Jahrbuch / FVF, Forum Vormärz Forschung - 18.2012
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Esther Kilchmann erläutert und diskutiert Motive und Motivationen Heinrich Heines, Bilder von Hellas in Gedichten zu reformulieren. Wendet sich die Literatur des Vormärz explizit von der Autonomieästhetik und ihrem prägenden Hellenismus-Bezug ab, so stellt sich die Frage, inwiefern sich der neue, politische Griechenlandbezug produktiv mit der Suche nach neuen Formen von Literatur nach dem "Ende der Kunst" verbinden kann. "Griechenland" ist hier als literarischer Schauplatz zu betrachten, an dem im Vormärz neue kunstphilosophische Paradigmen in Bezug zu überkommenen ästhetischen Normen verhandelt werden. Aktuelle politische Bestrebungen in Deutschland wie in Griechenland werden dabei mit dem Hellenismus der deutschen Klassik und antiken Topoi überblendet. Bezüge auf Hellas gewinnen in Abwendung von klassischer Ästhetik eine neue Funktion für den aktuellen politischen Kontext. Sie sind wesentlicher Teil der Diskussionen um Wirkkraft von Kunst und Literatur. Ebendieser Widerspruch zwischen Ablegung und Anknüpfung an die literarische Tradition als eines der Grundprobleme des Vormärz soll in der Folge mit Heinrich Heines Reflexionen zum Hellas-Bezug vor der Folie der Zeitkritik lesbar gemacht werden. Der Hellenismus-Bezug ist hier insofern zentral, als er zum Pegelstandmesser für die erfolgreiche - oder eben nicht erfolgreiche - Abgrenzung von der "Kunstperiode" und den überkommenen ästhetischen Paradigmen wird, was wiederum Voraussetzung für die Etablierung einer neuen, sich als politisch im umfassenden Sinne verstehenden Literatur des Vormärz ist. Im Zentrum steht dabei Heines Geste der Abwendung vom klassischen Hellenismus ebenso wie seine Thematisierungvon dessen Formen des Nachlebens jenseits der "Kunstperiode".
Anastasia Antonopoulou bietet eine stoffgeschichtliche Untersuchung mit ihrem Beitrag zur griechischen Revolutionsheldin Laskarina Bouboulina, die in der deutschsprachigen Literatur in auffälliger Weise domestiziert und verharmlost wird. Die Hauptfrage, die bei der Interpretation der philhellenischen Texte über Bouboulina im Rahmen dieser Studie gestellt wird, lautet folgendermaßen: Wie wird die Tat der Frau in diesen Texten legitimiert, wie wird die Motivation zur Tat dargestellt? Als gemeinsamer Punkt hat sich in allen Werken die Hervorhebung bzw. die Verabsolutierung des Rachemotivs erwiesen. Die philhellenische Literatur stellt Bouboulina weniger als bewusste Freiheitsheldin dar und vielmehr - in dieser Hinsicht stark von der historischen Realität abweichend - als Rächerin ihres Gemahls und ihrer Kinder.
Silke vom Berg liefert eine imagologische Studie, in der sie den überwiegend xenophoben Türken-Bildern in lyrischen Texten nachgeht und das nicht nur im Vormärz negative Image dieser Besatzer historisch herleitet. Mit dem 2005 erschienen Corpus "Philhellenische Gedichte des deutschsprachigen Raums", zusammengetragen und herausgegeben von Michael Busse, liegt nun eine rund 670 Gedichte, Balladen und Lieder umfassende Sammlung vor. Die Fülle mag nicht nur angesichts der thematischen Engführung auf das historische Ereignis verwundern, sondern auch hinsichtlich der zeitgenössischen Beliebtheit des künstlerischen Klein-Formats. Der vorliegende Beitrag nähert sich diesen Phänomenen auf den Pfaden philhellenischer Selbst- und Fremdbilder. Letztere figurieren in der Lyrik der Philhellenen vornehmlich als Orientalen und Türken, welche in auffälliger Häufung als Kannibalen, Dämonen und Kindsmörder verunglimpft und entmenschlicht werden. Hingegen hebt sich das zu verteidigende 'Selbst', repräsentiert durch Deutsche, Philhellenen, Hellenen und Neugriechen, als edel, tugendhaft und heldenmütig ab. Der vorliegende Beitrag soll jedoch nicht erneut dazu beitragen, dichotome Freund-Feindbilder figurativ und motivisch zu unterfüttern - das Material böte hierfür schier endlose Möglichkeiten -, sondern er richtet sein Augenmerk auf Knotenpunkte, in denen historische und zeitgenössische Diskurse zusammenlaufen und eine innerdeutsche Gemengelage in Relation zu ethnisch-kulturellen Konzepten tritt.
Wie Projektionen der eigenen politischen Vorstellungen auf literarischem Gebiet funktionieren, wie mittels Auto- und Heteroimages in der Lyrik politisch Stellung bezogen wird, zeigt Heiko Ullrich. Von Bedeutung ist in der Literatur nicht nur der Bezug zum alten Griechenland, sondern auch zum Christentum. Mit Kreuzzug-Motiviken verleihen deutschsprachige Poeten dem griechischen Unabhängigkeitskrieg eine religiöse Motivierung und Rechtfertigung.