Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, Berlin
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"... die Notwendigkeit, die Werke rascher zu interpretieren" : Musik, Technik und Beschleunigung
(2014)
Die Beschleunigung, die "Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne", dringt in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auch in die Musikästhetik. Die Produktion und Rezeption von Musik verändert sich aufgrund der neuen Medientechniken: Musik wird technisiert, mechanisiert, sie wird reproduzierbar, sie wird global verfügbar. Im Folgenden möchte ich anhand einiger Beispiele veranschaulichen, dass das musikalische Tempo in den musiktheoretischen und musikästhetischen Reflexionen dieser verschiedenen Tendenzen eine zentrale Rolle spielt und dabei die empfundene Beschleunigung der Moderne spiegelt.
Die Frage nach Zugehörigkeit und infolgedessen nach Vereinbarkeit, vielmehr Unvereinbarkeit, von laizistischer und individualistischer Gesinnung mit einer religiös und tribal geprägten Gesellschaft stellen einen zentralen Aspekt im Theater von Lina Saneh und Rabih Mroué dar. Beide Künstler beziehen eine explizit anti-konfessionelle Position bei der Analyse und Kritik der libanesischen Geschichte und der Zerrissenheit ihrer Gesellschaft, in der Religion und Politik sich überlagern. Dies führt zu dem paradoxen Phänomen einer konfessionell geprägten und organisierten Demokratie, die den zivilen Personenstatus in die Hände der religiösen Autoritäten legt und somit dem Einzelnen wenig Entscheidungsfreiheit in Bezug auf individuelle Lebensentwürfe und alternative Zugehörigkeiten jenseits der vorgegebenen Grenzen einräumt. Welche Möglichkeiten hat das Individuum sich der Hegemonie der Gruppe zu entziehen, sein Anders-Sein und Anders-Denken zu leben und öffentlich zu vertreten? Welchen Status hat ein Künstler in einem Land, dessen innen- und außenpolitische Fragilität sowie latente und akute Konflikte einen lähmenden Zustand der "Suspension" hervorrufen, in dem Kultur zur Nebensache wird und Kunst bestenfalls als Zeitvertreib einiger weniger realitätsferner Idealisten angesehen wird? Welche Rolle schließlich spielt Kunst in einer Gesellschaft, die sich mit einem Bein im existentiellen Chaos, mit dem anderen in einer artifiziellen Hyperkonsumwelt befindet, in einer Realität, die sich zwischen einer mystisch erhöhten Vergangenheit und dem Glücksversprechen einer unmittelbar konsumierbaren Zukunft zerreibt?
"...indem die Tage rollen..." : Zeit, Recht und 'Klassik' in Goethes "Die Natürliche Tochter"
(2020)
Der Beitrag geht von der These aus, dass Goethes Arbeit an der 'klassischen' Dramenform sich einer tieferen Einsicht in die zeitliche wie rechtliche Problematik der 'tragédie classique' verdankt als allgemein angenommen. Dabei dürfte es maßgeblich die Französische Revolution gewesen sein, die eine neue Attraktivität der 'alten' Form bewirkte. Das zeigt sich vor allem an "Die Natürliche Tochter", einem Stück, in dessen Entstehungszeit nicht zufällig Goethes Übersetzungen zweier Dramen Voltaires fallen. Figurationen politischer Gründung und Legitimation bildeten das Zentrum des 'klassischen' Dramas bereits bei Corneille und stellten es zuverlässig auf eine um 1800 für konservative Autoren aktuelle Zerreißprobe. Die forciert gelassene Präsentation legitimer Herrschaft unter der Berufung auf Zeitkontinuität und lang währende 'Gewohnheiten' stand in der 'tragédie classique' nämlich in massiver Spannung zur normativen Forderung der 'Einheit' der Zeit, die das Drama auf eine disziplinierte Zeitökonomie und idealerweise sogar auf die Synchronisierung von dargestellter Zeit und Zeit der Darstellung verpflichtete. Dort, wo Corneille solche Spannungen entweder zu kaschieren oder politisch zu nutzen versuchte, reißt Goethe in "Die Natürliche Tochter" zwischen Figurenrede und Dramaturgie eine unüberwindbare Kluft und lässt ursprüngliche Funktionen der 'klassischen' Zeitökonomie konsequent leerlaufen. Sein Drama betreibt demnach keine restaurative Formpolitik, sondern führt die historische Uneinholbarkeit der 'klassischen' Form angesichts zeitgenössischer politischer Entwicklungen vor.
