830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
Refine
Year of publication
Document Type
- Article (3257)
- Part of a Book (1072)
- Review (756)
- Part of Periodical (372)
- Book (327)
- Report (111)
- Conference Proceeding (108)
- Contribution to a Periodical (74)
- Other (51)
- Doctoral Thesis (32)
Language
- German (5547)
- Portuguese (362)
- English (130)
- Turkish (90)
- Multiple languages (47)
- Italian (25)
- Spanish (21)
- French (16)
- dut (2)
- cze (1)
Keywords
- Literatur (449)
- Deutsch (446)
- Hofmannsthal, Hugo von (219)
- Rezeption (210)
- Germanistik (200)
- Vormärz (184)
- Rilke, Rainer Maria (169)
- Johann Wolfgang von Goethe (162)
- Linguistik (156)
- Literaturwissenschaft (155)
Institute
- Extern (493)
- Neuere Philologien (264)
- Präsidium (75)
- Universitätsbibliothek (12)
- Sprachwissenschaften (7)
- Geschichtswissenschaften (5)
- Rechtswissenschaft (4)
- Sigmund-Freud Institut – Forschungsinstitut fur Psychoanalyse und ihre Anwendungen (2)
- Sprach- und Kulturwissenschaften (2)
- Erziehungswissenschaften (1)
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Eßlinger Zeitung die 1997 in der wissenschaftlichen Reihe des "Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik" erschiene Studie "Sicherungsbereich Literatur. Schriftsteller und Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik" von Joachim Walther. In drei großen Kapiteln - "Der Auftrag", "Der Apparat", die "Methoden" - legt Joachim Walther das Beziehunggeflecht von Stasi und Literaturszene offen. Vier Jahre hat der Schriftsteller dafür in der Berliner Gauck-Behörde die Ablagen der Stasi durchforscht, hat die Akten der Täter, der "Inoffiziellen Mitarbeiter" (IM) und ihrer Führungsoffiziere geschichtet und (sofern es ihm die Betroffenen erlaubten), auch Einsicht genommen in prominente Opferakten: "Operative Personenkontrollen" (OPK) oder "Operative Vorgänge" (OV). Welch eine tief deprimierende Lektüre. Natürlich wird die Literaturgeschichte der DDR nicht neu geschrieben werden müssen, aber kräftige Korrekturen an den Interpretationen sind wohl nötig. In kühler uns manchmal schon unerträglicher Sachlichkeit referiert das Buch Tatsachen, die zu wissen wichtig sind, um diktatorische Mechanismen zu verstehen.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Eßlinger Zeitung die 1997 im Carl Hanser Verlag erschiene Autobiographie "Erwachsenenspiele" von Günter Kunert. Das Buch ist übervoll von skurrilen Erlebnissen, Begegnungen, Gesprächen mit Prominenten und weniger Prominenten. Kunerts Reisen in Ost und West sind Fundgruben staunenswerter Geschehnisse, selbst seine Übersiedlung 1979 nach Westdeutschland ist bei der Schilderung der bürokratischen Abläufe, des Verhaltens der offiziellen Stellen eine Satire in sich. Günter Kunerts gelassene, humorvolle Erzählweise entlarvt das eigentliche Böse, nämlich die unglaubliche Mittelmäßigkeit der Funktionäre und Schreibtischtäter - Hermann Kant wird einmal so apostrophiert - fast wie von selbst. Ähnlich wie im Pointillismus entsteht aus Einzelbeobachtungen das klare Bild einer DDR, die sich auf nichts so gut verstand, wie ihre anfangs gutgläubigen Verteidiger immer neu zu enttäuschen und schließlich in die Opposition zu treiben. »So ein "Vaterland" wie die DDR kriege ich zum herabgesetzten Preis im nächsten Spermarkt«, schreibt Günter Kunert grimmig gegen Ende des Buches, wenn er die Bemühungen von Klaus Höpcke, des DDR-"Literaturministers", schildert, ihn mit einem Apell ans Vaterlandsbewußtsein im Lande zu halten.