800 Literatur und Rhetorik
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Soziologische Theorien weisen von Anfang an, seit Auguste Comte und Max Weber, eine Schlagseite in ihrer Theoriebildung auf und bleiben in ihrer Medienkonzeption beschränkt, wie wir heute wieder in Entwürfen einer Theorie der digitalen Gesellschaft beobachten können. Diese Schlagseite im soziologischen Medienbegriff resultiert nicht nur aus ihrem modernen Blick auf die Gesellschaft, sondern ebenso aus einer medialen Abstraktion; trotz ihrer Empirie sind soziologische Theorien häufig mit einer blinden Stelle in ihrem 'Medienbegriff' behaftet. Zu erinnern sei hier nur an Max Webers Begriff der Rationalität, der höchst abstrakt vom konkreten Lauf der Gesellschaft abgezogen wurde; einer angeblich entzauberten Welt der Moderne, die jedoch in ihrer 'oikonomia' in Wahrheit erst recht vollständig verzaubert auftreten sollte. So blieb und bleibt ihre Modernität, die sie gegenüber der spekulativen, transzendentalen und metaphysischen Philosophie angeblich auszeichnet, ein höchst abstraktes Produkt, das sie freilich in den modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften als etwas höchst Konkretes und Objektives präsentieren oder, aktueller und spezifischer formuliert, statistisch, probabilistisch, stochastisch und algorithmisch errechnen wollen. In diesem medialen Reduktionismus sind heute auch neue soziologische Modelle befangen, die nunmehr die digitale Gesellschaft in einem theoretischen Rahmen unterbringen wollen, dabei aber die letzte verbliebene gesellschaftliche Bodenhaftung verlieren und vollends in einen digital-informatischen Rationalismus abdriften, gegen den dann kein Widerstand mehr möglich ist.
Virtuelle statt realer Präsenz : Begriffe und Konzepte für die digitale Lehre in der Germanistik
(2021)
Angesichts der Neuheit und Vielfalt digitaler Lehr-Lernformate im Sommersemester 2020, dem sog. Corona-Semester, zielt der Beitrag auf einen Überblick über Begriffe, Konzepte und Formate von digitaler Lehre, der sowohl aktuelle Erfahrungen als auch frühere Entwicklungen des E-Learnings berücksichtigt und abschließend digitale Gestaltungsoptionen für virtuelle Präsenzphasen empfiehlt.
Der vorliegende Beitrag […] begründet […] die Relevanz des Kulturbegriffs in Fragen der Digitalisierung philologisch und geht erstens davon aus, daß kulturelle Kompetenz sich von philologischer Kompetenz nicht unterscheidet. Daraus läßt sich ein privilegiertes Mitspracherecht der Philologie in kulturellen Fragen ableiten. Dieses Mitspracherecht betrifft zweitens gerade Projekte der Digitalisierung, weil sie in einem engen Verhältnis zu einem der Kernbereiche der Philologie stehen: zur Edition. Die Diskussion um die "Google Buchsuche" hat bislang genau diesen Zusammenhang zwischen Kultur, Philologie und Digitalisierung vernachlässigt. Seine Berücksichtigung kann zu einer tiefenschärferen Bewertung des Unternehmens in kultureller Perspektive beitragen und zugleich den notorischen Rekurs auf den Kulturbegriff in der Google-Debatte erklären helfen.
Archivieren in die Zukunft
(2021)
Eva Geulens Text dokumentiert ihren Beitrag zu der vom Deutschen Literaturarchiv Marbach am 24. März 2021 virtuell veranstalteten Tagung "#LiteraturarchivDerZukunft". Er wurde ursprünglich als Replik auf die dort diskutierte These 3 entworfen: "Literaturarchive schaffen den literarischen und intellektuellen Kanon mit: Das Archivieren in die Zukunft setzt die stetige Diskussion der Entwicklungen in Literatur und den öffentlich wirksamen Bereichen von Wissenschaft und ein Diskutieren der Kriterien dessen voraus, was es zu archivieren gilt - und was nicht."
Einleitung
(2019)
Das längst avisierte Zukunftsprojekt Industrie 4.0 wirkt sich auf viele Bereiche der menschlichen Produktion, wie u. a. des literarischen Schaffens aus. 2018 ist das Buch Bot. Gespräch ohne Autor des österreichischen Schriftstellers Clemens J. Setz erschienen, das eine Alternative zu einem von der "natürlichen" Person geschaffenen literarischen Werk darstellt. Analog zu der Industrie wird jetzt der Vorgang des literarischen Schaffens digitalisiert, d. h. eine künstliche Intelligenz schreibt ein Buch oder wirkt an ihm mit. Das Werk wird gedruckt, verkauft und gelesen und steht in Bücherregalen neben Büchern von "natürlichen" Autoren. Wie beeinflusst die Einbeziehung der künstlichen Intelligenz die Kanonbildung? Wer wären dann die Leser/innen solcher literarischen Werke? Werden in diesen Werken auch einige früher kanonisierte Werke berücksichtigt? Ist es überhaupt möglich, dass künstliche Intelligenz ein ästhetisch wertvolles literarisches Werk hervorbringt? Mit solchen und weiteren Fragen über die literarischen Begegnungen der künstlichen und menschlichen Intelligenz in der 4.0-Ära befasst sich der vorliegende Artikel.
Die Beurteilung gedruckter Texte und Editionen hat eine lange Tradition in der Literaturwissenschaft, und die entsprechenden Kriterien sind – bis auf einige umstrittene Punkte – mehr oder weniger selbstverständlicher Teil des Fachs. Ganz anders sieht die Lage für die digitalen Medien aus: Elektronische Editionen sind neue Gegenstände im philologischen Alltag, und ihre Gestalt scheint zur Zeit noch eben so schwankend wie die Bewertungskriterien der Anwender solcher Editionen. Andererseits steigt seit wenigen Jahren die Menge der verfügbaren CD-ROMs, es liegen also inzwischen mehrere Beispiele wissenschaftlich brauchbarer Texte vor, und – was vielleicht noch wichtiger ist – sie werden auch verwendet. [...] Im Nachfolgenden wird ein {...] Kriterienkatalog diskursiv entwickelt – in der Hoffnung, andere finden ihn interessant genug, um ihn weiterzudiskutieren. Im Anhang findet sich eine Stichwortliste mit den genannten Bewertungsaspekten.
An der Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum wurden im Sommersemester 2020 durch das Team der PhiloLotsen (eine eigens für das Semester eingerichtete Taskforce) im Anschluss an eine Befragung der Studierenden (1062 Teilnehmer*innen) auch die Lehrenden (137 Teilnehmer*innen) zu ihren Erfahrungen im Corona-Semester befragt (Auswertungen der Befragungen). Durch diese Staffelung konnten Erkenntnisse aus der Auswertung der Studierenden-Umfrage bei der Konzeption der Lehrenden-Umfrage berücksichtigt werden. Für weitere Überlegungen eignen sich vor allem die Differenzen zwischen den Studierenden und Lehrenden und die Einschätzungen zur zukünftigen Lehre in einem regulären Semester. Bei den Fragen zum Workload, zur Interaktion, zu bevorzugten Lehr-/Lernszenarien und zur Nutzung digitaler Tools in regulären Semestern erweist sich das Corona-Semester wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen als eine Art Brennglas, in dem deutlicher zutage tritt, wo es auch jenseits der Corona-Zeit Verbesserungsbedarf gibt.