830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Als Franz Horn, Vorreiter einer modernen Literaturgeschichtsschreibung, 1824 nach einer angemessenen Bezeichnung des Zeitraums zwischen 1750 und 1770 suchte, erinnerte er seine Leser daran, dass diese Jahre unlängst noch als das "goldene Zeitalter der deutschen Literatur" bezeichnet worden waren. Dessen Schriftsteller - so Horn bereits 1805 - hätten einen wichtigen Beitrag zum "Wiederaufblühen und der Reife unserer Literatur" geleistet. Genauso sahen es bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein zahlreiche Literaturhistoriker. Karl Herzog bilanziert 1831 die "Selbständigkeit der National-Literatur" unter der Überschrift "Von der Mitte des 18ten Jahrhunderts bis auf unsere Zeit"; für Christian Georg Friedrich Brederlow beginnt das "classische Zeitalter der deutschen Literatur" in der "Mitte des 18. Jahrhunderts", für Werner Hahn setzt die "Zeit der klassischen Vollendung der deutschen Poesie" mit "Klopstock 1748" ein, Karl Gustav Helbig periodisiert "vom zweiten Viertel des 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart", Joseph Hillebrand spricht von einer "nationalliterarischen Reformation unter Lessing", was zugleich "der Anfang ihrer klassischen Wiedergeburt" gewesen sei, und Heinrich Laube sieht mit Lessing gar "diejenige Literatur, welche man die klassische nennt", beginnen.
Was hier immer wieder wie eine zusammenhängende Periode erscheint, die ausgehend von der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bis zu seinem Ende reicht, sollte schon bald zu einem mehrstufigen Entwicklungsmodell ausdifferenziert werden, an dessen Ende die Weimarer Klassik steht - als mondäner Gipfel, der einen großen Schatten werfen wird auf die vermeintlichen Niederungen der Literaturlandschaft.
The incorporation of Greater Poland [in Polish: Wielkopolska] into the Kingdom of Prussia was the beginning of a direct neighbourhood of Poles and Germans in a relatively small area. This paper shall present the experiences of Prussian / German settlers in the Poznań Province which are based on autobiographical literary texts authored by officials and teachers (with their families) who came to this region. While reading these memoirs one can infer that they made efforts to “familiarise” new and ethnically foreign elements in the annexed territory. They cultivated and promoted their own culture here while concurrently not being too eager to participate in the culture and social life of the Polish locals. They manifest characteristic features typical of the colonist’s attitude. On the one hand, they present the country they colonise as foreign. On the other hand, they depict indigenous people whom they describe as individuals standing on a lower levelcivilisation-wise compared to the German “culturebearers” who came here [“Kulturträger”].
The key issue in the discussed literary material of the longterm mobility of German families of officials and teachers allows to consider the following issues: How do the authors present migration to the Poznań Province and its effects? What stood in the way of building a sense of belonging and relationship between representatives of different nationalities in a new place? What does the studied autobiographical material say about the phenomenon of transnationality? Can one talk about transnational practices or their elements based on the specificity of the Poznań Province?
Die Kulturabteilung der Deutschen Botschaft Ankara, das DAAD-Informationszentrum Ankara und die Hacettepe Universität boten im Wintersemester 2016 für interessierte Masterstudierende und Doktoranden ein Workshop-Seminar zu transkulturellen Konzepten von Zeit und Raum in den Werken Ilija Trojanows an. Konzepte von Fremdheit, Migration, Transkulturalität sowie Raum und Zeit standen besonders im Fokus der Veranstaltung. In seinen Werken wirft Trojanow den Blick auf die Ausbildung interkultureller Identitäten und die damit einhergehenden Dimensionen von Fremdheit, Ablehnung und Identitäts- bzw. Zugehörigkeitsdiffusionen. Die Entfremdung von der eigenen Kultur und den damit verbundenen Perspektivwechsel thematisiert Trojanow unter anderem in seinem Werk Der Weltensammler.
In diesem Seminar stand jedoch nicht nur der Roman Der Weltensammler im Vordergrund, sondern unterschiedlichste Literatur Trojanows. Angeleitet wurden die Nachwuchswissenschaftler über zwei Präsenzseminare zum Thema Kulturanalyse und Anwendung von Methoden in der Literaturwissenschaft. Der Mehrwert des Workshop-Seminars bestand darin, dass die Studierenden Fragen aus den Werken anhand von Hypothesen direkt an den Autor stellen konnten. Um diese auch anderen Wissenschaftlern nicht vorzuenthalten, entschied man den Workshop aufzunehmen und im Anschluss zu transkribieren. Dieses Transkript bietet eine Stellungnahme über die Literatur und Philosophie Ilija Trojanows an und trägt gleichzeitig zum Textverständnis seiner Werke bei.
Folgende Werke Trojanows wurden für den Workshop ausgewählt:
Meine Olympiade: Ein Amateur, vier Jahre, 80 Disziplinen
Der Weltensammler
Der überflüssige Mensch
Macht und Widerstand
Zu den heiligen Quellen des Islam: Als Pilger nach Mekka und Medina
Die Versuchungen der Fremde: Unterwegs in Arabien, Indien und Afrika
Döner in Walhalla oder welche Spuren hinterlässt der Gast, der keiner mehr ist.
Die Studierenden, die sich eingehend mit der Literatur in Vorlauf-Präsenzseminaren beschäftigt hatten, entwarfen (kontroverse) Hypthesen, die sie Herrn Trojanow im Workshop vortrugen. Folgende Transkription wiederspiegelt einen Abriss über die Literatur Trojanows und zeigt gleichzeitig Antworten, die zum Teil auch aus einem sehr philosophischen Terminus entspringen.
Dinge, denen besondere Eigenschaften oder Wirkungsweisen zugeschrieben werden, tauchen in der mittelalterlichen Literatur allenthalben auf. Sei es, dass sie einem anderweltlichen Bereich entstammen wie Siegfrieds Tarnkappe im Nibelungenlied oder der Paradiesstein im Alexanderroman, sei es, dass eigentlich 'gewöhnliche' Dinge in den Fokus der Erzählung rücken wie der Schmuck der Jeschute in Wolframs Parzival oder Brünhilds Gürtel - in bestimmten Konstellationen werden Dinge zu 'Mitspielern', deren handlungsdeterminierende Macht derjenigen der menschlichen Protagonisten um nichts nachsteht. Dass Dinge 'handeln', ist in den Texten des Mittelalters keine Seltenheit.
Este artigo aborda parte dos resultados de uma pesquisa mais abrangente que objetivou compreender (inter)relações que se estabelecem entre práticas de leitura e escrita em alemão e em português de crianças do Ensino Fundamental e o contexto de língua de herança em que estão inseridas. Quanto à dimensão teórica, o estudo filia-se à área da Linguística Aplicada em diálogo com a Educação em contextos interculturais. A pesquisa, de base qualitativo-interpretativista, teve como locus uma escola municipal, em zona rural do município de Blumenau, Santa Catarina. Quanto aos procedimentos metodológicos, foram utilizadas duas propostas de produção de narrativas escritas, uma em português e outra em alemão. Os resultados sugerem que (i) as crianças têm domínio restrito de uma estrutura narrativa e aplicam-na parcialmente nas produções em ambas as línguas; (ii) o vocabulário e as estruturas gramaticais são característicos das práticas linguageiras cotidianas; iii) os estudantes desconhecem ou não internalizaram regras ortográficas, especialmente da língua alemã. A partir dos resultados da pesquisa afirma-se a importância de se garantir, na educação formal, o aprendizado da língua de herança, ao lado do português, em contextos bi/multilíngues similares.
The main issue of this paper is to analyse the literary motif „Effi Briest“ as it is found in the novel „Effi Briest“ by Fontane, Christine Brückners speechless monologues of angry women and in Rolf Hochhuths drama „Effis Nacht“ related altogether to the real protagonist Elisabeth von Ardenne and her more than unusual life. While Fontane and Brückner depicture a young helpless woman, restraint by society, unable to free herself but dying of grief, Hochhuth refers to the biography of Else von Ardenne whose life lasted almost a century. During her monologue the fictional Else comments not only on historical events like the two World Wars but also in intertextual remarks on Fontane’s novel based on her own biography.
With the preservation of health an age-old concern for humanity, guides to healthy living based on humoral theory were among the earliest texts of medieval school medicine to be translated from Latin into the vernacular. Subject of this study is the development of a German technical language for dietetics from the late thirteenth to the late fifteenth century as evidenced in Hiltgart von Hürnheim's translation of the 'Secretum secretorum', the anonymous translation of the regimen in the 'Breslauer Arzneibuch', and the four independent translations of Konrad von Eichstätt's 'Regimen sanitatis'. Special emphasis is put on a number of 'termini technici' from humoral theory and the way the various translators tackled these terms.
Annette von Droste-Hülshoff hat neben ihren zu Lebzeiten erschienenen literarischen Hauptwerken keine explizit poetologischen Schriften hinterlassen. Dieser Befund überrascht bei einer Autorin, deren Gedichte und Prosatexte in hohem Maße selbstreflexiv sind. Eine mögliche Begründung dafür, dass diese konzeptionelle Energie nicht in eine individuelle Poetik mündete, kann sich auf kulturhistorische und biographische Argumente stützen. [...] Sich auf dem Literaturmarkt mit programmatischen Schriften oder literaturkritischen Zeitschriftenbeiträgen zu positionieren, wäre für Annette von Droste-Hülshoff undenkbar gewesen. Dem Verbot zum Trotz ließ sie sich allerdings nicht davon abhalten, alle verfügbaren Journale zu lesen und sich akribisch in Diskurs und Regularien zeitgemäßer Kritik einzuarbeiten. Daraus folgten verschiedene Strategien der Camouflage und des Versteckspiels, um die gewonnenen Fertigkeiten insgeheim und in gleichsam unverdächtigen Medien zu erproben: Poetologische Reflexionen liegen subkutan in Gedichten verborgen, die oberflächlich gelesen von der westfälischen Landschaft oder einer fragilen weiblichen Identität handeln, Spurenelemente verbotener Literaturkritik finden sich in den Briefen an Schücking und Elise Rüdiger. Wenn sich die Autorin nämlich, selten genug, in Briefen und Gedichten explizit über Poesie äußert, dann überrascht sie mit denkbar schlichten und dem eigenen Modernitätsanspruch kaum angemessenen Formulierungen. [...] Das sind Ungereimtheiten, die ich in diesem Beitrag zu erklären versuche. Sowohl die erste Beobachtung, dass Droste poetologische Äußerungen versteckt, als auch die zweite, dass die bestens und aktuell informierte Autorin mitunter zu solch anachronistisch anmutenden Formeln wie den oben zitierten greift, möchte ich vor dem Hintergrund ihrer kritischen Zeitgenossenschaft diskutieren. Meine Hypothese ist, dass das Spannungsfeld in Drostes Texten kontextuellen Spannungsfeldern korreliert und zu ihnen in ein Abbild- und Reflexionsverhältnis tritt. So, nämlich kontextbezogen und als Verhältnisbestimmung gesehen, erscheinen mir Drostes Verlautbarungen über das Dichten nicht weniger politisch als die ihrer vormärzlichen Kolleg*innen. Ein solches Vorgehen erfordert einen nochmaligen Blick in die Geschichte des 19. Jahrhunderts, und zwar unter besonderer Berücksichtigung jener ungeheuren, für das Jahrhundert charakteristischen Veränderungsdynamik, die Jürgen Osterhammel im Titel seiner Studie "Die Verwandlung der Welt" zum Ausdruck bringt. Einige der Fragen, die mich während der Suche nach Annette von Droste-Hülshoffs 'ungeschriebener Poetik' in ihren Texten und Briefen beschäftigen werden, richten sich auf die besonderen, von der Autorin selbst analysierten Modernisierungserfahrungen in Westfalen.
Ein teures Vergnügen war es im 14. Jahrhundert, ein Liebhaber der Literaturen zu sein – das geht mit Deutlichkeit aus einer der prachtvollsten und wichtigsten Handschriften der Donaueschinger Bibliothek, dem Codex 97, hervor: sie ist so groß wie ein Weltatlas, enthält den ‚Neuen Parzival’ und wurde 1336 vollendet. (...)
Die deutschen Handschriften umfassen Beispiele aus allen Bereichen der mittelalterlichen Textüberlieferungen von höfischen Prunkcodex bis zur geistlichen Gebrauchshandschrift; in ihrer je unverwechselbaren Gestalt können uns die Codices Auskünfte über das Leben der Texte in der mittelalterlichen – und neuzeitlichen – Gesellschaft geben. Darüber hinaus bildet die Sammlung einen noch längst nicht vollständig gehobenen Schatz von Werken, die zur Kenntnis der Vergangenheit unserer Literatur, der politischen Geschichte und des Alltags Wichtiges beizutragen haben.
Die im religiösen Kontext entstandenen Formen des Umgangs mit Heil und Erlösung bleiben bis in die Gegenwart prägend für den literarischen Diskurs. Die Bibel stellt dabei einen zentralen Prätext dar, wobei in der Moderne nicht selten gerade ihre ambivalenten Erzählungen und Figuren in den Blick genommen werden. Auch mehrere Texte von Joseph Roth befassen sich mit der Frage nach dem Heil und beziehen sich dabei in unterschiedlicher Weise auf religiöse Literatur. Mit dem Roman 'Hiob. Roman eines einfachen Mannes' und der Novelle 'Die Legende vom heiligen Trinker' stehen zwei dieser Texte im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen. Beide Texte greifen neben ihren expliziten Bezügen zur religiösen Literatur auf das Motiv der Wüstenwanderung und das damit verbundene Schema von Exil und Wiederkehr zurück, beziehen sich dabei aber auf je unterschiedliche religiöse Konzepte und Erzähltraditionen. Nicht zuletzt steht 'Hiob' in engem Bezug zur jüdischen Kultur Osteuropas, während die 'Legende' stärker an der christlichen Kultur orientiert ist.
Zürich im Jahr 1888: Frank Wedekind, die Brüder Hauptmann, Agnes Bluhm, Alfred Ploetz, Auguste Forel, Gustav von Bunge und andere Literaten und Naturwissenschaftler bilden einen Diskussionskreis, in dem Literatur und Wissenschaft ein äußerst fruchtbares Wechselverhältnis miteinander eingehen. Besonders die zu jener Zeit immer stärker aufkommende Frage nach der genetischen Entwicklung der Menschheit bestimmt auch die Debatten des Zirkels und stellt zugleich einen zentralen Ausgangspunkt für weitere Überlegungen dar, wie sich Gerhart Hauptmann später erinnern wird: "Vererbungsfragen sind schon damals in der Medizin und darüber hinaus viel diskutiert worden. Unter Forels und Ploetzens Führung auch in unserem Kreis".
Für den jungen Frank Wedekind sind die in diesem Rahmen vor allem von Alfred Ploetz hervorgebrachten Ansätze einer gezielten Steuerung des menschlichen Erbguts in den ersten Jahren seines schriftstellerischen Schaffens prägend. Insbesondere die von Ploetz und anderen Vertretern der Eugenik aufgezeigte Notwendigkeit eines Aufbegehrens gegen die bestehende Gesellschaftsordnung zieht Wedekind in ihren Bann. Am deutlichsten tritt die literarische Adaptation eugenischer Themen und Motive in seinem Fragment gebliebenen Prosastück "Mine-Haha oder Über die körperliche Erziehung der jungen Mädchen" aus dem Jahr 1895 zutage, das wiederum eng mit dem Drama "Hidalla" von 1905 verknüpft ist. Doch auch spätere Werke Wedekinds stehen unter dem Einfluss seiner in diese Zeit fallenden intensiven Auseinandersetzung mit der Thematik.
