791 Öffentliche Darbietungen, Film, Rundfunk
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Was im digitalen Zeitalter nach dem Ende der Hegemonie des Kinosaals noch als »Kino« zu verstehen ist, wird häufig anhand des Ortes und Dispositivs der Projektion verhandelt. Philipp Stadelmaier wagt ausgehend von den Schriften des Filmkritikers Serge Daney und Jean-Luc Godards Videoserie Histoire(s) du cinéma einen Neuansatz. Erstmals führt er zwei einflussreiche Figuren der französischen Filmkultur systematisch zusammen und reinterpretiert sie als Kommentatoren des Kinos und seiner Geschichte. So gelingt es, einen cine-philologischen Impuls für filmwissenschaftliche Debatten zu setzen: Als auszulegender, bedeutungsoffener Primärtext erhält das »Kino« in der Post-Kino-Ära neue Kraft und Schärfe.
In the first two decades, when cinema was developing worldwide from a novelty into an entertainment industry, Warsaw belonged to the multinational Romanov empire. Located at its western borders, this Polish city was an important transportation and trade hub and became also a site of the domestic film industry with all its branches – production, distribution, and exhibition. The new medium had a special appeal, and it has always been assumed that the cinema was a social place where people of different classes and ethnicities came together. This article looks at the development of the local cinema market and explores the participations of the local Russian, Polish and Jewish populations. Inspired by the New Cinema History (NCH), it takes its contraposition from the traditional film historiography that uses a top-down approach as a method and the national paradigm as a defining category. Instead, it gives a three-perspectival view utilising a variety of sources including a collection of cinema programmes in three languages from 1913. Based on that, it maps screening venues with QGIS and analysis of cinema programmes, shedding new light onto the complex cinema culture of the city that was called Varshava (Варшава) in Russian, Warszawa in Polish, and Varshe (ווארשע) in Yiddish.
Jeanne d'Arc im Kino
(2008)
Throughout the years of Belarusian independence, remnants from the Soviet Union have permeated the everyday lives of its citizens as well as the country's colloquial and political rhetoric, often thoroughly detached from their original cultural contexts, discourses, and imaginaries. But what can we learn from watching Soviet movies today? The movies in question bear complex meaning pertaining to different Soviet eras and transition periods. Through an informed viewing, we not only perceive the official agenda - be it political, ideological, or cultural - but also traces of social and political tensions, metaphors, and "clues" on historical reality. Historicizing these movies and understanding their initial cultural and social context as part of a sociocultural analysis of film allows to uncover implicit, often unintentional meanings inherent to this cinematic heritage. My analysis here will focus on the social drama "The Woman" ("Женщина"), a late masterpiece of Soviet avant-garde cinema directed by Yefim Dzigan and Boris Shreyber. Artistically and stylistically, this widely forgotten silent movie provides one of the most vivid and interesting pre-War filmic representations of collectivization and village life on Belarusian territory. Produced by Belgoskino, the first Belarusian state-run film studio, and released throughout the Soviet Union in the summer of 1932 through an all-Union distribution, "The Woman" portrays the difficulties of establishing life on a collective farm.
E.T.A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann" ist dank Freuds Interpretation zu einem seiner wichtigsten Werke geworden. Die Novelle, die die Leser mit dem jungen Studenten Nathanael, der mit sich ein Kindheitstrauma trägt, bekannt macht, ist ein komplexes Werk, das auch den weltbekannten Mediziner fasziniert hat. Diese Arbeit befasst sich mit der schon erwähnten Novelle, mit Freuds Artikel "Das Unheimliche" und mit der sehr relevanten Verfilmung aus dem Jahr 2012. Das Motiv des Unheimlichen kommt in dieser Arbeit als eine Kontaktstelle vor, die auf drei verschiedenen Ebenen interpretiert wird: aus der Perspektive des Unheimlichen in der Novelle, aus Sigmund Freuds Perspektive und wie es im Film auftaucht. Ziel dieser Arbeit ist es zu beweisen, dass das Motiv des Unheimlichen in der Verfilmung anders als im Buch begriffen werden kann, d.h. dass Freuds Motiv des Unheimlichen im Text als gruseliger und verwirrender empfunden werden kann.
In der Welt der wilden Kerle : eine populäre Serie im Zeichen des russisch-ukrainischen Krieges
(2024)
Zum Jahreswechsel 2023/2024 gelang einer russischen Fernsehserie, was während Russlands Krieg gegen die Ukraine eigentlich unvorstellbar scheint: Innerhalb weniger Tage entwickelte sich "Ehrenwort eines Kerls. Blut auf dem Asphalt" ("Slowo pazana. Krow na asfalte", 2023) beiderseits der Schützengräben zur populärsten Serie des Jahres. Die Zuschauer- und Klickzahlen erreichten Rekordhöhen und der Titelsong "Pyjala" (dt. 'Glas') der tatarischen Band Aigel schaffte es an die Spitze diverser Hitparaden in beiden Ländern. In der Russischen Föderation war die Serie zwar mit der Altersgrenze "18+" versehen und nur bei den privaten Streamingdiensten Wink und START zu sehen. Doch schon während der Ausstrahlung der acht Folgen der ersten Staffel vom 9. November bis 21. Dezember 2023 verbreitete die Serie sich blitzschnell über Telegram und andere digitale Kanäle. Sätze wie "Kerle entschuldigen sich nicht" oder "Denk dran, du bist jetzt ein Kerl, du bist jetzt auf der Straße, und ringsherum sind Feinde" wurden zu geflügelten Worten. Pädagogen und Politikerinnen schlugen Alarm, als in der Presse Berichte auftauchten, die von durch die Serie inspirierten Schlägereien berichteten, und zwar sowohl in Russland als auch in der Ukraine. Bevor die letzten Folgen überhaupt ausgestrahlt worden waren, gab es auf "Ehrenwort eines Kerls" bereits in beiden Ländern ein breites Medienecho, wobei die Kritiken kontrovers ausfielen und von enthusiastischer Begeisterung bis zu hellem Entsetzen und kategorischer Ablehnung reichten. In der Ukraine kreiste die Diskussion vor allem um die Frage, ob die Fernsehserie allein schon deshalb gefährliche Kriegspropaganda sei, weil sie aus dem Feindesland kommt. In Russland erregte die vermeintliche Romantisierung der Verbrecherwelt Anstoß. Manche Kritiker deuteten die Serie aber auch als subversiven Zerrspiegel der militärischen Aggression. Was war das aber für ein populärkulturelles Werk, das für so viel Aufmerksamkeit und Aufregung sorgte?
