Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin
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Folgt man einem Eintrag in einer der meistbenutzten Online-Enzyklopädien, dann gehört Reinhart Koselleck in Frankreich zu den bekanntesten deutschen Historikern des 20. Jahrhunderts. Eine vergleichsweise lange Liste von Übersetzungen und kritischen Beiträgen bekräftigt dieses Urteil und unterstreicht zugleich die spezifischen Interessengebiete, die für die französische Rezeption Kosellecks wichtig wurden. Sie reichen von der Sozial- und Begriffsgeschichte über die Geschichte von Recht und Gerechtigkeit bis zu Problemen der Erinnerungskultur und der Theorie der Geschichte. Vor allem in den letzten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erschien eine Reihe von Übersetzungen wesentlicher Beiträge Kosellecks zu diesen Themen ins Französische. Dass sich diese Periode mit einer Phase intensiver methodologischer und theoretischer Auseinandersetzungen unter französischen Historikern deckte, war für die Art und Weise, in der Kosellecks Arbeiten aufgenommen und diskutiert wurden, keineswegs unwichtig. Zeitweilig erwuchs daraus ein Dialog, der auf beiden Seiten des Rheins eine ganze Generation junger Historiker einschloss.
Die besondere sprachliche und gesellschaftliche Situation in der Türkei bedingt, dass sich dort die Voraussetzungen für die Beschäftigung mit Begriffsgeschichte grundlegend von denen in anderen Ländern unterscheiden. In den Atatürk'schen Reformen seit den späten 1920er Jahren wurde auch die Sprache zum Ziel staatlicher Eingriffe: Der arabische und persische Wortschatz sowie Fremdwörter aus europäischen Sprachen sollten durch "genuin türkische" ('Öz Türkçe', etwa: 'das eigentliche, reine Türkisch') Wörter ersetzt werden, die entweder aus anderen Turksprachen entlehnt oder neu geschaffen werden sollten. Über Jahrzehnte hinweg wurde über Wörter und ihre Gestalt heftig gestritten, und die politische Gesinnung eines Menschen konnte lange Zeit auch an dem Wortschatz festgemacht werden, den er gebrauchte. Dies hatte und hat auch Konsequenzen für Begriffe und ihre Geschichte in der Türkei. So ist es im akademischen Diskurs der Türkei gängige Praxis, Begriffe aus den europäischen Sprachen ins Türkische zu übersetzen, wobei die türkischen Begriffe sowohl von den Autoren als auch von den Lesern als Übersetzungen der entsprechenden Begriffe in den Originalsprachen wahrgenommen werden. Kommen begriffsgeschichtliche Fragen ins Spiel, so interessiert man sich dann meist nicht für die Geschichte der türkischen Übersetzung, sondern für die des ursprünglichen Begriffs. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Tatsache, dass "Klassiker" der sozialwissenschaftlichen und philosophischen deutsch-, englisch- und französischsprachigen Literatur relativ schnell auch ins Türkische übersetzt werden, wobei sich begriffliche Fragen gewissermaßen von selbst einstellen.