Steffen Kopetzkys im Jahre 2015 erschienener Roman "Risiko" kann in der Tat als ein historischer Abenteuerroman gesehen werden. Bei genauerer Betrachtung seines Erzählgegenstandes wird deutlich, dass der Roman eine am Anfang des Ersten Weltkriegs angesiedelte deutsche Expedition nach Afghanistan behandelt, bei der das Osmanische Reich ebenfalls mitgewirkt hat. Das Ziel der Deutschen bestand hierbei darin, die Muslime in dieser Region und vor allem in Indien zu einem Aufstand zu bewegen, um auf diese Weise eine Überlegenheit gegenüber den Briten zu begründen. Entlang der Thematisierung einer in Vergessenheit geratenen historischen Facette der deutschen Kolonialpolitik legt Kopetzkys Roman, so die These der vorliegenden Arbeit, unterschiedliche Facetten des deutschen Kolonialismus frei und bietet vor allem anhand der Darstellung dieser exzentrischen Expedition in den Orient eine dezidiert kritische Perspektive auf die kolonialen Machtdiskurse des Westens. Vor allem die kuriose Verfasstheit des erzählten Gegenstandes, den der Roman fiktional bearbeitet, stellt eine produktive Grundlage für einen Perspektivenwechsel im Sinne einer postkolonial orientierten Literaturwissenschaft dar. Nach einer kurzen Skizzierung der theoretisch-methodischen Grundannahmen der postkolonialen Literaturwissenschaft sowie der Erläuterung des Begriffs 'postkolonial' fokussiert die vorliegende Arbeit zunächst die Fiktionalisierung der Diskurse des Kolonialismus und Orientalismus und nimmt dabei auf die Ansätze von Edward W. Said, Homi K. Bhabha und Gayatri Ch. Spivak Bezug. Anschließend konzentriert sich die Arbeit auf die 'subalternen' bzw. postkolonialen Blicköffnungen, die mit der Darstellung der Niedermayer-Expedition verknüpft sind.
The representation of music in literature is often conceived in terms of a 'paragone', a debate over which of the arts ranks highest. In this context, literature is commonly spoken of as imitative or emulative of the music it is trying to represent. This premise informs even the most recent terminologies of literary scholars describing the intermedial relationship of music and literature systematically. Using the narratological concepts of 'showing vs. telling' to describe musical representation in literature, as proposed by the "Handbuch Literatur & Musik", this article argues that such a view is based on a misleading assumption about literary imitation and leads to constrained possibilities of hermeneutical interpretation. After a systematic reconstruction of the proposed terminology and a proposal for its modification, an exemplary analysis of Helmut Krausser's novel "Melodien" ["Melodies", 1993] will serve to demonstrate how a refined conception of the terminology can help to bring about more precise interpretations.
Soziologische Theorien weisen von Anfang an, seit Auguste Comte und Max Weber, eine Schlagseite in ihrer Theoriebildung auf und bleiben in ihrer Medienkonzeption beschränkt, wie wir heute wieder in Entwürfen einer Theorie der digitalen Gesellschaft beobachten können. Diese Schlagseite im soziologischen Medienbegriff resultiert nicht nur aus ihrem modernen Blick auf die Gesellschaft, sondern ebenso aus einer medialen Abstraktion; trotz ihrer Empirie sind soziologische Theorien häufig mit einer blinden Stelle in ihrem 'Medienbegriff' behaftet. Zu erinnern sei hier nur an Max Webers Begriff der Rationalität, der höchst abstrakt vom konkreten Lauf der Gesellschaft abgezogen wurde; einer angeblich entzauberten Welt der Moderne, die jedoch in ihrer 'oikonomia' in Wahrheit erst recht vollständig verzaubert auftreten sollte. So blieb und bleibt ihre Modernität, die sie gegenüber der spekulativen, transzendentalen und metaphysischen Philosophie angeblich auszeichnet, ein höchst abstraktes Produkt, das sie freilich in den modernen, ausdifferenzierten Gesellschaften als etwas höchst Konkretes und Objektives präsentieren oder, aktueller und spezifischer formuliert, statistisch, probabilistisch, stochastisch und algorithmisch errechnen wollen. In diesem medialen Reduktionismus sind heute auch neue soziologische Modelle befangen, die nunmehr die digitale Gesellschaft in einem theoretischen Rahmen unterbringen wollen, dabei aber die letzte verbliebene gesellschaftliche Bodenhaftung verlieren und vollends in einen digital-informatischen Rationalismus abdriften, gegen den dann kein Widerstand mehr möglich ist.
Bei der Durchsicht von literarischen und literarkritischen Werken der 1830er und 40er Jahre wird schnell deutlich, daß jedes einen anderen 'Goethe' hat. Damit ist nicht nur den Tatsachen Rechnung getragen, daß jeder der Autoren seine ganz individuelle Sicht auf Goethe zur Geltung bringen will - um des eignen Profils und der Distinktionsgewinne willen - und daß jede der sich ausdifferenzierenden ideologischen Positionen,
die dem Vormärz sein besonderes Gepräge geben, sich ihre spezielle, pejorative oder verklärende Mystifikation zurechtlegt.
'Schweigen und tanzen' : Hysterie und Sprachskepsis in Hofmannsthals Chandos-Brief und "Elektra"
(2011)
Hugo von Hofmannsthals Tragödie "Elektra" wurde bereits 1903 bei ihrer Uraufführung in Berlin von der zeitgenössischen Kritik als Inszenierung einer hysterischen Krankengeschichte aufgefasst. Die germanistische Forschung hat die Ansicht, dass Hofmannsthals Drama "klinisches Material in bürgerliches Bildungstheater" verwandle, immer wieder aufgegriffen und variiert. Als Vorlage für die Figur der Elektra gilt dabei gemeinhin die Hysterikerin Anna O. aus Joseph Breuers und Sigmund Freuds "Studien über Hysterie". Eine solche eindimensionale Interpretation ist jedoch aus verschiedenen Gründen - nicht nur im Hinblick auf Hofmannsthals Kenntnis der "Studien über Hysterie" zum Zeitpunkt der Niederschrift seines Dramas - fragwürdig: Vernachlässigt wird dabei insbesondere die Bedeutung des Prozesses einer Umschrift von Fallgeschichten in Literatur, mithin die Transposition, welche die Versatzstücke aus dem medizinsch-psychoanalytischen Bereich erfahren, wenn sie in das poetische Gefüge eines literarischen Textes eingerückt beziehungsweise in den Zusammenhang eines Gesamtwerkes wie dasjenige Hofmannsthals und seiner ihm eingeschriebenen Poetologie gestellt werden.
Musikalische Unterweisung hat einen festen Platz auf allen Stufen des mittelalterlichen Bildungssystems […]. Für die vielfältigen rhythmischen, mnemotechnischen und intensivierenden Beziehungen, die Musik mit lehrhaftem Sprechen eingeht, ist der lebenspraktische Hintergrund entscheidend. Vor allem im monastischen Kontext nahm die Vermittlung von Musik einen zentralen Platz ein, da Musikkenntnisse für die gemeinschaftlich gesungene Liturgie unabdingbar waren. […] Die Musiklehre ermöglichte die Aneignung theologischer Konzepte und übernommener Lehrinhalte; Singen und der mentalis iubilus auf den Seeleninstrumenten wurden von da aus zu einer zentralen Ausdrucksform der persönlichen Andacht. Das wird im 15. Jahrhundert in der von der devotio moderna inspirierten Reformbewegung von Bursfelde besonders sichtbar, da sich aus dieser Zeit nicht nur liturgische Handschriften, sondern auch Andachtsbücher und Berichte über den Umgang mit Musik innerhalb der Reformbewegung erhalten haben. […] Die Ebstorfer Schulhandschriften, die Liederbücher aus Wienhausen und Ebstorf und die Medinger Andachtsbücher bieten reiches Anschauungsmaterial für die Vermittlungsleistung spätmittelalterlicher geistlicher Musik. Ein besonderer Akzent wird dadurch gesetzt, dass volkssprachige Musikformen gleichberechtigt einbezogen und in das Liedrepertoire und die Andachtsübungen integriert werden. Im Folgenden frage ich daher danach, wie sich unter den Bedingungen der liturgischen Erneuerung Ende des 15. Jahrhunderts die Unterrichts- und Musizierpraxis der Nonnen in neue, musikalisch inspirierte Andachtsmodelle umsetzt.
Jameson argues that in 'a society bereft of all historicity', 'what used to be the historical novel can no longer set out to represent the historical past'. The 'postmodern fate' of the historical novel is to be forced to come to terms with 'a new and original historical situation in which we are condemned to seek History by way of our own pop images and simulacra of that history, which itself remains forever out of reach. Salman Rushdie's "Midnight's Children" (1981) and Patrick Süskind's "Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders" (1984) stand out as two hugely successful novels from this period that raise questions about historical representation within the space of the popular. They might therefore be used as test cases for Jameson's concerns. "Midnight's Children" is a sprawling story of Indian and British imperial and post-imperial history across the twentieth century. "Das Parfum" tells the tightly framed tale of a murderous perfumer in eighteenth-century France. Seemingly very different texts, they bear one curious similarity: both feature a protagonist with an unusually sensitive sense of smell.
Als Beginn der Theatermoderne gelten der Forschung gemeinhin Max Reinhardts vielgestaltige Versuche, das etablierte Modell des Repräsentationstheaters zu überwinden. Konzeptionell niedergeschlagen haben sie sich erstmals in den Überlegungen zur innenarchitektonischen Ausgestaltung des Berliner 'Kleinen Theaters', die Reinhardt in seinem Brief an den mit dem Projekt betrauten Freund Berthold Held vom 4. August 1901 anstellt: "Von der Bühne müssen meiner Ansicht nach unbedingt Stufen ins Publikum führen. Das können wir gut brauchen und erhöht die Intimität, vielleicht an jeder Seite ein paar Stufen, worauf in der Skizze gleich Rücksicht genommen werden möge." Die von Reinhardt gewünschten Stufen sollen die Einheit des den Bühnen- und Zuschauerraum umfassenden Raum-Zeit-Kontinuums markieren und so die programmatische Revision der im Laufe des 18. Jahrhunderts erfolgten Ausgliederung des Zeichenraums Bühne aus dem weltlichen Raum-Zeit-Kontinuum symbolisieren. In gleicher Weise markiert wird diese Revision der etablierten Kommunikationssituation Theater schon in Hugo von Hofmannsthals frühem lyrischen Drama 'Der Tod des Tizian' (1892), in dem dieser die Figur des Pagen ins Proszenium treten und das Publikum direkt ansprechen lässt, um die den Zuschauerraum vom Zeichenraum Bühne trennende Rampe in metaleptischer Geste zu überspielen. Bestimmt man das Repräsentationsparadigma, das durch diese Operationen überwunden werden soll, mit Jacques Derrida semiologisch als ein wesentlich durch die "Exteriorität des Signifikanten" bestimmtes Zeichenmodell, dann ist es wohl angemessen, die (im gemeinsamen Konzept der Salzburger Festspiele kulminierenden) Versuche Reinhardts und Hofmannsthals, mit dem Repräsentationsparadigma zu brechen, als ein von der Intention zur Interiorisierung des Signifikanten gesteuertes Programm zu bezeichnen.
'Mut zur Angst' oder 'angstfreies Leben'? : philosophische Überlegungen zu einem bedrohlichen Thema
(2016)
Anlässe, über das Thema 'Angst' nachzudenken, gibt es in diesen Tagen mehr als genug. Weihnachtsmarkt und Karneval sind längst vorbei, aber die Terrorgefahr hat sich in Alltag und Lebenswelt verankert. Vor einiger Zeit galt das Thema 'Angst' noch als überschätzt. Gern wurde auf die sprichwörtliche 'german angst' hingewiesen: Vor 30 Jahren hatten wir Angst vor dem Waldsterben, vor 20 Jahren vor dem Wettrüsten und heute vor der Weltklimakatastrophe. Auf Menschen in Ländern mit weniger komfortablen sozialen Bedingungen kann solch diffuse Ängstlichkeit hysterisch wirken. So etwas ist für distanzierte, wissenschaftliche Beobachter geradezu eine Einladung zur Entdramatisierung. 2014 erschien das Buch 'Gesellschaft der Angst' des Soziologen Heinz Bude. Dieser gefragte Vertreter seiner Zunft zählt allerlei Angstphänomene auf: "Schulängste, Höhenängste, Verarmungsängste […], Abstiegsängste, Bindungsängste, Inflationsängste". Und überhaupt: "Ängste vor der Zukunft […], weil bisher alles so gut geklappt hat". Für Bude sind diese öffentlich beschworenen Ängste "offensichtlich" diffus. Er nimmt die Vogelperspektive der Systemtheorie ein und sieht von konkreten Inhalten der Ängste erst einmal ab. Stattdessen betrachtet er sie als soziales Blutdruckmessgerät. Budes These lautet: Ungerichtete Angstgefühle sind ein probates Mittel, mit dem "sich Gesellschaftsmitglieder über den Zustand ihres Zusammenlebens [verständigen]: Wer weiterkommt und wer zurückbleibt; wo es bricht und wo sich schwarze Löcher auftun, was unweigerlich vergeht und was vielleicht doch noch bleibt". Für solche kollektiven Selbstdiagnosen ist es notwendig, dass die Angstgefühle diffus sind. Sonst könnte man sie nicht wie ein Passepartout auf allerlei Sorgen ganz unterschiedlicher Menschen legen und nicht so gut darüber reden und schreiben.
Das ist eine sozialfunktionalistische Perspektive. Man kann sich der Thematik freilich auch aus anderen methodologischen Perspektiven nähern und fragen, was Angst denn nun eigentlich ist. Philosophen, Soziologen und Psychologen haben hier verschiedene, mitunter gegensätzliche Erklärungen
Musik und Dichtung sind spätestens seit dem Hohelied Salomos und den bacchantischen Hymnen an Dionysos engstens verbunden. Der gregorianische Gesang des Mittelalters benutzte die lateinischen Texte der Liturgie, Liedkomponisten seit Schubert nehmen ihre Libretti von literarischen Texten her, und Debussys Prélude à l'après-midi d'un faune setzt eine Bekanntschaft mit Mallarmés Gedicht voraus. Die Form der Sonate unterliegt Thomas Manns 'Tonio Kröger' (1903) sowie auch Hermann Hesses 'Der Steppenwolf' (1927), und andere musikalische Formen werden häufig mit raffinierter Bewusstheit angewendet, wie etwa in Robert Pingets 'Passacaille' (1969), Herbert Rosendorfers 'Deutsche Suite' (1972) oder Anthony Burgess' 'Napoleon Symphony' (1974). Thomas Bernhard in 'Der Untergeher' (1983) sowie französische, englische, und amerikanische Schriftsteller derselben Jahre nahmen Bachs Goldberg Variationen als Grundlage für Thema und/oder Struktur ihrer Romane. Und mehrere Komponisten haben versucht, die Musikstücke, die in Thomas Manns 'Doktor Faustus' (1947) so ausführlich beschrieben werden, zu realisieren. So verwundert es kaum, wenn gewisse Motive, die mit der Musik eng verwoben sind auch in Dichtungen auftauchen.
Cet article offre une lecture queer de deux nouvelles de Carl Spitteler. La lecture queer ne signifie pas la recherche d'identités homosexuelles dans les textes ; une telle lecture serait en contradiction avec l'histoire de "Conrad der Leutnant" et "Die Mädchenfeinde". Les nouvelles suivent un jeune homme ("Conrad") et deux garçons encore adolescents ("Mädchenfeinde") et montrent comment ils apprennent à s'adapter à un rôle masculin préconçu qui implique la formation de couples hétérosexuels. Cependant, la thèse des deux textes est que les personnages féminins auxquels les personnages masculins s'ouvrent émotionnellement ne séduisent pas leurs partenaires avec des "charmes féminins". Les hommes (militaires) ou les garçons (pensionnat), élevés dans des contextes véritablement homosociaux, développent pour les personnages féminins un désir qui reflète leur socialisation masculine. Les personnages masculins tombent amoureux d'"images masculines", ce qui signifie que les séductrices doivent symboliquement abandonner leur rôle de femme afin de paraître désirables aux yeux de Conrad, Gerold et Hansli.