Buch des Monats Oktober 2023
(2023)
Kurzvorstellung der folgenden Publikation:
Das Elisium (bis Carneval 1853) als teleskopisches Pracht-Bild des Himmels und der Erde, mit einer großen astronomischen satyrischen Heerschau über sämmtliche Himmelszeichen, Planeten und Sternbilder : Ausstellung einer räthselhaften Musik-Kapelle (afrikanische Automaten-Beduinen), und vieler anderer elysischer Sehenswürdigkeiten, Belustigungen, Kunst- und Musik-Produktionen etc. etc.
Visual representations of sexual violence in the Bosnian War in Jasmila Žbanić's "Grbavica" (2006) and Angelina Jolie's "In the Land of Blood and Honey" (2011) reveal different dimensions of victim feminism. Both directors sought to raise awareness of the issue of wartime rape and to direct viewers' attention to the pain of the distant Other. An intersectional analysis of the two productions (one domestic and one US-based) helps convey the impact of national and gender stereotyping both on self-representations and on representations of Otherness. Moreover, the analysis of a cinematic response to the Western gaze encourages rethinking prevalent images of the so-called Balkans.
Roman Dubasevych zeigt am Beispiel der populären Diskurse, wie das postkoloniale Ressentiment gegen einen russifizierten Osten im Medium der Nachrichtenreportage, des Musikvideos und des Actionfilms "Cyborgs" ("Kiborhy", 2017) zu einer oft durchaus ambivalenten Mythisierung von Kriegerfiguren führt.
Im akademischen Forschungsbetrieb ist es ein kaum bestrittener Gemeinplatz, dass es im Œuvre Federico Fellinis eine "markante Zäsur" gebe, die man um 1960 ansetzt, je nach diskursiver Strategie kurz vor "Otto e mezzo" (1963) oder auf den Spuren Kracauers vor "La dolce vita" (1960), wobei es in der Regel um einen "Bruch mit dem neorealistischen Mainstream" zugunsten einer eher "traumaffinen Schaffensperiode" gehen soll. Die folgenden Überlegungen wollen zeigen, dass es sich hierbei um eine Einteilung handelt, die eher machtgestützten Klassifikations- und Verwaltungsbedürfnissen entgegenkommt, als dass sie der Sache selbst: dem filmästhetischen Werk Fellinis, gerecht würde. Dabei sollte deutlich werden, dass diesem Werk ein mehr oder weniger unbewusstes mythopoetisches System zugrunde liegt, das die formal und narrativ unbestreitbar verschiedenen Filmwerke zu einem in sich schlüssigen Zusammenhang fügt.
Marion Biet denkt in ihrem Beitrag die kuratorische Anteilnahme mit dem Dispositiv des Langzeitdokumentarischen zusammen, das sie als ein komplexes Netz aus multiplen Akteur_innen begreift, dessen Potential sie in einer Neuperspektivierung des Filmischen als intermediale Anordnung sieht. In ihren Ausführungen bezieht sie sich auf die filmische Arbeit sowie methodische Überlegungen der preisgekrönten tschechischen Langzeitdokumentaristin, Helena Treštíková und zeigt, wie "das Zuviel an Leben" und der "Exzess des aufgezeichneten Materials" (Biet) einer kuratorischen Geste gegenübersteht, die geradezu medienarchäologisches Potenzial aufweist
Elisa Linseisen plädiert mit ihrem Beitrag für eine kuratorische Anteilnahme, die die heterogenen filmischen Existenzweisen (vom Distributionstext, zum nicht umgesetzten Drehbuch, zur Erinnerung an den abgebrochenen Dreh) bis in ihr Potenzial sichtbar macht. Als Untersuchungsgegenstand dient ihr der Dokumentarfilm Mariam Ghanis "What We Left Unfinished" (USA/Afghanistan/Qatar 2019), an dem sie exemplarisch zeigt, dass 'unfertige' Filme nicht als "ästhetisch formatierte Bruckstücke" untersucht werden sollten, sondern als "materialisierte Momentaufnahmen eines Produktionsprozesses, der nicht in der Fertigstellung eines als autonom wahrgenommenen Werks resultiert." (Linseisen) Durch diese Perspektivierung von Filmen als prinzipiell vorläufigem, intermedialen Material, das nicht notwendigerweise in einer Endversion fixiert werden muss, macht sie ein "Zuviel des Filmischen" aus, das "alternative medial-affektive Konstellationen des Kuratierens mit sich und dadurch Potenziale jenseits filmhistorischer Dominanzmuster hervorbringt" (Linseisen).
Jan-Hendrik Müller und Stefanie Zingl verfolgen mit ihrem radikal empathischen Ansatz des Archivierens Strategien des In-Beziehung-Setzens filmischen und afilmischen Materials, wobei sie den Nachlass der österreichischen Schauspielerin und Filmemacherin, Elfriede Irrall, ins Zentrum ihrer Untersuchung stellen. Ziel dieser Auslegungen des archivarischen Kuratierens ist es, dominierender Filmgeschichtsschreibung von den Rändern her zu begegnen und sie mit anti-kanonischen Ordnungsprämissen zu konfrontieren, die dem teleologischen Positivismus der Filmgeschichte etwas entgegenstellen.
Briefe, das Gespräch zweier Abwesender miteinander, spielen in vielen Filmen eine große Rolle. Sie werden eingeblendet oder per 'voice over' vorgelesen, man sieht Lese- und Schreibszenen, die mit der Vieldeutigkeit des Geschriebenen spielen. Der Brief sei, so Christina Bartz, "wegen der kommunikativen Verbindung über zeitliche und räumliche Distanzen hinweg" "besonders anschlussfähig für den Film", der ebenfalls durch die Montage räumlich und zeitlich Getrenntes zusammenbringt. Im Gegensatz zum Film ist der Brief jedoch kein Massenmedium sondern Individualkommunikation. Das Zeigen des Mediums Brief oder das Ersetzen dieses historischen Mediums durch ein aktuelleres im Film bietet immer auch die Möglichkeit der Medienreflexion. In meinem Beitrag möchte ich anhand zweier prominenter Beispiele zum einen beobachten, wie in filmischen Adaptionen briefgeprägter literarischer Texte mit Briefen umgegangen wird, und zum anderen, wie anhand der Briefthematik eine Medienreflexion stattfindet. Ich stelle dazu zwei Melodramen vor, in denen Briefe und das damit einhergehende Erkennen und Verkennen eine zentrale Rolle spielen: Max Ophüls' "Letter from an unknown woman" (USA 1948), der Verfilmung von Stefan Zweigs Novelle "Brief einer Unbekannten" (1922), und "Atonement" (2007), die Adaption von Ian McEwans gleichnamigen Roman von 2001.