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Berlin-Verlag erschienen Roman "Simple storys. Ein Roman aus der ostdeutschen Provinz" von Ingo Schulze. Ingo Schulze versteht es, scheinbare DDR-Besonderheiten in einen Kontext allgemeiner spießbürgerlicher Biederkeit derart einzubetten, daß man nicht umhin kommt, die gemeinsamen Wurzeln zu erkennen. Ein eigentümlicher Sog geht von diesen Geschichten aus, die fast durchgängig in der Ich-Form erzählt werden - wobei freilich dieses Ich von Geschichte zu Geschichte wechselt. Ihre Langwierigkeit ist beabsichtigt, ebenso kalkuliert wie die gesetzten Mystifizierungen der darauffolgenden Situationsbeschreibungen und Dialoge.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Rowohlt-Verlag erschienen Roman "Trivialroman" von Hans Joachim Schädlich. Keine sinistren Helden hängen rum, sondern Gestalten wie Dogge, Biber, Qualle und Clarissa. Manche monologisieren - "Falls ein Feuer ausbricht, so bewahre Ruhe und rufe nicht 'Feuer'", sagt Qualle in die Stille. Ratte, Wanze und Aal sind nicht da, der Chef und die Äbtissin haben sich schon vor Tagen aus dem Staub gemacht. Trivialroman. Endzeitstimmung. Aber Dogge, Qualle, Biber, auch der Ich-Erzähler Feder, waren einmal Berühmtheiten. Was anfangs dem Leser Dunkel scheint, wird im Laufe der Lektüre dieses kokett "Trivialroman" überschrieben Romans zwar nicht heller, aber klarer. In kurzen Rückblenden enthüllt sich die Vergangenheit der Leute, halb Gangsterbande, halb Staatsverwalter, privilegiert und Privilegien gewährend. Allmählich werden ihre Konturen schärfer.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 bei Kiepenheuer & Witsch erschienen Debütroman "Die Gunnar-Lennefsen-Expedition" von Kathrin Schmidt. Wie hier die Phantasie Purzelbäume schlägt, purer literarischer Übermut, reine Lust am Fabulieren einhergehen mit inhaltlichem Ernst, die Groteske nahtlos hinübergleitet in die Tragödie (oder umgekehrt), wie bitterböse Attacken auf Männerwahn verbunden sind mit scharfsichtigen Beobachtungen DDR-eigener Piefigkeit - das hat es in der Folgerichtigkeit bisher nicht gegeben. Doch es birgt auch Gefahren. Während Kathrin Schmidt anfangs relativ streng zwischen Alltagleben und den phantastischen Expeditionen ins Unbewußte unterscheidet, verwischen sich später die Grenzen. Die Folge sind Beliebigkeit und ein Abrutschen ins unverbindlich Märchenhafte. Burleske und barocke Fülle sind nicht mehr von der Substanz her strukturiert, sondern nur noch Accessoires. Doch trotz aller Einwände ist das Buch ein Glücksfall. Es verkörpert eine selten gewordene Erzählkunst, einen im wahren Wortsinne fabelhaften Stoff aus genau jenen Träumen, aus denen das Leben besteht. Kathrin Schmidt hat sich damit in die Geschichte der deutschen Nachwendeliteratur eingetragen.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1998 im Münchner Luchterhand Literaturverlag und postum von Rudolf Bussmann veröffentlichten Roman "Das heroische Testament. Roman in Fragmenten" von Irmtraud Morgner. Rudolf Bussmann, der Freund aus Basel, der bereits 1992 aus dem Nachlaß Irmtraud Morgners den 1966 verbotenen Roman "Rumba auf einen Herbst" rekonstruierte, hat in jahrelanger Arbeit unternommen, das Material zu sichten und Teile davon in einer Art Zettelkasten der Öffentlichkeit zu präsentieren.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost die 1998 im Rostocker Hinstorff-Verlag erschiene und von Barbara Heinze, der Bearbeiterin des Fühmann-Archivs in der Akademie der Künste, herausgegebene Biographie "Franz Fühmann. Eine Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen". Das Ergebnis ist erstaunlich und auf seine Art wohl ziemlich einzigartig in der neueren deutschen Literaturgeschichte. Barbara Heinze läßt ausschließlich Dokumente und Bilder sprechen, liefert also im wahren Wortsinne eine Collage: Zitate aus den Werken Fühmanns, vor allem natürlich mit autobiographischem Bezug, Protokolle aus Sitzungen des NDPD-Vorstandes, dem Fühmann nach Gründung der DDR eine Zeitlang angehörte, Stasi-Einschätzungen, Interview-Äußerungen, Stellungnahmen von Zeitgenossen und Schriftstellerkollegen - und immer wieder Fotos und Faksimiles. Aus Kindheit und Jugend, aus der Kriegsgefangenschaft, aus der Familie und dem offiziellen Leben, mit Freunden und späteren Feinden.