Hofmannsthal 27.2019
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Das pathetische Diktum von den drei Kränkungen des Menschen durch Kopernikus, Darwin und Freud antwortet auf die zunehmend komplexer werdende wissenschaftliche Modellierung des Bildes vom Menschen. In der Tat wird der, wie Derrida und andere mit guten Gründen betonen, letztlich metaphysische Entwurf des zu Vernunft und Sprache begabten menschlichen Subjekts im 20. Jahrhundert durch Physiologie und Psychoanalyse, aber auch durch Diskurs- und Medientheorie systematisch infrage gestellt. Rolf G. Renner skizziert zunächst kursorisch einige Aspekte dieser wissenschaftlichen Neukonstruktionen des Menschen, bevor er sich ihrem Reflex in literarischen Texten zuwendet. Als verbindenden Bezugspunkt zwischen dem wissenschaftlichen und dem literarischen Diskurs wählt Renner die Sprache als Charakteristikum des Menschen und seiner Individualität.
"Josefine Mutzenbacher oder die Geschichte einer Wienerischen Dirne, von ihr selbst erzählt",ein 1906 als Privatdruck in Wien anonym veröffentlichter Roman, ist gekennzeichnet durch zahlreiche Anknüpfungen an die literarische Tradition: und zwar nicht nur an die pornografische, sondern auch ausdrücklich an die hochliterarische Tradition. Die Frage, wie diese Traditionsbezüge vom Text aufgerufen werden, steht im Zentrum der vorliegenden Ausführungen. Dabei sollen Überlegungen zu den Gattungsverhandlungen des in den Blick genommenen Romans, der auch als Schelmenroman und als Persiflage und Parodie des Bildungsromans daherkommt, genauso thematisiert werden wie die Verhandlungen und Inszenierungen des Pornografischen. "Josefine Mutzenbacher", so die These, bedient die Muster des pornografischen Genres und stellt sie gleichzeitig metareflexiv aus. Dem Roman lässt sich ein kritischer Impetus also nicht absprechen; und zwar gerade in Bezug auf die gesellschaftlichen Institutionen, die das Pornografische vorgeblich verdammen, obwohl - oder weil - es doch tatsächlich, um mit Slavoj Žižek zu sprechen, ihre obszöne Unterseite darstellt. Berichtet zwar in der Erzählfiktion die gealterte Protagonistin von ihrer Lebensgeschichte, so ist dennoch der Blick der Ich-Erzählerin auf das Erlebte ein für alles Neue und Interessante offener Kinderblick. Diese spezifische kindliche Froschperspektive, aus der die fiktive Autobiografie erzählt wird, stellt sich als Beobachtungsanordnung heraus, in der das Feld mit quasi-ethnografischem Zugriff vermessen wird, innerhalb dessen sich Josefine bewegt.