei Gedichte Otto von Taubes mit handschriftlichen Kommentaren Hofmannsthals -, eine Postkarte, ein Telegramm, ein leerer Briefumschlag sowie eine in Hofmannsthals Namen geschriebene Nachricht von fremder Hand; hinzukommen ein kleines Schreiben Hofmannsthals an Baronin Marie von Taube und eine gedruckte Danksagung Gerty von Hofmannsthals an "Baron und Baronin Taube" für deren Teilnahme an Hofmannsthals Tod. Neun Gegenbriefe von Taube an Hofmannsthal verwahrt das Hofmannsthal-Archiv im Freien Deutschen Hochstift zu Frankfurt am Main. Wie Anspielungen in den überlieferten Schreiben belegen, ist auf beiden Seiten eine nicht unbeträchtliche Zahl von Sendungen verloren gegangen. Die erhaltenen Briefe bezeugen einen anfangs losen, später vertrauter werdenden Kontakt; Schwerpunkte bilden zwei Zeitschriftenprojekte: zunächst in den Jahren 1907/1908 während Hofmannsthals verantwortlicher Mitarbeit am "Morgen", dann nach 1922 im Rahmen seiner eigenen Zeitschrift, der "Neuen deutschen Beiträge", die von 1922 bis 1927 im Verlag der Bremer Presse erscheinen.
Hugo von Hofmannsthal und Josephine Fohleutner : Briefe 1881–1902 / mitgeteilt von Katja Kaluga
(2006)
Die vorliegende Edition will anhand von insgesamt 92 Briefen, Karten und Telegrammen von Hofmannsthal und 27 Briefen von Josephine Fohleutner versuchen, die verbliebene Leerstelle zu füllen und einen Beitrag zu seiner frühen Biographie zu bieten. Erhalten haben sich vornehmlich Briefe aus der Kindheit und frühen Jugend Hofmannsthals, ferner eher sporadisch gewechselte Nachrichten aus der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, von denen die meisten, auch in dichterer Folge, während der Sommerreisen geschrieben wurden. Während seiner Reisen schrieb Hofmannsthal fast täglich an die Eltern, die seine Briefe oft an die Großmutter zur Lektüre weitergaben.
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
"Hock war ganz nett; auch klug; relativ ehrlich; im ganzen steht er mir mit Hochschätzung gegenüber, die durch Germanistik und Renegatentum erheblich beeinträchtigt wird" - Arthur Schnitzler, Tagebuch 15/12/1920
Schnitzler hatte mit Germanisten nicht immer Glück, vielleicht gründet von da her seine Skepsis gegenüber der Zunft. Und wenn man sich genauer ansieht, was nachgeborene Germanisten und Editoren manchmal mit dem angestellt haben, was er geschrieben hat, ist man geneigt, diesem absprechenden Urteil beizustimmen.
Die Geschichte der Fassungen von "Cristinas Heimreise" ist nicht nur kompliziert und langwierig - sie erstreckt sich von 1908 bis 1926 -, sie ist als Teil von Hofmannsthals Bühnenerfahrung auch schmerzlich, denn diesem von ihm selbst schließlich als "uneigentliches Theaterstück" qualifizierten Werk blieb trotz vielfacher Bemühungen der Durchbruch versagt. Dabei ist gerade der Versuch, im Bereich der Komödie Fuß zu fassen, für die Bemühung um das "Soziale" von programmatischer Bedeutung: Der Bruch mit George, die Zusammenarbeit mit Richard Strauss und schließlich das gescheiterte Ringen um "Silvia im Stern" stellten bereits erschwerte Vorbedingungen dar. 1908 als "Florindos Werk" begonnen, aber nicht publiziert, folgten 1910 zwei Aufführungen der daraus hervorgegangenen Komödie "Cristinas Heimreise", einmal im Februar 1910 in Berlin (drei Akte), dann im Mai 1910 in Budapest (mit der Opferung des Schlußaktes). Weitere Aufführungen - als Einakter "Florindo" 1921 und dann wieder in der Budapester Fassung 1926 an der Wiener Josefstadt - blieben folgenlos.
