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Das 1814 bei der Wiener Polizeihofstelle eingereichte "lokale Lustspiel" Modeschwindel verdient Interesse sicherlich nicht wegen seiner Ästhetik oder Dramaturgie - man hat es mit einem reichlich lang, geradezu geschwätzig geratenen Verwechslungsstück mit allerlei verwandtschaftlichem und amourösem Verwirrspiel und doppeltem Heiratsschluss zu tun. Und auch die Komik ist mehr als ausgedünnt: So enthält das Stück weder eine Lustige Person noch deren mehrere, und die situationskomischen Szenen beschränken sich auf jene wenigen, in denen sich der Filou und Theaterdichter Seicht verstecken muss. Die Komik ist vielmehr auf die männlichen und weiblichen Parvenüs abgestellt, die mittels satirischer Verzerrung der Lächerlichkeit preisgegeben werden. Interesse verdient es freilich wegen zweier Besonderheiten: der ausufernden Streichungen durch den Zensor sowie der detailfreudigen Inszenierung von Lebensstilen bzw. Habitusformen im Wien des beginnenden 19. Jahrhunderts. Ins satirische Visier geraten nämlich die Moden und Marotten von Parvenüs, die ihren sozialen Aufstieg betrügerischen Finanzspekulationen verdanken; von ihren ebenso raffgierigen wie niederträchtigen Ehegattinnen, die das erborgte oder erschlichene Geld mit vollen Händen ausgeben und sich damit auch noch einen Galan halten; von ehrgeizzerfressenen Kleinbürgern und Handwerkern, die ihren Söhnen Ehren und Titel erkaufen wollen. Das Stück bietet nichts weniger als ein Bild historischer Soziologie. Es sind nicht nur Zerrbilder allgemeinmenschlicher Torheiten oder deren Personifikationen, welche die Schärfe der satirischen Klinge zu spüren bekommen, sondern ansatzweise psychologisch und soziologisch konturierte Repräsentanten ihres Geschlechts, ihres Alters, vor allem jedoch ihres Standes und ihres Berufs. Gemessen an den Schemata der alten Typenkomödie bietet Modeschwindel eine Satire, die die Figuren ständisch-sozial verortet und derart die Geschichte motiviert.
Was einen "Edlen Verbrecher" ausmache, aus welchen habituellen oder biografischen Attributen er sich charakteristischerweise zusammensetze und welche Funktionen ihm als Sozialtyp, Männlichkeitskonzept und Heros der Literatur und des Dramas, des Marionettentheaters und des Volkslieds zukommen können, fesselte die Kulturgeschichtsschreibung bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. [...] An Typologien des Edlen Verbrechers als eines politik-, sozial- und psychohistorisch ausdeutbaren Fluchtpunkts kollektiver Phantasien mangelt es nicht. Sieht man genauer hin: nicht auf den ewiggleichen Typ, sondern auf dessen Modifizierung, Perspektivierung und Modellierung, kurzum: auf dessen Diskursivierung, bietet der edle Delinquent nichts weniger als eine einheitliche Moral oder Psychologie, sei sie nun idealisierend, kriminalisierend oder, wie im populären Marionettentheater üblich, komisierend. So spricht vieles dafür, dass die literarischen Gattungen und nicht-literarischen Textsorten - also all die Protokolle und "Aktenmäßigen Geschichten", Anekdoten und Lieder, Novellen und Romane, Laientheater- und Marionettentheaterstücke - die Typenbildung ganz unterschiedlich prägten beziehungsweise voneinander abweichende Typen mit differenten Biographien hervorbrachten. Womöglich bewohnt der historisch-anekdotische, der epische, lyrische und theatrale Schinderhannes im 19. Jahrhundert gar nicht jenes eine Haus des Edlen Verbrechers, das ihm die Geistes- und Kulturwissenschaften gebaut und zugewiesen haben? Und womöglich ist er weder als Figur noch überhaupt als Typus, sondern bloß als Name anzusehen, dem wechselnde Diskurse kriminalistischer, pädagogischer, moralischer, künstlerischer Ausrichtung wechselnde Bedeutungen, Funktionen und Plätze im kollektiven Gedächtnis wechselnder Gruppen gaben? [...] In der Folge soll die im 19. Jahrhundert von Anekdotik, Lied und (Marionetten-)Theater konstruierte fiktive Kollektivbiographie des Schinderhannes Johannes Bückler textsortenspezifisch re-vidiert und in eine Soziobiographie aus Dichtung und Wahrheit übergeführt werden.
