340 Recht
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Global Governance bezeichnet ein produktives Zusammenwirken aller an einer effizienten und legitimen Lösung von grenzüberschreitenden Sachproblemen ernsthaft interessierten Akteure. Es handelt sich weder um Multilateralismus noch um Unilateralismus, sondern um eine Koalition des Weltbürgertums. Auf dem Gebiet des privaten Wirtschaftsrechts gibt es zwei Beispiele für von solchen zivilgesellschaftlichen Koalitionen geschaffene Regimes, anhand derer die Funktionsweise transnationaler Rechtssysteme aufgezeigt werden kann. Dabei handelt es sich einerseits um das Recht der Handelsverträge, wo bereits seit geraumer Zeit die Entstehung einer neuen Lex Mercatoria diskutiert wird (I.). Andererseits bildet die von ICANN errichtete Uniform Dispute Resolution Policy für Domain-Namen ein gutes Beispiel für die Entstehung eines transnationalen Markenrechts im Wege der Co-Regulierung (II.). In beiden Fällen ist unter Juristen umstritten, ob es sich überhaupt um Rechtsphänomene, geschweige denn um (autonome) Rechtssysteme handelt. Wie der Konflikt zwischen Traditionalisten und Transnationalisten in der seit gut vierzig Jahren andauernden Debatte um die Lex Mercatoria zeigt, ist diese Frage auf der strukturellen Normebene nicht zu lösen. Es erscheint deshalb als sinnvoll, sich dem Phänomen transnationaler Zivilregimes zunächst unter Verwendung sozialwissenschaftlicher Kriterien beschreibend zu nähern, bevor in einem dritten Schritt gezeigt wird, wie man die Emergenz transnationaler Zivilregimes im Rahmen einer auf operativer Ebene ansetzenden Theorie des Rechts als autopoietisches Kommunikationssystem auch rechtstheoretisch in den Griff bekommen kann (III.). Die folgenden Ausführungen orientieren sich dabei an den von Zangl und Zürn entwickelten Begriffen der Verrechtlichung und Konstitutionalisierung, weil diese eine Beschreibung anhand der der quantitativen Kategorien des Mehr oder Weniger anstelle des juristischen Alles oder Nichts (Recht/Nicht-Recht) ermöglichen.
Das Prinzip Global Governance könnte man wie folgt formulieren: Auf dem Weg zur Lösung der drängenden Probleme der Weltgesellschaft ist jedes Mittel recht, sofern es zu einer effektiven und legitimen Regelung von Sachfragen beitragen kann. Wenn Global Governance auf das Zusammenwirken von internationalen Organisationen, transnationalen Unternehmen und Zivilgesellschaft durch Erarbeitung von globalen Standards (Principles, Guidelines, Codes of Conduct) und deren Umsetzung im Wege der von einer Weltöffentlichkeit kontrollierten Selbstbindung setzt, so kommt darin auch der Unmut der Beteiligten über den Zustand internationaler Verrechtlichung zum Ausdruck. Transnationales Regieren als Alternative bedient sich vornehmlich informeller Steuerungsformen, deren Einsatz zwangsläufig die Frage nach der Effektivität und Legitimität von Global Governance auslöst. Täuschen gesellschaftlich nicht ausreichend legitimierte mächtige Akteure mit der Selbstbindung an Soft-Law nicht bloß Aktivität vor, um eine formal verbindliche internationale Verrechtlichung zu verhindern? So könnte man in Erinnerung an nationale Debatten zum Dauerthema "Selbstregulierung vs. staatliche Regulierung" fragen. In Abwesenheit eines Weltstaates fällt die Gewichtung der Argumente auf globaler Ebene freilich anders aus, da Selbstregulierung besser als gar keine Regulierung ist. Es bleibt aber die Frage, ob das Ergebnis von transnationalem Regieren immer nur in "unverbindlichem" und deshalb "ineffektivem" Soft-Law bestehen muss, oder ob auch nichtstaatliche Akteure in der Lage sind, funktionale Äquivalente zum staatlichen Recht ("Hard Code") zu produzieren. Gibt es also ein "selbst geschaffenes Recht der globalen Zivilgesellschaft" (Teubner 2000; Calliess 2003)? Am Beispiel der Lex Mercatoria, dem transnationalen Recht der grenzüberschreitenden Handelsverträge, soll im Folgenden gezeigt werden, unter welchen Bedingungen private Selbstregulierung auf globaler Ebene nicht nur effektiv, sondern auch legitim sein kann. In einem ersten Schritt wird die Problemlage erläutert, vor deren Hintergrund sich die Entstehung der Lex Mercatoria als Reaktion auf ein Versagen des nationalen und internationalen Rechts der grenzüberschreitenden Handelsverträge verstehen lässt. Sodann wird analysiert, wie in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit durch Zusammenwirken von Spruchpraxis, Privatkodifikationen und kommunikativer Vernetzung über Internet-Datenbanken "Hard Code" entsteht, um schließlich Rückschlüsse auf den Grad der Verrechtlichung und Konstitutionalisierung der Lex Mercatoria zu ziehen.