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost den 1999 im Berliner Rowohlt-Verlag erschienen Roman "Die Buchhändlerin" von Irene Böhme. Mit ihrer lesenswerten Essaysammlung "Die da drüben - Sieben Kapitel DDR" hatte Irene Böhme, zwei Jahre nach ihrere Übersiedlung in den Westen 1980, einen ganz eigenen Beitrag zur deutsch-deutschen Selbsterkenntnis geliefert: unpathetisch und ohne jede Verstiegenheit, ein bißchen hemdsärmelig sogar, liebevoll und dennoch bissig genau. Nicht anders ist ihr neues, autobiographisch gefärbtes Buch. Es hat in satten Konturen alles zu einem Bestseller - starke Charaktere, die durchaus zur Identifikation einladen, pralle Schilderungen der Zeit zwischen den Weltkriegen mit all ihren Schatten und schroffen Lichtern; dann der Jahre nach 1945 in jenen Gegenden, die später zur DDR wurden, Porträts von Landschaften oder einzelnen Nebenfiguren, die sich ins Gedächtnis graben.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 den 1999 im Berliner Rowohlt-Verlag erschienen Roman "Eduards Heimkehr" von Peter Schneider. Tatsächlich ist es weniger die bunte, überbordende Handlung, halb Tragödie, halb Groteske, die an dem Buch fasziniert. Es ist vielmehr die Fülle genauer Beobachtungen von Menschen und Dingen in einer ungemein verdichteten, präzisen Sprache, die einen trotz allem in Bann zieht. Berlin und seine Politik kommen nicht gerade gut dabei weg - und doch ist der Roman eine indirekte Liebeserklärung an die Stadt, den abweisenden Charme der Bauten, an ihren Aktionismus wie ihre Provinzialität, und besonders an ihre Menschen und deren ruppige Mentalität. Peter Schneider ist unerbittlich - doch spürt man stets, wie verbunden er ihnen ist, wie gut er sie kennt und daß er sie mag. Es sind meisterhafte Miniaturen.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost Wolfgang Harichs 1999 postum erschiene Autobiographie "Ahnenpaß. Versuch einer Autobiographie". Das Buch, das Antwort in Form einer Autbiographie zu geben versucht, ist ein Unikum - schon deshalb, weil es postum erscheint; Harich starb 1995 im Alter von 72 Jahren. Es enthält Fragmente, die Harich 1972 verfasste (sowie spätere Ergänzungen), und einen Gesprächsteil: Niederschriften von Video- und Fernsehaufzeichnungen mit dem Filmemacher Thomas Grimm (Hrsg.). Wissenschaftlichen Anspruch hat das Buch kaum, es ist eher Lesestoff für historisch Interessierte, Fundgrube für jene, die die innerparteiliche Opposition der Fünfziger Jahre aus der Sicht eines der Hauptbeteilgten kennenlernen wollen.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 die 1999 im Berliner Transit-Verlag erschiene Biographiesammlung "Die Welt ist eine Schachtel" von Ines Geipel. Vier Autorinnen der frühen DDR werden von ihr behandelt: Susanne Kerckhoff, Evelyn Kuffel, Jutta Petzold und Hannelore Becker. Hans-Georg Soldat skizziert in seiner Rezension nochmal alle vier außergewöhnlichen Lebensläufe im Kontext ihrer Literaturproduktionen und resümiert: "Gespenstische Lektüre, bedrückende Leben, die hier nicht weiter kommentiert werden sollen - sie aufgehoben zu haben als Erinnerung für die Spätgeborenen ist ein Verdienst Ines Geipels, das gar nicht genug gewürdigt werden kann."
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost Klaus Schlesingers im Jahr 2000 erschienen Roman "trug". Die kleine Erzählung, deren Wurzeln bis in die Siezigerjahre zurückreichen, gehorcht den surrealen Gesetzen der Phantastik - sie ist nur von innen heraus logisch und zwingend. Legt man äußere, realistische Maßstäbe an, wird sie unwahrscheinlich und lächerlich.
