430 Germanische Sprachen; Deutsch
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Der georgischen Sprache fehlt es nicht an mehr oder weniger alltäglich gebrauchten deutschen Fremdwörtern. Den meisten haftet ihr Umweg durch das Russische an, den sie während der kaiserlichen und späteren sowjetischen Herrschaft über Georgien gemacht haben. [...] Allerdings stößt man in dem prägenden sowjetgeorgischen Fremdwörterbuch, das zwischen 1964 und 1989 dreimal aufgelegt wurde, gerade beim Eintrag 'schtraikbrecheri' auf eine durchaus seltsame Bestimmung: "schtraikbrecher-i (dt. 'Streikbrecher') - in kapitalistischen Ländern: eine Person, die während des Streiks arbeitet und den Streik stört." Die stillschweigende Voraussetzung, Streikbrecher existierten nur "in kapitalistischen Ländern", weil es in den sozialistischen keine Streiks gebe, wirft in ihrer Verlogenheit erst recht die Frage nach der Vor- und Nachgeschichte dieses Begriffs auf.
Fremdwörter haben einen hohen epistemischen Stellenwert, denn sie lenken die Aufmerksamkeit auf die unhintergehbare Sprachlichkeit, Kulturgebundenheit und Historizität des Wissens. Ziel des Bandes ist es, begriffs- und übersetzungsgeschichtliche Aspekte der Zirkulation von Begriffen zwischen den Sprachen zusammenzuführen. 52 Fallstudien beschäftigen sich mit Wörtern, die in andere Sprachen gewandert sind und sich dort - aus ganz unterschiedlichen Gründen - festgesetzt haben.
Buchstäblich auf der Flucht rutschte Kurt Goldstein sein Hauptwerk aus der Feder. Im Frühjahr 1934, während eines Zwischenaufenthalts in Amsterdam, schrieb er binnen weniger Monate "Der Aufbau des Organismus: Einführung in die Biologie unter besonderer Berücksichtigung der Erfahrungen am kranken Menschen". In diesem Buch entfaltete Goldstein seine auf der Basis von klinischen Erfahrungen gewonnenen physiologischen Anschauungen zu einer allgemeinen Theorie des Organismus. Zentraler Gedanke dieser Theorie war die These, dass sich die Leistungsvielfalt eines Organismus nicht als Summe möglichst exakt zu zergliedernder Einzelreaktionen beschreiben, sondern nur aus dem Gefüge ihres Zusammenwirkens erfassen lasse.
This paper examines whether gender features (masculine, feminine, neuter) in German have to be interpreted semantically, along their specific gender, or whether they allow for a gender unrelated interpretation. As to this, two experiments with two different classes of nouns (gender marked and sex marked nouns vs. gender marked and sex neutral nouns) were conducted. The first experiment supports the view that in their function as nominal predicates masculine nouns, contrary to feminine (and neuter) nouns, have the widest extension – which confirms the existence of a ‘Generic Masculine’ (Generisches Maskulinum). On the other hand, the second experiment shows that in their function as subjects masculine nouns, contrary to feminine (and neuter) nouns, are the least flexible agreement controllers – hardly allowing for gender mismatches. Thus, masculine nouns behave differently depending on whether they appear as controllers/sources of agreement or as targets of agreement. The findings are supplemented by corpus data.
Welt, je schon übersetzt
(2018)
Zum Exportschlager, also zum Fremdwort in anderen Sprachen, wurde das Wort 'Welt' vor allem dank seiner Bedeutung VIII (in der bis XII reichenden Zählung des Artikels im "Deutschen Wörterbuch"), die Johannes Erben im einleitenden Teil des Artikels als "metaphorische anwendungen mannigfacher art" charakterisiert und so erläutert: "überall, wo der sprecher auf ein abgeschlossenes ganzes, auf universale fülle, welcher art auch immer, zielt, springt das wort welt als bezeichnung ein: für 'einen in sich geschlossenen bezirk verschiedener art, der in seiner eigenständigkeit und eigengesetzlichkeit gleichsam ein all im kleinen darstellt'". Gerade "metaphorische anwendungen" legen damit einen semantischen Kern frei, der sich auf verschiedenste räumliche Referenzbereiche beziehen kann (also etwa keineswegs, wie dies die heute vermutlich häufigste Verwendung insinuiert, mit "V. erdkreis" zu identifizieren ist). Dass die Bedeutung VIII zugleich diejenige ist, dank welcher aus einem Alltagswort ein philosophischer Begriff wird, bezeugt der entsprechende Artikel im "Historischen Wörterbuch der Philosophie".
In diesem Beitrag untersuchen wir Entwicklungstendenzen von Infrastrukturen in den Digitalen Geisteswissenschaften. Wir argumentieren, dass infolge (1) der Verfügbarkeit von immer mehr Daten über sozial-semiotische Netzwerke, (2) der Methodeninflation in geisteswissenschaftlichen Disziplinen, (3) der zunehmend hybriden Arbeitsteilung zwischen Mensch und Maschine und (4) der explosionsartigen Vermehrung künstlicher Texte ein erheblicher Anpassungsdruck auf die Weiterentwicklung solcher Infrastrukturen entstanden ist. In diesem Zusammenhang beschreiben wir drei Informationssysteme, die sich unter anderem durch die Interaktionsmöglichkeiten unterscheiden, die sie ihren Nutzern bieten, um solchen Herausforderungen zu begegnen. Dabei skizzieren wir mit VienNA eine neuartige Architektur solcher Systeme, welche aufgrund ihrer Flexibilität die Möglichkeit bieten könnte, letztere Herausforderungen zu bewältigen.