Die Rezeption von Kosellecks Konzeption der Begriffsgeschichte in Polen begann Anfang der 1990er Jahre auf Umwegen und als Resultat von Zufällen. Die Tatsache, dass der polnische Philosoph Krzysztof Michalski (1948–2013), der Direktor des Wiener 'Instituts für die Wissenschaften vom Menschen', die Ergebnisse der vom ihm organisierten Castelgandolfo-Gespräche nicht nur im deutschen Original, sondern ab 1990 auch in Polen herausgab, führte dazu, dass auch drei Vorträge Kosellecks in polnischer Übersetzung erschienen. Da Koselleck in zweien seiner Vorträge mit 'Krise' und 'Emanzipation' die Geschichte von Begriffen behandelte, die er auch in den 'Geschichtlichen Grundbegriffen' (GG) erörtert hatte, gelangten auf dem Umweg der Castelgandolfo-Sammelbände erstmals Texte Kosellecks zur Begriffsgeschichte in den akademischen Diskurs in Polen. Auch in seinem dritten Castelgandolfo-Vortrag, in dem es um die Möglichkeit eines auf der historischen Semantik basierenden Vergleichs bürgerlicher Gesellschaften ging, hatte Koselleck weiterreichende Konsequenzen der Begriffsgeschichte behandelt. In den 1990er Jahren selbst erfuhren die genannten Texte in Polen allerdings noch kaum Beachtung. Dies sollte sich erst 2001 ändern, als der Germanist Hubert Orłowski in der von ihm verantworteten 'Posener Deutschen Bibliothek' (Poznańska Biblioteka Niemiecka) einen Sammelband mit vom ihm ausgewählten Aufsätzen Kosellecks zur historischen Semantik herausgab, der im Wesentlichen auf dessen Band 'Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten' (1979) basierte, allerdings um die Einleitung zu den GG und weitere Texte ergänzt worden war.
Die offensichtlichen Ähnlichkeiten zwischen Neurasthenie und Burnout dürfen den wissenschaftlichen Blick jedoch nicht dazu verleiten, vorschnell von einer substantiellen Identität auszugehen. Es ist keineswegs gleichgültig, unter welchem Namen ein Leiden amtiert. Vielmehr gehe ich davon aus, dass die Etablierung eines neuen Begriffs ein Ereignis ist, das genauer in den Blick genommen zu werden verdient, weil es auf eine veränderte Problemlage hinweist. Die Frage lautet also, wie genau sich das Verhältnis zwischen Neurasthenie und Burnout darstellt, was diese beiden Begriffe trennt und verbindet, welche semantischen Bedeutungsebenen sich in ihnen jeweils abgelagert haben und welche Rückschlüsse sich aus der Untersuchung dieser Bedeutungsschichten für das Verständnis unserer Gegenwart möglicherweise ziehen lassen. Der erste Schritt einer solchen Fragestellung muss immer darin bestehen, die Phänomene gegeneinander zu legen und sie auf ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin zu untersuchen, um auf dieser Grundlage eine schärfere Kontur ihrer Besonderheiten zu erlangen - was im Folgenden geschehen soll.
Das Thema der Entstehung der modernen Welt steht im Zentrum des Interesses Reinhart Kosellecks, sowohl in Bezug auf die historische Semantik der politischen Begriffe, als auch bezüglich der sozialen Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen. Kosellecks Begriffsgeschichte geht es darum, den "Umwandlungsprozess zur Moderne" zu zeigen, wie er sich in der Verwendung der politischen Sprache ereignet. Mit der Theorie historischer Zeiten entwickelt Koselleck eine eigene Theorie der Entstehung der Neuzeit, die die Absicht hat, die spezifischen und charakteristischen Merkmale der modernen Welt und ihrer Zeitlichkeit durch die Darstellung der Beziehung zwischen den Erfahrungsräumen und den Erwartungen zu beschreiben. In seiner Doktorarbeit hat Koselleck die Diagnose über den Beginn der modernen Welt auf die Beziehung zwischen aufklärerischer Kritik und politischer Krise zurückgeführt; 1959 wurde die Doktorarbeit verbessert und veröffentlicht. Nun wird die Genese der modernen Welt zur "Pathogenese der bürgerlichen Welt", also vor allem im Sinne einer Krankheit verstanden: die Krise der Moderne entspricht also einer Pathologie. Der Horizont des strukturellen Verhältnisses zwischen der Neuzeit und der Krise bleibt auch in den folgenden Schriften das Thema Kosellecks, wenn er sich mit der historischen Zeitlichkeit beschäftigt. Das Ziel dieses Aufsatzes besteht darin, diese Beziehung zu rekonstruieren, und zwar darzustellen, wie Koselleck den auf den semantischen Raum der Krankheit und der Pathologie verweisenden Krisenbegriff als diagnostische und prognostische Kategorie verwendet, um die spezifische Natur der historischen Wandlung zur modernen Welt festzulegen.