Dabei ist diese schmerzliche, durchaus aufschlussreiche Textgeschichte auch mit der Wahrnehmung durch die Zeitgenossen verknüpft. Schon die Dokumentation der Zeugnisse Hofmannsthals aus seinen Briefwechseln konnte Einblicke in die Werkstatt bieten. Aber erst die Chronik der öffentlichen Aufnahme, überwiegend der Theateraufführungen, kann nun ein authentischeres Bild davon vermitteln, mit welchem Erwartungshorizont der Zeitgenossen eine Hofmannsthalsche Bühnenaufführung zu rechnen hatte. Aus den nachfolgend abgedruckten Rezensionen zwischen 1910 und 1930, ergänzt um wenige Stimmen von Lesern, die keine Aufführung beschreiben (Josef V. Widmann, Arnold Zweig, Arnold Gehlen), geht das mehr als kritische Klima anschaulich hervor, in das Hofmannsthals Komödie kam.
Im Nachlass von Paul Kahn (Privatbesitz) befinden sich vier Briefe von Hugo von Hofmannsthal, die hier mitgeteilt werden. Alle sind vierseitig auf 17,7×22,4 cm großen Bogen geschrieben. Auch zwei kleine Umschläge (9,3×12 cm) sind erhalten. Aus dem Poststempel des einen ergibt sich die Jahreszahl 1905.
Paul Kahn (1871–1947) war ein Sohn des wohlhabenden Mannheimer Bankiers und Fabrikanten Bernhard Kahn (1827–1905). Einige der Geschwister von Paul waren mit dem Berliner Kultur- und Wirtschaftsleben verbunden.
Durch seine Geschwister Clara und Robert lernte er Gerhart Hauptmann kennen, verbrachte mit ihm und Robert im August 1899 Ferientage auf Hiddensee und wohnte bei ihm 1903 und 1904 jeweils einige Wochen als "Sekretär, Freund und lieber Hausgenosse" in Agnetendorf. Sehr beliebt war er dort auch als Klavierbegleiter der Geige spielenden Margarete Hauptmann. Hofmannsthal hat ihn wahrscheinlich Ende Oktober 1903 getroffen, als er sich zur Uraufführung seiner "Elektra" in Berlin aufhielt.
Hugo von Hofmannsthal und Robert Michel : Briefe / mitgeteilt und kommentiert von Riccardo Concetti
(2005)
Die Herausgabe des Briefwechsels zwischen beiden Autoren bietet nun eine Gelegenheit, dem Vergessen entgegenzuwirken: Neben dem Versuch, die Konturen dieser am Rande der österreichischen Literaturgeschichtsschreibung gebliebenen Figur zu umreißen, soll aufgezeigt werden, aus welchen Motiven heraus Hofmannsthal Michel unterstützte und ihm eine nicht marginale Rolle bei seinen Kriegspublikationen einräumte, ja, ihn im Laufe der Zeit geradezu als Inbild des österreichischen Dichters ansah.
Jedem von uns ist das schon begegnet: ich will ein Wort verwenden. Es fällt mir einfach nicht ein. Mein Hirn macht sich auf die Suche und legt erst einmal alles andere lahm. Meine ganze Aufmerksamkeit peilt dieses eine Wort an, das sich entzieht. Ich kann mich auf nichts anderes konzentrieren. Ja, ich kann nicht einmal einschlafen, weil dieses unauffindbare Wort alle Funktionen, sogar vegetative, stört. Es hat sich mit dem ganzen Wortfeld eingekapselt, abgeschottet.
Wenn ich wenigstens ein Synonym finden könnte, irgendein Wort, das sinngemäß eine Richtung weist, ich könnte mich daran weiterhangeln, auch wenn mir der Boden unter den Wörtern abhanden gekommen ist. Grad noch das Wort davor ist verfügbar, ich klammere mich dran fest. Der Wortfluß, bisher moderat, schwemmt alles weg - und wo grad noch ein Meer von Wörtern war, nichts als eine wortlose Dürre. Nichts mehr da.
Das Klangtal
(2003)
Die Worte Österreich, England, Europa, London, Wien habe ich das erste Mal im Jahr 1962 gehört, bei einem unserer Ausflüge zu den Hügeln draußen vor der Stadt und zu den Wäldern und Tieren. Ich hörte sie das erste Mal im Zusammenhang mit einem Brief, den die Mutter vorgelesen hat, laut gelesen hat, weil sie die Sprache in diesem Brief gerne hörte, laut, weil es ein englischer Brief war, der nicht auf Englisch geschrieben war, weil sie vielleicht dieses Aber-Englisch hören wollte, laut vielleicht, dass ich zuhören konnte. Es sei ein Brief, der von einem Kind namens Katharina erzählt und von einem Fisch. "Ich lese den englischen Brief vor", sagte die Mutter, dann las sie auf Deutsch. So hatte das Kind die Gewissheit, dass das Englische und Deutsche eins sind.