Die Überfahrt von der Insel Scyros nach Troja stellt für Achills Leben eine Zäsur dar: Nachdem er vom Zentauren Chiron in Thessalien erzogen wurde und danach auf Scyros, in Mädchenkleider gehüllt, mit Deidamia seine erste Liebe erlebt hat, wird er nun von Ulixes und Diomedes an den Ort seiner Bestimmung gebracht. […] Diomedes und Ulixes befragen Achilles über seinen Werdegang, und seine Antwort offenbart schon den ganzen Unterschied zwischen Konrads von Würzburg Darstellung innerhalb seines ›Trojanerkriegs‹ (zwischen 1281 und 1287) und seiner Vorlage, der ›Achilleis‹ des Statius (1. Jh. n. Chr.). In der römischen Version nämlich schildert Achilles ausführlich seine harte Erziehung durch Chiron […]. Die Zeit bei Deidamia wirkt […] wie ein peinlicher Irrweg […]. Konrads Achilles hingegen erzählt zwar ebenfalls von der Zentauren-Ausbildung, dann aber auch "von den minnen,/die Dêîdamîe und er / mit innecliches herzen ger / getragen heten lange stunt." […] Er bezieht die Liebesgeschichte ausdrücklich in seinen Werdegang ein und bekennt sich damit zu ihr. Dieser Werdegang besteht also aus zwei Teilen, aus einem doppelten Erziehungsweg. […] Dies […] bedeutet eine ungeheure Aufwertung der Liebesgeschichte in der mittelalterlichen Version. Doch was macht den ‘erzieherischen’ Wert der Liebe aus? Inwiefern stellt die Deidamia-Episode nicht mehr nur einen besser zu verschweigenden (wenn auch erzählerisch um so reizvolleren) Irrweg dar in Achills Entwicklung zum größten Kämpfer vor Troja, sondern sogar eine – womöglich unentbehrliche – Entwicklungsstufe von eigenem Recht? Im Folgenden soll Konrads Bearbeitung der Episode im Vordergrund stehen, aber immer wieder auf Statius als kontrastierenden Hintergrund zurückbezogen werden.
'Lokalformel' und 'Bürgerpatent' : Ausgrenzung und Zugehörigkeit in der Posse zwischen 1815 und 1860
(2002)
Die Veränderungen der politischen Landkarte in den Jahren 1789-1815 lassen von Jahr zu Jahr neue Grenzen entstehen, ehe mit dem Wiener Kongreß eine übersichtliche Neuordnung auf Dauer erreicht zu sein scheint. Dennoch hat die fünfundzwanzigjährige Fluktuation im deutschsprachigen Gebiet eine Krise der Orientierung hinterlassen, die sich auf Jahre hinaus in einer Begrenzung, um nicht zu sagen in einem Rückzug in die überschaubare Enge, ins Lokale, niederschlägt. Das sog. Biedermeier ist so verstanden worden, und in ihm wurde umstandslos das Genre - theatergeschichtlich gesehen - der Lokalposse festgemacht. Es fragt sich freilich, ob mit dieser Ernennung des Lokalstücks zum Leitgenre des Biedermeier das letzte Wort gesprochen ist oder ob auch eine weiterreichende Leitfunktion unter dem Gesichtspunkt des Vormärz zu diskutieren wäre. Daß das lokale Genre seine Bedeutung durch Grenzmarkierung gewinnt, legt es nicht automatisch auf ausschließlich regionale Faktoren fest, auch nicht auf solche, die als 'lokalpatriotisch' und damit im heutigen Verständnis des Wortes als überwiegend apolitisch aufgefaßt werden.
'Leutnant Gustl' als eine repräsentative Figur für die
Identitätsdefizite in der Gesellschaft
(2018)
In vorliegender Arbeit haben wir den Versuch unternommen, die Novelle mit dem Titel "Leutnant Gustl" von Arthur Schnitzler im Lichte der wissenschaftlichen Literatur mit dem deskriptiven Verfahren zu analysieren. Es geht darin um einen Konflikt zwischen der inneren Welt des kleinbürgerlichen Protagonisten der k.u.k. Monarchie der Jahrhundertwende, und der Gesellschaft, in der er lebt. Hier wird vorwiegend die Identitätskrise der Figur Leutnant Gustl, die mit seiner Umgebung zu tun hat, und die sich mit der Überwindung derselben auseinandergesetzt. Bei der Analyse wird nicht zuletzt auf die Fragen eingegangen, worin die Identitätsprobleme liegen, wie der Protagonist aus diesen Problemen herauszukommen versucht.
"Königliche Hoheit", Thomas Mann's second novel, is as replete with descriptions of interiors, paintings, decorations and other spatial features as it is obsessed with the very concept of 'representation'. The complex interplay of 'space' and 'signification' that underlies this text has not received much scholarly attention. This paper attempts to elucidate how "Königliche Hoheit" interweaves descriptions of space(s) and thorny semiotic issues. In the process, it seeks to show that the novel, far from being a harmless 'fairytale' grounded in Mann's own biography, is suffused with exclusionary ideology.
Unmittelbar auf das fast friedensselig gestimmte Sterbegedicht der "Kleinen Passion" folgt ein seltsam derbkomisches, balladesk trotziges Klagelied einer Kröte, welche partout nicht sterben kann, ein offenkundiger Kontrapunkt oder satirischer Πάρωδος zum elegischen Passionsspiel über den Mückentod. Die beiden Gedichte stehen in Gottfried Kellers 'Gesammelten Gedichten' von 1888 in der zweitletzten Abteilung unter "Vermischte Gedichte" einander zugeordnet. Wie der Titel andeutet, findet sich hier ein recht buntes Allerlei von Texten unterschiedlichster Art und verschiedenster Entstehungszeit - die "Krötensage" wurde zwanzig Jahre vor "Kleine Passion" erstmals publiziert, nämlich 1852. Gleichwohl ist die gruppierende Hand Kellers unübersehbar, und dieser Ordnungswille wurde in der Keller-Forschung etwa von Emil Ermatinger oder Jonas Fränkel denn auch früh festgehalten. Konkret zu den beiden Gedichten sagt letzterer indessen lediglich: "Das Schicksal der Kreatur wird in zwei gegensätzlichen Gedichten abgewandelt." Der Bezüge sind freilich weit vielfältigere: Neben den jahreszeitlichen Kontrastparallelen - die "Kleine Passion" spielt im herbstlichen September, die "Krötensage" im Maienfrühling - und dem bedeutungsgeladenen Verhältnis von Leben, Körper und Hülle, dem "Futterale" - in der "Krötensage" der Stein, in der "Kleinen Passion" das dichterliche Buch - ist den beiden auch dasselbe Thema eingeschrieben: Letztlich geht es um die altehrwürdige 'ars moriendi' in ihrer dialektischen Verflochtenheit mit der 'ars vivendi'. Auch der satirische Grundklang erweist sich bei genauerem Hinschauen als gemeinsam.
Zentren der Entfaltung jugendlicher Gegendynamik sind die bürgerlichen Mittelschichten. D.h. gerade auch die hier anzutreffenden literarischen Jugendkonzepte bleiben "wie alle frühen Jugendbewegungen in der Neuzeit", auf die sie sich beziehen und die sie realgeschichtlich mitformen, "im wesentlichen auf Studenten bzw. junge Gebildete beschränkt"; und zwar in der Weise, dass diese Jugendkonzepte entweder von Angehörigen der jungen Generation selbst stammen (wie dies exemplarisch für Büchner, aber auch für den Heine der 1820er Jahre zutrifft) oder dass die entsprechenden literarischen Figuren aus den genannten sozialen Schichten stammen. Im Folgenden sollen ausgewählte Texte der 1820er bis 1840er Jahre mit Seitenblicken auf die realgesellschaftliche Situation im Deutschen Bund auf die ihnen eingeschriebenen Jugendkonzepte hin untersucht werden.
Even if the title of Wolfgang Koeppen's last novel, "Der Tod in Rom", alludes quite obviously to Thomas Mann's novella, "Der Tod in Venedig", Koeppen's text must be understood first and foremost as a response to Mann's most controversial novel, "Doktor Faustus". The novels of Mann and Koeppen rank among the most well-known literary examinations of National Socialism but stand in a complementary relation to each other. "Doktor Faustus", published in 1947, analyses the cultural and intellectual origins of German fascism, while "Der Tod in Rom", published only seven years later in 1954, criticizes the continuity of National Socialist ideologies in post-war Germany. Both authors focus their analyses of fascism on fictional avant-garde composers who seem at first glance detached from any political context. [...] The actual starting point of Florian Trabert's paper, however, is the fact that both novels are preceded by epigraphs taken from Dante's "Inferno". Trabert begins by commenting on the references to Dante in "Doktor Faustus" and then continues by analysing the allusions to the "Commedia" in Koeppen's novel, which constitute, as Trabert demonstrates, a complex constellation among the three texts.
Welche Signifikanz sich das über die 'Geistlichen Übungen' geregelte Bildliche bewahrt hat, möchte ich im Folgenden anhand einer Erzählung aus den 'Nachtstücken' E.T.A. Hoffmanns, der 'Jesuiterkirche in G.' aus dem Jahre 1816, skizzieren, die sich bei genauer Betrachtung als eine literarische Abhandlung über das jesuitische Bild- und Wahrnehmungsverständnis zu erkennen gibt.
(...) [Jens Hausteins] folgende(n) Überlegungen haben ihre spezifische Gestalt durch die Beschäftigung mit Grundannahmen der New Philology gefunden, in erster Linie der Forderung nach einer Historisierung philologischer Grundkategorien (...) wie auch der , den Literaturbegriff deutlicher an der Tatsache zu orientieren, daß die Literatur des Mittelalters in einer manuscript culture entstanden. [Die Jens Haustein] beschäftigende Frage ist, welche Bedeutung das Insistieren auf dieser Tatsache für die Literaturgeschichtsschreibung haben könnte. Wie jede auf eine Handschriftenkultur bezogene Geschichtsschreibung diachron, d.h. sie abstrahiert aus dem in aller Regel später Überlieferten einen Geschichtsverlauf, ordnet das Überlieferte früheren Phasen zu, dem Zeitpunkt der mutmaßlichen oder tatsächlichen Entstehung. Ein solches 'methodisches Konzept' ist notwendig, wenn das Überlieferte in eine Ordnung gebracht sein soll, in der es Nachfolgendem präduliert oder Vorangegangenes fortentwickelt, wenn überhaupt das Prozeßhafte in der Literatur deutlich werden soll.
Am Nachdruck, wie er bei Johann Christoph Gottsched, Johann Jacob Bodmer, Johann Jacob Breitinger, Johann Georg Sulzer und Johann Gottfried Herder diskutiert wird, lässt sich exemplarisch beobachten, wie eine Gruppe von rhetorischen Verfahren zur Kennzeichnung von nationalen Kollektivstilen ausgebaut wird. Eine wichtige Voraussetzung für die Ausweitung des Nachdrucks von einer Stilfigur zu einem 'nachdrücklichen Stil', so die hier verfolgte These, ist der über physikalische Leitvorstellungen von Druck, Stoß und Wurf geleistete metaphorische Anschluss an ästhetische Kraftvorstellungen.
Die im Jahr 1925 erschienene "Traumnovelle" erfreut sich - nicht erst seit Stanley Kubricks Verfilmung "Eyes Wide Shut" (1999) - eines besonderen literaturwissenschaftlichen Interesses. Der Geschichte einer Beziehungskrise, die ein dem gehobenen Wiener Bürgertum angehörender junger Arzt und seine Ehefrau durchleben, wurde oft eine Sonderstellung in Schnitzlers OEuvre zugewiesen. In der Erzählung sah man das einzige Werk des Autors, in dem die Liebesbeziehung der Protagonisten - allen außerehelichen erotischen Versuchungen zum Trotz - am Ende doch aufrechterhalten, wenn nicht sogar auf eine höhere Ebene der Verständigung gehoben würde. Der für Schnitzler so untypische positive Ausgang der Erzählung erscheint in den Augen der Interpreten bereits mit einem wesentlichen Merkmal des formalen Aufbaus gegeben: mit dem Kompositionsprinzip der Symmetrie. Für William Rey etwa formieren sich die erotischen Erfahrungen von Mann und Frau in einer bipolaren Entsprechung, so dass es aus den Schuldgefühlen beider zu gegenseitiger Vergebung und Versöhnung komme.
Die spätantiken ,Disticha Catonis', von einem unbekannten Autor im 3./4. Jahrhundert verfasst, dienten seit karolingischer Zeit dem Unterricht in der gramatica. Dort hielten sie dem Lateinschüler sprachliches Anschauungsmaterial ebenso bereit wie, das war dem mittelalterlichen Trivialunterricht nicht minder wichtig, elementare Verhaltenslehre in leicht memorierbarer Form. So unterweisen die circa 140 Hexameterdistichen aus einer vulgärstoizistischen Grundhaltung heraus etwa im rechten Umgang mit Besitz, mit den eigenen Affekten, mit Leid und Tod, oder wie man sich Fremden, Freunden oder der eigenen Frau gegenüber verhalten soll. Der Bestand der Distichen wurde bereits in mehreren vorkarolingischen Redaktion auf vier Bücher verteilt und um Prosasentenzen (breves sententiae) vor Buch I und metrische Vorreden zu Buch II-IV erweitert. Eine das Werk eröffnende, knappe Prosavorrede (praefatio) ist einem sorgenden Vater in den Mund gelegt, der die Lehren seinem geliebten Sohn ans Herz legt.