Zieht man die vergeblichen Versuche der Mediziner und Philosophen in Betracht, eine sowohl praktikable, theoretisch konsistente und ethisch vertretbare Definition von Krankheit zu erarbeiten, wird die Differenz von Krankheitsbegriff und -metapher insgesamt problematisch. Der aktuell gebräuchliche, systemtheoretische Krankheitsbegriff bezieht sich beispielsweise gar nicht mehr auf Lebewesen, sondern auf die Kopplung bio-psycho-sozialer Systeme. Die Bindestriche in diesem Begriff übernehmen gewissermaßen die Funktion der Metapher: den Sprung über Kategoriengrenzen. Wenn Metaphern in den Wissenschaften grundsätzlich keinen guten Ruf genießen, gilt dies insbesondere für Krankheitsmetaphern. Zuletzt ist ihre Bedeutung für die pseudo-medizinische Legitimation und Durchführung des Holocaust umfangreich erforscht worden. Mit dem Paradigmenwechsel von der Hygiene zur Bakteriologie wurden Krankheiten demnach nicht mehr auf äußere Umstände, sondern auf labortechnisch identifizierbare Kontagien zurückgeführt. Diese medizinische 'Visualisierung des Feindes', welche Robert Koch durch die Markierung von Gewebeschnitten mit Annelinfarbe entscheidend voranbrachte, bot zusammen mit der monokausalen und ontologisierenden Erklärung von Krankheiten große metaphorische Anschlussflächen für die (bio-)politischen Diskurse, die sich seit dem 19. Jahrhundert mehr und mehr mit der Sicherung und Steigerung des Lebens beschäftigten.
"Nichts ist variabler als die Bedeutung des Wortes Variabilität", meint Hugo de Vries 1901; und kaum etwas so mutabel wie die des Wortes 'Mutation'. Aber was heißt das schon? Weil wir, so Ludwik Fleck, "fortwährend Zeugen sind, wie 'Mutationen' des Denkstils eintreten"? Fleck führt 1935 die Mutationen ein, als er beschreibt, wie aus "Urideen" moderne Begrifflichkeit entsteht, indem etwa "[m]it einem Mal [...] unklar [wurde], was Art, was Individuum sein soll [...]." Sein wissensgeschichtlicher Bezug auf den seinerzeit bereits biologisch ausgewiesenen Begriff konzediert jedoch selbst einen Denkstil, demnach Erkenntnisse der Wissenschaften vom Leben, namentlich der Mutationstheorie, dazu taugen, kulturelle Entwicklungen zu kennzeichnen. Damit steht er freilich seinerzeit nicht allein. Soziologen, Historiker, Anthropologen, Literaturwissenschaftler und eben auch historische Epistemologen hatten sich dem Begriff der Mutation bereits massiv zugewandt. Maßgeblich nach Hugo de Vries' 'Die Mutationstheorie' (1901/1903) kehren plötzliche Wandlungen in der Konzeption von längeren Entwicklungsverläufen vermehrt in die Natur- und Geisteswissenschaften ein und stellen die Kontinuität von Arten, Ideen, Begriffen zur Disposition. Doch besieht man die Machart des Begriffs in diesem für die Mutationsforschung konstitutiven Buch, so zeigen sich statt einer sprunghaften begrifflichen Neubildung tatsächlich imposante historische Allianzen und intentionale, performative Umwertungen, die eben nicht jählings auf kollektiver Ebene, sondern auch durch einzelne Begriffsautoren einigermaßen aufwändig in einen 'neuen' Begriff überführt werden.