Hans-Georg Soldat rezensiert für die Berliner Morgenpost Reinhard Jirgls im Jahr 2000 erschienen Roman "Die atlantische Mauer". Reinhard Jirgl, aus der DDR kommend, ist möglicherweise das, was man einen literarischen Nihilisten nennen könnte. Die atemlosen Monologe seines Buches "Die atlantische Mauer" lassen kaum einen Ausweg, sie sind bis in die letzten Verästelungen konsequent. Ahnung von Besserem gibt es nicht. Das Denken und Fühlen der handelnden, ach was, vor sich hin redenden Personen ist - ohne, dass sie es merken - von tiefstem Schwarz. Vier Figuren monologisieren geschlossen und nacheinander: Formales Bindeglied ist die Sprache und deren Darstellung - sie orientiert sich an Arno Schmidt und arbeitet mit den Zeichen »=« oder »&« und schreibt »1malig«. Sonderbarerweise wirkt es dennoch kaum einmal prätentiös, sondern trägt zum Eindruck der Atemlosigkeit bei. Tatsächlich gelingt wohl nur so die adäquate Wiedergabe eines Bewussteinsstroms.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 den im Jahr 2000 erschienen Erstlingsroman "Tintenpalast" des Leipziger Schriftstellers Olaf Müller. In langen Retrospektiven entrollt sich in der namibischen Wüste ein Bild der gewesenen DDR und der Verwüstung, die sie im Leben ihrer Bewohner angerichtet hat.
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3 / Radio 3 die erste, von der Journalistin Sabine Zurmühl vorgelegte Biographie der unsteten Schriftstellerin Maxi Wander aus dem Jahr 2001: "Zweifellos: Eine Unmenge Material ist darin verarbeitet, unzählige Gespräche mit Angehörigen, Freunden, Zeitgenossen. Aber sonderbarerweise fügt sich all dies nicht zu einem lebendigen Bild. Mit einer gewissermaßen atemlosen Schreibweise, einer literarisch veredelten Gegenwartsform, wie sie etwa das Fernsehen bevorzugt, versucht Sabine Zurmühl, die Fülle zu bändigen. ... ... All dies ist nichts anderes als eine Krücke, die einer immanenten Verständnislosigkeit aushelfen soll."
Hans-Georg Soldat rezensiert für NDR 3/Radio 3 Christa Wolfs 2002 erschiene Erzählung "Leibhaftig": In Bruchstücken nur erfährt die Ich-Erzählerin und mit ihr der Leser jene Vergangenheit, in der langsam und sicher ihr Glaube an "gesellschaftlichen Fortschritt" schwand, damit einhergehend das Vertrauen in die Menschen, die sie zunehmend als Opportunisten kennen lernt.
Hans-Georg Soldat rezensiert für den Hörfunksender NDR 3/Radio 3 Hermann Kants 2002 neu erschienen Roman "Okarina". Seine Kritik am Roman richtet sich vor allem gegen Hermann Kants autobiographisches Motiv im Roman, nämlich "die Lust, erneut sein Leben darzustellen: diesmal nicht so, wie er es hätte führen sollen, müssen oder vorgeblich geführt hatte, sondern wie er es hätte führen wollen."
Hans-Georg Soldat (Berlin) arbeitete als Literatur-Redakteur beim RIAS in West-Berlin und referierte "Zur Rolle von Westpresse und Rundfunk". Er berichtete, dass DDR-Autoren im RIAS-Literaturprogramm stark vertreten waren. In der DDR unzugängliche Bücher wurden in den RIAS-Besprechungen ausgiebig zitiert, um auf diese Weise die Literatursperre zu unterlaufen. Ein Indiz für die Wirkung dieser Vorgehensweise lieferte die Vorstellung einer DDR-Ausgabe einer sowjetischen Anthologie. Kurz nach der RIAS-Sendung avancierte das Buch vom Ladenhüter zur Bückware. Insgesamt sank jedoch der Stellenwert des Radios. Zitiert nach: Tagungsbericht "Der heimliche Leser in der DDR". 26.09.2007-28.09.2007, Leipzig, in: H-Soz-u-Kult, 14.11.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=1747>.
"Ein einzelner Mensch kann einer Zeit nicht helfen oder sie retten, er kann nur ausdrücken, daß sie untergeht." Christa Wolf zitiert diesen Satz aus Kierkegaards Tagebüchern voller Trauer. In der Tat ist ihr neues Buch "Ein Tag im Jahr" nichts Anderes als ein Grabgesang auf die DDR. Ein fulminantes Memento, was bekanntlich Erinnerung und Mahnung einbegreift.