Das Internet findet auf unterschiedlichste Weise Eingang in den Film: Digitale Formate wie Webserien, Podcasts oder sogar Tweets werden im Medienwechsel Grundlage filmischer Adaptionen, filmische Experimente mit interaktiven und virtuellen Technologien generieren neue, zwischen Film und Computerspiel angesiedelte Medienkombinationen, transmediale Erweiterungen führen auf verschiedene Arten Film- und Serienuniversen im digitalen Raum fort und intermediale Bezüge erzählen durch die Imitation einer digitalen Ästhetik nicht (nur) über das Altermedium, sondern oft auch durch das andere Medium. Zu letzterer intermedialer Kategorie gehörende Phänomene der Thematisierung, Evozierung oder Simulierung sollen hier im Kontext der Darstellung des Internets analysiert werden. Aufgrund der Ubiquität digitaler Medien im Alltag spielen seit einigen Jahren neuere Technologien als Bezugsmedien eine zentrale Rolle in vielen Filmen und Serien. Filmische Internetanwendungen werden dabei vor allem als grafische Benutzeroberfläche, als Nutzungsschnittstelle zwischen Anwender und technischem Gerät visualisiert, die Repräsentation der Hardware erscheint meist nachrangig. Nicht die Darstellung von Computern und Smartphones, sondern die Inszenierung von vernetzten Systemen, Räumen und Kommunikationsstrukturen steht daher im Fokus dieses Artikels. Eingegangen werden soll in diesem Zusammenhang insbesondere auf intermediale Evozierungen des Altermediums durch die Nachahmung digitaler Ästhetiken vermittels des Formenrepertoires des Films, simulierte Screen- und Desktopfilme und auf die Darstellung der dominant schrift- und zeichenbasierten digitalen Kultur durch die Integration von Schrift im Filmbild. Begonnen wird die Untersuchung mit einer Betrachtung von visuellen Metaphern und Strategien der Sichtbarmachung virtueller Räume.
Fremde Welten - eigene Welten : zur kategorisierenden Rolle von Abweichungen für Fiktionalität
(2020)
Selbst Texte und Filme mit dargestellten Welten jenseits irgendeiner temporalen oder spatialen Relation zur uns bekannten Welt sind notwendigerweise bloße Produkte ihrer jeweiligen Entstehungszeit. Umso mehr gilt das für Plots zu beachten, die in der irdischen Zukunft oder auf von der Erde weit entfernten Planeten spielen. Und weil all diese Filme und Texte ein Produkt einer ganz konkreten Zeit, einer ganz konkreten Kultur sind, gilt auch für deren mal mehr, mal weniger fremde Welten, dass sie auf Analogien zur jeweils wirklichen Welt ihrer jeweiligen Entstehungszeit, auf Referenzen zu dieser, zu untersuchen sind. Die fremden Welten können dann, müssen gar, nicht nur eigentlich, sondern auch uneigentlich, zeichenhaft gelesen werden. Der Grad an Explizitheit wie auch Konkretheit der jeweiligen Referenzen mag zwar von Text zu Text, von Film zu Film verschieden sein, in den meisten Fällen werden allerdings die anzutreffenden Analogien zu den jeweils außertextuell oder außerfilmisch existenten Gegebenheiten ausreichen, um sowohl die jeweils temporale als auch spatiale Differenz zu neutralisieren: Die fremde Welt des Textes oder Films stellt eben doch nur ein Spiegelbild, Zerrbild oder Wunschbild der wirklichen, außertextuellen oder außerfilmischen Welt dar. In fantastisch-utopischen Fiktionen ist der Umstand, dass die dargestellten Welten von der zeitgenössischen Wirklichkeit abweichen, dennoch aber auf diese zeitgenössische Wirklichkeit zu beziehen sind, das entscheidende Wesensmerkmal. Demnach ist es vorrangiger Sinn und Zweck der in diesen Gattungen konstruierten, von der raumzeitlichen Wirklichkeit sich differenzierenden, d. h. abweichenden Anders-, Parallel- und Zukunftswelten, Projektionsflächen für die Thematisierung von Sachverhalten eben jener Wirklichkeit anzubieten. Auf diese Weise sollen entweder Themen, die in ihrem ursprünglichen Kontext nur schwerlich oder gar nicht thematisiert werden können, thematisierbar gemacht werden oder aber auch in ihrem Kontext thematisierbare Sachverhalte durch Isolierung von ihrem ursprünglichen Kontext in ein neues Licht gerückt, anders akzentuiert und damit womöglich auch präzisiert und kritisiert werden. Die Existenz einer rational-logischen Begründung der in der dargestellten Welt von der außerfilmischen oder außertextuellen Wirklichkeit abweichenden Phänomene ist dabei nicht zwingend notwendig. Vielmehr stellt deren Vorhandensein lediglich das Unterscheidungskriterium von Science-Fiction zu anderen fantastisch-utopischen Gattungen dar. Im Folgenden soll anhand von Tim Burtons Neuverfilmung von "Planet der Affen" (USA 2001) gezeigt werden, inwiefern eine fremde Welt als eigene Welt gelesen werden kann. Im Anschluss - und das stellt quasi das 'Novum' dieses Beitrags dar - soll vor dem Hintergrund einer mengentheoretischen Definition von Fiktionalität, Faktualität und Fake erörtert werden, inwieweit es sinnvoll ist, das von der wirklichen Welt Abweichende als Distinktionsmerkmal von Fiktionalität heranzuziehen.