Die Rede vom Parasiten mit vorrangig pejorativer Bedeutung ist semantisch relativ stabil und kann auf den botanischen Fachterminus 'Parasit' bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgt werden. Allerdings muss eine vollständige Geschichte des Parasiten, die allerdings hier nicht geleistet werden kann, sondern sich auf kursorische Hinweise beschränken muss, bis in die Antike zurückgehen und ist dabei deutlich ambivalenter, als es zunächst scheint. Vor allem bleibt eine Begriffsgeschichte des 'Parasiten' unvollständig, wenn sie neben dem biologischen Konzept nicht auch die mit ihm verknüpften Diskurse reflektiert, die die Figur in andere Zusammenhänge und Bewertungskontexte stellen - vor allem die der menschlichen Gesellschaft. Der Parasit als Begriff besitzt prinzipiell unscharfe Grenzen, da der Parasit immer schon ein Agent der Zwischenräume gewesen ist.
Im Folgenden soll exemplarisch aufgezeigt werden, wie die begriffsgeschichtlich entscheidende Koppelung von Evolution und Fortschritt im Neoevolutionismus zunächst explizit verteidigt (und reformuliert) und später aufgekündigt wird und zerbricht. Es soll also einer Transformation der Geschichtssemantik 'innerhalb' des Neoevolutionismus nachgegangen werden, das heißt im Wesentlichen den Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen dem ethnologischen Neoevolutionismus Whites, der den Fortschrittsbegriff wissenschaftlich retten und objektivieren will, und der Neukonfiguration des Neoevolutionismus, in der eine gleichsam evolutionistische Axiomatik zur Zurückweisung des Fortschrittsbegriffs führt, die sich vor allem bei Steward und in jüngster Zeit bei Diamond findet. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Deutungsmuster geschichtlicher Entwicklung von Kulturen und Gesellschaften, das der Neoevolutionismus anbietet, nicht nur in diachroner Dimension neuen Voraussetzungen angepasst wird (immerhin liegen zwischen der Formung des Neoevolutionismus bei White und Steward und dessen Aktualisierung und Popularisierung bei Diamond mehrere Dekaden), sondern auch aus dem wissenschaftlichen Spezialdiskurs in den Bereich der Populärwissenschaft übertragen wird. Begriffsgeschichtlich interessant ist hierbei also, dass sowohl die Grenze zwischen den 'Zwei Kulturen' in der Wissenschaft (und auch die interdiskursiv lange tradierte zwischen Natur und Kultur als zwei klar unterschiedenen Sphären), als auch diejenige zwischen verschiedenen Kommunikationsbereichen berührt wird. Dazu soll die Verteidigung des Fortschrittsbegriffs bei White genauer vorgestellt werden, bei der der Begriff notwendiger Bestandteil des Evolutionismus ist, um vor diesem Hintergrund die Aufkündigung der Koppelung von Evolution und Fortschritt bei Steward und im populären Evolutionismus zu skizzieren.
In diesem Beitrag werde ich versuchen, zwei auf den ersten Blick recht disparate Stränge des 'Kultur'-Diskurses miteinander in Beziehung zu setzen: den politisch-interdiskursiven Gebrauch von 'Kultur' und den begriffspolitisch interessanten Versuch populärer Evolutionsbiologen, den Kulturbegriff biologisch zu erden bzw. umzudefinieren. Beide Stränge partizipieren hierzulande nolens volens an den konnotativen Ladungen, die 'Kultur' angesammelt hat, und beide Stränge sind dabei, Gewicht und Verteilung dieser Ladungen erheblich zu verändern.