Vor gut einem Jahr ist im Archiv für die civilistische Praxis ein Aufsatz erschienen, in welchem ich mich mit den Perspektiven des Verbrauchervertragsrechts nach der Schuldrechtsreform auseinandergesetzt habe. Der leicht provozierende Unterton der dort vorgetragenen Kritik hat nun nicht nur – wie beabsichtigt – den einen oder anderen Leser zum Lachen verführt, sondern offensichtlich auch Irritationen bezüglich der Richtung hervorgerufen, in die der Verbraucherschutzzug in Zukunft fahren soll: zurück in die Siebziger Jahre und – nach erneutem Schlagen vergangener Schlachten – ins bürgerliche Formalrecht des 19. Jahrhundert? Oder was soll mit dem Stichwort "Prozedurales Verbrauchervertragsrecht" gemeint sein? Ich möchte an dieser Stelle einen Präzisierungsversuch unternehmen.
Kommentar zum Referat von Aurelia Colombi Ciacchi zum Thema "Der Aktionsplan der Europäischen Kommission für ein kohärenteres Vertragsrecht: Wo bleibt die Rückbindung an die Europäische Verfassung?" auf der 15. Tagung der Gesellschaft Junger Zivilrechtswissenschaftler im September 2004 in Göttingen, erscheint in: Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2004
"Allgemeines Allgemeinrecht (nicht nur) als Privatrecht", "Rechtsverfassungsrecht", und "prozedurales Recht" als Ermöglichung und Verwirklichung der “autonomen Wahrnehmung von Eigen-Interessen zugleich als/für Allgemein-(Fremd-)Interesse“, als "Zulassung von/ Einlassung auf Autonomien unter vorbehaltenen Kontrollen", als "Freiheit unter Auflagen". Diese Begriffe verweisen auf ein zentrales Anliegen in Rudolf Wiethölters Rechtstheorie, i.e. das "bürgerlich wie antibürgerlich unerledigte nachfeudalistische Sachprojekt Reziprozität". Man kann dieses Anliegen auch in die Frage kleiden, ob und wie Kants Projekt der Suche nach einem allgemeinen Prinzip, nach dem die Freiheit des einen mit der gleichen Freiheit aller anderen übereinstimmt, unter modernen gesellschaftlichen Bedingungen zu verwirklichen ist. Wiethölters Antwort besteht in vorsichtigen "Skepsis-Verheißungen". Skeptisch bleibt seine Antwort vor allem deshalb, weil er es unternimmt, sich ganz den Herausforderungen der neueren Wissenschafts- und Gesellschaftstheorie auszusetzen, die den alteuropäischen Überbau kantischer Provenienz hoffnungslos dekonstruiert, ja hinweggefegt zu haben scheint. Die "Verheißungen" rühren hingegen von einer nie verleugneten persönlichen Voreingenommenheit für die "kritische Theorie" her, die gegenüber den gesellschaftstheoretischen Konkurrenten der Systemtheorie und der ökonomischen Theorie die Hoffnung auf eine rationale Gesellschaftsintegration nicht grundsätzlich zu verabschieden bereit ist. Das Projekt einer "reflexiven Modernisierung", das Vertreter der kritischen Theorie gegen die Postmoderne in Stellung gebracht haben, verbindet solche Hoffnungen primär mit dem Konzept der "Zivilgesellschaft". Diente die Zivilgesellschaft zunächst dazu, die kritische Theorie unter dem Stichwort der "deliberativen Politik" mit dem demokratischen Verfassungsstaat zu versöhnen, so richten sich die normativen Projektionen im Kontext der gegenwärtigen Globalisierungsdebatte auf eine "Global Civil Society", die in Abwesenheit eines institutionalisierten Weltrechtsstaats den Gedanken an eine "Global Governance" jenseits der nationalen Verfassungsstaaten erträglich machen soll. ...
