800 Literatur und Rhetorik
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In den Jahren um 1968 entwickelte sich aus einem kleinen literarischen Magazin eine der meistgelesenen Theoriezeitschriften der Bundesrepublik. Unter der Herausgeberin Hildegard Brenner wurde die "alternative" zu einem Forum intellektueller Entdeckungen und Wiederentdeckungen. Ideengeschichtliche Traditionen des westlichen Marxismus wurden hier ebenso diskutiert wie der französische Strukturalismus und die feministische Kritik der Psychoanalyse, literaturpolitische Auseinandersetzungen in Ost und West ebenso wie die politischen Bewegungen der Zeit.
Einen Leitfaden der "alternative" bildete die fortlaufende Reflexion darüber, wie mit intellektuellen Mitteln gesellschaftliche Wirkung zu erzeugen sei - bis im linken Krisenjahrzehnt der 1970er Jahre vermehrt das Scheitern an diesem Anspruch zum Thema der Zeitschrift wurde. Moritz Neuffer rekonstruiert die Kollektivbiografie der Redakteurinnen, Autoren und Leserinnen und fragt, was das Publizieren in der "journalistischen Form" der Zeitschrift von anderen Formen des Denkens und Schreibens unterscheidet.
Seuchenjahr
(2021)
"Theorie" spricht gerne im Präsens. Allein, es handelt sich um ein unechtes Präsens, das über der Zeit zu stehen beansprucht. Die Ausnahmesituation der Pandemie lädt dazu ein, dieses Präsens zu überdenken und die unvermeidlichen Bindungen der Theorie an gegenwärtiges Geschehen sichtbar zu machen. Durch die klaustrophobische Situation des Lockdown ist eine unheimliche Korrelation von Theorie und Phobie kenntlich geworden. Beide suchen nachträgliche Bestätigung durch die Wirklichkeit. Durch diese Parallele wird auch der Lockdown, in dem das kulturtheoretische Denken ohnehin feststeckte, für sich selbst sichtbar wie in einem Spiegel. Unter dem Stichwort einer "Geschehensethik" erstellen Henning Trüpers Betrachtungen eine Inventur der Probleme und Lektionen, denen sich insbesondere die Theorie der Moral und verwandter Gebiete in der Schule der Pandemie ausgesetzt sehen.
Berühren Denken
(2021)
'Theorie' geht etymologisch auf 'Anschauen' zurück. Der Theoretiker gilt gemeinhin als distanzierter Zuschauer. Diese distanzierte Position wird hier hinterfragt. Die Beiträge stützen sich dabei auf eine theoretische Tradition, die sich am Tastsinn als Korrektiv des Sehsinns orientiert. Taktilen Erfahrungsdimensionen wie dem Berühren wird schon lange eine idealisierte 'unmittelbare Wahrnehmung' jenseits von begrifflicher Abstraktion zugeschrieben. Die Autorinnen und Autoren beleuchten dagegen die komplizierte Verwandtschaft von Berühren und Denken und die begrifflichen Verwicklungen und Potenziale des Berührens. Es werden nicht nur unterschiedliche Konzepte von Berührung in Philosophie und Kunst betrachtet, sondern auch theoretische Denk- und Schreibformen erkundet, die selbst 'Berührungen' mit sich bringen.