Die Begriffsgeschichte befindet sich seit einigen Jahren in der Phase einer grundlegenden Transformation, die sich vor allem in ihrer zunehmenden Internationalisierung und Interdisziplinarisierung sowie in ihrer Verbindung mit der Kultur- und Wissenschaftsgeschichte dokumentiert. Eine besondere Herausforderung bildet dabei die Erschließung der naturwissenschaftlichen Semantik. Referenzpunkte für die gegenwärtige inhaltliche und methodische Neuausrichtung bilden unter anderem die Ansätze zu einer Historischen Epistemologie (Gaston Bachelard, Ludwik Fleck) sowie Georges Canguilhems methodische Fundierung der Wissenschaftsgeschichte in der Begriffsgeschichte. In diesem Aufsatz möchte ich einige Aspekte einer interdisziplinären Begriffs- und Wissenschaftsgeschichte anhand der Analyse der Entstehungsphase des Konzepts vom 'Survival of the fittest' diskutieren. Dieses Konzept hat sich im Zeitraum der 1860er bis 1870er Jahre zu einem Deutungsmuster entwickelt, das mit eminent politischen Folgen im Spannungsfeld biologischer, philosophischer, soziologischer, ethnologischer und ökonomischer Theoriebildung sowie zwischen verschiedenen nationalen Wissenschaftskulturen zirkulierte. Ich möchte betonen, dass die von mir fokussierte wissenshistorische Konstellation nur einen kleinen Ausschnitt aus der komplexen und weit verzweigten Geschichte des Überlebensbegriffs bildet. Insbesondere seit den 1970er Jahren im Zusammenhang der ökologischen Krise und als Effekt der Diskursmacht der von Foucault entwickelten Konzepte der Biopolitik bzw. Biomacht lässt sich eine neue Konjunktur des Überlebensbegriffs ausmachen, die bis in unsere Gegenwart reicht und die überhaupt die Voraussetzung für das Bedürfnis bildet, die Bedeutungs- und Gebrauchsgeschichte des Überlebensbegriffs, oder einzelne Etappen und Knotenpunkte derselben, zu rekonstruieren.
Anführungszeichen als Symptom : zum historischen Bedeutungs- und Funktionswandel einer Zeichenform
(2013)
In diesem Beitrag möchte ich mich mit einer Zeichenform befassen, die auf den ersten Blick unscheinbar und trivial zu sein scheint: den Anführungszeichen, die man salopp auch Gänsefüßchen oder Hasenöhrchen nennt. Für die Historische Semantik und Begriffsgeschichte ist die Bedeutung dieser Zeichen längst erkannt. Wie Martin Wengeler im Anschluss an Ludwig Jäger und Dietrich Busse herausgestellt hat, handelt es sich bei der Verwendung von Anführungszeichen um eine sprachreflexive Äußerung, der insbesondere für die Analyse des politischen Sprachgebrauchs eine Anzeigerfunktion zukommt - wird doch an ihnen eine bewusste Distanzierung von bestimmten Sprachgebräuchen und Wortverwendungsweisen greifbar. Nach Wengeler lösen explizite Wortthematisierungen zumindest ansatzweise das Problem des Auffindens von Belegstellen, die das Auftauchen neuer oder den Plausibilitätsverlust älterer Bedeutungen anzeigen. Mit ihrer Analyse werden Schwellen vom okkasionellen zum usuellen Wortgebrauch sichtbar und die Erfassung des Auftretens semantischer Innovationen stärker objektivierbar. Besonders in den sprachgeschichtlichen Forschungen der Düsseldorfer Schule ist deshalb das Aufsuchen von in Form von Anführungszeichen explizit gemachten Sprachthematisierungen zu einer "zentralen 'Findungsmethode'" gemacht worden. So weit ich sehe ist diese Methode punktuell in Bezug auf die Verwendung einzelner Wörter in Anschlag gebracht worden, was sich mit dem besonderen Interesse am politischen Sprachgebrauch und insbesondere am Einsatz 'brisanter Wörter' begründen lässt. Im Unterschied dazu geht es mir im vorliegenden Beitrag nicht primär um die Analyse einzelner Verwendungen, sondern - auf einer verallgemeinernden Ebene - um die Herausarbeitung eines grundlegenden historischen Bedeutungs- und Funktionswandels des Einsatzes dieser Zeichenform. Im ersten Teil gehe ich kurz auf deren (Vor-)Geschichte ein, um mich dann im zweiten Teil zwei Feldern zuzuwenden, in denen diese Zeichen nicht nur häufig, sondern, worauf es mir ankommt, in einem epistemisch neuen Sinne eingesetzt worden sind, nämlich im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit den Folgen der Shoah und der Entwicklung der Atomwaffen. Ausblickhaft möchte ich dann noch die Frage aufwerfen, was es mit der zu beobachtenden Generalisierung der neuen Funktionen der Anführungszeichen auf sich haben könnte.
