ZfL Blog : Blog des Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung, Berlin
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Wir sind heutzutage mit Bildern menschlichen Leids mehr als vertraut. [...] Doch was sind die historischen Ursprünge dieses Topos? Wie lassen sich die diskursiven Tropen, die unsere moralischen und affektiven Begegnungen mit dem humanitären Bild bestimmen - die 'Mitleidsmüdigkeit', der Zwang hinzusehen -, durch die Geschichte der Ikonographie des Leidens verfolgen? Die Darstellung gefährdeter Seeleute nimmt in dieser Geschichte einen besonderen Platz ein. [...] Wie hat sich diese Ikonographie im Laufe der Zeit entwickelt? Welche Art von moralischem Subjekt setzen solche Darstellungen als Betrachter voraus und welche Art von Reaktion lösen sie bei diesem aus? Diese Bilder entstanden parallel zur Entwicklung der sozialen und kulturellen Hegemonie des Bürgertums und der des 'modernen' Subjekts, der Privatperson im Sinne des Liberalismus. Das Selbstverständnis dieser Figur (und ihre Klassenzugehörigkeit) hingen zunehmend von einer Reihe von Annahmen über ihre moralische Weltanschauung ab. Bilder von Schiffbrüchigen können uns also viel über die Entstehung dieses modernen Subjekts, die Geschichte der Emotionen und ihre Beziehung zur Moral erzählen.
Die Zeitdiagnostik der Moderne hat einen Hang zur Totalisierung und Defizitorientierung: Die 'Diagnose' war in den vergangenen Jahrhunderten dazu da, die Krankheit der gesamten Gesellschaft festzustellen, um im besten Falle in einem nächsten Schritt Therapiemöglichkeiten vorzuschlagen, auf jeden Fall aber durch die Kritik am Ist-Zustand verborgene Missstände und auch Fehlmedikationen zu entlarven. Diese Form der Kritik ist heute zunehmend in Verruf geraten. So unterzog Bruno Latour den modernen Gestus der kritischen Entlarvung einer grundlegenden Revision. Indem die Gesellschaftstheorie in einem selbstgerechten Herrschaftsmodus die Bedeutsamkeit, die Menschen den Dingen verleihen, entweder als Fetisch oder als physiologischen Zwang abgetan habe, sei sie ihrer sozialen Geltung verlustig gegangen: "Is it so surprising, after all, that with such positions given to the object, the humanities have lost the hearts of their fellow citizens, that they had to retreat year after year, entrenching themselves always further in the narrow barracks left to them by more and more stingy deans? The Zeus of Critique rules absolutely, to be sure, but over a desert." Für andere Stimmen, vornehmlich aus den Gender, Postcolonial und Queer Studies, ist es an der Zeit, die Kombination aus Verdacht, Selbstvertrauen und Entrüstung, die die Tradition der Kritik mit sich bringt, zugunsten einer stärkeren Involviertheit und Nähe zu den besprochenen Gegenständen abzuschwächen, emotionale Reaktionen zuzulassen und Überforderungen einzugestehen. Nicht nur die der Kritik inhärente Differenz von Subjekt und Objekt, sondern auch der Versuch einer Gesamtansicht muss heute - angesichts der gesteigerten Sensibilität für die gewaltsame Seite von Homogenisierung und Repräsentation - mit starkem Gegenwind rechnen. Wie ist, so kann man fragen, Zeitdiagnostik im 'Zeitalter der Postkritik' überhaupt noch möglich?
Am 17. Januar 2022 jährt sich der Todestag des russischen Dichters und Schriftstellers Warlam Schalamow zum vierzigsten Mal. Mit seinen sechs Zyklen umfassenden "Erzählungen aus Kolyma" setzte er den Tausenden Toten in den Zwangsarbeitslagern des GULag ein bleibendes literarisches Denkmal. Der Jahrestag bietet nicht nur Anlass, sich mit Schalamows Ringen um eine literarische Aufarbeitung des staatlich organisierten Massenterrors gegen die eigene Bevölkerung auseinandersetzen. Ein Archivfund rückt auch seine Sorge um die Rezeption seiner Texte ins Blickfeld. Da in der Sowjetunion die Erinnerung an Terror und Gewalt tabuisiert wurde, kursierten diese zu Lebzeiten nur in Abschriften des Samisdat ('Selbst-Verlag') und blieben für das breite sowjetische Lesepublikum unzugänglich. Die ersehnte Anerkennung blieb ihm verwehrt. Mittlerweile werden seine Werke in Russland gedruckt und aus Anlass des Todestages würdigen Konferenzen seine literarische und menschliche Lebensleistung. Doch Schalamows Imperativ des Erinnerns, der Wahrung des Gedächtnisses an die stalinistischen Verbrechen trifft heute zugleich auf das Bestreben der russischen Machthaber, dieses Gedächtnis erneut mit repressiven Mitteln auszulöschen.
