800 Literatur und Rhetorik
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In ihrem Text stellt Andrea B. Braidt die grundlegende Frage nach dem epistemologischen Wert des 'Kuratorischen' für eine komparatistisch angelegte Medienkulturwissenschaft. Dafür zeichnet sie zunächst die etymologische, kunst- und wissenschaftshistorische Entwicklung des Begriffs des 'Kuratierens' nach und fokussiert insbesondere den Wechsel von der auktorialen Instanz ('Kurator') über das Adjektiv ('das Kuratorische/Kuratoriale') zum Substantiv ('Kuratorialität'), mit dem die Formel 'Kurator X kuratiert eine Ausstellung Y für Publikum Z' eine Dynamisierung erfährt und die Kunsterfahrung als prozesshaftes und relationales "rhizomatisch-organisches Ganzes" (Braidt) beschreibbar wird. In einem zweiten Schritt konfrontiert sie verschiedene Auffassungen des Kuratorischen (Maria Lind und Jean-Paul Martinon) mit Theoriepositionen von Chantal Mouffe zum 'Politischen', von Michel Foucault zum 'Spiegel' und von Jacques Derrida zur 'Différance', um schließlich mit Bezug auf Beatrice von Bismarck zu dem Schluss zu kommen, dass Definitionen von Kuratorialität und Medialität insofern Analogien aufweisen, als sie beide von der Prämisse aus zu denken sind, dass sie in einem performativen Akt das herstellen, was sie jeweils konstituiert. Vor dem Hintergrund dieser Vorüberlegung und mit Bezug auf den 'antisocial turn' innerhalb der queer theory fasst sie Queeratorialität als "sperrige und etwas absurde, jedweder Art von 'mastery' widerstehende Nominalwerdung", die auf eine "groß angelegte, multidimensionale Kritik zeitgenössischer Medialität" abzielt.
"BRIDGIT" ist der Titel des iPhone-Videos, mit dem Charlotte Prodger 2018 den Turner Prize gewann. Der Beitrag zeigt, dass Prodger einerseits an bereits etablierte Ästhetiken des experimentellen queeren Kinos anknüpft, andererseits aber auch über diese hinausgeht. Die ästhetische Verschränkung von Körpern, Begehren, Wahrnehmung und Selbstwahrnehmung, Landschaft, Zeit und Queerness ist - auch im Medium des digitalen Filmes - skulptural und setzt darin eine virtuelle Kraft frei, die sich den neoliberalen Normalisierungsprozessen und der Nicht-Intelligibilität von queeren Begehrensformen in subtiler Weise widersetzt.
Wenn queeres Kino und queere Ästhetiken das Prekäre dokumentieren, dann intendiert dies auch eine Revolution im Symbolischen. Oder anders formuliert: ihr ästhetisches Unterfangen, Rahmungen zum Vorschein zu bringen, ohne sie zu wiederholen, erweist sich, wie die hier versammelten Beiträge namhafter Film-, Medien- und Queertheoretiker*innen zeigen, als prekäre Form der Dokumentation. Die Beiträge bieten dabei zugleich einen Einblick in den gegenwärtigen Stand des queeren Kinos - seiner Filme, Videos und visuellen Installationen.
Gegen das tödliche Schweigen und die Einsamkeit setzt Robin Campillo in seinem Film "120 BPM" das gemeinsame Sprechen, die Versammlung. Basierend auf Campillos Erinnerungen an die politische Arbeit mit ACT UP Paris in den frühen 1990er Jahren rückt der Film die wöchentlichen Versammlungen der Gruppe in den Fokus. Ausgehend von diesen werden die queeren Zeitpolitiken des Films herausgearbeitet und gezeigt, dass der Film die Kämpfe nicht einfach als vergangene zeigt; vielmehr etabliert er eine Ästhetik des Präsentischen, die die Verbindungen von Gegenwart und Vergangenheit als performative Vergegenwärtigungen und potentielle Aktivierungen betont.