In Matthias Däumers Beitrag zum altjüdischen "Wächterbuch" (dem ersten Teil des äthiopischen Henoch-Pentateuchs) werden die Bedingungen untersucht, unter welchen ein Jenseitsreisender zum Zeugen werden kann. In der dargestellten Konstellation wird Henoch Zeuge einer schwer vermittelbaren Erfahrung, der des Sheol, bei der er von einem Engel als Zeugenschaftshelfer geleitet wird. Es erweist sich, dass die Konstellation 'Jenseitsreise mit begleitendem Zeugenschaftshelfer' später zum Modell für weitaus literarischere Jenseitsbegegnungen wird, wie zum Beispiel jener in Dantes "Commedia". Aus diesem Wandel vom religiösen zum literarischen Text ergibt sich aber auch rückwirkend und damit systematisch, dass die spezifische Zeugenschaftskonstellation der Jenseitsreisen generell als Reflexion (profan-)medialer Bedingungen gesehen werden kann. Der Zeugenschaftshelfer ist nicht nur eine authentifizierende, dem bereisten Ort immanente Figur, sondern Mittlerfigur des mit dem Ort verbundenen Wissens, das in der Jenseitsreise entweder nicht direkt sichtbar oder nicht direkt verstehbar ist. Damit aber wird der Engel zum Kristallisationspunkt der allgemeinen medialen Bedingungen von Zeugenschaft - und Literatur.
Auch wenn in der Nachfolge der Aufklärung sowie mit dem Siegeszug der modernen Naturwissenschaften eine Verlustgeschichte des Transzendenzwunders geschrieben wurde und Max Weber in seinem vielzitierten Diktum von 1917 die moderne Welt als 'entzaubert' deklarierte, entpuppte sich das vermeintlich vormoderne Phänomen des Wunders in der literarischen Moderne als Reflexionsgegenstand verschiedener Fachdisziplinen. Gleichzeitig erlebte das Wunder im Drama und Theater der Moderne eine Renaissance: Jener "clamor for miracles", so George Bernard Shaw in seinem Vorwort zu 'Androcles and the Lion', wird im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts in England nicht nur diskursiv verhandelt, sondern für das Publikum durchaus bühnenwirksam eingesetzt, wie ich im Folgenden erläutern möchte.
1996 gab es auf dem jährlich in Bologna stattfindenden Festival 'Il Cinema Ritrovato' eine Retrospektive zu Rudolph Valentino. In meinen Aufzeichnungen finde ich den Eindruck von Valentino in 'Camille' notiert. Ich erinnere mich, wie ich hingerissen, ergriffen war von einer Geste des Sich-fallen-Lassens vor der Geliebten, an der Geliebten. Eine Geste, von der ich versuchsweise sagen könnte, dass sich in ihr absolute Verehrung und vollständige physische Hingabe mischen. Doch ist jede Deutung unzureichend, denn die Geste ergreift mich schließlich ganz physisch, wird in der Ergriffenheit unbegreiflich. Ich suchte das damals notierte Phänomen auf einer kümmerlichen DVD-Reproduktion des Films wieder auf. Es ist der Moment, da sich der Held des Films, Armand/Valentino, aus seiner Befangenheit in noch unerwiderter Liebe auf einmal löst - jedoch eben nicht, um zu handeln, vielmehr um sich erschütternd in seiner Ohnmacht zu offenbaren. Wenn er Marguerites/Nazimovas Knie unter dem kostbaren Stoff des Kleides umfasst, den Kopf an diesen Schleier über der Haut lehnt oder schmiegt, dann hat er in der Bewegung zuvor schon auf unerhörte Weise unbedingtes erotisches Verlangen mitgeteilt. Derart ist dieser Körper, diese männliche Person, die wir sehen, dem Begehren ausgeliefert, dass jeder Akt unmöglich wird. Wohin sollte er sich auch richten? Nach außen, auf die Frau, oder auf dies Ungeheure im Innern? Was bleibt, ist das Sich-fallen-Lassen in die Passivität, in ein Niedergleiten an der Oberfläche von Marguerite, das zugleich ein Hineingleiten in das eigene Innerste ist. 'A fallen man' - der Film verweilt bei dem hingegebenen Valentino. Das löst eine Fülle von Assoziationen aus: Ein Geschlechterwechsel scheint auf - nicht die Frau, der Mann gibt sich hin, wird ein Gefallener, prostituiert sich als Schauspieler (etwas, was Fans wie Kritiker an Valentino bemerkt haben) -, ebenso erscheint eine Empathie des Mannes mit der Prostituierten. Im Kino, anders als in Alexandre Dumas' Roman, teilt sich die Anteilnahme nicht durch viele Worte mit, sondern durch Mimesis.