Als 2008 die Finanzkrise eskalierte, vollzog sich eine irritierende Veränderung in der Semantik von 'Rettung'. Während nämlich einerseits unbedingte Imperative der Rettung finanzieller und fiskalischer Institutionen aufkamen, 'whatever it takes', wurde andererseits der Rettungsimperativ für Menschen in Seenot immer problematischer. Insbesondere im Kontext von Flucht und Migration im Mittelmeerraum begannen Regierungen, humanitäre Rettungsbemühungen zu kriminalisieren, während sie doch zugleich unterlassene Hilfeleistungen ebenfalls strafrechtlich verfolgten. Über lange Zeit hatten Schiffbrüchige im öffentlichen Diskurs die Stelle als privilegierte Zielobjekte unbedingter Rettungsimperative besetzt, die sogar das Risiko eines Selbstopfers in Kauf zu nehmen verlangten. Nun schien es, als sei diese Stelle umbesetzt worden. Dass eine solche Umbesetzung aber überhaupt möglich war, warf nicht zuletzt die Frage danach auf, wie es eigentlich um die Geschichtlichkeit derartiger Imperative insgesamt bestellt ist. Diesem Problemzusammenhang geht das Forschungsprojekt "Archipelagische Imperative.Schiffbruch und Lebensrettung in europäischen Gesellschaften seit 1800" nach, indem es unter anderem untersucht, wie die Schiffbrüchigen überhaupt dazu gekommen waren, die fragliche Stelle zu besetzen.
Vor gut zehn Jahren rückte der NSU-Komplex ins Licht einer ahnungslosen Öffentlichkeit. Mit jedem neuen Detail der Mordserie, die bis zu diesem Punkt in den hinteren Mediensegmenten ein belangloses Dasein als 'Dönermorde' fristete, sandte eine Terrororganisation, die sich Nationalsozialistischer Untergrund nannte und die Morde nun öffentlich für sich reklamierte, nachträglich Schockwellen ins öffentliche Bewusstsein. Als Antwort auf den Terror, der sich direkt vor ihren Augen und doch jenseits ihrer Aufmerksamkeit abgespielt hatte, eröffnete die Gesellschaft, vertreten durch die Bundesanwaltschaft, dann am 6. Mai 2013 einen Prozess. Den Strafprozess als jenes öffentliche Verfahren, das die Ausübung legaler Gerechtigkeit verspricht - Gerechtigkeit durch Prozess und Gesetz -, nennt die amerikanische Literaturtheoretikerin Shoshana Felman "die angemessenste und wesentlichste, letztlich bedeutsamste Antwort der Zivilisation auf die Gewalt, die sie verwundet". Das Verfahren dieser Antwort verfolgt aber nun einen dezidiert eigenen Zweck, mit einem durchaus anderen Fokus als dem der gesellschaftlichen Aufarbeitung. Die Spannung zwischen dem innerrechtlichen Ziel einerseits - der Feststellung individueller Schuld - und dem gesellschaftlichen Bedarf an Aufarbeitung andererseits durchzieht den gesamten NSU-Prozess und prägt nicht zuletzt die Art, wie der gesamte NSU-Komplex dabei in Erscheinung und auf die Bühne der Welt tritt. Die Frage, wer wann, wo und wie in Erscheinung treten und teilhaben kann, betrifft den Kern des NSU-Terrors selbst. Der Prozess, der diesen Terror verhandelt, partizipiert gleichzeitig selbst performativ an der Frage des Erscheinens. Als eine eigene Miniaturbühne der Welt entscheidet das Gericht nicht nur über Schuld und Unschuld als Ergebnis des Prozesses, sondern eben auch darüber, wer wo und wie zu diesem Zweck erscheinen und durch seine Rede daran teilhaben kann. Während im Prozess einerseits alle Scheinwerfer auf die Hauptangeklagte gerichtet waren, um deren individuelle Schuld es in dem Verfahren primär ging - eine Hauptangeklagte, die sich dem Auftreten aber gerade verweigerte -, hat das Verfahren andererseits die Opfer und Hinterbliebenen an den Rand gedrängt, von dem her diese aber nun die gesellschaftlich entscheidenden Fragen aufwerfen. Diese doppelte Asymmetrie des Erscheinens im Prozess prägt bis heute das, was wir den NSU-Komplex nennen.
In early 1944, shortly after the liberation of Kyiv, the Yiddish poet Dovid Hofshteyn (1889–1952) returned home from evacuation and was confronted firsthand with the horrors of the Holocaust. This encounter moved him to pen the passionate essay "Muzeyen fun shand" ("Museums of Shame"). [...] He suggested gathering pictures, documents, and tools of this terrible time that were to be displayed in so-called museums of shame in "every major city in the world and in every point of German population." [...] Before the Russian invasion of Ukraine in February 2022, there were plans to fully open the Babyn Yar Holocaust Memorial Center by 2023 - though those plans have certainly been hindered by the latest war of aggression on the territory of Ukraine. [...] However, even prior to the Russian war against Ukraine, the Memorial Center was already shrouded in controversy. Some critics were wary that certain funders - Russian oligarchs with ties to Putin - would seek to turn the site into an outlet for Kremlin propaganda with an anti-Ukrainian bias that focused predominantly on Ukrainian collaborators. While a number of Ukrainians were indeed collaborators during the Holocaust, even more Ukrainians became victims of the Nazis. Other critics thus argue that a sober look at the crimes committed by Ukrainians as well as by the German occupiers is a sign of the mature civil society which has emerged in Ukraine.