200 Religion
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Den Traditionsbruch der Rhetorik im 18. Jahrhundert und die Verlagerung ihrer Wissensbestände in andere Disziplinen hat die jüngere Forschung detailliert untersucht. Was das Verhältnis der Rhetorik zu Theologie und Religion betrifft, so konzentrieren sich die Darstellungen häufig auf die Feststellung, der Pietismus habe die Lehre von den Affekten (vom movere und delectare) isoliert, was, verkürzt gesagt, die Entstehung sowohl der Ästhetik wie der Erfahrungsseelenkunde beförderte. Dagegen gelte für die der Ironie verwandten, in den Poetiken, Politik- und Klugheitslehren verwendeten technischen Termini der Simulation (Vorspiegelung des Falschen) und Dissimulation (Verbergung des Wahren), dass sie durch die Codes der Aufklärung (Mensch-Schauspieler, Natürlichkeit-Künstlichkeit, Innerlichkeit-Äußerlichkeit) ihre Selbstverständlichkeit als Mittel der Selbstdarstellung und Selbsterhaltung verloren hätten. Als probates Mittel der höfischen und Ständegesellschaft seien Methoden der Vortäuschung und Verstellung moralisch und politisch desavouiert worden, da sie dem Ideal körpersprachlicher Unmittelbarkeit einerseits, rationaler Argumente und Überzeugungen, aufrichtiger moralischer Intention und einer Sprache unverzerrter Mitteilung andererseits widersprachen. Täuschung und Verstellung lebten in Folge der aufklärerischen Kritik vornehmlich in Theorien des Theaters weiter. In der Theologie dagegen fände das Ideal unverstellter Authentizität seinen Ausdruck zum Beispiel in Lavaters theologisch interessierter Physiognomie. Dem steht zunächst der Befund gegenüber, dass seit dem 18. Jahrhundert gerade in den zentralen Debatten um Religion und Theologie das Spiel mit Maskierungen und Demaskierungen, Verschleierungen und Entschleierungen, Verhüllungen und Enthüllungen (die tatsächlich auf das Theaterregister verweisen, aber zugleich literalisiert werden) ubiquitär ist.
L’auteur est parti du constat qu’à la suite de la monographie de Jean Rupp, toutes les études portant sur le terme christianitas cherchent à saisir le concept de chrétienté, au détriment des autres significations possibles. Geelhaar a donc décidé de reprendre le dossier en partant de l’histoire du mot lui-même, de ce qu’il signifiait pour les hommes de l’Antiquité tardive jusqu’à l’époque carolingienne, quels sens ils lui donnaient et dans quels contextes ils l’utilisaient. Le but de sa recherche est de vérifier les études publiées jusqu’à présent, quitte à les remettre en cause, mais également de contribuer à la recherche sur le langage politique du tournant entre Antiquité et Moyen Âge, à savoir si et comment le terme christianitas participe à la communication politique. ...
Apokalypse
(2016)
Die Apokalypse ist eines der wirkungsreichsten Zukunftsnarrative der abendländischen Tradition. In Anlehnung an die neutestamentliche Johannes-Apokalypse bezeichnet das Wort die Offenbarung (von gr. 'apokályptein', 'enthüllen') der letzten (göttlichen) Wahrheit am Ende der Zeiten. Vom Moment der Enthüllung an ist die Zeit nicht mehr, was sie war: Sie wird in Ausblick auf das unausweichliche Zukünftige gedeutet und bekommt einen 'anderen' Sinn, der auf Vollendung hin ausgerichtet ist. Dieser Weltsicht entspricht der Glaube an die christliche Heilsgeschichte, deren Wesen und deren Verhältnis zur chronologischen Zeit im Rahmen der Eschatologie interpretiert und gedeutet wird (von gr. 'ta éschata', 'die letzten/äußersten Dinge', was in mehrere Richtungen zu verstehen ist).