Die naturwissenschaftlichen Diskurse des 19. Jahrhunderts sprachen neben den 'Bildern' von einer ganzen Reihe weiterer Dinge, welche Wissensgegenstände repräsentieren konnten, auch ohne Modelle im damaligen Sinn zu sein. Weite Verbreitung fanden im 19. Jahrhundert in dieser Funktion insbesondere die Begriffe der 'Analogien', 'Interpretationen' und der 'Systeme' von wirklichen oder gedachten Dingen. Die Beispiele, die mit solchen Begriffen verbunden waren, sind häufig für die Wissenschaftsentwicklung von substanzieller Bedeutung gewesen. Sie stehen aber, wie ich im Folgenden andeuten möchte, für ganz unterschiedliche Formen und Funktionen der abstrakten Repräsentation. Den Begriff 'abstrakte Repräsentation' verwende ich hierbei etwas vage und naiv als schlichten Oberbegriff für verschiedene Weisen, einen Komplex von wissenschaftlich interessierenden Dingen oder Sachverhalten durch etwas anderes darzustellen und für die wissenschaftliche Praxis zu thematisieren, ohne dabei auf materielle, anfassbare Dinge zurückzugreifen, wie dies die 'Modelle' in der Sprache des 19. Jahrhunderts taten. Zugleich soll dadurch ('pace' Wittgenstein und unangesehen der inflationären Verwendung des Modellbegriffs seit Mitte des 20. Jahrhunderts) vermieden werden, vorschnell von einem 'Denken in Modellen' zu reden. Wir werden noch sehen, dass die in Rede stehenden, abstrakten Repräsentationen bisweilen sehr konkrete epistemische Funktionen hatten. Das Wort 'abstrakt' sollte hier also nicht überbewertet werden. Insbesondere möchte ich im Folgenden jeweils die spezifische 'epistemische Situation' charakterisieren, d.h. die Besonderheiten der Wissensumstände, in welchen der Rückgriff auf eine Form der abstrakten Repräsentation geschah und den Beteiligten vielversprechend erschien.