Autor*innenfiguren finden sich seit Anbeginn der Filmgeschichte im audiovisuellen Medium - und zwar sowohl als Rekurrenz auf tatsächlich existierende historische Autor*innen als auch auf fiktive Schriftsteller*innen, die für die jeweilige Narration mitsamt der von ihnen geschriebenen Werke kreiert sind. Es bleibt eine spannende Frage, warum das audiovisuelle Medium ein so großes und langlebiges Interesse an Prozessen des Imaginierens, Schreibens und Publizierens hat, das besondere Konjunkturphasen während Herausforderungslagen des Mediums durchlebt - wie beispielsweise die jüngste Welle rund um das Millennium, die mit der zunehmenden Digitalisierung des Films zusammenfiel. Dieser Zusammenhang zwischen sich verändernden medialen Begebenheiten und dem Interesse an Autor*innenfiguren lässt sich nun auch im seriellen Erzählformat des Mediums finden. Der jüngst zu beobachtende Wandel des seriellen audio-visuellen Erzählens vollzog sich insbesondere durch das Aufkommen von Streaming-Diensten und der damit von Sendezeiten der Fernsehsender losgelösten Verfügbarkeit aller bis dato veröffentlichten Episoden einer Serie. Während zuvor ein wöchentliches Warten auf einzelne Folgen und (abgesehen vom Sonderfall der Wiederholung) nur die Verfügbarkeit dieser jeweiligen Episode gewährleistet war, besteht nun die Möglichkeit über 'Binge Watching' große Abschnitte einer Serie auf einmal anzusehen. Hierüber ergibt sich die Möglichkeit komplexe und stringent fortlaufende Handlungsstränge im seriellen Format zu erzählen. [...] Im Kontext dieser Verschachtelung von Spannungsbögen werden auch an die Darstellung von Autorschaft im seriellen Erzählformat Anforderungen gestellt, die deutlich von denen des Spielfilmformats abweichen und sich als folgende Hypothesen formulieren lassen: 1. Aufgrund ihrer Länge und der Untergliederung in einzelne Episoden mit jeweils eigenen kleinen Höhepunkten kann nicht nur die Entstehungsgeschichte eines Werks im Fokus der Narration stehen. Autor*innen im seriellen Erzählformat müssen immer wieder neue Werke angehen, sich auf immer wieder neue Art mit diesen auseinandersetzen und sich durch deren Vollendung erneut beweisen. 2. Das schöpferische Potential und der Akt der Entstehung eines Werks werden im Rahmen der Spannungsbögen getaktet. [...] 3. Als Weiterführung der letzten Konjunkturwelle im Spielfilmformat ist ein deutlich intensivierter transmedialer Umgang zu verzeichnen. [...] Wie sich diese drei Annahmen in einzelnen Beispielen manifestieren, soll anhand drei unterschiedlicher Typen von Autorenfiguren in amerikanischen Serien aufgezeigt werden.
"The art of making beautiful prints in less than an hour : die Dunkelkammer in filmischer Reflexion
(2020)
Mit erstaunlicher Persistenz findet die Dunkelkammer über Jahrzehnte hinweg Eingang in den fiktionalen Film: als visueller wie narrativer Topos, als Handlungsort und als stabiles ikonisches Ensemble - und dies durchaus unter Absehung von der tatsächlichen historischen Relevanz der Dunkelkammer für die fotografischen Fertigungsprozesse im jeweiligen Handlungszeitraum der Filme. Mehr noch: Insofern selbst heute noch Filme mit klarem Gegenwartsbezug die Dunkelkammer thematisieren und reflektieren, findet sich auch hierin die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen wieder. Selbst in Filmen, die ganz selbstverständlich dem Primat der Digitalfotografie und ihrer Materialisierung auf den verschiedensten Displays huldigen, bleiben die Dunkelkammer und die in ihr vollzogenen Prozesse präsent. Im Folgenden soll daher den prominentesten filmischen Narrativen und Motivgestaltungen dieses Zusammenhangs sowie der Frage nach Gründen für die offenkundige Faszination des Mediums Film gerade für diesen Teil der fotografischen Bildgenese nachgegangen werden. Es wird sich zeigen, dass ungeachtet der relativen Breite an einschlägigen Motivverwendungen doch rekurrierende narrative und ikonische Muster identifiziert werden können, die der Dunkelkammer als Handlungsort einen begrenzten Korpus von Funktionalisierungen und Handlungsketten zuweisen und sie dabei als je unterschiedlichen semantischen Raum konstruieren. Gemäß der medienkomparatistischen Grundannahme, dass die Fremdreflexion eines Mediums immer auch eine Selbstreflexion des eigenen Mediums mit sich bringt, wird ferner zu beobachten sein, welche Figurationen von Fremd- und Selbstbeobachtung der Film in seiner Handhabung des Dunkelkammermotivs vollzieht.
Als Big Edie 1977 unmittelbar vor ihrem Tod von ihrer Tochter gefragt wurde, ob sie noch irgendetwas sagen oder richtigstellen wolle, antwortete die Sterbende: "There's nothing more to say. It's all in the film." Diesen in der Diskussion um Grey Gardens viel zitierten Worten möchte ich im vorliegenden Beitrag nachgehen und den Film dabei als ein kinematografisches Doppelporträt begreifen, das, wie es Jean-Luc Nancy zufolge für die Bildform Porträt generell typisch, wenn nicht gar konstitutiv ist, "vor allem die Spannung einer Beziehung [präsentiert]." In diesem Zusammenhang wird mich allerdings weder die Spannung zwischen den Porträtierten, also der Mutter-Tochter-Dualismus, noch die zwischen den Porträtierten und den Porträtierenden, also den Maysles, sonderlich interessieren, sondern vielmehr die zwischen dem Porträt, das heißt dem Film, und anderen Porträts - und zwar jenen, die der Film in seinem, wenn man so will, bis zum Bersten gefüllten intermedialen Laderaum mit sich führt. Was sich rasch zeigen wird, ließe sich unter Rekurs auf Pierre Bourdieus Ausführungen zur männlichen Herrschaft wie folgt formulieren: Grey Gardens ist auch und vor allem ein in vielerlei Hinsicht heterodoxes Antiporträt, das gegenüber Bildwerken in Stellung gebracht wird, die der androzentrischen Doxa voll und ganz entsprechen.
Am 30.11.2023 eröffnete die Ausstellung „Bilder werfen: Grabungsarbeiten zur studentischen Filmkultur in Frankfurt“ im Schopenhauer-Studio, dem Kommunikations- und Ausstellungsraum der Universitätsbibliothek. Sie widmet sich der Geschichte der Film- und Kinoarbeit an der Goethe-Universität, von der Gründung des Film-Studios 1951 bis heute in Form der Pupille – Kino in der Uni...