Ann Cotten gilt dem Feuilleton als das aktuelle "Wunderkind der deutschen Literatur" und als die "klügste und schwierigste Dichterin in deutscher Sprache". [...] Ann Cotten nervt. [...] Doch was hat es mit dem Nerven auf sich? Ist das, was hier als Pose an- und vermeintlich vorgeführt wird, nicht etwas ganz anderes? Bereits diese ersten Hinweise zeigen, dass Cottens Spiel mit den Stillagen zwischen Virtuosität und Kalauer aufgeht: Es entlarvt die Kritik - sowohl in ihrem positiven als auch in ihrem negativen Urteil als Mansplaining, das mit Formeln wie 'Wunderkind', 'talentierte Autorin', Dekonstruktion etc. genau das einhegt, was mit dieser Literatur in Frage steht. Das Nerven, so manieriert es auch daherkommen mag, stellt eine intensiv reflektierte poetologische Dimension von Cottens Literaturauffassung und ihres Schreibens dar - ja man könnte von einer Poetik des Nervens sprechen. [...] Wenn Cotten, wie zu sehen sein wird, die Kategorie des Existenziellen wieder einführt, die vom (Post)Strukturalismus in Abhebung unter anderen von Sartre verabschiedet wurde, dann liebäugelt sie auch mit Autoren, die von ganz anderer Warte aus nerven. Zu ihnen zählt auch der in der Poetikvorlesung mehrfach genannte Peter Handke. Peter Handke nervt Ann Cotten, aber sie liest ihn auch und kann etwas mit ihm anfangen - inwiefern, wird zu sehen sein. Mit Handke steht ein weiteres ehemaliges 'Wunderkind' des Literaturbetriebs zur Debatte, bei dem jedoch seit ein paar Jahrzehnten eine Abwendung von den avantgardistisch-sprachkritischen Anfängen und eine Hinwendung zu einer mystischen Weltanschauung kritisch diagnostiziert wird. Die Empörung bei der Vergabe des Literaturnobelpreises an Handke im Herbst 2019 betraf vor allem seine proserbische Haltung sowie sein 'Frauenbild' und steigerte sich auch bis zum 'Durchdrehen'. Ist man bei Cotten über die dekonstruktivistische Pose genervt, so enerviert man sich bei Handke poetologisch gesehen darüber, dass er deren Einsichten zumindest in seinen jüngeren Werken trotzig negiere. [...] Seit der Tetralogie rund um die "Langsame Heimkehr" (1979) zeichnet sich bei Handke ein neuer Weltzugang und damit verbunden eine epische Erzählweise ab, denen Peter Hamm, knapp vier Monate nach dem Massaker von Srebrenica, in seiner Laudatio bei der Verleihung des Schillerpreises an Handke Folgendes attestiert: "Peter Handke hat das Schwierigste und Höchste gewagt, was ein Schriftsteller nach Kafka überhaupt wagen konnte, nämlich erzählend wieder für Weltvertrauen zu werben und Weltvertrauen zu schaffen". Man kann darin freilich auch einen gefährlichen Eskapismus sehen - ob man Handke als schwierig erachtet, oder ihm attestiert, Schwieriges zu leisten, ist auch eine Frage der Perspektive. Oder aber man kann die Vermutung formulieren, dass solche Zuschreibungen den Blick auf die Sache, wie auch bei Cotten, eher verstellen, und so drängen sich verschiedene Fragen auf: Wieso arbeitet sich Cotten an einem Autor mit solchem Ruf ab? Weshalb liest sie ihn? Was hat sein Nerven mit ihrem Nerven zu tun? Und was ist das eigentlich, 'nerven'? Zeit also für eine Rekonstruktion von Cottens Handke-Lektüre.
A temática da decadência em "Os Buddenbrook: decadência duma família" é explícita: materializa-se enquanto subtítulo da obra literária. Em "Os Maias", repete-se a estrutura essencial do título anterior, focalizando-se um nome de família. Sabe-se, entretanto, de antemão, que o enredo contemplado pelo romance de Thomas Mann perpassará por episódios cujo desfecho está no desnodar decadente das gerações da família Buddenbrook, o que, ainda que não explícito, repete-se na obra de Eça de Queirós. Para concretizar de forma estética a temática pretendida, ambos os autores focalizam cada geração das famílias ficcionais, desnudando dialeticamente pensamentos e papeis sociais. Desse desnudamento, um traço se mostra compartilhado por quase todas as personalidades: a preocupação para com a perpetuação do nome da família; fardo que pressagia a total extinção de ambos os antropônimos. A fim de demonstrar a relação da nomeação com a temática da decadência familiar, este artigo propõe um diálogo entre a Literatura Comparada e a Antroponomástica Ficcional - estudo dos nomes ficcionais - e situa o processo da despersonalização subjetiva do nome de família para a concretização do ápice da decadência: o desparto social do nome.
A emancipação do indivíduo (e, mais precisamente de um tipo específico de indivíduo, a saber, o "burguês") é o principal ponto de convergência entre duas obras da literatura europeia setecentista (seja insular, britânica, seja continental, alemã). São elas: "Robinson Crusoé" (1719), de Daniel Defoe, e "Os anos de aprendizado de Wilhelm Meister" (1795-1796), de Johann Wolfgang von Goethe. Em seu cerne, ambas enfocam a formação do indivíduo por meio do deslocamento geográfico, dizendo respeito não apenas a um processo de desenvolvimento pessoal, interno, mas também a uma dimensão sócio-cultural mais ampla, englobando os avanços da industrialização e as aspirações da sociedade de seu tempo. Juntos, o romance de formação ou "pedagógico" ('Bildungsroman'), bem como a viagem de formação ('Bildungsreisen') se entrecruzam em um ponto onde o sujeito burguês busca se afirmar em uma sociedade cada vez mais competitiva, desigual, em que o o indivíduo precisa descobrir a si mesmo (saindo de seu meio, ressalte-se), na busca do alcance de uma formação pessoal - seja para se coadunar com o que a nova sociedade industrial em ascensão espera dele ou para conseguir se opor aos valores dela. Tal tensão, no caso de Goethe, é evidenciada por meio da oposição do protagonista, Wilhelm (o burguês que busca seguir as próprias aptidões, independentemente do desejo de acúmulo de bens, apoiando-se em uma "ilha humanista" representada por uma sociedade secreta) ou o personagem Werner, o tipo burguês que busca de modo exclusivo o lucro em tudo o que faz. Em suma, tem-se um representante da chamada 'Bildungsbürgertum' (burguesia da cultura) e outro da 'Besitzbürgertum' (burguesia da propriedade), respectivamente. Este último, a propósito, tem suas raízes literárias na figua de Crusoé, cuja popularidade perdura até os dias de hoje. Desse modo, este trabalho busca apresentar de que modo as transformações sociais ocorridas no século XVIII impactaram na tradição literária, representada por meio de dois nomes exponenciais da narrativa de ficção envolvendo formação individual e deslocamento geográfico, contribuindo para uma discussão a respeito do individualismo econômico. Para tanto, buscou-se o aporte teórico de autores como Franco Moretti (2014), Benedict Anderson (2008), Walter Benjamin (2012), Georg Lukács (2009), Thomas Mann (2011) e Ian Watt (2010), que aponta a referida obra de Defoe como responsável por iniciar a tradição do romance como gênero.
This article departs from the hypothesis that Alexander von Humboldt used ‘Big Data’ in order to bring new scientific evidence into the open. His method of measuring and combining temperature, humidity, altitude and magnetism in a geographical environment must be regarded as innovative, indeed, as the foundation of modern science. Although Humboldt lived in an analogue world and used the instruments of his time, his way of assembling information was not so different from what we are seeing in today's digitalised world. Information has no value unless it is shared. It does not say anything unless it is linked with other data. It cannot remain isolated but must be compared and interpreted. The generation of ʻBig Dataʼ was a pathway to Humboldt's concept of ʻKosmosʼ in much the same way as ʻBig Dataʼ today is the pathway to a virtual world. In this sense, Humboldt not only laid the foundation of modern science but anticipated the existence of a world where data and information are the source of everything when it comes to understanding the interconnectivity of the physical and the virtual world.
This paper relies on an unedited and unpublished nineteenth century love correspondence of a heterosexual couple from the German speaking area. The aim of this study is to contribute to the knowledge regarding the nineteenth century love experience of ordinary and unknown lovers. In fact, while there are plenty of books on love correspondences of famous personalities, little research has been dedicated to love letters and romantic experiences of 'ordinary and unknown' people. For this reason the main aim of this article is to shed light on love stories and love experiences that otherwise will fall into the abyss of oblivion. A new theory regarding the love experience in the nineteenth will be proposed: in this century love was perceived more in its material than in its abstract nature; I argue that in the nineteenth love was more about what people did, than to what they said. Lovers are in constant need of material and 'seeable' proof in order to perceive the love of their partners as real and authentic. The examples extrapolated from the following correspondence will corroborate this statement. Furthermore, this article has the purpose to underline the great value of love letters not only from an historical perspective (being evidence of past lives and dynamics), but also and more importantly from a cultural and societal one: analyzing love letters means to acquire knowledge not only about cultural and societal dynamics, but also and more importantly to add knowledge to the love discourse. In fact, they say a lot about the way people talked, expressed and materialized love in their daily lives. Correspondences without any publication in view are the most precious ones because they represent an unregulated and more spontaneous expression 'of the language of the heart'.
Wie Hashtags bei Twitter als Teile von Komposita verwendet werden, zeigt Markus Majewski in seinem Beitrag #Erdogan-Diktatur - Hashtags als Elemente von Substantivkomposita in politischen Tweets. Als Grundlage dient ihm das Korpus aus Tweets von SpitzenpolitikerInnen der großen Parteien während des Wahlkampfs, in dem er alle Substantivkomposita mit einem Hashtag als Bestandteil wie #Energiewende auf funktionale, graphematische und strukturelle Aspekte untersucht. Insbesondere bei der Schreibung der Komposita zeigt sich eine große Kreativität. Zudem lassen sich Twitter-spezifische Kommunikationsfunktionen der Hashtag-Erstglieder beobachten.
Samuel Lovers Text "The curse of Kishogue" spielt für Sealsfield und die Konzeption seines Romans "Das Kajütenbuch" eine von der Forschung bislang unbeachtet einflussreiche Rolle. Daher sind die folgenden Resultate der Analyse für des Romans Verständnis zukünftig von Bedeutung: Übernahme epischer Konstituenten [...], Einfügung ins Romankonzept [...], Reduzierung des politischen Potentials [...], Textmengenerweiterung und inhaltliche Veränderung [...] Die produktionsästhetischen Voraussetzungen sind von den rezeptionsgeschichtlichen nicht zu trennen. Die Forschung hat zukünftig davon auszugehen, dass die Übernahme zahlreicher Erzählkonstituenten des Vorbildtextes "Der Fluch des Kishogue" die Romankonzeption maßgeblich geprägt hat und die Übernahme des eigentlichen Textes "Der Fluch des Kishogue" als dritte Binnenerzählung als ein unrechtmäßig vollzogenes Übersetzungsplagiat im engeren Sinne der Definition zu bezeichnen ist. Diese Einschätzung gewinnt zusätzlich an Plausibilität dadurch, dass die "Kishogue"-Erzählung aus der eigentlich umfangreicheren Gesamterzählung unter demselben Titel und dem politischen Kontext herausgenommen, in einen anderen Kontext, den des Romans, eingefügt worden ist, dadurch intertextuell eine politisch abgeschwächte Bedeutung als Unterhaltungsbeitrag gewonnen, was wiederum zum internationalen Erfolg des Romans beigetragen hat.
Kein anderer seiner Romane bereitete Hermann Broch größere Mühe als die niemals abgeschlossene, in drei Fassungen vorliegende "Verzauberung". Zu Beginn der dreißiger Jahre konzipiert, war dieser "Bergroman" (so Brochs inoffizielle Bezeichnung) als literarische Analyse der Massenwirkung Hitlers geplant, die zugleich eine Vielzahl mythen- und religionsgeschichtlicher Bezugnahmen integrieren sollte. [...] Was bis zum Ende im Status "unentschiedener Entscheidung" verblieb, spaltet auch die Leserschaft seit je. Allerdings betreffen die Probleme weniger das Unzugängliche dieser sicherlich sperrigen literarischen Hinterlassenschaft des 20. Jahrhunderts. Der wichtigste Streitpunkt ist vielmehr eine häufig gespürte, unheimliche Nähe der Broch'schen Faschismusanalyse zu ihrem Sujet selbst. [...] Auf der anderen Seite hat man schon früh versucht, den "Bergroman" als Vorläufer der Anti-Heimatliteratur zu retten; auch jüngst sind bedenkenswerte Aufsätze erschienen, die ihn als Versuch würdigen, 'gefährliche' Diskurse umzuschreiben: zeitübliche Tiefensemantiken etwa oder eben Tendenzen der Remythisierung. Auch der vorliegende Essay steht nicht auf der Seite derer, die Brochs Romanversuch als Rückzug in "extreme geistige Provinz" abtun. Stattdessen lässt er sich von den Fragen leiten, woran Broch hier eigentlich arbeitete und was von seiner unabgeschlossenen, vielleicht sogar unabschließbaren Auseinandersetzung mit dem Massenphänomen Hitler noch oder gerade heute zu lernen wäre. Speziell drei zusammenhängende Motive Brochs sollen in diesem Sinn neu beleuchtet werden: Erstens seine spezifische Arbeit am Thema des Opfers, zweitens sein Rekurs auf die (Vor-)Geschichte der griechischen Tragödie; und drittens soll ein bestimmter technikphilosophischer Einsatz Brochs betrachtet werden, der sich von heute aus als Reaktion auf den epochalen Aufstieg einer "environmentalen Macht" erweist. In allen drei Punkten wird sich zeigen, dass Broch durchaus wegweisend Fragen aufwarf, die Theoriebildung und philosophische Diskurse auch der jüngeren und jüngsten Zeit bewegt haben, wie zeitgebunden auch immer manche seiner Instrumentarien waren.
Die Vertreibung der Deutschen aus dem Riesengebirge wirkte sich auch auf die Überlieferung der Rübezahl-Sage aus. Im tschechischen Kontext wurde an die Tradition der Vorkriegszeit angeknüpft, in der Rübezahl als Symbol der Region diente, das einerseits die Regionalidentität stärkt, andererseits als eine allgemein verständliche Marke genutzt wird. In diesen Kontexten konnten auch einige Denkmäler der deutschböhmischen Kultur in den tschechischen Kontext inkorporiert werden. Erst in den 70er Jahren setzte sich unter dem Einfluss der Massenmedien die prototypische Darstellung Rübezahls als Märchenheld durch. Zur Stereotypisierung tendierte auch das Bild des Berggeistes in der Erinnerungskultur der Vertriebenen, die sich der alten, sagenhaften Tradition des launischen Dämons bedienten. Beide identitätsbildenden Stereotype standen miteinander in einem Konflikt, der erst nach der Wende schrittweise überwunden wurde. Rübezahl gewann eine zentrale Rolle im touristischen Marketing, wobei breite Darstellungsmöglichkeiten synkretisch variiert werden.
Herder's concept of a national literature [...] serves as a differential category formulated in opposition to the concepts generated by universalistic rationalism and the Classicist aesthetics which is based on it, this being an aesthetics which is incapable of accommodating cultural difference. Thus Herder's concept is to be read – primarily as one looking for ways of conceiving cultural difference syncronically as well as diachronically.
»Wo ist der Platz, den man jetzt in der Welt einzunehmen sich bestreben könnte, im Augenblick, wo alles seinen Platz in verwirrter Bewegung verwechselt.« Diese Zeilen schreibt Kleist im Juni 1807 aus der Kriegsgefangenschaft in Châlons-sur-Marne an seine Cousine Marie von Kleist. […] Seine Literatur wird gleichsam bestimmt von Figuren, deren Leben und Erleben keine Kontinuität kennt. Kleist stellt seine Figuren in einen Versuchsraum, er treibt sie in Zustände der innersten Gespanntheit und Zerspaltenheit, lässt sie gegen eine Welt anrennen, die sie nicht begreifen, stürzt sie in die Tiefe ihres Inneren, das ins Bodenlose führt, setzt sie einem ständigen Wechsel der Empfindung und der Wahrnehmung aus. […] In „Die Marquise von O….“ [markiert] [e]inzig ein Gedankenstrich […] die Geburt der Gegensätze, die im Folgenden an der Marquise zerren. In diesen Gedankenstrich legt Kleist die Zeugung des Kindes. Ob Vergewaltigung oder Liebesakt, in Ohnmacht oder bei klarem Verstand, ist hier nicht zu klären. Aber es ist ein Akt, der sich nicht im Bewusstsein der Marquise verankert und dessen Folgen doch alles verändern.
Sealsfields Mobilität, die ihn zwischen 1823 und 1858 viermal zwischen den Kontinenten pendeln lässt, rhythmisiert sein Leben und Arbeiten. Sie ist die Voraussetzung seiner transatlantischen Doppelperspektive, übernationalen Geschichtssicht wie international wirksamen publizistischen Vorgehensweise und liefert die Zäsuren für ein Agieren, das in zwei Phasen erfolgt, abhängig vom Wohnsitz in den USA und in Europa. Daran orientieren sich die nachfolgenden Ausführungen. Deren Ziel ist es an Hand der Buchveröffentlichungen zu erläutern, wie Sealsfield für seine innovative Schreib- und internationalisierte Vermarktungsstrategie potente Verlage als nützliche Dienstleister funktionalisiert und so das engagierte Erzählkonzept für die Selbstorganisation im literarsozialen Gefüge des Vormärz umsetzt.