Dieser Beitrag fokussiert die Arbeiten von Charlotte Prodger als ein Beispiel für gegenwärtige künstlerische Strategien, die sich bewusst einer Vereinnahmung bzw. einer Kommodifizierung queerer Ästhetiken verweigern und stattdessen die Notwendigkeit einer queeren Selbstbestimmung und damit einer queeren Bewegungsgeschichte (erneut) in den Vordergrund rücken. Insbesondere der 2019 bei der Biennale in Venedig gezeigte Film "SaF05" wird dabei im Zentrum der Überlegungen stehen - eine Arbeit, die in gewisser Weise an experimentelle Prozesse des New Queer Cinema anknüpft und die Betrachtenden in und durch queere (Erinnerungs-)Landschaften führt.
In den Filmen "Old Joy", "Wendy and Lucy" und "Certain Women" werden die zentralen Themen der US-amerikanischen Regisseurin Kelly Reichardt um Armut und Prekarität als Beschäftigung mit Zeitlichkeit deutlich. Der Artikel interessiert sich weiterführend dafür, wie diese Fragen in ihren Filmen auch als queer gelesen werden können. Hierfür werden verschiedene Bewegungen untersucht, die chrononormativen Zuschreibungen entgegenstehen und potentielle Öffnungen und Gefüge zeitigen. Es handelt sich um filmische Unterbrechungen und kleine Brüche, die eine Unklarheit, Abweichung oder Übertretung und die Neuformulierung von Zeit(ver)läufen und Räumen erlauben. Damit offenbart sich ein filmisches Denken, das sich im Bild selbst, in der Kameraführung oder durch Verbindungen in der Montage äußert.
Cet article offre une lecture queer de deux nouvelles de Carl Spitteler. La lecture queer ne signifie pas la recherche d'identités homosexuelles dans les textes ; une telle lecture serait en contradiction avec l'histoire de "Conrad der Leutnant" et "Die Mädchenfeinde". Les nouvelles suivent un jeune homme ("Conrad") et deux garçons encore adolescents ("Mädchenfeinde") et montrent comment ils apprennent à s'adapter à un rôle masculin préconçu qui implique la formation de couples hétérosexuels. Cependant, la thèse des deux textes est que les personnages féminins auxquels les personnages masculins s'ouvrent émotionnellement ne séduisent pas leurs partenaires avec des "charmes féminins". Les hommes (militaires) ou les garçons (pensionnat), élevés dans des contextes véritablement homosociaux, développent pour les personnages féminins un désir qui reflète leur socialisation masculine. Les personnages masculins tombent amoureux d'"images masculines", ce qui signifie que les séductrices doivent symboliquement abandonner leur rôle de femme afin de paraître désirables aux yeux de Conrad, Gerold et Hansli.
Der in seinen mannigfachen Referenzen nahezu opake Film "Contra-Internet: Jubilee 2033" von Zach Blas (2018) steht im Zentrum der Frage, welches Internet wir uns aus einer queer-theoretischen und queer-ästhetischen Perspektive vorstellen können. Was ist eine queere Vision des Internets? Wie lässt sich eine Zukunft des Internets prophezeien, die den von Technologieunternehmen herbeigeführten Nexus von Mystik und Mathematik hintertreibt? Am Beispiel der im Film verhandelten Symbole, Objekte und Materialien beschäftigt sich dieser Beitrag mit der queeren Ästhetik des Algorithmischen.
In der Bekämpfung eines Virus scheint die Zeit aus den Fugen, Unsicherheit und Prekarisierung werden normal - es ist eine Zeit identitärer, individualisierender Immunisierung. Wie kann dann aber eine Zeitlichkeit verstanden werden, die das "Normale" infrage stellt? Isabell Lorey argumentiert für eine queere Zeitlichkeit, die es ermöglicht, in der Gegenwart unruhig zu bleiben. Sie plädiert für eine Sozialität, die auf wechselseitiger Sorge und queeren Schulden basiert und an gemeinsamer kontaminierender Immunisierung interessiert ist.