"Oppenheimer" (Regie: Christopher Nolan, USA 2023) hat diverse Rekorde gebrochen. Er zählt zu den erfolgreichsten Filmen mit R-Rating; schon jetzt konnte er sich unter den ganz oder in wesentlichen Teilen vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs spielenden Filmen den vordersten Platz sichern. Das 180 Minuten lange Biopic über den sogenannten 'Vater der Atombombe' stellt selbst langjährige Spitzenreiter wie "Dunkirk" (Regie: Christopher Nolan, USA 2017) oder "Saving Private Ryan" (Regie: Steven Spielberg, USA 1998) in den Schatten. Mit einem erlesenen Star-Ensemble und einem Budget von 100 Millionen US-Dollar hat Nolan ein dunkles Historienspektakel geschaffen, das angesichts revolutionärer KI-Entwicklungssprünge, menschengemachter Klimaveränderungen und wiederaufkeimender geopolitischer Bedrohungen erschreckend aktuell ist. Wieder einmal sieht sich die Menschheit mit ihren selbstzerstörerischen Kräften konfrontiert. [...] "Oppenheimer" ist ein sehenswerter Film. Man sollte sich allerdings im Klaren darüber sein, dass er sich darin genügt, die Banalität einer Wissenschaft auszustellen, die im Krieg einfach zu funktionieren hat: Was gemacht werden kann, wird gemacht. Das Nachdenken darüber kommt - wie die Sichtbarkeit der Fortschrittskonsequenzen - immer erst ex post. Gerade mit Blick auf die historische Person Oppenheimer wird die gleichzeitig betriebene Mythisierung damit fragwürdig. Anstatt Oppenheimer zum modernen Prometheus, zum Vordenker amerikanischen Könnensbewusstseins zu stilisieren, hätte man mit gleichem Recht dessen weniger berühmten Bruder als mythische Vorlage wählen können. Schließlich war Epimetheus, der Nachdenker, dafür verantwortlich, dass die Büchse der Pandora in die Welt der Menschen kam.
Dieselbe Zeit, derselbe Raum - zwei grundverschiedene Regisseure und damit Erfahrungswelten. Sergei Loznitsas und Aleksandr Rastorguevs Dokumentarfilme der 2000er Jahre sind politische, poetische, punktgenaue Interventionen in die Gegenwart der 'kleinen Menschen' und damit in unsere Gegenwart. Das Buch widmet sich diesen dokumentarfilmischen Meisterwerken, die methodisch Verdrängtes und Übersehenes, planmäßig Vergessenes behutsam sichtbar machen und dabei immer wieder den Krieg in den Blick nehmen. Dokumentarische Filmästhetik erscheint hier in ihrer sozial-, geschichts- und kulturwissenschaftlichen Relevanz. Im post- und kontrafaktischen Zeitalter des allgegenwärtigen medialen Überflusses, inmitten der Fernseh-, YouTube- und virtuellen Realität, erfüllen, begründen, ermöglichen oder schlichtweg erkämpfen die Filme und ihre Autoren verlorengegangene Räume für Widersprüche und Fragen, die mal in ihrer Ambivalenz, mal in ihrer spröden Eindeutigkeit ihren Aussagewert haben. Wider die marginale Rezeption rückt die Publikation die Regisseure in den Raum der interdisziplinären wissenschaftlichen Forschung und stellt die Filmarbeiten als gleichwertige Formen der Wissens- und Erfahrungsproduktion vor. Bei all ihrer Unterschiedlichkeit katapultieren die Filme die Zuschauenden in ebenjene bekannte, aber nicht erkannte, weil nicht gesehene, übersehene, nicht wahrgenommene Hyperrealität ihrer Alltagswirklichkeit. Weder der Autor noch das Werk noch die Zuschauenden sind aus dem jeweiligen historischen oder soziopolitischen Diktum herauslösbar oder gar gänzlich frei.
Gibt es überhaupt einen Filmkanon? Der Filmkanon scheint deutlich weniger fixiert zu sein als der klassische Kernkanon der Literatur. Begründungsmöglichkeiten hierfür sind im Bereich der Diskussionen um den Film als Kunst zu sehen, begründet u. a. mit der Herkunft vom Varieté. Zugleich fungiert(e) die Literatur in stärkerem Maße als Identifikationsraum des Bürgertums. Hinzu kommt die Internationalität des Filmmarktes, mit der eine geringere Bindung an Nationalkanones einhergeht, eine nochmal erheblich größere Masse an Filmen sowie deren stärkere Diversität. Und schließlich scheint das Auteur-Konzept für den Film von prononcierter Bedeutung im Vergleich zu Werkkanones.