Ur
(2018)
Die Partikel 'Ur' gehört zu den unheimlichen 'intraduisibles' der deutschen Sprache. Die Wörter, denen sie vorsteht, erscheinen archaisch, allerdings auf eigentümlich standardisierte Weise. Sie geraten "ins barbarisch Wilde oder in industrielle Reklame" - so Theodor W. Adorno in einem kleinen Beitrag für die Süddeutsche Zeitung aus dem Jahr 1967. Dort bekundet er sein Erschrecken über das Wort 'Uromi' in einer Todesanzeige, das er nicht nur als "Grimasse" vermeintlicher Nähe, sondern sogar als "Maske von Unheil" kritisiert. Das Unheil liegt für ihn in einer schamlosen Familiarität, die sich der eigentlich gebotenen Trauer versagt. Gerade darin hat das unpassend platzierte Ur-Wort einen historischen Index, allerdings einen, der aus der Geschichte direkt in die Vorgeschichte weist: "Das Uromi ist ein prähistorisches Monstrum."
"Toughness has been rather out of fashion, as a masculine virtue", so William Gibson schon 2002. Die 'toughe Frau' scheint dagegen noch in aller Munde: zumindest im deutschsprachigen Raum gilt 'tough' als reflexartig einspringende Vokabel für die Kennzeichnung weiblicher Erfolgstypen: "kämpfende Amazone", "eiserne Lady" oder 'superwoman' bleiben als denkbare Synonyme ohne jede Chance. In hoffnungslos inflationärem Gebrauch schreiben die Titelzeilen der Lifestyle- und Frauenmagazine nahezu jeder in den Fokus gerückten Person das Epitheton zu, das zumindest in dieser Verwendung als unübersetzbar gelten muss, vielleicht aber auch gar keiner Übersetzung bedarf: handelt es sich doch - entgegen allem Anschein - um ein deutsches Wort, vermutlich so urdeutsch wie 'Handy'.
Synergie
(2018)
'Synergie', von griech. 'syn' ('mit', 'zusammen') und 'en-ergeia' ('Wirken'), beschreibt heute kooperative Effekte in der Natur, Wissenschaft und Gesellschaft, für die der aristotelische Satz "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile" gilt. Doch 'Synergie' ist nicht nur ein Wort der Gegenwart. Mitte des 19. Jahrhunderts wird 'Synergie' (Adj. 'synergetisch') als Fremdwort in der deutschen Sprache mit der Bedeutung "Mitwirkung, Hilfe" angeführt. Bereits früher in die Bildungssprache eingegangen ist der 'Synergismus' (Adj. 'synergistisch'), die "Lehre von der freien Mitwirkung der Menschen zu ihrer Seeligkeit". Beide Einträge verweisen zunächst auf die Philosophie und christliche Theologie der Antike.
Die programmatische Allgegenwart des 'Sozialen' nährt den Verdacht, wir hätten es hier mit einem leeren und nichtssagenden Plastikwort zu tun, das vielleicht gebildete Dignität und moralisches Engagement vortäuscht, aber semantisch durchaus nicht zu fassen ist, weil es eben nichts Bestimmtes zu bedeuten vermag. Clemens Knoblochs These ist hingegen, dass 'sozial' in den Jahren um 1900 zu einer semantischen Chiffre wird, in der sich die Erfahrung reflexiv verdichtet, dass die dringlichsten Probleme der industriekapitalistischen Entwicklung diejenigen sind, die durch diese Entwicklung selbst erst hervorgebracht werden. Platt gesagt: die unbeabsichtigten Nebenfolgen des allgemeinen Fortschritts: Pauperisierung breiter Bevölkerungsschichten, Landflucht, Proletarisierung, Stockungen im Warenabsatz, Armuts- und Elendsseuchen, Analphabetismus etc. müssen sowohl 'staatlich' als auch 'gemeinschaftlich' bearbeitet werden. Mittels 'sozial' erhalten all diese (im Schlagwort der "sozialen Frage" resümierten) Probleme so etwas wie eine Adresse. Und fortan wird 'sozial' programmatischer Bezugspunkt all dessen, was sich auf die unerfreulichen Folgen und Begleiterscheinungen der kapitalistischen 'Entwicklung' bezieht. Es wird kompensatorisch, es wird (linguistisch gesprochen) nicht nur zum Relationsadjektiv, sondern zu einem pauschalen Verweis darauf, dass die qua 'sozial' modifizierten Nominalphrasen (bzw. das, was sie nennen) einen Bezug auf das Problem der gesellschaftlichen Kohäsion haben. Diese Facette fehlt naturgemäß völlig im lateinischen 'socialis', das die ausdrucksseitige Quelle des heute in vielen Sprachen vertretenen Internationalismus 'sozial' ist.