The Future of the Noosphere
(2014)
In this article, a Koselleckian approach to the issue of time will be employed. In Koselleck's view, modernity has been characterized by a multiplicity of synchronous times, or as Helge Jordheim puts it, by "multiple temporalities". By temporality, Koselleck means something different than epochs or periodizations. More precisely, Jordheim asserts, Koselleck uses this term to reach for experiences of time, such as "progress, decadence, acceleration, or delay, the 'not yet' and the 'no longer', the 'earlier' or 'later than', the 'too early' and the 'too late', situation and the duration". Especially pertinent for this article is Koselleck's category of a horizon of expectations (Erwartungshorizont), understood as perceived prospects for the future. In both the noosphere and the Anthropocene discussion, the notion of an Age of Man seems to merge different timescales into one another, or, as stated by one of the most prominent scientists in the early debate, "The division of historical and geological time is levelled out for us". This article examines the temporality implied in the noosphere concept in order to formulate a specific question regarding the Anthropocene. The article is thus intended to contribute to the on-going examination of the Anthropocene concept by way of historicising its temporality.
Trotz der Annäherung der Begriffe 'Geschichte' und 'Evolution' unter dem Vorzeichen einer semantischen Verschiebung kulturellen Kapitals haben sich bis in die Gegenwart auch begriffliche Differenzen erhalten. So gibt es neben der unbekümmerten Anwendung von 'Geschichte' und 'Evolution' auf alle sich in der Zeit verändernden Dinge auch Versuche, die Begriffe terminologisch stark zu machen und in der Folge dessen 'Evolution' für den Bereich der Natur und 'Geschichte' für den der Kultur zu reservieren. Der Beitrag liefert eine historische Rekonstruktion dieser Entwicklung. Am Anfang stehen dabei einige quantitative sprachwissenschaftliche Beobachtungen zur Entwicklung der Häufigkeit der Begriffe in verschiedenen Textgattungen und zur gegenwärtigen Semantik durch einen Vergleich der häufigsten Genitivattribute. Im zweiten Abschnitt wird die Veränderung des Ausdrucks 'Geschichte' untersucht, zunächst in seiner terminologischen Bedeutung in den Geschichtswissenschaften, dann in seiner Ausweitung auf Gegenstände der Natur. Der dritte Abschnitt liefert eine analoge Untersuchung zu 'Evolution', ausgehend von den Naturwissenschaften und in der Ausweitung auf kulturelle Phänomene. Im vierten Abschnitt wird eine Verbindung der beiden Begriffe näher betrachtet, die im Sinne einer semantischen Verschränkung wirksam ist und sich unter anderem daraus ergibt, dass das Wort 'Evolution' eine teleologische Konnotation hat, die bei 'Geschichte' nicht vorliegt. Der fünfte Abschnitt schließlich beleuchtet die wissenschaftliche Stellung der Begriffe in der Gegenwart und erwägt die Aussichten ihrer terminologischen Differenzierung.
