100 Philosophie und Psychologie
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Die in Deutschland seit etwa den 80er Jahren andauernde Konjunktur der Kulturwissenschaften, die nicht mit den aus Konzepten der Birmingham-School hervorgegangenen Cultural Studies zu verwechseln sind, führt als ihr theoriegeschichtliches Apriori den Diskurs über Differenzen zwischen Natur- und Geisteswissenschaften mit sich, dessen Konstellation im 19. Jahrhundert Wilhelm Dilthey 1910 in Gestalt eines Standardwerkes beschrieben hat. Die vor fast fünfzig Jahren von dem englischen Physiker und Romancier Percy Charles Snow getroffene Diagnose zweier sich entfremdet und kommunikationslos gegenüberstehender Kulturen, einer traditionalistisch literarischen und einer naturwissenschaftlichen, deren Trennung Snow als ein Problem analysierte und als ein Dilemma beklagte, wurde entgegen der Absicht ihres Erfinders zu einem ebenso bequemen wie die aufgerufenen Probleme verwirrenden Schema kanonisiert. Verwirrend war (und bleibt) der Dualismus eines Modells, das von Befürwortern wie Gegnern als Voraussetzung angenommen wurde und schließlich sogar durch Anbauten einer dritten (soziologischen) Kultur erweitert und ergänzt wurde, der Wolf Lepenies im Vergleich zwischen Frankreich, England und Deutschland eine wissenschaftsgeschichtliche Begründung zu geben versuchte. "Seit der Auseinandersetzung zwischen P. C. Snow und F. R. Leavis ist der Gegensatz von Natur- und Geisteswissenschaften zum Schlagwort von den zwei Kulturen geworden. Ich bin der Auffassung, dass man die Sozialwissenschaften als eine dritte Kultur bezeichnen kann, in der seit ihrem Entstehen szientifische und literarische Orientierungen einander gegenüberstehen."
Stephan Günzel, dem Herausgeber des hier anzuzeigenden 'Lexikons der Raumphilosophie', verdankt die kulturwissenschaftliche Forschung zu Begriff und Metapher des Raumes eine Reihe bedeutsamer Publikationen. Den Auftakt bildete der zusammen mit Jörg Dünne herausgegebene Band 'Raumtheorie' aus dem Jahre 2006, eine klug und umsichtig eingeleitete Auswahl gleichsam kanonischer Texte zu Raum und Räumlichkeit. Diesem Reader trat drei Jahre später ein 'Raumwissenschaften' überschriebener, nunmehr von Günzel alleine verantworteter Band zur Seite, der eine stattliche Anzahl von Einzelbeiträgen verschiedener Autoren unterschiedlichster Disziplinen zusammenbrachte. Der Sammelband gab Einblick in den damaligen Stand kulturwissenschaftlicher Arbeit am Raum; vor allem machte er deutlich, welch hohe Relevanz die Diskussion um Begriff und Metapher des Raumes für die einzelnen Disziplinen und deren aktuelle Forschungsarbeit beanspruchen kann. Auf die Dokumentation der Quellen und den Maßstäbe setzenden Sammelband folgt nun also ein Wörterbuch - zusammen mit den beiden Vorgängerveröffentlichungen bildet das jüngst erschienene 'Lexikon' eine Trilogie des 'spatial turn' im Bereich der deutschsprachigen Forschung.
Mit dem Konzept der Grundordnung verbindet sich eine vieldeutige Semantik, die das Zusammenspiel von Grund (als Boden/Territorium) mit dem Grund der Begründung betrifft, das für die Konstitution wie auch Geltungsbereich von Verfassungen eine wichtige Rolle spielt. Die kulturwissenschaftliche Perspektive der Frage nach Grundordnungen richtet sich auf jene Voraussetzungen, die im Zuge der juristischen Verengung des Begriffs ausgeschlossen worden sind. Damit gehen die Untersuchungen dieses Bandes hinter bzw. vor die juristische Semantik des Verfassungsbegriffs zurück. Untersucht werden die vielfältigen Übergänge zwischen Kultur, Religion und Gesetz und damit diejenigen Praktiken und Konzepte, mit denen das Selbstverständnis eines Volkes in konkrete politisch-juristische Grundsätze oder Grundrechte transformiert wird. "Mit der Frage nach der Grundordnung gehen die Untersuchungen dieses Bandes hinter bzw. vor die juristische Semantik des Verfassungsbegriffs zurück. Denn dieser ist, wie andere moderne Fachtermini auch, das Ergebnis einer Verengung. Die 'Verfassung', zunächst ein 'Erfahrungsbegriff', "der den politischen Zustand eines Staates umfassend wiedergibt", habe sich zum Begriff für den "rechtlich geprägten Zustand eines Staates" verengt und falle "nach dem Übergang zum modernen Konstitutionalismus mit Gesetz in eins", währenddessen der Begriff des Gesetzes nun "die Einrichtung und Ausrichtung der staatlichen Herrschaft regelt" und "damit selbst vom deskriptiven zum präskriptiven Begriff" wird, so Dieter Grimm, der die genannte Verengung damit erklärt, dass der Begriff der 'Verfassung' seine "nichtjuristischen Bestandteile zunehmend" abgestoßen habe. Diese nichtjuristischen Bestandteile aber sind Grundlage und Voraussetzung des Grundgesetzes, das sich eine Gemeinschaft gibt, um sich als politisch-rechtliches Gebilde zu konstituieren. Sie betreffen das Selbstverständnis eines politischen Gemeinwesens, ob Land, Staat oder Föderation, das tiefer und weiter zurück reicht als das Gesetz."