Die Frage, ob "Literatur als Kampfmittel" Theorie oder Realität in der DDR gewesen ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Schließlich redet man über 40 Jahre DDR-Regime, in denen es kulturpolitische Zäsuren und Strategiewechsel gegeben hat. Generell gilt: Die Kulturpolitik der DDR war kunstfeindlich. Offiziell gab es keine Zensur, faktisch schon. Die Führung der DDR betrachtete ganz in der Tradition von Stalin und Chruschtschow KünstlerInnen als aktive Kämpfer für den Sozialismus. Der realistische Sozialismus war genreübergreifend die einzig legitime Form. Und man war gewillt, diese offen formulierten Anforderungen an Literaten auch mit Gewalt durchzusetzen. Trotzdem war die offizielle Literaturpolitik das eine, die literarische Praxis das andere. Die Literaturszene im Prenzlauer Berg etwa war erstaunlich autonom und im Aufbau-Verlag erschienen bemerkenswerte Titel. Die Ausbürgerung Biermanns 1976 führte zu einer historisch einmaligen Solidaritätsbewegung und einem Exodus der Ost-Literaten. Sicher ist: Die DDR ist Vergangenheit, aber in ihrer Literatur ist die Erinnerung an Staat und Gesellschaftssystem bewahrt.
Hans-Georg Soldat berichtet von seiner Zeit als Literaturredakteur beim RIAS: 'Für uns, die wir noch hoffen …' Literatur zwischen West und Ost - Fragmente einer unglaublichen Geschichte. Er umreißt vier Hauptfelder der Literatursendungen des RIAS: Erstens waren sie stellvertretendes Forum für Themen, die in der DDR nicht diskutiert werden konnten; zweitens stand weniger das Reden über Bücher oder Gedichtbände, sondern das Lesen daraus im Vordergrund; drittens wurden zunehmend Bücher von Autoren vorgestellt, die in der DDR lebten, aber dort nicht veröffentlichen durften; viertens ging man auf die aktuellen literatur- und kulturpolitischen Debatten in Ost und West ein. Soldat benennt nicht nur die Überlegungen und Skrupel seinerseits hinsichtlich der möglichen Gefährdung von Autoren, sondern auch die Schwierigkeit, "Balance zu halten zwischen Pflicht zur Information über einen neuen Zensurversuch und der Tatsache, dass der zugrunde liegende Text tatsächlich keine große literarische Bedeutung hatte". Zitiert nach: Gerd Dietrich: Rezension zu: Estermann, Monika; Lersch, Edgar (Hrsg.): Deutsch-deutscher Literaturaustausch in den 70er Jahren. Wiesbaden-Erbenheim 2007, in: H-Soz-u-Kult, 26.01.2009 (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2009-1-065)
Gille’s article on the history of the German Institute of the University of Amsterdam focuses on its turnover in 1960s and 1970s. Apart from sketching a subtle picture of past positions and oppositions, it clarifies how and why a new culture developed, in which research received new impulses heralding a new era.
Die Freundschaft von Goethe und Schiller, versinnbildlicht im Denkmal vor dem Weimarer Nationaltheater, symbolisiert den Höhepunkt der klassischen deutschen Literatur. Für das politische Weimar dieser Zeit steht ein anderer Freundschaftsbund, der zwischen Goethe und Herzog Carl August. Obwohl Carl August als Regent weit über dem Durchschnitt seiner Standesgenossen gestanden habe, beruhe sein Ruf in der Nachwelt, so meinte sein Biograph Hans Tümmler noch 1979, nicht auf seiner politischen Leistung, sondern »vielmehr fast ausschließlich « auf seiner Freundschaft mit Goethe. Von dieser Beziehung ist lange Zeit alles abgeleitet worden, was Weimar über seine Rolle als Musensitz hinaus historisch bedeutsam werden ließ. Die endlose Debatte um Goethe, Carl August und die weimarische Politik illustriert das Dilemma der Versuche, den Dichter-Staatsmann Goethe für politisch determinierte Geschichtsbilder zu instrumentalisieren oder nach jeweils eigenen Politik- und Moralvorstellungen zu bewerten. Die folgenden Ausführungen wollen daher jenseits derartiger Deutungsmuster der Frage nachgehen, in welchem Maße die Beziehung zwischen Goethe und Carl August für das Regierungshandeln überhaupt relevant gewesen ist und wie sich ihr politisches Gewicht in den sich wandelnden historischen Szenarien von mehr als fünf Jahrzehnten weimarischer Geschichte darstellt.