Der Titel der Tagung lautet 'Erich Rothacker und die Begriffsgeschichte' – ihr eigentliches Thema aber ist 'Erich Rothacker, die Begriffsgeschichte und die Philosophische Anthropologie'. Tatsächlich handeln viele der Vorträge über Rothackers Anthropologie, und es scheint, auch im Lichte der bislang unveröffentlichten Dokumente, als wäre dies das zentrale Thema: Rothackers Begriffsgeschichtsschreibung und die philosophische Anthropologie, genauer: die Frage nach dem Verhältnis von Begriffsgeschichte und Anthropologie. Die Frage, einmal so zugespitzt, verlangt sogleich nach Erweiterung, und zwar mehrfacher: das begriffsgeschichtliche Projekt Rothackers steht erstens im Zusammenhang der Frage nach der Begründung der Geisteswissenschaften und ihrer Einheit. Insofern stellt sich die Frage nach der Verhältnisbestimmung von anthropologischem Ansatz und dem übergreifenden begriffsgeschichtlich-geistesgeschichtlichen Projekt. Konkurrieren in einem Oeuvre verschiedene Ansätze – und das ist für Rothackers Werk festzustellen –, so fragt sich zweitens, welche Funktion sie in werkgeschichtlicher Perspektive haben. Entsprechend ist im Falle Rothackers die Frage nach der Verhältnisbestimmung von philosophischer Anthropologie und Begriffsgeschichte zuzuspitzen zur Frage nach der 'systematischen Funktion' des anthropologischen Ansatzes für die konkurrierenden, hier: begriffsgeschichtlichen und geistesgeschichtlichen Ansätze.
Die komplexe und diffizile Frage, der im vorliegenden Beitrag nachgegangen werden soll, ist die nach Heines Eigenschaft als Selbstübersetzer, womit das Hauptaugenmerk auf die sprachlichen d. h. mehrsprachigen Grundlagen seiner Vermittlungstätigkeit gerichtet wird. Denn die Bezeichnung Heines als Selbstübersetzer kann im Gegensatz zur Assoziierung mit dem Begriff des Kulturtransfers durchaus überraschen. Mit Heines Sprachkompetenz im Französischen und dem auktorialen Status seiner französischen Schriften werden Forschungsfragen berührt, die in der Heine-Kritik von ihren Anfängen bis heute durchaus kontrovers diskutiert werden. In diesem Zusammenhang wäre auch nachzudenken über den für die Analyse von Heines Schreib- und Veröffentlichungspraxis relevanten Begriff von Übersetzung bzw. Selbstübersetzung. Kann man im Falle Heines wirklich von einem alleinigen deutschen Original sprechen und den französischen Fassungen seiner Schriften - wie oft geschehen - einen bloß sekundären Status zuweisen? In diesem Problemzusammenhang spielt neben den textgenetischen und sprachlich-translatorischen Aspekten auch die Perspektive der Selbstdarstellung bzw. Selbstvermarktung des Dichters eine bedeutende Rolle, insofern man bei Heine von einer regelrechten Inszenierung als zweisprachigem Autor reden kann. Die von mir im Folgenden vertretene These wird hierbei lauten, dass Heinrich Heines durchaus fragwürdiger Status als Selbstübersetzer über normative Übersetzungs- und Sprachkompetenzkriterien hinaus vor allem als doppelte - d. h. binationale und zweisprachige - 'auctoritas' aufzufassen ist. Anders gesagt: Über die komplexe Frage der Textgenese hinaus soll die von Heine bewusst eingenommene Rolle als direkter Akteur zweier nationaler Wissenssysteme betont werden. Unter diesem Blickwinkel wird nicht zuletzt ein bemerkenswerter Nexus zwischen den vermittelten Wissensinhalten und deren sprachlichem Transfer sichtbar. So soll gezeigt werden, dass Heines dezidiert antinationalistisches, kosmopolitisches und universalistisches Denken zwischen Deutschland und Frankreich seine formale Entsprechung in einer interlingualen Wissenszirkulation zwischen der deutschen und der französischen Sprache findet, in deren Medium die von ihm entwickelten und vermittelten Theorien und Thesen prozessual entwickelt und weitergeschrieben werden. Eine solche Sichtweise auf Heine als translingualen Schriftsteller wurde bisher nicht immer ausreichend von der Forschung berücksichtigt und gewürdigt. Wie allgemein im Zusammenhang mit bikulturellen und bilingualen Autoren sowie sprachlich hybriden Schreibverfahren wird man mit blinden Flecken der Forschung und nationalphilologischen Widerständen konfrontiert, die eine mehr oder weniger symbolische 'Vereinsprachigung' von Heines Werken befördern oder implizieren. Dieser Umstand betrifft nicht nur die deutsche Heine-Rezeption, sondern ist bedauerlicherweise auch in der interkulturell aufgestellten französischen Germanistik der jüngeren Zeit zu beobachten, wie ich in einem abschließenden Exkurs zeigen möchte.