Neben Goethes – hier freilich nur sehr grob umrissener – nüchterner Bewertung der historischen Rolle Deutschlands und Europas nimmt sich der "Europa" überschriebene, im Herbst 1799 entstandene Aufsatz Friedrich von Hardenbergs, genannt Novalis, geradezu als das andere Ende eines Spektrums von Standpunkten aus, die das Thema »Europa in Weimar« um 1800 ausmessen. Der Text hat bei den zeitge-nössischen Lesern in Novalis’ romantischem Jenaer Freundeskreis, besonders aber bei Schelling, für Irritation gesorgt. Goethe, der von August Wilhelm Schlegel um eine Stellungnahme gebeten worden war, sprach sich gegen die Absicht der Herausgeber aus, die "Europa"-Rede aus romantischer »Philironie« heraus zusammen mit Schellings polemischer Entgegnung "Epikurisch Glaubensbekenntniß Heinz Widerporstens" im "Athenäum" abzudrucken; eine Begründung seiner Entscheidung ist freilich nicht überliefert. Auch die spätere Rezeption der "Europa" blieb nicht selten von Verständ-nislosigkeit und Befremden geprägt.
Barbara Tumfart beschäftigt sich mit den literarischen Verhandlungen des Raubmordes des polnischen Adligen Severin von Jaroszynski am Geistlichen Johann Conrad Blank in Wien. Die der Untersuchung zugrunde gelegten Texte von Adolph Bäuerle und Carl Haffner bieten allen voran eine sensationslüsterne Darstellung des Verbrechens und fokussieren auch das Privatleben der Wiener Schauspielerin Therese Krones, die mit Jaroszynski befreundet war. Die Schilderung eines Verbrechens entwickelt sich in diesen Texten zu einer skandalösen Geschichte aus dem Milieu des Theaters. Die in den Texten offensichtlichen Mythisierungsstrategien folgen den ästhetischen Prämissen der Unterhaltungsliteratur. Dass die Geschehnisse aufgegriffen werden, belegt andererseits auch, dass die Verkündigung des Urteils und die Hinrichtung Jaroszynskis durch Erhängen an der Spinnerin am Kreuz ein vielbeachtetes gesellschaftliches Ereignis war, das eben auch Eingang in die Unterhaltungsliteratur fand.
Das Hauptinteresse dieses Beitrags gilt - nach einer biographischen Einbettung - dem brieflichen Austausch zwischen Catherine Pozzi und Rilke, der bis heute nur in französischer Sprache vorliegt. Im Anschluß daran wird ein wichtiger Aspekt des Verhältnisses Rilke-Valéry wenigstens kurz berührt. Angeregt wurde der Beitrag durch eine Bemerkung des Dichters und Übersetzers Philippe Jaccottet, wonach es sich bei Rilkes schrankenloser Bewunderung für Paul Valéry um einen gewissen Mangel an Klarsicht ('lucidité') handle; er, Rilke, habe den Abgrund übersehen, der ihn, im Wesentlichen, vom französischen Dichter trenne. Dies kann man auch anders sehen.
"… lebe fleißig Dein gutes neues Leben" : Rainer Maria Rilke als Gesundheits-Ratgeber seiner Mutter
(2012)
Im Gespräch Rainer Maria Rilkes mit seiner Mutter scheint deren körperlich-seelisches Befinden zu allen Zeiten eine zentrale Rolle gespielt zu haben, zumindest enthalten nahezu alle Briefe, die der Dichter an seine Mutter zwischen dem 5. Dezember 1896, einen Tag nach seinem 21. Geburtstag, und dem 29. November 1926, einen Monat vor seinem Tod, schrieb (wie übrigens auch die noch unveröffentlichten Jugendbriefe) Reaktionen auf dieses 'Befinden', das überwiegend wohl ein zu wünschen lassendes war. Es mag der allein lebenden Sophie Rilke ein besonderes Bedürfnis gewesen sein, sich über ihren Gesundheitszustand mit ihrem Sohn auszutauschen, doch auch Rilke selbst ermunterte, ja ermahnte seine Mutter, ihm hierauf bezogen nur nichts zu verschweigen: "ich bitte Dich immer ausführlich und aufrichtig davon zu erzählen", schrieb er ihr, denn "schließlich" sei das Befinden "die Grundlage von allem und der Hintergrund für jedes Ereignis und jede Freude".
Norbert Bachleitner hat bereits die beiden ersten Buchübersetzungen aus dem Jahr 1843 von August Diezmann und Erwin von Moosthal in ihrem unterschiedlichen Adressatenbezug aufgrund der Unterschiedlichkeit der Übersetzungen charakterisiert. Hans T. Siepe wirft hier einen Blick auf diese den beiden Bucheditionen vorausgehende Übersetzung und tut dies ebenfalls mit einem Blick auf das 1. Kapitel.
"… einen bleibenden Verleger" : Notizen zur Ausgabe der "Schriften" von Karl Leberecht Immermann
(2011)
Karl Leberecht Immermanns parallel zu der juristischen Laufbahn verfolgte schriftstellerische Karriere war bereits in ihren Anfängen von der Schwierigkeit geprägt, eine verlässliche Verleger-Beziehung aufzubauen. Mit dem sicheren Blick für die nicht nur ökonomische Bedeutung einer kontinuierlichen Zusammenarbeit mit einem Verlagshaus benannte Julius Campe, in dessen Verlag ebenfalls einzelne Schriften Immermanns erschienen sind, diese Problematik bereits im Jahr 1826.
"… die ehernen Blöcke männlichen Schaffens umkreisen" - Elfriede Jelinek queert Lessing und Goethe
(2016)
Der Beitrag verschränkt kommunikations-, informations-, kulturwissenschaftliche sowie philosophische Ansätze zur Störung mit gender- und queer theory, um Elfriede Jelineks 'Gattung' des Sekundärdramas analytisch zu beschreiben. Jelinek verfasst ihre Sekundärdramen zu kanonisierten Dramen des deutschsprachigen Raums und stellt über ihr typisches, intertextuelles Verfahren Bezug zu den Stücken her, fordert gleichzeitig aber auch die Kombination der Sekundärdramen mit ihren Bezugstexten im Moment der Inszenierung und geht damit über ihr bisheriges Verfahren hinaus. Ausgehend von der Feststellung, dass Jelineks Sekundärdramen in den Umsetzungen am Theater meist als weibliche Gegenschreibung interpretiert werden, will der vorliegende Beitrag zeigen, dass die Sekundärdramen vielmehr an einer Auflösung der Kategorien von 'Weiblichkeit' und 'Männlichkeit' arbeiten. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Thematisierung des Inzests, der mit Judith Butler als vorhandene Ordnungen und Relationen verschiebendes Element gelesen werden kann.
"Mais pourquoi, Madonna, ma pensée était-elle souvent inquiète de vous et sou-cieuse, bien que je fisse effort pour imaginer que vous étiez auprès de cette femme admirable, dont le visage s’est associé malgré moi dans mon âme au souvenir de grandes oeuvres d’art!" So heißt es in einem Brief, den Rilke Madeleine Annette de Broglie im August 1906 von der Sommerresidenz seines Gönners Karl von der Heydt aus zukommen ließ. Mit feiner Feder ist ihm eingeschrieben, wie die Adelige mit italienischen Wurzeln auf den Dichter gewirkt haben mag, sie, die "Madonna", wie Rilke sie nannte. Über mehrere Jahre – die Korrespondenz erstreckt sich von 1906 bis 1909 – stand Rilke mit ihr, deren zweite Ehe mit Prince Robert de Broglie 1906 gerichtlich für ungültig erklärt wurde, in Verbindung.
Der deutsche Theateragent und eifrige Übersetzer Heinrich Börnstein verteidigt in seinen Memoiren seine eigene intensive Übersetzungstätigkeit, in dem er darauf hinweist, dass das Übersetzen fremder Literatur immer schon ein wichtiges Merkmal der deutschen Literatur gewesen war. [...] Einer seiner fleißigsten Übersetzerkollegen war der Österreicher Ignaz Franz Castelli. Nur durch die Tätigkeit dieser Übersetzer und Bearbeiter konnte die französische Literatur, insbesondere die französischen Theaterstücke, derart intensiv im deutschsprachigen Raum rezipiert werden. [...] Die Texte wurden in der Regel den österreichischen Gegebenheiten angepasst um einen möglichst großen Erfolg verbuchen zu können, da das Publikum die oberste Instanz im Theaterleben des 19. Jahrhunderts war. [...] Die französischen Stücke mussten verändert, an die österreichischen Verhältnisse adaptiert und aktualisiert werden. Ruprecht spricht in diesem Zusammenhang sehr treffend von einer "'Verpflanzung' dieser Stücke auf ein deutsches Wirkungsfeld". Durch diese mitunter massiven Eingriffe in den originalen Text der Vorlage werden die Übergänge zwischen Eigenem und Fremden fließend und das Original wird verwendet, um über eigene schriftstellerische Fehlleistungen hinwegzutäuschen. Castelli war sich der Problematik seiner Rolle als Übersetzer nur begrenzt bewusst und hatte vor allem auf dramatischem Gebiet nicht viel wirklich Eigenständiges geschaffen. Überraschenderweise versucht er diesen Missstand nicht zu verdecken, da er selbst in seinen Memoiren ein Verzeichnis über seine Bearbeitungen und Übersetzungen anbietet. Man mag in all seinen Werken eine gewisse Mittelmäßigkeit feststellen, man mag ihm seine politische Orientierungslosigkeit und das Fehlen jeglicher sozialer Ideen vorwerfen. Die minimale Produktion an eigenen Werken wird aufgewogen durch seine rege Tätigkeit als Übersetzer und Bearbeiter. Obwohl Castelli in der heutigen Zeit eher in Vergessenheit geraten ist, darf man doch seine Leistung als Übersetzer und dadurch als Vermittler französischer Literatur in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht vergessen. Auch wenn das Übersetzergeschäft zu Castellis Zeit keine elitäre, gesellschaftlich hochangesehene Tätigkeit war und prinzipiell auf massenhafte Verbreitung und Befriedigung kommerzieller Bedürfnisse ausgerichtet war, so wurden durch die Tätigkeit des Übersetzens und Bearbeitens auch wichtige Ideen der nachbarschaftlichen Länder nach Österreich transportiert, wenngleich auch in veränderter, oft zensurgeschichtlich bedingt abgeschwächter Form.
Daniel Weidner kann am Beispiel der Goethe-Studie Georg Simmels (1913) nachweisen, dass der epistemologische Rückgriff auf Goethe die Geistes- und Kulturwissenschaften auch produktiv herauszufordern vermag. Anders als Dilthey und anders v. a. als Gundolf oder Spengler versuche Simmel theoretische Probleme oder Begründungsnöte des eigenen Diskurses anhand Goethes nämlich nicht zu verschleiern oder stillzustellen, vielmehr werfe er solche Probleme in seiner lebensphilosophisch wie kulturtheoretisch interessierten Monographie überhaupt erst systematisch auf. Zwar entstehe die große Faszination Goethes auch für Simmel zunächst durchaus aus einem klassischen Einheitsbegehren. Das Versprechen einer Vereinigung 'absolut' scheinender Gegensätze in der Figur Goethes führe Simmel aber nicht in die Sackgasse einer Monumentalisierung, sondern in eine "Art heiße Zone", in der "verschiedene Oppositionen und Begrifflichkeiten" verdichtet, reflektiert und permanent neu justiert werden müssten. Weidner zeigt dies v. a. anhand der drei für die zeitgenössische Kulturwissenschaft zentralen Konzepte von 'Individuum', 'Wert' und 'Leben'. Am Beispiel der Wert-Kategorie etwa stoße Simmel immer wieder auf das Problem, dass Werte zwar relativ seien, dass sie aber immer auch dazu neigten, sich in neue Endzwecke zu verwandeln. Und die Relation von Leben und Kunst gebe in Simmels Umkehrungen und in einer an Goethe selbst zurückgespielten Dialektik den Blick auf Prozesse der Konstruktion von Relationen als solcher frei. Es sei in letzter Instanz die Einsicht in die "Übergängigkeit zwischen verschiedenen Werten oder Wertgebieten", die Simmel als Goethes größte Leistung herausstelle. Zu fragen wäre, ob die von Simmel am Beispiel Goethes kategorisch aufgeworfenen Probleme der Letztbegründung, der Relationalität sowie der konsequenten Reflexion des Verhältnisses von Phänomen und Theorie sich nicht auch für die heutige Kulturwissenschaft nach wie vor stellen.
Ich möchte den Gemeinsamkeiten wie den Differenzen beider Texte nachgehen und aus ihrem Spannungsverhältnis die "Welt" der Venetianischen Epigramme charakterisieren. Zunächst stelle ich vergleichend einige der Prosa und den Epigrammen gemeinsame Themen und Motive vor und suche ihre poetischen Versionen zu analysieren. In einem zweiten Punkt wird sich zeigen, daß Goethe nicht nur zu äußerst gewagten erotisch-sexuellen Themen neigt, sondern diese auch ganz bewußt im unteren sozialen Milieu des "Volks" ansiedelt. Erklärungen dafür kann – drittens – ein Blick auf Goethes Reaktion auf die im Vorjahr 1789 statt-gefundene Französische Revolution bieten und – viertens – zu dem Ergebnis führen, daß auch in seinem Inneren sich eine "Revolution" ereignete, die ihn zu dieser Zeit in Verwirrung und Irritation brachte. "Verwirrung und Irritation" sind wiederum Momente, die auch sein Venedig-Erlebnis vier Jahre zuvor, 1786, prägten. Unterschiedlich jedoch ist deren literarische Behandlung: Erfolgt im Tagebuch der italienischen Reise – das wäre ein fünfter Punkt – ein Ordnungs- und Orientierungsprozeß, so bleibt in den Venetianischen Epigrammen – sechstens - die Turbulenz bestehen, und gerade sie erweist sich als poetisch produktiv. Sie läßt sich – siebtens - generell als "Grenzüberschreitung" definieren, deren poetischen Niederschlag ich in einigen zentralen Bereichen verfolgen möchte, um abschließend in einem achten Punkt nach gemeinsamen Strukturmerkmalen der Venetianischen Epigramme zu suchen. Da Besonderheit und Reiz des ganzen Zyklus aus Goethes Befindlichkeit im Jahre 1790 resultieren, zitiere ich die handschriftliche Urfassung aus dieser Zeit und nicht die abgemilderten und geglätteten Versionen von 1795 und 1800.
"Öğrenci Törless'in bunalımları" : 20. yüzyıl başındaki eğitim sorunsalı ve Hitler'in ayak sesleri
(2021)
Robert Musil (1880-1942), modern roman türünün oluşumuna ve gelişimine önemli katkıları olan, 20. yüzyılda Avusturya Edebiyatı'nın en önde gelen yazarlarındandır. Eserlerinde 20. yüzyıl başındaki dönüşümü ve bu dönüşümün birey ve toplum üzerindeki etkilerini konu edinmektedir. 1906 yılında yayınlanan ilk romanı "Öğrenci Törless'in Bunalımları'nda" da içinde yaşanılan dönemin ve sınıf farkının eğitime yansıması, eğitim ve yatılı okul sisteminin insanlıkla bağdaşmayan yanları, buna bağlı olarak genç ve yaratıcı bireylerin sorunları ve otonom gelişimlerinin engellenmesi gibi konular ele alınmıştır. Ayrıca eserde yüzyıl başındaki dönüşüme paralel olarak toplumda yavaş yavaş hissedilmeye başlanan faşizmin ayak sesleri konu edinilmiştir. Bu çalışmada, 20. yüzyıl başındaki modernist dönüşümün eğitim ve okul sistemi üzerindeki izleri gün ışığına çıkarılmaya ve Hitler ekolünün alttan alta gelişi gösterilmeye çalışılmıştır. Bu vesileyle çalışmamızın özellikle o dönemdeki eğitim sorunsalı ve Hitler zihniyetinin doğuşu üzerine yapılacak çalışmalara bir rehber olması amaçlanmıştır. Araştırma sürecinde metne bağlı, yorum bilimine dayalı inceleme yöntemlerine ve yer yer de metinlerarasılık yöntemine başvurulmuştur.