Der »Weimarer Musenhof« – vom Fürstenideal zur Finalchiffre : eine erinnerungskulturelle Spurensuche
(2007)
So richtig es ist, daß der Mythos vom Musenhof, mithin auch der von seiner Gründerin Anna Amalia, gerade in den letzten Jahren kritisch beleuchtet worden ist, so interessant ist der Befund, daß zahlreiche Spuren im kollektiven Gedächtnis, die auf die Herzogin und deren wirkliche wie ideelle Erben – also den mäzenatisch engagierten Carl August, dessen Schwiegertochter Maria Pawlowna, Amalias Urenkel Carl Alexander und deren Urururenkel Wilhelm Ernst – verweisen, systematisch nicht in größerem Umfang gesichert worden sind. So fundiert inzwischen unser Wissen um jene kulturelle Blüte einer deutschen Doppelstadt um 1800 auch ist – nicht zuletzt durch die wissenschaftlichen Aktivitäten der Klassik Stiftung Weimar sowie in noch größerem Maße durch die eines Jenaer Sonderforschungsbereiches – so deutlich ist, daß eine Erinnerungsgeschichte des Weimarer Musenhofs, seiner legendären Gründerin Anna Amalia und deren direkten Nachfolgers Carl August noch zu schreiben wäre. Doch gerade im so genannten langen 19. Jahrhundert müßte man die meisten Spuren jenes schon in der »Klassik« einsetzenden »Gedächtnistheaters« erst noch sichern. Das gilt vor allem für eine gründliche Auswertung wichtiger Literatur- und Politikgeschichten des 19. und 20. Jahrhunderts, eine systematische Analyse populärer Literatur über Weimar und dessen Fürstenhaus sowie der zahllosen Reisehandbücher und Reiseführer, die seit den Tagen des Vormärz über die Klassikerstadt oder Thüringen veröffentlicht worden sind. Es ist also weder understatement noch eine captatio benevolentiae der üblichen Art, wenn sich dieser Beitrag explizit als Skizze versteht, die Befunde und Einschätzungen des Verfassers mit Forschungsergebnissen anderer Kolleginnen und Kollegen synthetisiert, ohne weiterhin offene Fragen damit zu überspielen.
Heiner Müller: Fernsehen
(2000)
Der hier vorgestellte Text, der unterschiedliche metrische und graphische Merkmale aufweist, besteht aus drei numerierten Sektionen: „Geographie, Daily News nach Brecht, Selbstkritik.“. Das Gedicht ist kurz nach der Öffnung der Mauer in der Zeitschrift „Temperamente” erschienen. Obwohl in dieser ersten Druckfassung die gespannte Situation schon zu erkennen ist - die Zeitschrift, die im Januar 1990 herauskam, ist voller Appelle und Reflexionen über die historische Identität der DDR - sind die Entstehungsbedingungen noch viel dramatischer. Die ersten Oktobertage. Im Theater „Am Palast der Republik” soll „Quartett“ von Heiner Müller gegeben werden, aber der Regisseur und ein Schauspieler sind in den Westen geflohen. Der Autor liest das Stück selbst: Eine Geste der Solidarität mit denen, die bleiben, eine Haltung, die viele ostdeutsche Intellektuelle eint, von Volker Braun über Christa Wolf bis Stefan Heym, die an eine mögliche Neugründung der DDR glauben. In diesem gespannten Klima liest Heiner Müller dem Publikum „Fernsehen“ vor und unterbricht damit Valmonts Monolog. Der Text folgt einer analogischen Optik, welche die Figuren der Gegenwart den Fernsehbildern der 1989 übertragenen Ereignisse zuordnet.
Wie die anderen Erzählungen des Bandes "Das dreißigste Jahr" handelt dieser zwischen Lyrik und Prosa changierende Monolog - "Undine geht" - von Sprache und Gewalt, von existentieller Wahrheit des Individuums und Anpassung an die gesellschaftliche Norm, von der quälenden Last der Erinnerung und der Freiheit zur Rebellion. Wohl erstmals in ihrem Werk stellt Bachmann hier die Frage nach der Möglichkeit der Kommunikation zwischen Mann und Frau von jenem dezidiert weiblichen Standpunkt aus, der die späte Prosa ihres "Todesarten"- Zyklus kennzeichnen wird. Nicht zuletzt setzt der Text eine poetologische Reflexion fort, die implizit in Gedichten und Erzählungen, explizit in Essays und Vorlesungen, um die Möglichkeit einer neuen, radikal anderen, nicht entfremdeten Sprache kreist.