Trotz der Annäherung der Begriffe 'Geschichte' und 'Evolution' unter dem Vorzeichen einer semantischen Verschiebung kulturellen Kapitals haben sich bis in die Gegenwart auch begriffliche Differenzen erhalten. So gibt es neben der unbekümmerten Anwendung von 'Geschichte' und 'Evolution' auf alle sich in der Zeit verändernden Dinge auch Versuche, die Begriffe terminologisch stark zu machen und in der Folge dessen 'Evolution' für den Bereich der Natur und 'Geschichte' für den der Kultur zu reservieren. Der Beitrag liefert eine historische Rekonstruktion dieser Entwicklung. Am Anfang stehen dabei einige quantitative sprachwissenschaftliche Beobachtungen zur Entwicklung der Häufigkeit der Begriffe in verschiedenen Textgattungen und zur gegenwärtigen Semantik durch einen Vergleich der häufigsten Genitivattribute. Im zweiten Abschnitt wird die Veränderung des Ausdrucks 'Geschichte' untersucht, zunächst in seiner terminologischen Bedeutung in den Geschichtswissenschaften, dann in seiner Ausweitung auf Gegenstände der Natur. Der dritte Abschnitt liefert eine analoge Untersuchung zu 'Evolution', ausgehend von den Naturwissenschaften und in der Ausweitung auf kulturelle Phänomene. Im vierten Abschnitt wird eine Verbindung der beiden Begriffe näher betrachtet, die im Sinne einer semantischen Verschränkung wirksam ist und sich unter anderem daraus ergibt, dass das Wort 'Evolution' eine teleologische Konnotation hat, die bei 'Geschichte' nicht vorliegt. Der fünfte Abschnitt schließlich beleuchtet die wissenschaftliche Stellung der Begriffe in der Gegenwart und erwägt die Aussichten ihrer terminologischen Differenzierung.
In the 20th century, the term "ecosystem" was one of the most important concepts for the biological discipline "ecology." Originally coined by the English botanist Arthur G. Tansley in an article from 1935, it is now a well-established term. The authors of the textbook 'Ecology' write, the ecosystem concept "has become a powerful tool for integrating ecology with other disciplines." But this only addresses the scientific resonance of the term. In the 1970s "ecosystem" also became an important concept for the environmental movement, for the term "ecosystem" describes nature as a whole entity, in which all things are linked together, forming a network of biotic and abiotic factors. In this sense, the "ecosystem" concept also took on a key role in the political ecology discourse. This article begins with a look at the political ecology discourse, and then focuses on the formation of the "ecosystem" concept. The terminological development of the term turns first to the linguistic definition of "ecosystem" before looking how the ecosystem became an established concept by transforming the object "lake" into the scientific object "ecosystem." Sections four and five further pursue the role of the ecosystem concept in the environmental discourse, based on the metaphor of "spaceship earth" on the one hand and of the "closing circle" on the other. Finally, the article contextualizes the "ecosystem" concept in conjunction with Claude Lefort's concept of "the political." As we will see, the political impact of the "ecosystem" concept inheres in the very term itself for it describes a wholeness that human beings are inevitably a part of even as their actions alter or disturb with the ecosystem fundamentally. In other words, human beings are both inside and outside of the "ecosystem" at the same time. This paradoxical situation is inevitably constituted by the concept "ecosystem", which is understood as a (nearly) closed system. Hence solutions to environmental problems aim at reintegrating human beings into the closed circle of the global ecosystem through technical constructions or through adapting to natural processes.
'Innovation', 'Technologie', 'Grundlagenforschung' oder 'Exzellenz' gehören - wie viele andere Schlagworte auch - zum Vokabular, mit dem in unserer Gesellschaft über Wissenschaft, Forschung und Technik kommuniziert wird. Wissenschaftspolitische Expertinnen ebenso wie Laien, die sich auf die eine oder andere Weise mit Wissenschaft und Technik auseinandersetzen, scheinen ein Grundverständnis von dem zu haben, was mit diesen Begriffen gemeint ist. Versucht man sich jedoch an konkreten Deinitionen, so erweist sich das schnell als ein schwieriges Unterfangen. Die Begriffe sind vielschichtig, kontextabhängig und mitunter sehr unscharf. Als Bestandteile unserer wissenschaftspolitischen Sprache sind sie hochgradig normativ aufgeladen und können dabei sowohl negativ als auch positiv konnotiert sein.