Das deutsche und europäische Verbrauchervertragsrecht stehen aktuell für eine Tendenz zur Materialisierung des Schuldrechts, i.e. zur Begrenzung der Privatautonomie zugunsten zwingender Vorgaben des nationalen Privatrechts, die auch kollisionsrechtlich gegen eine parteiautonome Rechtswahl abgesichert werden. Während das in der E-Commerce-Richtlinie verankerte Herkunftslandprinzip nicht nur das Wirtschaftsaufsichtsrecht, sondern auch weite Teile des Zivilrechts den Innovationskräften des Systemwettbewerbs öffnet, scheint sich das Verbrauchervertragsrecht aufgrund seines Schutzzweckes als mit innovationsoffenen Regulierungsmodellen inkompatibel zu erweisen. Ist damit auf dem Gebiet des Verbraucherverträge nicht nur der individuelle Wettbewerb der Vertragsklauseln sowie der Klauselwerke (AGB) innerhalb einer staatlichen Privatrechtsordnung, sondern auch der institutionelle Wettbewerb zwischen den Verbraucherschutzmodellen der verschiedenen staatlichen Privatrechtsordnungen ausgeschlossen, so verbleibt als potentieller Innovationsspeicher nur der Raum der gesellschaftlichen Selbstregulierung jenseits des (staatlichen) Rechts. Vor diesem Hintergrund wird im folgenden untersucht, ob und inwieweit sich aufgrund der spezifischen Charakteristika der Internetkommunikation im Bereich des globalen E-Commerce eine Verdichtung von Phänomenen der privaten Normsetzung und der sozialen Selbstregulierung beobachten lässt, die als Emergenz eines transnationalen Verbrauchervertragsrecht interpretiert werden kann. Zunächst sollen einige Phänomene alternativer Verbraucherschutzmechanismen im globalen ECommerce beleuchtet werden, die als Privatisierung des Verbrauchervertragsrechts interpretiert werden können (B.), um sodann Ansätzen zu einer Konstitutionalisierung des transnationalen Verbrauchervertragsrechts nachzugehen, die auf eine Zivilisierung dieser Privatregimes gerichtet sind (C.). Schließlich wird ein Ausblick auf potentielle Ziele und Methoden einer innovationsoffenen Regulierung des Wettbewerbs transnationaler Verbraucherschutzregimes gegeben, die im Kern auf einen prozeduralen Rechtsverbraucherschutz hinauslaufen (D.).