Eveline Thalmann: Bertha von Suttner - eine Soziologin? - Bertha von Suttner: Soziologie und Politik - Der Jugendunterricht - Die Dummheit - Ein Wort an die antisemitischen Frauen - Die Frauen - Das Ideal eines Konservativen - Der Zeitgeist - Litteratur, Kunst und Wissenschaft - Eveline Thalmann: Personenverzeichnis - Beatrix Müller-Kampel: Bertha von Suttner : Internationale Bibliographie der Sekundärliteratur
Nachdem der erste große Krieg der Moderne Ende Juli 1914 seinen Anfang genommen hatte und innerhalb weniger Monate immer mehr Nationen in ein Kampfgeschehen von bis dahin unerreichtem Ausmaß eingetreten waren, ließ es sich – so wird in ausgewählten Puppenspielen der Zeit berichtet – alsbald auch ein altbekannter Spaßmacher und berühmtberüchtigter Spitzbub nicht nehmen, im weltumspannenden Kriegsgetümmel mitzumischen. Mit dem Kasper(l) unserer Tage, der wohl in vielen Menschen kraft seiner herzerwärmenden Kindlichkeit und seiner schalkhaften Harmlosigkeit Assoziationen an die eigene Kindheit hervorruft, hat der Lustigmacher des Ersten Weltkriegs wenig gemeinsam. Vorausgeschickt sei an dieser Stelle ein wesentlicher Aspekt: beim Kriegskasper(l) der Jahre 1914 bis 1918 handelt es sich nicht um eine für ein Kinderpublikum konzipierte Figur. In weiterer Folge differieren beispielsweise die Inhalte, die Figurenkonzeption oder die Darstellungsmittel in erheblicher, ja mitunter frappierender Weise von dem, was der unbedarfte Rezipient von heute sich vermutlich von einem Kasper(l)theater erwarten würde. Zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschungen wurde der Spaßmacher des Ersten Weltkriegs allerdings äußerst selten erklärt: Sowohl die Literatur-, die Theater- und die Sprachwissenschaften als auch die historisch-volkskundlichen Disziplinen schenkten diesem Randphänomen des Literatur- und Kulturbetriebs bisher spärlich Beachtung. [...] Programm und zugleich Ziel dieser Masterarbeit ist eine Annäherung an das Phänomen des Kasper(l)s der Weltkriegszeit auf mehreren Ebenen unter Rückgriff auf ein interdisziplinäres Instrumentarium, wobei der philologische Zugang zu den Primärtexten durch die zusätzliche Einbeziehung sozialhistorischer wie auch soziologischer Theorien und Methoden maßgeblich bereichert werden kann. Diese fächerübergreifende Herangehensweise wurde gewählt, da die Kasper(l)stücke der Weltkriegsjahre 1914 bis 1918 eine Fülle von Anspielungen auf politische Ereignisse und soziale Zustände in sich bergen wie auch auf ihre sehr spezifische Weise die Gesellschaft bzw. die nationale Gemeinschaft der damaligen Zeit samt ihren Charakteristika, Anforderungen und Problemen widerspiegeln.
Jennyfer Großauer-Zöbinger: Das Leopoldstädter Theater (1781–1806) : sozialgeschichtliche und soziologische Verortungen eines Erfolgsmodells - Andrea Brandner-Kapfer: Kasperls komisches Habit : zur komischen Gestalt und zur Gestaltung der Komik in Erfolgsstücken des Leopoldstädter Theaters um 1800 - Beatrix Müller-Kampel: Kasperl unter Kontrolle : zivilisations- und politikgeschichtliche Aspekte der Lustigen Figur um 1800