Paul Celan: Todesfuge
(2000)
Die „Todesfuge” ist das Gedicht Celans, das ihn am meisten bekannt gemacht hat und mit dem er lebenslang identifiziert wurde. Die Veröffentlichung der „Todesfuge” – die wahrscheinlich noch 1944 in der Bukowina entstanden ist – rief eine heftige Debatte über die Unvereinbarkeit des Grauens und der Gewalt von Auschwitz mit der ästhetischen Schönheit der Lyrik hervor. Auch in Jahren, in denen Celan durch öffentliche Lesungen bekannt geworden war, gehörte das Gedicht zu seinem ständigen Repertoire. Seit Beginn der sechziger Jahre las er aber die „Todesfuge“ immer seltener. Grund dafür war Celans Unzufriedenheit mit der Fixierung des Publikums auf eine Komposition, die ihm fast als implizite Negation seiner poetischen Weiterentwicklung erschien – die „Todesfuge“ spielt in bezug auf Celan eine Rolle, die man oft mit der von Picasso bedeutendem Bild „Guernica“ verglichen hat – doch die Gefahr einer Banalisierung und die unleugbare Tendenz zu kritischen Floskeln innerhalb der Rezeption (Celan als „Klassiker der Gegenwartslyrik”) hatten sich im Laufe der Zeit derart vergrößert, daß seine Vorbehalte verständlich sind.
Anno 1992 - „Wendezeit“: Drei Jahre nach dem Fall der Mauer am 9. November 1989, zwei Jahre nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990. Die Nachfolgestaaten des 1945 besiegten Deutschen Reiches waren zwar wieder vereint, doch sahen sich viele ihrer Bürger nach wie vor getrennt, nunmehr durch die „Mauer in ihren Köpfen“. Diese Lage in deutschen Landen gab Anlaß zur Besorgnis. In seinem Text plädiert Christoph Hein dafür, die Regeln der „Rechtsstaatlichkeit“ nicht nur in den „alten“ Bundesländern zu beachten, sondern sie auch auf die zumeist viel älteren „neuen“ anzuwenden.
Der Titel scheint unverfänglich, ist aber alles andere als harmlos. Aus einer Erzählposition, in der sich zwei Perspektiven der Annäherung überschneiden, eine äußere der „[v]ersuchte[n] Nähe“ (des kritischen Beobachters) zum Vorsitzenden des Staatsrates (Außensicht) und eine innere der „[v]ersuchte[n] Nähe“ des Staatsoberhauptes zum „Volk der DDR“ (Innensicht), wird die „[v]ersuchte Nähe“ des Protagonisten aus dem Blickwinkel des Beobachters Schritt für Schritt in ihrer Hinfälligkeit entlarvt. Beschrieben wird der Ablauf einiger Stunden des Generalsekretärs der staatstragenden Partei an einem „Feiertag“, dem Gründungstag der DDR am 7. Oktober. Die Instanz des Erzählers verfolgt dabei den Einsatz des dem Staatschef zu Gebote stehenden gestischen, mimischen und sprachlichen Instrumentariums. Vertraut mit der Mentalität des Funktionärs, befähigt, dessen Umgang mit den Hilfsmitteln der Macht zu analysieren, durchleuchtet der Autor bestimmte Rituale als Syndrome einer totalitären Gesellschaftsstruktur.
Das letzte der drei Gedichte unter dem Titel „Schutt“, ein Text von nicht zu überbietender Prägnanz, Strenge und Verhaltenheit, entstand vermutlich mehr als ein Jahrzehnt nach dem Zweiten Weltkrieg. Karge sechs Zeilen, veröffentlicht erstmals 1965. Die wie beiläufig vorgetragenen Verse lassen an den verlegenen Versuch eines Kindes denken, gegen seinen Willen ein Gedicht aufsagen zu müssen. Doch ist das fiktive Ich die Stimme einer geprüften Frau, die, identisch mit dem realen Ich, während eines Luftangriffs verschüttet, drei Tage lang lebendig begraben war. Der Schock, dazu Alpträume der Erinnerung an die eigenen Eltern, die noch in der letzten Phase des Krieges Bomben zum Opfer fielen, das Bewußtsein, sie tot aus den Trümmern ihres Hauses hervorgegraben zu haben, ließen sie verstummen. Zögernd löst sie sich aus dem Zustand der Verstörung. Widerstrebend, aus welchem Antrieb auch immer, gibt sie das Schweigen auf. Mühsam sucht sie die Sprache wiederzugewinnen. Die Erfahrung der Katastrophe, die Vergangenes und Gegenwärtiges miteinander verkettet, hat seelische Wunden hinterlassen. Wie sind die Folgen solcher Heimsuchung zu verarbeiten? Äußert sich in dem Gedicht eine vom Tode Verschonte oder eine zum Leben Verurteilte? Wie steht es um die Beziehung der verschütteten Stimme zum verstummten Wort?
