Forum Interdisziplinäre Begriffsgeschichte. 1. Jahrgang [Heft] 2
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Biologen gehören in den Schriften Erich Rothackers zu den viel zitierten Autoren. Darunter befinden sich die Hauptvertreter des Holismus in Deutschland, der Begründer der biologischen Systemtheorie, sowie die Väter der Philosophischen Anthropologie und der Vergleichenden Verhaltensforschung. Auffallend ist allerdings das Fehlen von Evolutionsbiologen. Es erscheint kaum ein Bezug auf Darwin oder Haeckel, geschweige denn auf die zeitgenössischen Gründerväter der Synthetischen Theorie der Evolution, und daneben auch nicht auf experimentell in der Genetik oder Entwicklungsbiologie verankerte Biologen. Kennzeichnend für die Biologierezeption Rothackers ist eine auf Individuen zentrierte Sicht biologischer Theorien. Die großen Revolutionen der Biologie in der Genetik und Evolutionsbiologie, die auf anderen Untersuchungsebenen beruhen, nämlich der subindividuellen Ebene der Gene und der supraindividuellen Ebene der Populationen, kommen damit nicht in den Blick.
Von den Schreiben, die Erich Rothacker und der Romanist Erich Auerbach (1892–1957) gewechselt haben, sind insgesamt siebenundzwanzig - achtzehn Briefe und neun Postkarten - erhalten. Sie stammen allesamt aus dem Zeitraum vom 1925 bis 1933 und von der Hand Auerbachs. Die Schreiben befinden sich im literarischen Nachlass von Rothacker an der Universitätsbibliothek Bonn und sind zu wissenschaftlichen Zwecken ohne Umstände einsehbar.
Erich Rothackers Projekt einer Begriffsgeschichte, wie er es 1927 in seiner Rezension von Rudolf Eislers "Wörterbuch der philosophischen Begriffe" in groben Zügen skizziert hat, wird nur vor dem Hintergrund der geisteswissenschaftlichen Grundlagendiskussion der 1920er Jahre verständlich. Darin liegt allerdings auch die zunächst vielleicht nicht vermutete Aktualität dieses Vorhabens. Die Genealogie der Begriffe ist bei Rothacker zugleich die Suche nach dem "Schema des produktiven Lebens selber", das er in der 1926 erschienenen "Logik und Systematik der Geisteswissenschaften", den Wissenschaften vom Menschen zugrundelegt. Mit dieser Fragestellung folgt er, wie unschwer zu erkennen ist, dem Anliegen von Wilhelm Diltheys Weltanschauungslehre. Mit seinen Studien zu einer "Genealogie des menschlichen Weltbewusstseins" hat Rothacker dieses Projekt nach dem 2. Weltkrieg wieder aufgenommen. Seine dazwischen liegenden geschichtsphilosophischen und kulturanthropologischen Arbeiten entfalten das Thema Produktivität als eine Art "Typologie der kognitiven Kräfte", wie sie Michael Landmann in einem ähnlichen Zusammenhang einmal bezeichnet hat.