Für die Mitte des 18. Jahrhunderts wurde ein umfassender Wandel im Bereich des Stilverständnisses konstatiert, das ab 1750 von zwei gegensätzlichen Stilbegriffen geprägt ist: einem traditionell rhetorischen einerseits und einem sich neu etablierenden Individualstil andererseits. Der Beitrag versucht, mit einem Schlaglicht auf das Frühwerk Johann Georg Hamanns ("Sokratische Denkwürdigkeiten" und "Wolken") diesen für das Verständnis der stilgeschichtlichen Umbrüche zentralen Autor im skizzierten Diskursfeld zu verorten. Ein näherer Blick auf Hamanns sokratische Schreibart erlaubt es, die geläufige Rollenzuschreibung, die in Hamann vor allem einen Wegbereiter des Individualstils erkennt, zu problematisieren und ein Paradox herauszuarbeiten: Die Entwicklung zum Individualstil beginnt im Falle von Hamanns ironisch verstellter Maskenrede mit einer radikalen Depotenzierung der Autorinstanz.
"Auflösung des Judentums" : zu einem literaturwissenschaftlichen Großprojekt Friedrich Gundolfs
(2015)
Von seiner jüdischen Herkunft trägt das wissenschaftliche Werk Gundolfs keine merklichen Spuren. Im Gegenteil hat er solche Spuren systematisch verwischt. Völlig unkenntlich sind sie damit allerdings nicht geworden. Zwischen den Zeilen prägt just sein 'abgelegtes' Judentum wesentliche Teile von Gundolfs Wissenschaftskonzeption, so auch deren sprachliche Verfasstheit und den Zuschnitt ihrer wichtigsten Gegenstände. Auf der Grundlage dieser Annahme will ich im Folgenden ein paar Schlaglichter auf einige wenige, sehr wohl aber repräsentative Gundolf'sche Texte werfen. In Augenschein zu nehmen sind dabei zwei Themenkomplexe: Erstens Gundolfs Vorstellungen von Literatur, Heldentum und Geschichtsphilosophie, die einen zutiefst apolitischen Geschichtsbegriff zu erkennen geben, der ein Phänomen wie die deutsch-jüdische Geschichte nicht mehr erzählbar macht, der v. a. aber die Huldigung eines Kunstideals impliziert, das als heidnisch-christliche Symbiose imaginiert wird. In diesem Kontext wird durchgehend auch die Frage nach den Implikationen einer Wissenschaftsprosa virulent, die sich als performative Umsetzung eines Heldenkultes und säkularen Gottesdienstes begreift und die das Judentum religiös, historisch und kulturell gleichermaßen zur Leerstelle macht. Zweitens Gundolfs Konzeption des 'deutschen Geistes', wie sie prominent bereits im Titel seiner bekannten Habilitationsschrift 'Shakespeare und der deutsche Geist' aus dem Jahr 1911 auftaucht. Es ist in erster Linie die dezidiert transnationale Anlage des 'Deutschtums', die es hier zu analysieren gilt.
Birgit Griesecke wendet sich einem Aphorismus Georg Christoph Lichtenbergs und dessen späterem Stellenwert in der Sprachphilosophie Ludwig Wittgensteins zu. Wenn Lichtenberg die Philosophie als "Berichtigung des Sprachgebrauchs" verstanden wissen wolle, bette er diese Idee in eine Satzkonstruktion ein, die "aus einem rhetorischen Manöver ein Erkenntnisinstrument macht", indem sie performativ gerade unterschiedliche Sprachgebräuche in Szene setze. Komme der Aphorismus Lichtenbergs Sprachdenken entgegen, so kündige Wittgenstein diese Form über ein Zitationsverfahren, das nicht auf Pointierung, sondern auf Reihung ziele, unter der Hand wieder auf. In seinem "Experimentalsinn" stehe Wittgenstein Lichtenberg freilich nicht nach.