Wie fragil der scheinbare Differenzmarker der Emotionalität zwischen Mensch und Maschine ist, führt insbesondere das Genre des Science-Fiction-Films vor, das als ein Experimentierraum fungiert, in dem die biopolitischen Diskurse durch ästhetische bzw. poetische Konter-Diskurse aufgebrochen und hinterfragt werden. Diese Konterdiskursivität führt der Science-Fiction-Film "Ex Machina" (2015) eindrücklich vor, indem dieser anhand der als weiblich gegenderten und künstlich konstruierten AI und Protagonistin Ava (Alicia Vikander), auf der Ebene der Handlung die Frage verhandelt, ob die Grenze zwischen Mensch und Android teilweise aufgehoben werden kann, und damit verbunden die Frage, ob der vermeintliche Differenzmarker der Emotionalität nicht von Androiden produktiv gewendet werden könne, insofern er programmatisch in die entsprechenden Algorithmen eingebaut wird. Diese leitenden Überlegungen führen zur These des vorliegenden Beitrages: Die Protagonistin Ava bedient sich gegenüber den männlichen Figuren des Films der Strategie der Täuschung, indem Ava ihre künstlich angeeignete Emotionalität nutzt, um aus der Forschungsstation zu fliehen. Emotionalität kann entsprechend nicht (mehr) als eine Essenz des Menschen bzw. des Menschseins gelesen werden, sondern muss als ein elementares Konstrukt verstanden werden, das von der Maschine gegenüber den Menschen genutzt wird oder zumindest genutzt werden kann, um diese zu überlisten. Die vermeintliche moralische Überlegenheit des Menschen entpuppt sich folglich als ein grundlegender, menschlicher Denkfehler. Überlegen ist der Mensch gegenüber der Maschine nicht durch seine Emotionalität, vielmehr ist das Gegenteil der Fall: Weil der Mensch emotional ist, gelingt es der Maschine, ihn zu täuschen und sich somit als dem Menschen überlegen zu etablieren. Dergestalt führt "Ex Machina" explizit eine doppelte Grenzüberschreitung vor, indem der Film zum einen darauf aufbaut, dass Androiden scheinbar emotional handeln, da Avas Verhalten einen hoch rationalen Akt darstellt, der die künstlich erschaffene Frau gegenüber den Männern, Nathan (Oscar Isaac) und Caleb (Domhnall Gleeson), die sie beständig konstruieren, optimieren und testen, letztlich als überlegen präsentiert. Zum anderen führt "Ex Machina" anhand der Maschine Ava auf der Ebene des Gendering eindrücklich vor Augen, dass auch die männliche Überlegenheit und die damit einhergehende Geschlechterhierarchie ein reines Konstrukt ist. Der Homosozialität der beiden männlichen Figuren des Films steht die weiblich gegenderte Maschinenfrau Ava konträr gegenüber, auch wenn sie zunächst in diese integriert zu sein scheint, so dass die Frage nach der Repräsentation von Geschlecht und die nach den Verhandlungen zwischen den Geschlechtern nachdrücklich gestellt wird. Die damit aufgerufene Engführung von Männlichkeit und Überlegenheit sowie Weiblichkeit und Emotionalität wird im Verlauf des Films dezidiert aufgebrochen, sodass die Frage nach der Transgression gleich auf zweifache Weise gestellt wird, wenn man den Blick auf Ava richtet: 1. Inwiefern wird das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine, in Bezug auf 'bios', an der weiblichen Androide Ava verhandelt? 2. Inwiefern erlaubt es Ava, Geschlechterverhältnisse neu zu denken, respektive das Verhältnis der Geschlechter, wie es im Film vorgeführt wird, einer neuen Betrachtung zu unterziehen? Um diese Fragen zu beantworten, werde ich in einem ersten Schritt die Differenz zwischen Mensch und Maschine, wie sie in "Ex Machina" inszeniert wird, in den Fokus der Betrachtungen stellen, um danach zu fragen, inwiefern das Verhältnis zwischen den 'menschlichen Männern' und der 'künstlichen Androide' das Konzept des 'bios' verhandelt. In einem anschließenden zweiten Schritt werde ich mich auf das Verhältnis zwischen den männlichen Figuren Caleb und Nathan sowie deren Beziehung zu Ava konzentrieren, um herauszuarbeiten, welche Geschlechterpolitik(en) in "Ex Machina" inszeniert wird, respektive werden.
Bereits mit dem Titel dieses Bandes wird in Aussicht gestellt, darin "Biopolitik(en) in Literatur, Film und Serie" zu thematisieren. Mit der Überschrift dieses Beitrags wird hierzu analog angekündigt, die "Modi der Aushandlung menschlichen Lebens in (Gegenwarts-)Literatur, Film und Serie" zu untersuchen. Was jedoch meint 'in' im gegebenen Kontext? Worin besteht die Konnexion zwischen biopolitischer Thematik und künstlerischem Medium, die über die Präposition zum Ausdruck gebracht wird? Zunächst kann ein Auftreten biopolitischer Themen in Erzähltexten auf Ebene der 'histoire' festgestellt werden, insofern Biopolitik in ihren diversen Spielarten die Settings und Plots literarischer wie filmischer erzählender Texte ausgestaltet. [...] Weitergehend kann eine Wirksamkeit biopolitischer Fragestellungen in Erzähltexten auf Ebene des 'discours' konstatiert werden, sobald Biopolitik zum Reflexionsanlass eines erzählenden Textes wird. Über Szenario und Handlung hinausgehend, eröffnen semantische, narratologische oder metafiktionale Auseinandersetzungen mit biopolitischen Fragen neue Aushandlungs- und Reflexionsräume, in denen Biopolitik perspektiviert und problematisiert wird und mit denen eine kritische Revision durch die Rezipierenden initiiert wird. In dieser Variante biopolitischer Thematik in erzählenden Texten wird somit Biopolitik nicht nur zur Darstellung gebracht, sondern zur Disposition gestellt. In dieser Weise kann ein Erzähltext selbst als Beitrag zum biopolitischen Diskurs fungieren und als solcher Lebenswissen generieren. Auf diesen Prämissen aufbauend werden im Folgenden zunächst der Begriff der Biopoethik und die Besonderheiten biopoethischer Modi skizziert, bevor eine ausführlichere Betrachtung vier solcher Modi an konkreten Erzähltextbeispielen erfolgt. Als komplementäre Ergänzung zur Produktivität biopolitischer Diskurse, wie sie im voranstehenden Beitrag erarbeitet wird, soll so die Produktivität narrativer Biopolitik(en) verdeutlicht werden.
Ende 1972, vielleicht war es auch Anfang 1973, lief im Hauptgebäude der Moskauer Lomonossow-Universität eine Voraufführung von Andrej Tarkovskijs Spielfilm "Solaris". Auf einer Forschungsstation über dem riesigen Ozean des Planeten Solaris soll der Psychologe Chris Kelvin dabei helfen, seltsame Vorgänge aufzuklären. Die Wissenschaftler werden dort von menschlichen Wesen 'besucht', die Projektionen ihrer eigenen quälenden Erinnerungen sind. Ohne die Aussicht, das Rätsel des Ozeans je zu lösen und ins Vaterhaus auf der Erde zurückzukehren, bleibt Kelvin schließlich auf der Station. [...] Andrej Tarkovskij (1932–1986) zählt heute zu den großen, weltweit bekannten russischen Filmregisseuren des 20. Jahrhunderts. Unter Cineasten war er 1972 schon längst kein Geheimtipp mehr; "Solaris" war sein dritter abendfüllender Spielfilm. Der Sohn des Dichters Arsenij Tarkovskij hatte bis 1960 am Moskauer Staatlichen Filminstitut in der Regieklasse von Michail Romm studiert. Seine Anfänge als Regisseur fielen in die sogenannten Tauwetter-Jahre, als sich der sowjetische Film von der heroischen Ästhetik der Stalinzeit befreite, individuelle Schicksale stärker in den Blick nahm und in Anlehnung an den Avantgardefilm der 1920er Jahre teils mit subjektiver Kameraführung experimentierte. [...] Das Drehbuch zu "Solaris" schrieb Tarkovskij gemeinsam mit dem Schriftsteller Fridrich Gorenstejn (1932–2002). Später bekannte Tarkovskij, dass ihn Lems eigentliche Science-Fiction-Geschichte über das Aufeinandertreffen von menschlicher Vernunft und einem so unergründlichen kosmischen Phänomen wie dem schweigenden, aber offenbar lebendigen Ozean auf dem Planeten Solaris wenig interessiert habe. Deshalb verschober im Film die Perspektive auf die ethische Dimension jeglichen Handelns des Menschen - sowohl gegenüber seinen Mitmenschen als auch gegenüber der Zukunft der Erde.