"Österreich - USA: Künstlerischer und interkultureller Dialog". Konferenz der Austrian Studies Association (ASA) an der Universität Wien, 14.-17. März 2016
Zum zweiten Mal seit Bestehen der 1961 ins Leben gerufenen Austrian Studies Association (ASA) fand die jährliche ASA-Konferenz in Europa, und zwar wieder in Wien, statt. Organisiert wurde sie von Pia Janke (Forschungsplattform Elfriede Jelinek, Universität Wien), Maria-Regina Kecht (Rice University) und Teresa Kovacs (Forschungsplattform Elfriede Jelinek, Universität Wien). Die Veranstaltung vernetzte durch ein vielfältiges Programm an wissenschaftlichen Vorträgen und künstlerischen Programmpunkten die Universität Wien mit anderen in Wien beheimateten Institutionen, die als Kooperationspartner fungierten, namentlich mit dem Wien Museum, dem Österreichischen Filmmuseum und dem Amerika-Haus.
"Teil der Lösung" ist der jüngste Roman von Ulrich Peltzer, der 1956 in Krefeld, Nordrhein-Westfalen, geboren wurde und seit den 70er Jahren in Berlin lebt, wo er zwischen 1975 und 1982 Philosophie und Psychologie studierte und seither als freier Schriftsteller arbeitet. Sein Werk wurde mit mehreren Preisen, unter ihnen der Berliner Literaturpreis (1996, 2008), der Anna-Seghers-Preis (1997), der Niederrheinische Literaturpreis (2001) und der Heinrich-Böll-Preis (2011), ausgezeichnet. Peltzers Werke beschäftigen sich oft mit dem urbanen Raum, besonders mit Berlin, und der Roman "Teil der Lösung", der im Jahr 2007 erschien und von mehreren Rezensenten für einen der wichtigsten der Saison gehalten wurde, ist keine Ausnahme (vgl. Auer 2009). In diesem Roman, dessen Handlung im Berlin des beginnenden 21. Jahrhunderts spielt, werden unter anderen Themen die Antiglobalisierungsbewegung, der Streit gegen die Verbreitung der Überwachungsformen im Alltag und der Terrorismus diskutiert. Zu all diesen komplexen Motiven finden wir im Roman verschiedene Perspektiven, die sich gegenseitig bestätigen, ergänzen oder revidieren und den Leser von der Komplexität der behandelten Thematik überzeugen. Auch die für den Titel gewählte Anspielung auf den berühmten Satz von Holger Meins, der 1974 behauptete: "Entweder bist du Teil des Problems oder Teil der Lösung" (vgl. z.B. Merkel 2007), lädt zu einer erneuten Lektüre dieser Stellungnahme im Lichte von neuen politischen, sozialen und ökonomischen Bedingungen ein.
Der Dualismus von Körperästhetik und Moral, der die abendländische Kultur seit der Antike bestimmt hatte, bricht in der schönen Literatur erst im 20. Jahrhundert - im Gefolge psychologisierter anthropologischer Konzeptionen - endgültig auseinander. Es entstehen neue, komplexe Relationen von Körper und Psyche, in denen unterschiedliche Normenkomplexe und Machtstrukturen wirksam sind - soziale, geschlechtsspezifische, sexuelle. Demgegenüber scheint sich in den literarischen Zeugnissen der Gegenwart ein neues Paradigma anzudeuten. Die jüngsten Variationen der Konfrontation von Schönheit und Häßlichkeit, die Verwechslungen, Vertauschungen, Verwandlungen und Umkehrungen beider Zustände entstehen erkennbar vor dem Hintergrund avancierter technologischer Möglichkeiten zur Herstellung von Körperschönheit, einer Schönheitsindustrie und Medizin, die das Bewußtsein von der technischen Produzierbarkeit von Schönheit, vom Sieg über Alterungsprozesse vermitteln. Die Gegenwartsliteratur spiegelt eine neue Objekthaftigkeit von Schönheit und Häßlichkeit, ihren Warencharakter. Schönheit kann, wie bei Bruckner, enteignet werden, sie kann gekauft und gestohlen werden wie bei Kureishi, mit ihrem häßlichen Gegenteil verwechselt wie bei Brasme und sie kann mit diesem - zur kontrastiven und kommerziellen Überhöhung ihrer Eigenart -vorübergehend vertauscht werden wie bei Nothomb. Der Objekt- und Warencharakter von körperlicher Schönheit und Häßlichkeit führt dazu, daß die Dichotomien zusammenrücken und austauschbar werden, weil sie kein metaphysisches, moralisches oder gedankliches Substrat mehr besitzen, sondern zunehmend vom marktwirtschaftlichen Prinzip bestimmt sind. Auf einem totalitären Markt der Schönheit kann plötzlich auch Häßlichkeit kommerziell und sexuell attraktiv werden, in einem faschistoiden Schönheitssystem ist sie die einzige Möglichkeit der individuellen Nicht-Anpassung.
So schnell der Dichter und die Schauspielerin sich gegenseitig schätzen lernen, so kurz währt die Freundschaft. Nach einer kurzen, intensiven Beziehung bleibt nur eines übrig: die zwei Gedichte, die Rilke in der Nacht des 4. Juli in Geschenkexemplare des "Buch der Bilder" beziehungsweise des "Stunden-Buchs" eingetragen hat. Man kann zwar die zwei Gedichte als Denkmäler einer flüchtigen, dafür aber intensiven Begegnung begreifen, doch führt dieser hier kurz skizzierte biographische Kontext bei einem so innigen Dichter wie Rilke in die Irre. Denn das erste, längere Gedicht hat mit der vermeintlichen Geliebten gar nichts zu tun; wie so oft in seinem Leben nimmt Rilke die Beziehung zu einem anderen vielmehr zum Anlass, seine eigenen Gefühle zu erkunden. Was Sigmund Freud wohl als narzisstische Selbstliebe bezeichnet hätte, mag man etwas wohlwollender als die nötige Selbstbesessenheit des lyrischen Dichters verstehen. Wie dem auch sei: dem ersten Gedicht bleibt das Zwiegespräch, das "Du", vorenthalten. Dafür wendet sich das zweite, knappere Gedicht direkt an die Geliebte. Dass dieses Gedicht mit "Rainer", jenes mit der formelleren Unterschrift "RM Rilke", unterzeichnet ist, scheint die These einer Zuspitzung der Liebesgefühle, einer Öffnung des solipsistischen Ichs zugunsten einer wahren 'Begegnung', zu bestätigen. Was geschieht also im Übergang vom ersten zum zweiten Gedicht? Wie sind diese beiden Gedichte - sowohl innerhalb als auch außerhalb ihres unmittelbaren biografischen Kontextes - zu verstehen?
La novela "Leche y carbón" de Ralf Rohmann, publicada en el año 2000, sigue el modele literario deI texto de la memoria. Mientras que en su superficie se traza la imagen de la memoria de una juventud en la región del Ruhr, en su nivel poetológico la novela reflexiona sobre el paradigma literario mismo del texto de la memoria. Estas cuestiones se encuentran en el centro del siguiente análisis.
Mit den Worten: "Die Zeit ist auf der Flucht" charakterisiert Ernst Moritz Arndt 1807 den 'Geist der Zeit'. Er diagnostiziert damit zugleich ein Welt- und Lebensgefühl, das zur bestimmenden Signatur der Moderne werden sollte; neue, immer schnellere Verkehrsmittel, die Geschwindigkeit des technischen Fortschritts und der Lebensrhythmus der modernen Metropolen führen zur Allgegenwart des 'Prinzips vitesse'. Wenn sich Marcel Proust in der Figur seines Erzählers am Ende eines geschwindigkeitsbesessenen (oder auch: geschwindigkeitsgeschädigten) Zeitalters auf die Suche nach der verlorenen Zeit macht, wirft dieser Schreib-Vorgang ein bezeichnendes Licht auf das Phänomen der Modernität. Müsste sich nicht auch die Kunst im Prozess der Geschwindigkeit auflösen und das Schicksal der Moderne teilen, mit der Zeit unmodern werden? Prousts Antwort ist hier nicht unser Thema; ihr Problemhorizont aber bestimmt das Verhältnis der Moderne zur flüchtenden Zeit.
Im Ganzen gesehen verfügen Rilkes verstreute Widmungsgedichte nicht über eine defizitäre, sondern über eine andere Poetik als die in Gedichtsammlungen veröffentlichten, aber auch als die verstreuten nicht-gewidmeten Texte. Gründe genug also, im Folgenden einmal genauer nach einer Typologie und der Poetik von Rilkes verstreuten Widmungsgedichten zu fragen - zumal sich die Rilke-Forschung bisher weder mit diesen noch mit anderen Widmungen näher beschäftigt hat.
"Zentrum und Peripherie". Internationale Konferenz des Germanistenverbandes der Tschechischen Republik an der Schlesischen Universität in Opava, 25.-27. Mai 2016
Die internationale Tagung Zentrum und Peripherie wurde vom Germanistenverband der Tschechischen Republik und der Abteilung für Germanistik am Institut für Fremdsprachen der Schlesischen Universität in Opava veranstaltet. Das Organisationsteam aus Opava bestand aus Dr. habil. Gabriela Rykalová, Dr. habil. Veronika Kotůlková und Dr. Miroslav Urbanec. Fast hundert FachteilnehmerInnen aus der Tschechischen Republik, Deutschland, Österreich, Polen, der Slowakei, Spanien, der Türkei und Ungarn konnten in Opava begrüßt werden, außerdem VertreterInnen des DAAD, der Deutschen Welle, des Österreichischen Kulturforums Prag sowie Germanistikstudierende verschiedener Universitäten. Im Rahmen der Konferenz fand auch die Mitgliederversammlung des Germanistenverbands der Tschechischen Republik statt.
In the present research a pronunciation training, which was implemented within the scope of the seminar "Reading skills II", is being discussed. Turkish students in their first year, studying German Language Teaching at Uludağ University participated in this research. After a theoretical grounding, the conception of the pronunciation training and how it was implemented in the seminar will be introduced. The aim of this study is to examine, how the detected phonetic problems of the students can be eliminated through a targeted pronunciation training and how it can be perceived by the students. Orientated on the Qualitative Evaluation by Kuckartz et al. (2007) the analysis has been carried out. Therefore a questionnaire and a group-interview have been applied. Considering the evaluated results, possible perspectives for the specific field of research and teaching practice have been presented.
Die erste überlieferte Erwähnung des Heidelberger Indologen Heinrich Zimmer im Dunstkreis der Hofmannthals ist wohl ein Brief der 25-jährigen Christiane von Hofmannsthal an ihren Freund Thankmar von Münchhausen vom 4. Dezember 1927:
Ich bin sehr gerne in Hbg, bin der Liebling meiner Lehrer und so brav, old boy, Du kannst Dirs nicht vorstellen, lerne außerdem Sanskrit weil ich einen Flirt mit dem Indologen habe, (sans conséquences)[.]
Heinrich Zimmer (1890-1943), Sohn eines Professors für Indogermanische Sprachwissenschaft und Sanskrit, hatte in Berlin Germanistik, vergleichende Sprachwissenschaften und Sanskrit studiert und war in Heidelberg zunächst Privatdozent und ab 1926 außerordentlicher Professor für Indologie. Schon 1924, noch in Unkenntnis der künftigen Verwandtschaft, hatte er einen Aufsatz über Hofmannsthals "Weißen Fächer" geschrieben, den er später spöttisch als "recht findefroh-spießig, aber arglos gemeint" bezeichnete. Als Vertreter einer kulturwissenschaftlichen, über den Tellerrand der Sprachwissenschaft hinausschauenden Ausrichtung seines Fachs hatte er es schwer, in der positivistischen Hochschullandschaft der Indologie einen Lehrstuhl zu erhalten, pflegte aber viele wissenschaftliche Kontakte mit Vertretern anderer Fächer, so auch mit Carl Gustav Jung und dem Kreis um die ERANOS-Tagungen in Ascona.
Von Natur aus, so Döblin, kannte das Epische in seiner "unbegrenzten Form" kein bestimmtes Ende. Realität, Traum und Phantasie waren noch nicht voneinander geschieden; berichtet wurden "Elementarsituationen des menschlichen Daseins" in "immer neuen Abwandlungen", in der "Serienarbeit" der mündlichen und kollektiven Erzählungen und Nacherzählungen, im Grunde der "Wahrheit" ohne Begründung. Auf Einladung des Germanistikprofessors Julius Petersen hielt Döblin am 10. Dezember 1928 seinen Vortrag "Der Bau des epischen Werks" im Auditorium Maximum der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität. Darin erstellt er ein Programm zur Erneuerung des Romans unter den Bedingungen der modernen Kollektiverfahrungen von Masse, Technik und medialer Öffentlichkeit, in Verbindung mit den Wissensbeständen von Medizin, Psychiatrie und Soziologie und deren "Resonanz", wie er in seiner ganz persönlichen Universalschrift 'Unser Dasein' von 1933 schrieb, seiner letzten in Deutschland vor dem Exil erschienenen Publikation. Die Literatur hätte die Aufgabe, die neu entstandene Wirklichkeit zu "durchstoßen", das Menschenmögliche, auch die destruktiven Energien zur Sprache zu bringen: im Produktionsprozess eines als "dynamisches Netzwerk" zu begreifenden und plastisch zu gestaltenden Weltganzen, der Dinge und Vorgänge mit den in ihnen wirkenden Kräften. Die Vitalisierung und Elementarisierung der Sprache sollte den Ursprung des Epischen wiedergewinnen und die vorherrschende Repräsentationslogik der medialen Vermittlung außer Kraft setzen: "Das Buch ist der Tod der wirklichen Sprache."
"wo ist dem Tier sein End?" : das Politische, das Poetische und die Tiere in Hofmannsthals "Turm"
(2016)
In Hofmannsthals "Turm"-Projekt gibt es viele Tiere. Dies gilt für alle vier Fassungen. Nimmt man Begriffe wie Jagd, Reiten und Kreatur hinzu, dann lassen sich allein in der zweiten Fassung ungefähr 170 Tiererwähnungen nachweisen. Die mit Abstand größte Tierdichte findet sich dabei im ersten Auftritt des ersten Aktes, gefolgt vom zweiten Auftritt des zweiten Aktes. Offenbar sind die Tiere für die Entfaltung der Problemlage, wie sie in der ersten Hälfte des Dramas vorgenommen wird, wichtiger als für die Lösungen des Problems, die mit den verschiedenen Enden des Dramas angeboten werden. Bei der Entfaltung der Problemlage spielen die Tiere deshalb eine so zentrale Rolle, weil in ihnen zwei Themen aufeinander bezogen werden, die zum Kernbestand des "Turm"-Projekts gehören: die Frage des Politischen und die Frage des Poetischen. Um die damit gegebene trianguläre Beziehung von Politik, Metapher und Tier wird es im Folgenden gehen.