So wie alle anderen Ebenen der Inszenierung wird auch die Kleidung zum Mittel im Kampf um die Aufmerksamkeit der Zuschauer - schließlich gilt es, im Wettstreit mit etwa 25 Konkurrenten zu beeindrucken und in Erinnerung zu bleiben. Die Auftritte bestehen daher zumeist aus Performances, die bis auf Sekundenbruchteile präzise durchchoreografiert sind, in denen nicht nur das Geschehen auf der Bühne, sondern auch die Vermittlung an den Fernsehzuschauer - jede Kameraeinstellung, jeder Schnitt - exakt vorgeplant ist. Dabei darf jeder Auftritt nach aktuellem Regelwerk maximal drei Minuten dauern. Kein Wunder, dass Trickkleider unter diesen Bedingungen relativ häufig zum Einsatz kommen. Schließlich bilden sie eine Möglichkeit, in dieser kurzen Dauer der Performance durch eine überraschende Veränderung im Aussehen der Künstler für einen besonderen Effekt zu sorgen.
Als Hinführung zum Phänomen der Gesichtsauflösungen sollen schlagwortartig zwei hinlänglich bekannte Diskurse gegenübergestellt werden, die einander mehr als 200 Jahre trennen und konträre epistemische sowie ästhetische Programme repräsentieren. Dieser kurze Rekurs wird unternommen, weil beide Aussagewelten symptomatisch für zwei Haltungen zum Gesicht sind, aus denen Fragen zur Darstellbarkeit bzw. Wahrnehmbarkeit und schlussendlich zu Konzepten des Subjekts folgen. Auch wenn beide Diskurse die Male ihrer historischen Entstehungskontexte aufweisen, so sprechen sie in gleichem Maße von Gegebenheiten, die noch heute die mediale und ästhetische Wirklichkeit betreffen. Das Ziel dieses Vorgehens ist es, in der Zusammenfassung beider Haltungen eine Blindstelle aufscheinen zu lassen, die die Frage der Interpretation von Gesichtsrepräsentationen berührt. Die Gegenstände der Untersuchung entstammen der Performance- und Medienkunst.
Wie die Literatur- und Theoriegeschichte zeigt, wurde das Dämonische im Gefolge von Goethe auf wirkmächtige Weise von den Dämonen entkoppelt. Walter Benjamin brachte vor diesem Hintergrund E. T. A. Hoffmann ins Spiel, einen Schriftsteller, dessen "fieberhafte Träume" Goethe verschmähte. Unter dem Titel "Das dämonische Berlin" sprach Benjamin im Februar 1930 in der Kinderstunde des Berliner Rundfunks über Hoffmann als Dichter der Großstadt. Obwohl das Wort "dämonisch" nur im Titel fällt, eröffnet der Vortrag eine neue Sicht auf das post-goethesche Dämonische, denn die Medialität des Dämonischen wird darin auf mehreren Ebenen reflektiert, die das Radio selbst involvieren.
Walter Benjamin schlug vor, den Pessimismus in der geschichtlichen Welt zu organisieren, indem man im Hohlraum unseres "politischen Handelns" selbst einen "Bildraum" entdeckt. Diese Vorstellung betrifft die unreine Zeitlichkeit unseres geschichtlichen Lebens, die weder vollendete Zerstörung noch beginnende Erlösung umfasst. In diesem Sinne ist auch das Nachleben der Bilder zu verstehen, seine fundamentale Immanenz: weder als Nichtigkeit noch als Fülle, weder als jedem Gedächtnis vorausgehende Quelle noch als jeder Katastrophe nachfolgender Horizont, sondern als ihnen eignende Ressource, Ressource des Begehrens und der Erfahrung im Hohlraum selbst unserer unmittelbarsten Entscheidungen, unseres alltäglichsten Lebens.