The question of home is a complicated one. While home is emplaced, the notion of home does not simply point to just a location. This chapter thus utilizes what I call the trope of the 'vignette' to look at the concept of home in order to identify some aspects of what constitutes and/or (re)creates it for displaced individuals. It does so by performing a close reading of key moments in the film "Salt of this Sea" by Annemarie Jacir and the collection of essays "The Idea of Home" by John Hughes.
An einer bisher nicht gesehenen 'Wahlverwandtschaft' zwischen Bertold Brechts "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" und Fritz Langs "Metropolis" soll hier gezeigt werden, dass sich das Verhältnis zwischen Lang als international bekanntem Schöpfer monumentaler Filmepen und Brecht nicht nur mit Vokabeln wie Abgrenzung und Differenz beschreiben lässt. Der Film "Metropolis" und das Stück "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" sind in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe entstanden, vor allem aber gibt es einige thematische und strukturelle Korrespondenzen, die man dahingehend interpretieren könnte, Brecht habe mit seiner kapitalismus- und religionskritischen modernen Tragödie eine Kontrafaktur zu Fritz Langs filmischer Sozial- und Liebesutopie geliefert. Statt es bei einer kontrastierenden Gegenüberstellung zu belassen, kann man aber auch eine unterschwellige Affinität zwischen Brecht und Lang herausarbeiten. Diese Affinität lässt sich im Kern daran festmachen, dass bei Brecht wie bei Lang am Ende ein falsches Opferritual vollzogen wird, um den ob der himmelschreienden sozialen Ungerechtigkeit drohenden Gewaltexzess zu bannen. Bei Brecht ist die Opferung und anschließende Heiligsprechung Johannas als parodistische Replik auf die pathetische Schlussszene von Schillers "Die Jungfrau von Orleans" gelesen worden. So wie die Kanonisierung Johannas als Heilige der Schlachthöfe für das Publikum offensichtlich das Ergebnis einer zynischen Manipulation durch den Großkapitalisten Mauler ist, so ist auch das happy end bei Fritz Lang, die Versöhnung zwischen Kapital und Arbeiterschaft im Schatten der Kathedrale, falsch, weil das Ritual, durch das der Gewaltexzess kanalisiert und die Versöhnung vorbereitet wird, ungültig ist. Verbrannt wird in Metropolis ein Opfer, das, folgt man der Argumentation René Girards, nicht opferfähig ist: eine Automatenfrau, die als solche nicht Teil der Gesellschaft ist, der weder etwas Heiliges noch Unheiliges anhaftet, sondern die, mit Walter Benjamin gesprochen, die Wahrnehmungs- und Erkenntniskrise des neuen Medienzeitalters - die mediale Verfasstheit einer entauratisierten Welt - repräsentiert.
Polish-German film relations in the process of building German cultural hegemony in Europe 1933-1939
(2022)
The article presents Polish-German film relations in the framework of Nazis cultural diplomacy between 1933 and 1939. The Nazi effort to create a cultural hegemony through the unification of the European film market under German leadership serves as an important point of reference. On the example of the Polish-German relationship, the article analyses the Nazi “soft power” in terms of both its strength and limits. Describing the broader geopolitical context, the article proposes a new trail in the research on both the film milieus and the cinema culture in Poland in the 1930s. In mythological terms, it belongs to cultural diplomacy and adds simultaneously to film history and New Cinema History.
In "The Birds" zeigt Hitchcock, wie der "oberflächliche" amerikanische Flirt ganz anders als bei Freud verstanden werden kann: nämlich als Erkundungsgang in einem Jenseits des Lustprinzips, bei dem Tod, Trauer und Begehren zusammentreffen. Der metonymische Zusammenhang zwischen den beiden 'love birds' Melanie und Mitch und dem Krieg der Vögel zeigt nicht die Angst vor Freuds "ernsten Konsequenzen", sondern, im Flirt und seiner Oberfläche, die Angst vor dem Tod als der Angst vor dem Leben.
Mafrouza is a twelve-hour-long documentary by French director Emanuelle Demoris, shot in a now-demolished neighbourhood in Alexandria, Egypt. Demoris is one of a long chain of western filmmakers who appeal to some form of 'taking one's time' as an instrument for - morally, politically, epistemologically - adequate representation. Based on the work of Trinh T. Minh-ha, Eduard Glissant, and Poor Theory, this chapter evaluates what happens when a film adopts a strategy of deferral in cases in which it is not clear how questions of 'doing justice' could be resolved. Using long duration and an insistence on the quotidian, Demoris's film forces us to think about the conditions that make pronouncements about character, situation, and narrative possible, continuously postponing the moment when it will become possible to say: 'this film is about …'. By setting itself up for failure, the film proposes one possible approach to the ethics and politics of visibility.
This paper begins with a Bakhtinian reflection on Javanese shadow puppet theatre (wayang kulit), and explores errancy through carnival laughter embodied and performed by the wise, grotesque figures of clown-servants (punakawan). I argue, however, that here the real subversive power lies not in a combative position that erupts in a social revolution but in offering an alternative way of thinking and being, a deviation from the philosophical (Platonic) obsession for truth and heroic/historic gestures that claim to overcome ignorance and hegemonic/normative structures. Responding to the critique of so-called feudal elements in 'Javanism', I explore how the Javanese mantra, 'manunggaling kawula gusti' (the union of servant and lord), incessantly rehearsed in the stories and life of the people, reveals neither blindness nor self-dissimulation.