Am Ende seiner 'Archäologie der Humanwissenschaften' hat Michel Foucault darauf gewettet, dass der Mensch - diese "junge Erfindung" - "verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand." Gemeint war damit nicht die Möglichkeit der physischen Auslöschung der Gattung, die zur Zeit der Erstveröffentlichung des Buches im Jahre 1966 - unter den Bedingungen des Kalten Krieges - immerhin breit diskutiert wurde. Vielmehr erwartete Foucault eine grundlegende Transformation der Episteme, in deren Gefolge 'der Mensch' seine zentrale Stellung zur Erklärung der Gesellschaft und der Geschichte wieder verlieren würde - eine Depotenzierung und Dezentrierung des Menschen, die Foucault in den Arbeiten von Marx, Nietzsche und Freud angebahnt sah. Die aktuelle Konjunktur des Begriffs 'Anthropozän' verdient vor diesem Hintergrund besondere Beachtung.
Zwischen 'Umwelt' und 'milieu' : zur Begriffsgeschichte von 'environment' in der Evolutionstheorie
(2014)
Wohl kaum ein Begriff ist derzeit ähnlich aufgeladen, belegt und machtvoll wie der des auch ins Deutsche übergehenden 'environment'. Er ist allgegenwärtig, zum theoriestrategischen wie handlungsleitenden Instrument geworden und geht über seine angestammten Fachgebiete im Bereich der Biologie und der Ökologie sowie die Vielfalt umweltpolitischer Programme weit hinaus. Die ersten Schritte auf diesem Weg der Ausweitung, die den Begriff derzeit auf unterschiedlichsten Gebieten plausibel macht, sollen im Folgenden nachvollzogen werden. Dabei wird besonderes Augenmerk auf sein Verhältnis zu zwei benachbarten Begriffen gelegt werden, die zwar häufig zur Übersetzung herangezogen werden, dadurch aber ihre eigene Spezifik und historische Tiefe zu verlieren drohen: 'Umwelt' und 'milieu'. Werden diese drei Ausdrücke füreinander ein- oder gar miteinander gleichgesetzt, vermischen sich ihre in entscheidenden Punkten voneinander abweichenden Theorietraditionen. Ein begriffsgeschichtlicher Blick auf die Etablierung von 'environment' in der britischen Evolutionstheorie des 19. Jahrhunderts soll diese bislang viel zu selten beachteten Komplikationen verständlich machen - angesichts seiner momentanen Ausweitung, in der alle drei Begriffe selbstverständlich zu werden drohen.
Die vielen Tode des Sokrates : zum Schicksal einer Figur der abrahamitischen Religionskulturen
(2011)
Einer der ersten islamischen Philosophen, der sich mit der griechischen Philosophie eingehend befasste, war der iranische Gelehrte Abu al-Hasan al-Amiri (gest. 992). In seiner auf Arabisch verfassten Abhandlung 'Al-Amad ala al-abad' ('Über das Leben nach dem Tod') wird die Thematik des Lebens nach dem Tod auf eine Reihe von Argumenten gestützt, welche die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen suchen. Hierbei beruft sich al-Amiri nicht nur auf Aristoteles, sondern auch auf die Lehren von Empedokles, Pythagoras, Sokrates und Platon, die er in der Einleitung seiner Schrift namentlich erwähnt. Nur diese fünf Denker verdienten es, als die Weisen (al-hukama) bezeichnet zu werden. Auf andere griechische Denker träfe diese Bezeichnung nicht zu, da sich diese nur in einzelnen Wissensbereichen etabliert hätten, ohne grundlegende Kenntnis der Gotteslehre ('al-'ulum al-ilahiya', wörtlich: 'göttliche Wissenschaften'), besessen zu haben. Im al-Amad findet sich auch eine bemerkenswerte, wenn auch äußerst knappe biographische Skizze von Sokrates.