Auf die als Zürcher Literaturstreit bekannt gewordene philosophisch-ästhetische Heiterkeitsdebatte um Emil Staiger Ende der 1960er Jahre folgte 1982 erneut eine Auseinandersetzung um die Möglichkeiten heiterer Literatur. Den Beginn der neuen Heiterkeitsdebatte in den 1980er Jahren bildet Hans-Jürgen Heises in der Wochenzeitung "Die Zeit" veröffentlichte Klage über die "Übellaunigkeit" der gegenwärtigen Poesie, in der er die "lebenszugewandten und sinnfrohen Verlautbarungen" vermisst. Autoren wie Günter Kunert, Peter Härtling, Karl Krolow, Michael Krüger und Adolf Muschg reagieren kritisch auf diese 'neue' Forderung nach mehr Fröhlichkeit in der Dichtung. In einer rekonstruierenden und kontextualisierenden Untersuchung wird der Frage nachgegangen, ob und inwiefern sich die Argumente der neuen Heiterkeitsdebatte von denen des durch Staigers Forderungen ausgelösten Zürcher Literaturstreits unterscheiden. Damit verbunden ist die These, dass Heiterkeit wieder nur als feuilletonistischer 'Kampfbegriff' verwendet wird, der eine differenzierte Sicht auf Heiterkeit als ästhetische Kategorie letztlich verstellt und die der Debatte eigentlich zugrundeliegende Frage nach dem Verhältnis von Lyrik und Gesellschaft unbeantwortet lässt.
'Der Angriff der Gegenwart auf die übrige Zeit', dieser Titel sowohl eines Films von Alexander Kluge aus dem Jahr 1985 als auch eines Songs der Hamburger Pop-Band 'Blumfeld' von 1992, scheint einen zentralen Aspekt einer weit verbreiteten soziokulturellen Problemwahrnehmung des 20. Jahrhunderts auf den Punkt zu bringen. Die zeitgenössische Verhandlung dieses Problems soll in den folgenden Ausführungen für die theoretische Rahmenerzählung einer Genese der Historischen Semantik nutzbar gemacht werden.
"Der Beredsamkeit der Sieger den Hals umdrehen" : jüdischer Humor als Strategie zum Überleben
(2011)
Es ist kein Zufall, dass Freud ausgerechnet in der ostjüdischen Kultur ein Arsenal an Witzen entdeckt, entlang dessen er Witz-Techniken und ihre psychische Begründung darstellt. Die Vehemenz, mit der er den Umstand, dass es sich bei seinen Beispielen hauptsächlich um Witze aus der Kultur der Ostjuden handelt, als nebensächlich und erklärungsbedürftig zugleich kennzeichnet, um ihn dann aber doch weitgehend unbegründet zu lassen, legt die Annahme einer hier verschwiegenen Beziehung zwischen der Besonderheit des Witzes und jener "Herkunft" gerade nahe. In 'welchem' Verhältnis aber stehen Witz und Humor zur jüdischen Überlieferungskultur? Eine Frage, die sich auch Rabbiner und Philosophen stellten, darunter Marc Alain Ouaknin, dessen Reflexionen zum jüdischen Humor dieser Beitrag grundlegende Impulse verdankt. Seine Beobachtung einer methodischen Nähe zwischen Textstrategien von Talmud und Midrasch und gewissen Techniken des jüdischen Witzes lässt sich leicht erweitern zu der Annahme einer Koinzidenz von einem in diesen Witzen zeichenstrategisch und thematisch auftauchenden Verständnis jüdischer Überlieferungsdynamik und Vorstellungen des Zusammenhangs von Interpretation und Sinnerneuerung, wie sie in jenen Quellen der jüdischen Tradition gründen. Den Ort der Witze und humorvollen Anekdoten, von denen hier die Rede sein wird, kennzeichnen nun mindestens zwei besondere Situationen: Sie entspringen den unmittelbaren Erfahrungen jüdischen Lebens in Osteuropa, das bereits vor seiner Vernichtung fortwährend mit wechselnden Verfolgungs- und Unterdrückungssituationen konfrontiert war, und dem Kontinuum seiner kulturellen und religiösen Herkunft und Tradition.