Als im Januar 1904 die von Paul Nikolaus Cossmann, Josef Hofmiller und Wilhelm Weigand konzipierten "Süddeutschen Monatshefte" in München zu erscheinen beginnen, handelt es sich dabei um eine der letzten großen Neugründungen im Feld der reichsdeutschen Rundschaupublizistik vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Trotz ihres verhältnismäßig späten Erstpublikationsdatums hatte die Zeitschrift eine offenkundige Lücke innerhalb der Münchner Presselandschaft geschlossen. Darauf weist bereits der Germanist Franz Muncker hin, wenn er die "Süddeutschen Monatshefte" in einer Rezension aus Anlass ihres fünfjährigen Jubiläums als die "erste Münchner Monatsschrift" charakterisiert - und damit keineswegs nur den führenden Rang der Zeitschrift herausstreicht.
Dass die prominente Figur des Doppelgängers um 2000 ihre Aktualität noch immer nicht verloren hat, veranschaulicht Catharine Smale. In ihrer Lektüre von Irina Liebmanns Romanen "In Berlin" (1994) und "Die freien Frauen" (2004) arbeitet sie eine Parallele zwischen der literarischen Inszenierung Berlins und der Dialektik des Doppelgängers heraus. In diesem Zusammenhang betont sie den für Liebmanns Poetik wesentlichen Status von Spiegeln, was sie zu der Frage nach der literarischen Mimesis in der Postmoderne führt. Mit Bezug auf das Konzept des Unheimlichen weist Smale nach, dass die Doppelgänger-Figuren als Verkörperungen der Identitätskrisen aufgefasst werden können, die die Protagonisten angesichts der verfremdenden Erfahrung der 'Wende' durchleben.
Benjamin Hein beschäftigt sich im Beitrag "Über die Dethematisierung der Judenverfolgung und des Holocaust in der Populärliteratur der Nachwendezeit" mit den gegenwärtigen literarischen Aufarbeitungstendenzen der NS-Vergangenheit. Er untersucht, wie das Fortwirken eines Authentizitätsanspruchs und eines damit verbundenen 'Bildverbots' in der Schrifsteller-Generation der Nachgeborenen sowie der dritten Generation eine Aussparung der Opferperspektive zeitigt, die eine brisante Leerstelle produziere.
The poetic language of the Nobel Prize winner Nelly Sachs has already been examined from several points of view. Nelly Sachs has often been mentioned in connection with Klopstock and Hölderlin owing to her 'high tone' (cf. e.g. Paul Hoffmann's article 'On Nelly Sachs' Pathos' from 1994).
However, even earlier than the style which Hoffmann characterized as the "seed of the concise, hermetic late style with a more moderate pathos", literary techniques other than pathetic speech can be found in the work of Nelly Sachs. In the poems 'WE ARE SO sore', 'SOMEONE COMES', 'A PUNCH' behind a hedge, there is a laconic style, far removed from all hermeticism, which is able precisely to depict the impact of the Shoah on its survivors. This style seems to be cognate with Kaschnitz's late elliptical works, Celan's "greyer language", and Bachmann's laconic poems, all from the 1960s. It is this particular style that is examined in this article.
Dagmar Leupold, Lyrikerin, Prosaistin, promovierte Komparatistin und Übersetzerin aus dem Italienischen, hat in den neunziger Jahren insbesondere durch drei Romane - Edmond: Geschichte einer Sehnsucht (1992), Federgewicht (1995) und Ende der Saison (1999) - auf sich aufmerksam gemacht. Darüber hinaus erschienen von ihr bisher zwei Gedichtbände - Wie Treibholz (1988) und Die Lust der Frauen auf Seite 13 (1994) - sowie der Band Destillate (1996), der Kurzprosa und Lyrik versammelt. Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit den Romanen, also mit einer Gattung, die schon oft und nun in der Postmoderne erneut totgesagt wurde, andererseits jedoch lebendiger denn je erscheint, vielleicht gar "zum eigentlichen Medium dessen geworden [ist], was unter dem Begriff 'Postmoderne' subsumierbar wäre". Wenn Leupolds Romane der Postmoderne zugerechnet werden, dann ist dieser oft als Passepartout missbrauchte Begriff kritisch auf seine Brauchbarkeit für die Beschreibung zeitgenössischer Prosa zu prüfen. Die Postmoderne-Debatten, die Forschung und Feuilleton seit Mitte der achtziger Jahre in Deutschland führen, sollen nicht aufgerollt, einige ihrer konstruktivsten Erkenntnisse aber einbezogen werden.
In der Oberzips sind [...] die durch das benachbarte Schlesien vermittelten Merkmale des Ostmitteldeutschen vorherrschend. Einen Sonderfall stellen das Kesmarker Stadtprotokoll aus den Jahren 1554-1614 sowie das zweitälteste Gerichtsbuch von Kesmark aus den Jahren 1607-1624 dar, in denen die ostmitteldeutschen Merkmale gänzlich fehlen. [...] Nach Piirainen könnte dies auf eine eigene Schreibtradition in der Kesmarker Stadtkanzlei hinweisen. Die Teilergebnisse der sprachlichen Analyse von Originalhandschriften der Zunftsatzungen aus den Jahren 1573-1636 deuten jedoch darauf hin, dass man den ostmitteldeutschen bzw. schlesischen Einfluss in der Kesmarker Kanzleisprache nicht ausschließen kann.
Max Frisch gilt nicht als 'Achtundsechziger' und schon gar nicht als Autor von 'Achtundsechziger'-Literatur. Mit Jahrgang 1911 ist er zunächst schlicht zu alt dafür, denn gemäß gängiger, an Generationengrenzen orientierter Definition darf ein 'Achtundsechziger' im Jahr 1968 zwanzig bis maximal dreißig Lebensjahre zählen. Zudem trennen Frisch Ablehnung eines dogmatisch vertretenen Marxismus und Skepsis gegenüber jeder ungebrochenen Revolutionseuphorie von den (studentischen) Aufbruchsbewegten der Zeit, auch wenn er sich als - freilich demokratischer - "Sozialist" bezeichnet und insbesondere im einschlägigen zweiten Tagebuch, dem 1972 veröffentlichten Tagebuch 1966-1971, Sympathie für die Anliegen der Demonstranten bekundet und den Vietnam-Krieg der USA kritisiert.
In Studien zu Literatur um 1968 kommen Frischs Werke nicht vor, denn sie wecken keine Assoziationen mit Genres wie 'littérature engagée', 'Protest-Literatur' oder 'Agitprop'. Im Gegenteil, gerne wird der Literatur dieses Autors im Allgemeinen oder sogar gerade seinen Texten um 1968 im Speziellen jeglicher "Eingriff in die Politik", jede "direkte und offene Gesellschaftskritik" abgesprochen. Ich-Bezogenheit, Konzentration aufs Private (generell oder als Reprivatisierung speziell in jener Zeit), Beschäftigung mit 'ewigen' Themen wie Identität, Beziehungen, Alter, Vergänglichkeit, Tod - so lauten dagegen die dominanten Kennzeichnungen. Distanz zur 'littérature engagée', zu einer direkt politisch motivierten bzw. motivierenden Literatur, hat Frisch auch selbst immer wieder markiert, obwohl oder gerade weil er sich zugleich politisch engagiert hat. So unterstreicht er etwa in seiner Eröffnungsrede auf der Frankfurter Dramaturgen-Tagung von 1964, dass "das politische Engagement nicht der Impuls" des Schreibens sei und sein soll, sondern höchstens sekundär "ein Ergebnis der [literarischen] Produktion".
Hofmannsthal hat sich herausgeberisch in verschiedener Weise betätigt. Ich beschränke mich auf das für Hofmannsthal Wesentliche: auf die im Insel-Verlag erschienenen "Deutschen Erzähler" und - aufs engste damit verbunden - seine führende Rolle bei der Programmgestaltung der Offizin "Bremer Presse" und ihres nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten Verlags. Beiseite bleiben das von Hofmannsthal, Rudolf Alexander Schröder und Rudolf Borchardt herausgegebene Jahrbuch "Hesperus", von dem nur ein Band 1909 das Licht der Welt erblickte, der ausschließlich Beiträge der drei Freunde enthielt. Der Plan eines zweiten Jahrbuchs scheiterte 1913. - Ebenso können die herausgeberische oder redaktionelle Mitarbeit Hofmannsthals am "Morgen" (1907/1908), die spätere an Richard Smekals "Theater und Kultur" (1920 bis 1923) und am Jahrbuch der Nietzsche-Gesellschaft, der von Ernst Bertram und Thomas Mann mit anderen herausgegebenen "Ariadne" (1925), als periphere Betätigung übergangen werden.
"wir haben ein land aus worten." In Semier Insayif Roman 'Faruq' (2009) geht es um Worte und Erinnerungen, um das (Nicht-)Sprechen-Können und darum, Sprache und Gedächtnis zu verlieren. Es geht um das Schreiben, Sprechen und Rezitieren im Bereich des Dazwischen von Sprachen und Kulturen. Ausgehend von der Perspektive des Ich-Erzählers im Text entfalten sich die Nuancen und Facetten des Lebens als Geschichten, als Texturen der Erinnerung und als eine Art Sprach- und Klanggewebe. Bezugnehmend auf eben diese poetischen und rhetorischen Aspekte des Textes wird eine Lektüre unternommen, die auf postkolonialen und dekonstruktiven Ansätzen wie auch auf Gedächtnistheorien basiert. Die Lektüre versucht sowohl auf die Anforderungen und Besonderheiten des Textes in allen Facetten des Dazwischens zu reagieren als auch jene Perspektiven zu ergründen, die für die zeitgenössische Entwicklung der sogenannten Migrationsliteratur signifikant sind.
"Wir haben diesen Dichter geliebt" : Hugo von Hofmannsthal und Eduard Korrodi ; Briefe und Dokumente
(2017)
Der Schweizer Journalist, Essayist und Literaturkritiker Eduard Korrodi, geboren am 20. November 1885 in Zürich, ist heute, mehr als 60 Jahre nach seinem Tod am 4. September 1955, selbst in Literaten- oder Germanistenkreisen nahezu unbekannt. Seinen Zeitgenossen hingegen galt er als wegweisender Mentor und Anreger, als "schweizerischer Geisteswärter", als "das literarische Bundesgericht" der Schweiz und allmächtiger "Literaturpapst". Diese einzigartige Position eines "Entdeckers" und "Erweckers", "Richters" und "Vernichters" hat er in der Feuilletonredaktion der "Neuen Zürcher Zeitung" zwischen 1915 und 1950 über 35 Jahre hin behauptet - "geliebt, geehrt" und "angegriffen", immer aber "ernst genommen", so dass kaum ein Schweizer Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihn nicht in Tagebüchern oder Memoiren "erwähnt" oder "in gereizter Weise 'behandelt'".
Als jüngster Sohn des angesehenen Lehrers, Schulbuchautors und Lyrikers "für den Hausgebrauch" Johann Heinrich Korrodi (1834-1910) und der Marie Zurgilgen (1852-1950), die der Vater 1882 in dritter Ehe geheiratet hatte, besucht Korrodi die Schule in Zürich und ab Oktober 1898 das Kollegium "Maria Hilf" in Schwyz. Ab dem Wintersemester 1905/06 studiert er deutsche Philologie, Alt-Isländisch und Kunstgeschichte in seiner Heimatstadt und wird hier, nach einem Berliner Auslandssemester im Winter 1907/08 bei Erich Schmidt und Richard Moritz Meyer,10 im Januar 1910 mit der von Adolf Frey (1855-1920) betreuten Dissertation "Stilstudien zu C.F. Meyers Novellen" zum Dr. phil. promoviert.
Mit dem "Prager Erbe" bezeichnete Weiskopf eine interkulturelle Kompetenz, die er vor allem auf historische und kulturgeschichtliche Ereignisse der tschechischen, jüdischen und schließlich auch deutschen Nationalitäten in den böhmischen Ländern bezieht. Die Kompetenz, die er hier für das Werk Kischs herstellte, lässt sich für Weiskopfs eigenes Schaffen herausarbeiten. Es wird davon ausgegangen, dass er in seinem Leben und Werk als Mittler tschechischer Kultur wirkte, wobei sich dieser Beitrag auf die Exilzeit Weiskopfs konzentriert. Nach einer kurzen Darstellung der Flucht und Ankunft in dem Exilort New York steht zunächst Weiskopfs journalistisches Schaffen im Mittelpunkt des Beitrages. Dieses wird unter dem Aspekt der Darstellung von Eigenem und Fremden, also dem amerikanischen Exilland und der Prager Herkunft, untersucht. Die weiteren Teile des Beitrags konzentrieren sich auf die Korrespondenzen mit Heinrich Mann und Egon Erwin Kisch. Mann erbittet Weiskopfs Meinung zu seinem Werk Lidice und abschließend wird in der Korrespondenz zwischen Weiskopf und Kisch die Diskussion über die Heimkehr in die alte Prager Heimat nach Beendigung des Weltkrieges dargestellt.
Das "Wilde" als eine Variante zahlreicher europäischer Fremdheitskonzeptionen, die in ihrer Unbestimmtheit meist nur auf ein defizitäres Anderssein verweisen, hat im Europa des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts Konjunktur. Die Literatur des kolonialen Zeitalters oder auch erste Stummfilme3 bedienen sich selbstverständlich abenteuerlich-exotischer Kulissen des "Wilden", seien es "nichtzivilisierte" Landschaften, Tiere oder Menschen und Kulturen. In zoologischen Gärten wie Hagenbecks Tierpark (1907) werden exotische Tiere in Freigehegen zur Schau gestellt, deren panoramatische Szenarien dem Besucher in nachgebauter authentischer landschaftlicher Umgebung die Illusion einer gefahrlosen Annäherung auf freier Wildbahn verschaffen. Das populäre Interesse besonders an Raubtieren schlägt sich in Deutschland noch zur Stummfilmzeit in der Produktion von Raubtier-Sensationsspielfilmen durch den Bruder des Hamburger Tierhändlers und Zoodirektors Carl Hagenbeck, John, nieder. In diesen Filmen entsteht für den Zuschauer, u.a. mit Hilfe von cut-ins aus den Freigehegen der Tierparks, die analoge Illusion eines gemeinsamen Raumes zwischen Jäger und Beute: "As the open zoo used trenches and moats, cinema also enlistened technology – that is, recording and montage – in order to efface the bars of the cage." Die neuen urbanen Schau-Plätze Zoo und Kino erscheinen im Kontext des epochalen Exotismus als Medien mit zirzensischer Vorgeschichte, die auf einer Abfolge sensationeller Nummern aufbauen und dem Zuschauer die Möglichkeit einer genußvollen Annäherung an das gefährliche oder andersartige Wilde in einem "gemeinsamen" Raum suggerieren. Damit ist eine wesentliche Facette des populären Exotismus der Jahrhundertwende skizziert, der nervenkitzelnde Illusionen von Zugänglichkeit und Authentizität des Andersartigen schafft, indem bestehende Distanzen in hochartifiziellen imaginären Räumen verwischt und negiert werden, während der Betrachter sich in Sicherheit weiß.
Vom 15. bis 16. November 2018 fand in Prag die erste internationale Fachtagung mit dem Titel "Wie schreibt man transkulturelle Literaturgeschichte?" statt. Veranstaltet wurde sie von der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik anlässlich der Gründung der Germano-bohemistischen Forschungsgruppe 2017.