In "Jagd oder die Kultivierung der Gewalt: Tierethische Sensibilisierung anhand der Filme 'Die Spur' und 'Auf der Jagd'" ("Hunting or the Cultivation of Violence: Sensitizing Students to Animal Ethics using the Films 'Spoor' and 'On the Hunt'"), Björn Hayer proposes an intervention that allows students to understand hunting as a cultural practice and its representation in contemporary film, and to develop greater compassion for nonhuman animals. Arguing that it is possible to relate the cognitive and affective educational goals listed in several secondary school curricula with the objectives of HAS as defined by Gabriele Kompatscher, Hayer sketches a teaching sequence that focuses on two texts featuring hunts: Agnieszka Holland's "Pokot" ("Spoor", the 2017 screen adaptation of Olga Tokarczuk's novel "Drive Your Plow Over the Bones of the Dead") and Alice Agneskirchner's 2018 documentary "Auf der Jagd". Framing his nuanced readings of these two films with recent debates on hunting and animal ethics, Hayer shows that this approach allows secondary school students to develop a better understanding of cinematography. In addition, students also discover how cinematic animals can be used to elicit different cognitive and affective responses that may lead to the development of an ethical regard for nonhuman animals. Contributing to both the literature on animals in film and on related pedagogies, Hayer proposes an approach that could easily be implemented both in secondary schools and in various other educational contexts and settings.
Die diskursanalytische Dissertation beschäftigt sich mit der Frage, wie das amerikanische Kino von seinen Anfängen bis in die Gegenewart das Thema des Scheiterns und Versagens dargestellt hat.
Ausgangspunkt der Arbeit ist dabei zunächst eine Einordnung und Differenzierung des Begriffspaares aus etymologischer Perspektive. Es wird bereits an dieser Stelle auf semantische Unterschiede verwiesen, denen sich divergierende Plotstrukturen anschließen: Die Geschichte des Versagens ist eine andere als die des Scheiterns. Außerdem werden anthropologische Erkenntnisse der Aufklärung benannt, die ein eigenständiges Scheitern und Versagen überhaupt erst ermöglichen.
Im Anschluss an diese sprachtheoretische Untersuchung widmet sich die Arbeit den Besonderheiten des amerikanischen Narrativs des Scheiterns und Versagens und damit einer historischen Perspektivierung, die von der Analyse ausgewählter literarischer Texte abgeschlossen wird.
Die Ergebnisse der sprachtheoretischen Untersuchung, der historischen Perspektivierung und der Literaturanalyse bilden schließlich das Fundament für die sich anschließende Filmanalyse, die die Frage stellt, wie tradierte Erzählformen des Scheiterns und Versagens ab dem 20. Jahrhundert in filmischer Form bestätigt, subvertiert oder gänzlich neu etabliert werden.
Im Vordergrund steht hier zunächst das klassische Hollywood-Kino. Dabei wird grundsätzlich zwischen zwei unterschiedlichen Narrativen unterschieden: Dem Versagen und dem Scheitern. Im ersten Teil stehen die Versager, bewusste Aussteiger, die auf der Suche nach alternativen Lebensentwürfen sind. Bespiele hierfür sind der tramp Chaplins, der singende Obdachlose Bumper in Halleluja, I'm a Bum oder der glückliche Tunichtgut Thadeus Winship Page in The Magnificent Dope. Demgegenüber stehen die Figuren, die an äußeren Umständen scheitern und meist an diesen zerbrechen, wie die lost woman in Blonde Venus oder der forgotten man in I Am a Fugitive from a Chain Gang. Ziel der Analyse ist es, iterative Semantiken und syntaktische Strukturen zu benennen, die die Grundlage eigener Erzählgenres bilden, wie das des „Glücklichen Versagers“ oder der lost woman.
Im letzten Kapitel werden die bisherigen Ergebnisse um Erkenntnisse erweitert, die sich dem modernen amerikanischen Kino entnehmen lassen. Ausgangspunkt ist das New Hollywood-Kino der 60er und 70er Jahre mit Filmen wie Easy Rider, The Graduate, oder The Swimmer.
Auf der Reflexion über die eigene Tätigkeit liegt vor allem im letzten Teil dieses Kapitels der Schwerpunkt. Hier sind es vorwiegend Künstler des 21. Jahrhunderts, wie Drehbuchschreiber, Theaterregisseure oder Comicautoren, die ihre eigenen Handlungen in Frage stellen. Neu ist, dass sich das künstlerische Versagen der Protagonisten nicht nur innerhalb der Diegese auf den Film auswirkt, bzw. dessen Form modifiziert, sondern diese geradezu dekonstruiert und aufbricht.
Während unsere Eltern sich noch mit dem Schneiden und Vertonen von Super-8-Filmstreifen abmühten, stellen Smartphones heute raffinierteste Technik für die Hosentasche zur Verfügung. Doch was macht es mit dem Film, wenn jeder Mensch Videos produzieren und ins Netz stellen kann? Und inwiefern finden mobile Geräte bereits Verwendung in der Filmproduktion?
What is the relationship between reenactment and repetition compulsion? By shedding light upon the different levels of reenactment at stake in "Yella" by Christian Petzold, I analyse the 'transitional spaces' where the German filmmaker places his wandering characters who have 'slipped out of history'. In "Yella" Petzold mixes up past, present, future, and oneiric re-elaboration to question the memory of the past of GDR, which in his view has never really been constituted as history. The characters that populate this movie move in a setting constructed at the crossroad between a protected environment where the reenacted events are sheltered by the time and the space of the plot and a place weathered by the unpredictable atmospheric agents of the present. How and to which extent can the clash between different temporalities produce a minimal variation?
In the reactivation of the feminist collective of artists Le Nemesiache, this paper looks at the tension between rhetoric and translation in relation to the dislocation of archival materials from their situatedness in place (Naples) and time (1970 to the present). Translation emerges as the conveyor of the conditions from which the addresser started, as well as the ones of the addressees, as a potential that takes place in the moment of enunciation through a plurality of subjects. Considering the epistemological tension between history and fiction, as well as the mediation that happens through the body and the different subjectivities triggered by intra-action, this essay will engage with the following question: if the archive is the memory, can dramaturgy and reenactment from the archive become the message of a prophecy?
The essay engages with a screenplay by Michel Foucault, written in 1970 for a film, not realized during Foucault's lifetime, about Pablo Picasso's "Las Meninas", a series of 58 paintings that the artist made in 1957, taking up, updating, reinterpreting the famous painting with the same title by Diego Velázquez (1656). This screenplay is at the same time an example of critical reflection on reenactment in art history and itself a reenactment practice of sorts: the filmic repetition of an artistic repetition. It invites a reflection on the role of repetition as a critical operation: how doubles, reenacted images, and 'countermimesis' can become creative gestures and opening movements of transformation through plays of refraction, duplication, and multiplication of the realities and subjectivities at stake in them.