Vor einigen Jahren hat sich eine Gruppe jüngerer französischer und tschechischer Historiker zwar nicht gleich zum Kreuzzug, so doch zur Widerlegung der Doktrin von Gralshütern des reinen Kreuzzugs zusammengetan, nach der das Ende der Bewegung mit dem Tunisunternehmen Ludwigs des Heiligen und dem Fall Akkons 1291 besiegelt gewesen sei. Die Aktivitäten dieses Kreises haben ihren Niederschlag in bislang vier Bänden einer Reihe gefunden, die sich mit ironischem Seitenblick auf besagte Gralshüter "Croisades tardives" nennt (vgl. S. 5). Hatten eigentlich bereits die Arbeiten von Nicolae Iorga, Aziz Atiya und Kenneth Setton den Nachweis erbracht, dass es sich bei jenen "späten" Unternehmen keineswegs um einen sinnentleert-kostümierten "Triumph der Dekadenz" (Hans Eberhard Mayer) handelt, so gebührt in unseren Tagen u. a. Norman Housley und Jacques Paviot – einem der Initiatoren der Forschergruppe – das Verdienst, die natürlich sich ändernde, so doch fortwährende Wirkkraft und die vielfältigen Facetten der Kreuzzugsidee bis in die frühe Neuzeit hinein aufgezeigt zu haben. Und ebendies bestätigen jetzt erneut die von Finanz- und Organisationsfragen handelnden Beiträge des vorliegenden Bands. Wenn es um so handfest Konkretes wie Planung und Ausrüstung und vor allem um den pekuniären nervus rerum ging, blieb für vage Ritterromantik und nostalgische Mythenbeschwörung kein Platz. ...
1777 veröffentlicht Lessing 'Über den Beweis des Geistes und der Kraft', eine seiner Streitschriften zur Bibel. Letztlich, argumentiert er hier, sei die Echtheit der Bibel gar nicht entscheidend, weil historische Tatsachen ohnehin nicht von allgemeinen Wahrheiten überzeugen könnten. Dieser Unterschied von zufälligen Geschichtswahrheiten und notwendigen Vernunftwahrheiten sei, so die berühmte Formulierung, der "garstige breite Graben" über den er nicht kommen könne, so oft und ernstlich er auch den Sprung versucht habe. So einen Graben mag einer vor sich sehen, wenn er vor einer Antrittsvorlesung steht, einem akademischen Schwellenritual, das wo keinen Sprung so doch einen entschiedenen Schritt erfordert. So einen Graben gibt es auch in der Sache: Man steht vor einem weiten Feld - in meinem Fall Kulturforschung mit Schwerpunkt Religion - dessen Grenzen sich im Ungefähren verlieren. Aber es ist nicht ganz leicht, auf dieses Feld zu kommen, es gibt Hindernisse, Schwellen, mögliche Missverständnisse - eben einen Graben. Es ist nicht mehr wie bei Lessing der Graben von Geschichte und Vernunft oder wie später bei Kierkegaard die Kluft zwischen Vernunft und Glauben. Eher schon ist es der historische Abstand, mit dem jede kulturgeschichtliche Untersuchung zu tun hat. In meinem Fall ist es auch noch ein anderer Graben, es ist der Abstand oder die Spannung von Kultur und Religion - von Forschung einmal zu schweigen -, und damit verbunden auch die Spannung von Religion und Moderne. Denn es ist nicht ganz leicht, Kultur und Religion in ein Verhältnis zu bringen, und es ist es besonders schwer in der Moderne.
Die hier veröffentlichten Vorträge wurden von Daniel Weidner und Stefan Willer am 9. Juni 2016 als Antrittsvorlesungen am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten. Daniel Weidner ist dort Professor für Kulturforschung mit dem Schwerpunkt Religion, Stefan Willer Professor für Kulturforschung mit dem Schwerpunkt Wissensgeschichte. Beide sind stellvertretende Direktoren des ZfL.