Das Moment der Opposition gehört zu den Grundmerkmalen des Exils, beschreibt aber nur einen Aspekt seiner – erzwungenen oder eben freiwilligen – Notwendigkeit, in der sich Schriftsteller und Künstler, Juristen und Handwerker, Juden und Christen zu allen Zeiten gleichermaßen begegneten. Im Übrigen bleibt zu beachten, dass ebenso wenig wie von einer einheitlichen liberalen Gegenbewegung zum Metternich'schen System in ganz Deutschland die Rede von einer nur annähernd geschlossen auftretenden Opposition im Vormärz sein kann; eine solche konnte sich unter den politischen Bedingungen der Nachkriegsära nicht herausbilden. Opposition im Vormärz erstreckte sich bis in die zwischen konservativer Orthodoxie und innerkirchlichem Liberalismus zerrissenen Kirchen hinein, in denen liberale Gegenströmungen wie die "Lichtfreunde" und die "Deutschkatholiken" das Staatskirchentum der Amtskirchen in Frage stellten und so von hier aus die Revolution vorbereiteten. Ebenfalls nur eine der vielen Facetten des Exils erfasst die Koppelung des Begriffs an die Literatur, auch wenn die Erfahrung von Verfolgung und Vertreibung die Geschichte des geschriebenen Wortes seit der Antike begleitet.
Zu bedenken ist, daß nur die Literatur zwischen 1750 und 1806 jene Höhe erreicht, die es gestattet, von der Epoche prägender Kraft der Klassik zu reden. Die Künste unterliegen dem Gesetz des Ungleichzeitigen. Die deutsche bildende Kunst des Klassizismus ist im Verhältnis zur Literatur von geringerer Qualität. Annäherungen an Inhalt und künstlerische Qualität des Werkes von Tischbein sind daher auch auf diesen Vergleich hinzu überprüfen. Die Frage entsteht: Wieso kann ein Werk der bildenden Kunst, die sich nicht auf der Höhe der literarischen Klassik bewegt, das "Ereignis Weimar" so prägnant um- und beschreiben, daß es bis heute als ein Hauptwerk dieser Epoche gilt? - "Goethe in der Campagna" ist geprägt von einer Auffassung vom Dichter, die wir vom Maler Johann Heinrich Tischbein vor Augen geführt bekommen. Es handelt sich dabei um eine Interpretation von Goethes Persönlichkeit aus erster Hand.
"Wie ein ungeheures Märchen" : Johann Caspar, Johann Wolfgang und August Goethe im Petersdom in Rom
(2006)
Die Baugeschichte des Petersdoms in Rom, wie er sich dem Blick des neuzeitlichen Betrachters darstellt, ist das Resultat eines großen Abbruchunternehmens ebenso wie eines gewaltigen Neubaus. Von „schöpferischer Zerstörung“ hat Horst Bredekamp mit Blick auf die Baugeschichte von Neu St. Peter in Rom seit 1506 gesprochen. Als Johann Wolfgang Goethe, den Spuren seines Vaters folgend, 1786 auf seiner „Hegire“ das antike Rom und den Petersdom erblickte und sich damit in die südliche Kunstwelt „initiiert“ fühlte, konnte er kaum einschätzen, dass sein Neubau der deutschen Litera-tursprache ein ähnlich gewaltiges und gewaltsames Abbruch- und Aufbauprojekt sein könnte, wie der sich über mehr als ein Jahrhundert erstreckende Neubau der Papstkirche in Rom. Die „römischen Glückstage“, deren Stimmung und Kunstgefühl sich Goethe noch 1829, bei der Edition des „Zweiten römischen Aufenthalts“, in die „kimmerischen“ Nächte des Nordens holte, versuchte sein Sohn August 1830 auch für sich zu reklamieren. Doch endete dessen zu spät unternommene Flucht in einer Tragödie. August von Goethe starb zehn Tage, nachdem er die Kuppel des Petersdoms im Glanz der Morgensonne gesehen hatte, an einem Schlaganfall in Rom. Von dem Schock, der ihn im November 1830 durch die Nachricht vom Tod des Sohnes ereilte, hat sich Johann Wolfgang Goethe nicht mehr erholt.
Zwar gibt sich Günter Grass' "Treffen in Telgte" ausschließlich als ein Poetentreffen und hat den Blick der Leser nahezu ausschließlich auf die Poetenfiguren, ihre Diskussionen und die Analogie zur Gruppe 47 gelenkt – geheimes Zentralgestirn aber, um den die barocken Poeten kreisen, ist der im Zentrum der Erzählung in Telgte eintreffende Überraschungsgast Heinrich Schütz. In der Gegenwart des Komponisten verzwergen die Dichter mit ihrem durchaus respektablen Anliegen, eine poetische Nationalkultur zu begründen, und unterwerfen sich seiner Autorität als moralischer Instanz und als Künstler. Der 'große Schütz' formuliert nicht nur die relevante poetologische Programmatik der Erzählung, sondern initiiert auch den hier noch als Musketier und Quartiermacher auftretenden Grimmelshausen in seine spätere Rolle als den für Grass größten Dichter des Barockzeitalters und sein ihn von Jugend an bestimmendes Vorbild. Während die Poeten angesichts der politischen Ohnmacht der Dichtung in den Zeiten des nicht enden wollenden Krieges schier verzweifeln, weisen diese beiden scheinbar als Nebenfiguren eingeführten Charaktere über die Erzählung hinaus in die Zukunft.
Johann Wolfgang Goethes Faust ist vielfach als "Welt-Dichtung" interpretiert worden, in der das Dasein – "[v]om Himmel durch die Welt zur Hölle" – in ebenso umfassender wie exemplarischer Weise verhandelt wird und zur Anschauung gelangt. So erhebt etwa Georg Lukács die Tragödie zum "Drama der Menschengattung", zum "einzigartigen Weltgedicht": "[I]m Mittelpunkt steht ein
Individuum, dessen Erlebnisse, dessen Schicksal und Entwicklung zugleich den Fortgang und das Geschick der ganzen Gattung darstellen sollen". Diese Tendenz zur Totalität gilt auch in medialer Hinsicht. In der Goethe'schenFaust-Dichtung zeigen sich eine Reihe von medien- oder medialitätsspezifischen Eigenschaften, die eine seit den 1970er Jahren zunehmend mediensensible Literaturwissenschaft als charakteristisch erachtet für das Zeitalter der Medienmoderne.
Die Verlags- und Buchhandelsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts ist sowohl »faszinierende Blütezeit des Buchhandels in Deutschland« (Raabe 1984, S. IX) als auch reich an Innovationen des Kinder- und Jugendbuchmarkts im Prozess der Institutionalisierung und der Modernisierung (vgl. Schmid 2018, S. 22 ff.; Ewers 1982, S. 13 u. a.). Zu Recht wurde betont, dass sich Verlage als »eigentlich bestimmende und dynamische« Instanz der Kinder- und Jugendliteratur herausstellten, weil sie »als erste die enorm gestiegenen Lese- und Bildungsbedürfnisse immer breiterer Schichten wahrnahmen« und darauf strategisch geschickt reagierten (vgl. Dettmar u. a. 2003, S. 128)...
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der Präsenz der Gewaltproblematik im Zusammenhang mit der Verbreitung der Literatur von unerwünschten DDR-Autoren in der VR Polen. Die Gründung einer alternativen polnischen Kulturszene Mitte der 1970er Jahre konnte teilweise eine Lücke schließen, die das in beiden Ländern verhängte Einreiseverbot für diese Schriftsteller und ihre Texte hinterlassen hatte. Da solche Aktivitäten als eine Straftat mit aller Schärfe verfolgt wurden, waren verschiedene Formen der Gewaltanwendung ein Bestandteil der staatlichen Überwachung und Einschüchterung von Schriftstellern, Verlegern, Übersetzern und Publizisten.
Zirkusartisten und Varietékünstler, Gaukler und Jahrmarktschausteller galten und gelten bis heute in der literarischen Rezeption nicht als verehrenswerte Künstlerfiguren, sondern fungieren vielmehr durch ihren Status abseits der Norm, den sie gleich im doppelten Sinne innehaben, als literarisches Sujet: Sie verbinden Mobilität und Mittellosigkeit und verweigern sich damit gesellschaftlich normierten Grenzziehungen. Hierin zeigen sie deutliche Überschneidungen mit einer anderen Personengruppe, die in der Literaturwissenschaft in den letzten Jahrzehnten intensiv beforscht worden ist: die der "Zigeuner_innen". Allerdings beschränken sich die Forschungsergebnisse weitestgehend auf Darstellungen von der Frühen Neuzeit bis zur Romantik (Solms 2008; Breger 1998), eine Ausnahme bildet ein Sammelband von Susan Tebbutt (1998), der auch zeitgenössische "Zigeuner"-Repräsentationen mit in seinen Untersuchungsfokus einschließt. Direkte Sekundärliteratur zum Zirkus- und Jahrmarktroman ist dagegen nur vereinzelt zu finden und fokussiert sich in der Regel ebenso auf einen begrenzten Zeitausschnitt, spart also gegenwärtige Repräsentationen des Motivs aus (Bernecker 1990; Jones 1985; Laun 2007). An dieser Stelle sollen nun aber gerade zwei Werke aus der Gegenwartsliteratur näher untersucht werden. Sie unterscheiden sich von literaturgeschichtlich weiter zurückliegenden Schaustellerdarstellungen insofern, als sie weder einen distanziert wertenden Blick von außen wählen noch sich auf den metaphorischen Gehalt der Figur des fahrenden Künstlers beschränken: "Warum das Kind in der Polenta kocht" (1999) aus der Feder der rumänisch-stämmigen Schriftstellerin Aglaja Veteranyi sowie Franco Biondis "Karussellkinder" (2007) sind Schaustellernarrative aus der Binnenperspektive, sie schildern eine Kindheit im Schoß einer Zirkus- bzw. Jahrmarktfamilie am Rande der Normgesellschaft. Obgleich die beiden Texte völlig unterschiedlich erzählen, weisen sie doch frappante Ähnlichkeiten in ihrer Motivwahl auf: Sie hinterfragen tradierte Konzepte von Besitz, Reichtum und Armut sowie sozialer Zugehörigkeit mithilfe einer artifiziellen, hoch ästhetischen Bildsprache und greifen dafür auf interkulturelle Topoi zurück, die im Folgenden aus einer kulturwissenschaftlich-hermeneutischen Perspektive untersucht werden sollen.
Musik ist ein überall präsentes Phänomen und Menschen sind täglich in ständigem Kontakt mit Musik. Beide Phänomene – Musik und Sprache – bauen auf streng festgelegten Grundlagen auf und sind fest im menschlichen Gehirn verankert. In unserer Arbeit präsentieren wir die Ergebnisse der Zusammenarbeit zwischen Linguisten, Neurologen und Musikern, nämlich eine EEG-Studie. Das Hauptziel war es, Unterschiede beim Vergleich der Gehirnreaktionen von Fremdsprachenlernenden und Nicht-Fremdsprachenlernenden auf kommende Reize zu identifizieren. Es wird erwartet, dass diese Identifizierung für den Bereich der Fremdsprachenmethodik fruchtbar sein kann. Unsere Ergebnisse bestätigten die Existenz eines sogenannten dichotomischen Modells des Gehirns (linke Hemisphäre – Sprache, rechte Hemisphäre – Musik).
Annkatrin Buchens Beitrag mit dem Titel " Wenn es aber... bei mir anders wäre? Geschlechter-Rollen-Spiele und alternative Rollenentwürfe in Arthur Schnitzlers "Reigen"" setzt am Ehe- und Sexualitätsdiskurs an der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert an. Der Hauptaugenmerk liegt auf den im Reigen inszenierten Geschlechterverhältnissen und den hierin geschaffenen Spielräumen. Die Verfasserin stellt fest, dass Schnitzler in seinem zyklisch angelegten Drama eine bemerkenswerte Beobachtung über den Umgang mit Sexualität und die damit verbundene Reziprozität männlicher und weiblicher Rollenentwürfe präsentiert. Dabei greift Schnitzler auf stereotypisierte Figuren zurück, die die moralische Repression von Sexualität mit der männlichen Dominanz respektive der weiblichen Unterlegenheit verbinden. Gleichzeitig stellt er diesen Figuren zum Teil radikale Gegenentwürfe weiblicher Frauenfiguren gegenüber und zeigt auf diese Weise die Problematisierung männlicher und weiblicher Rollenentwürfe zu einer Zeit auf, in der die explizite Thematisierung von Sexualität auf der Theaterbühne wie im Fall des Reigen zu einem öffentlichen Skandal führte.
Das Gedicht "Die Künstler" eröffnet sozusagen Schillers theoretische Beschäftigung mit ästhetischen Fragestellungen, die ihrerseits die "klassische" Epoche seiner Kunstproduktion einleitet. Gerade wegen dieser Eingangsposition des Gedichtes und auch infolge einer späteren Behauptung von Schiller selbst, der im Nachhinein die ersten zehn Bogen seiner "ästhetischen Briefe" als eine philosophische Weiterführung des Gedichtes bezeichnete, hat man in ihm immer wieder nach Antizipationen der späteren ästhetischen Theorien gesucht. Solche Ermittlungen konnten jedoch höchstens zur Erkenntnis entweder ganz allgemeiner oder umgekehrt bloß punktueller Übereinstimmungen führen, da die Hauptgegenstände von Schillers späterer ästhetischer Reflexion über das Erhabene und die tragische Kunst, über die objektive Autonomie der Kunst und die "ästhetische Erziehung" oder schließlich über Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der Poesie der Antike und der Moderne, im Gedicht nicht thematisiert werden. Darüber hinaus bildet Schillers Studium der Kantschen Philosophie und insbesondere von dessen Kritik der Urteilskraft eine kaum zu überbrückende Wasserscheide, die die im Gedicht Die Künstler enthaltene Kunstauffassung von jener der späteren ästhetischen Überlegungen Schillers trennt, welche ausnahmslos von diesem Werk ausgehen und sich mit ihm auf verschiedene und zunehmend kritischere Art und Weise auseinandersetzen.
Goethe lebte auf großem Fuß, das belegen seine akribisch geführten Haushaltsbücher aus der Weimarer Zeit. Großzügig war er, wenn es um die fürstliche Bewirtung seiner Gäste, seine zahlreichen Reisen und die Neuanschaffungen für seine Sammlungen ging. Bescheidener lebte er im engeren Familienkreis. Geprägt von den bürgerlichen Prinzipien seines Frankfurter Elternhauses war ihm die sorgfältige Kostenkontrolle immer ein Anliegen, die Ordnung seiner privaten Finanzwirtschaft stellte für ihn die Basis seines Lebenswerks dar.
Worin besteht die Aufgabe einer künftigen Hypernarratologie, so könnte man programmatisch fragen und – ebenso programmatisch – darauf antworten: Die Aufgabe einer künftigen Hypernarratologie besteht darin, den Zusammenhang zwischen den spezifisch hypertextuellen und den allgemeinen semantischen Strukturen einer Hyperfiction zu untersuchen. Doch was heißt das? Durch welche Strukturmerkmale zeichnet sich ein Hypertext, zumal ein poetischer, aus? Ich möchte versuchen, diese Frage in zwei Schritten zu beantworten: In einem ersten Schritt werde ich mich der Frage theoretisch nähern, wobei die Begrenztheit der bisherigen Herangehensweisen zu Tage treten wird. In einem zweiten Schritt werde ich die Frage nach den Strukturmerkmalen narrativer Hypertexte im Rahmen der ›Analysepraxis‹ aufwerfen, wenn es um eine Deutung von Berkenhegers Hilfe! geht.
Unter deutschen Handschriften, die in tschechischen Archiven und Bibliotheken aufbewahrt werden, findet man zahlreiche Überlieferungen mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Fachliteratur. Ein Teil dieser Texte ist in Böhmen und/oder in Mähren entstanden und ist auf die jahrhundertelange Zweisprachigkeit und das Zusammenleben von Tschechen und Deutschen auf diesem Gebiet zurückzuführen. Ein beträchtlicher Teil der überlieferten Fachliteratur wurde jedoch anderswo geschrieben. Diese Werke, die auf verschiedene Art und Weise nach Böhmen oder Mähren gelangten, können heute als Zeugen der engen Kontakte zwischen tschechisch- und deutschsprachigen Ländern in der Vergangenheit angesehen werden.