...
Auf einem der Hügel auf dem Festland standen im Halbkreis Hütten, dort zogen englische Ferienfamilien ein, spielten Fußball und Tennis und Badminton, Leser saßen dazwischen und lasen The Times und The Daily Mirror und Kriminalromane und malaysischenglische Wörterbücher. "Achte einmal darauf, ich lese dir stückerlweise den Brief aus Österreich vor." Österreich? Österreich? "Ja, das ist ein Land, das weit weg in der Mitte von Europa liegt." Europa? Europa? "Ja, das ist eine Sammlung von Ländern, eine Art Asien wie hier, wo wir sind." Wer hat dir den Brief geschickt? "Den Brief hat mir niemand geschickt. Der Brief ist an Francis Bacon in England gerichtet worden, vor vielen hundert Jahren." Wer hat ihn geschrieben? "Das weiß ich nicht. Ein Mann namens Philipp Chandos, ich weiß nicht, wer der war. Ich weiß nur von einem anderen Chandos namens Grey, 5th Baron Chandos. ...
Primärtexte und Briefausgaben werden entsprechend dem für das HJb zugrunde gelegten Siglenverzeichnis zitiert. Briefe und Notizen, die erstmals in der Kritischen Ausgabe abgedruckt wurden, bleiben hier unberücksichtigt. Jede bibliographische Angabe erhält eine Ordnungsnummer, ausgenommen davon sind in der Regel Rezensionen. Einzelkritiken zu aktuellen Inszenierungen sind nur in Ausnahmefällen aufgenommen.
Es erschwert eine differenzierte Beschäftigung mit Eduard von Keyserling, dass sein Gesamtwerk als ein geschlossenes Ganzes von geringer Variationsbreite genommen wird. Mit seiner "eigentümliche[n] Geschlossenheit, was den handelnden Personenkreis angeht, und […] nahezu beengende[n] Begrenztheit in Hinsicht auf das erzählerische Lokal" gehört er zu jenen Autoren, die man nach exemplarischer Lektüre rasch zu begreifen meint, und die in bestimmten Diskussionen ihren festen, sicheren Platz haben, wenn auch eher im Sinne eines kurzen Querverweises. Bis heute hat sich an einem vorwiegend biographisch geprägten Verständnis seiner Werke wenig verändert.
Über Assimilation, deutsch-jüdische "Symbiose" und politischen Antisemitismus in Wien und Österreich während der k.u.k. Monarchie und der Ersten Republik gibt es umfangreiches Material, das Interessierten sowohl mentalitätsgeschichtlich als auch soziologisch und statistisch über die damaligen Verhältnisse gründlich Auskunft erteilt. Und seit Carl Schorskes vieldiskutierter Darstellung des "Fin de siècle" ist auch Hofmannsthal mehrfach in diese Untersuchungen einbezogen worden, eindrücklich von Jens Rieckmann. Debattiert wurde einerseits, ob – und in welcher Form – Hofmannsthals jüdisches Erbe in seinem Werk erkennbar sei, aber ebenso, ob er, insbesondere mit seiner heftigen Reaktion auf Dichtungen von Schnitzler und Beer-Hofmann, dabei einer Art von "jüdischem Selbsthaß" erlegen sei, der abgelehnte Ichanteile nach außen und auf andere projizierte. Und mehrfach besprochen wurde auch, wie abweisend Hofmannsthal in den 20er Jahren auf Versuche antwortete, ihn - durchaus lobend - in Publikationen zusammen mit jüdischen Autoren darzustellen.
Vorliegende Ausgabe der 'Mitteilungen der Hugo-von-Hofmannsthal-Gesellschaft' enthält:
Zum Tod von Renate Böschenstein-Schäfer / Karl Pestalozzi
Andreas Zimmer (14. Mai 1930 – 21. Juni 2003) / Elsbeth Dangel-Pelloquin
Tagung der Hugo vom Hofmannsthal-Gesellschaft in Wien 12. –15. September 2002 / Juliane Vogel
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