Der Titel der Tagung, deren Beiträge dieser Band dokumentiert, ist Programm: Jenseits der postmodernen Abschiedsstimmung, in die manche Reflexion über die Zukunft des Staates je nach theoretischer und politischer Orientierung melancholisch oder mit Schadenfreude verfällt, setzt er voraus, was eigentlich selbstverständlich sein sollte: dass es auch in Zukunft den Staat weder theoretisch noch praktisch zu verabschieden gilt. Er versucht deutlich zu machen, dass es im Jahre 1 eines neuen Jahrtausends in der Berliner Republik nicht mehr um eine Fortsetzung der allgemeinen Verunsicherung der achtziger und neunziger Jahre gehen kann. Es reicht nicht theoretisch (und manchmal – so scheint es – nur theoretisch und ohne zur Kenntnis zu nehmen, welche Rolle moderne Staaten in den Industriegesellschaften faktisch spielen) zu bezweifeln, ob der Staat der Zukunft noch souverän, national, sozial, steuernd, intervenierend etc. sein könne, um nur einige Attribute des Staates zu nennen, die Gegenstand der skeptischen Überlegungen sind. Rückblickend auf die Debatten um die Steuerungsfähigkeit des Staates, die Krise des Sozialstaats, Deregulierung, Privatisierung und Entbürokratisierung sowie Internationalisierung und Globalisierung ist es an der Zeit, Lösungswege zur Diskussion zu stellen. Nach der soziologischen Entzauberung und philosophischen Dekonstruktion des Staates bedarf es gegenwärtig einer Gegenbewegung: der praxisfähigen Rekonstruktion normativer Leitbilder. ...
Seit der Entstehung des modernen Territorialstaats mit seinem Souveränitätsanspruch und dessen Zivilisierung durch die aufklärerische Theorie vom demokratischen Rechtsstaat sind wir es gewohnt, Recht und Staat als notwendige Einheit zu betrachten. Einerseits soll der Staat Rechtsstaat sein, d.h. politische Machtausübung ist nur in den Formen des Rechts und unter Beachtung von Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes zulässig. Ein eigenständiger Wirk- und Zuständigkeitsbereich der Politik in Form justizfreier Hoheitsakte oder besonderer Gewaltverhältnisse wird negiert. Andererseits ist Recht aber auch nur noch als "Staatsrecht", d.h. als staatlich gesetztes oder zumindest staatlich anerkanntes Recht denkbar. Autonomie im wörtlichen Sinne von Selbstgesetzgebung verblasst angesichts der Dominanz der in der Volkssouveränität verankerten Herrschaft des Gesetzes, so dass privatautonome Rechtsgestaltung durch Verträge von der Rechtsquellenlehre als irrelevant ausgeblendet und sozialautonome Normsetzung in Vereinen und Verbänden nurmehr als derivative, vom Staat abgeleitete Autonomie erklärbar wird. Im Außenverhältnis ist die Souveränität der Nationalstaaten durch das völkerrechtliche [S.62] Prinzip der gegenseitigen Nichteinmischung in innere Angelegenheiten gesichert und gleichzeitig durch das Territorialitätsprinzip begrenzt. Mit Ausnahme des politisch wenig brisanten Privatrechts, das – allerdings nur unter Vorbehalt des ordre public – im Rahmen des (nationalen) internationalen Privatrechts berücksichtigt wird, findet eine gegenseitige Anerkennung ausländischer Rechtsakte nicht statt. Internationales Recht ist nur als Völkervertragsrecht denkbar, welches im Innenverhältnis des Nationalstaates zu seinen Bürgern freilich nur als national umgesetztes Recht Wirkung entfaltet. Das so beschriebene Rechts-Staats-Konzept steht und fällt mit der Möglichkeit wirksamer Grenzziehung. Staatsgrenzen werden deshalb als quasi naturwüchsige (Berge, Flüsse, Küste) angelegt oder mit größter Sorgfalt künstlich materialisiert (Schlagbäume, Zollhäuser). Die symbolische Bedeutung der Visibilisierung von Grenzen kommt nicht zuletzt in der emotionalen Kraft zum Ausdruck, die durch deren Beseitigung – etwa durch Niederreißen von Schlagbäumen in der frühen Phase des europäischen Einigungsprozesses oder beim Fall der Berliner Mauer am Brandenburger Tor – entfesselt wird. Die Abschaffung von Grenzen bildet jedoch den Ausnahmefall und geht regelmäßig mit der Schaffung einer neuen, größeren (vereinigtes Deutschland) oder kleineren (Aufspaltung von Jugoslawien) Territorialgewalt mit Souveränitätsanspruch einher.