Max Frisch: Überfremdung I
(2000)
Max Frisch schrieb den Text 1965 als Vorwort zu „Siamo Italiani”, einem Gespräch mit italienischen Gastarbeitern, das Alexander J. Seiler aufgenommen hatte und auch verfilmte. Ein Jahr später wurde er aufgrund dieses Vorworts eingeladen, an der Konferenz der kantonalen Fremdenpolizeichefs einen Vortrag zu halten. Unter dem Titel „Überfremdung II” erschien dieser 1966 in einer schweizerischen Wochenzeitung. Frisch holt darin weiter aus und begründet seine Kritik in einer Reihe von Punkten. Frisch hatte nach einem fünfjährigen Aufenthalt in Rom (1960-1965) seinen Wohnsitz wieder in die Schweiz verlegt und den Vorsatz gefaßt, nach so langer Abwesenheit sich – zumindest öffentlich – nicht mehr über die Schweiz zu äußern. Nach den Jahren in Italien sieht Frisch vieles mit neuen Augen und reflektiert über die Beweggründe, in der Schweiz zu wohnen, der er sehr kritisch gegenübersteht. Er konstatiert den Ausländern ein weitaus positiveres Verhältnis zu diesem Land als es die Einheimischen selbst haben, und sieht den Grund dafür darin, daß es genügt, Geld und Papiere in Ordnung und keine revolutionären Gedanken zu haben: „Was sie genießen: Geschichtslosigkeit als Komfort“.
Zu Friedrich Dürrenmatt gehören Anekdoten und Geschichten ebenso wie seine Bildhaftigkeit. Seine zahlreichen Gespräche sind gewürzt mit diesen Ingredienzen, wenn er sich zu seinem Denken und über Geschriebenes äußert. Der österreichische Interviewpartner Franz Kreuzer, der mit Dürrenmatt aufgrund des vorliegenden Textes über das Verhältnis der Schweiz und Österreich ein Gespräch führte, greift auf eine solche Anekdote zurück und berichtet von einer frühen Beziehung des Autors zu Österreich, indem der kleine Fritz, mit einer Bohnenstange und einem Pfannendeckel als Schild bewaffnet, zu seiner Mutter in die Küche läuft und ruft, er habe die Österreicher aus dem Garten verjagt. Ein für Dürrenmatt typisches Spiel. Im Text werden denn auch die Österreicher als einziger verbliebener „Erbfeind“ der Schweizer bezeichnet, eine Behauptung, die natürlich ironisch gemeint ist. Die Bildhaftigkeit ist schon früh Ausdruck der zeichnerischen Phantasie und als solche auch im vorliegenden Text zu erkennen, in welchem sich der Betrachter über die zwei benachbarten Staaten Österreich und die Schweiz mit der Lupe beugt wie über gerahmte Miniaturen. Aber er bekommt Schwierigkeiten mit der Betrachtung: bei Österreich ist der Goldrahmen so überdimensioniert, daß das Bild fast verschwindet und mühsam gesucht werden muß. Bei der Schweiz macht das Bild selbst Mühe: Auf den ersten Blick scheint es überschaubar idyllisch, aber unter der Lupe löst es sich auf in unüberschaubare Teilchen voll widersprüchlicher Bilder.
Der im "Lesebuch" abgedruckte Text ist ein Auszug aus dem 1980 von Peter Bichsel im Rahmen seiner journalistischen Arbeit für die "Schweizer Illustrierte" verfaßten Beitrag. Es handelt sich um einen relativ langen Text, der mit der Reflexion einsetzt über die Frage: „Was ist das: 'Ein Deutscher!'„. Bichsel legt seine eigenen ersten Erfahrungen als Heranwachsender in der Schweiz der Nachkriegsjahre zugrunde: Sein Bild von den Deutschen ist durch Hitler, den Nationalsozialismus und den daraus entwickelten Klischeevorstellungen der älteren Schweizer Generation geprägt. Die zweite Erfahrung bezieht sich auf die Unterschiede der beiden Sprachen und der dahinterstehenden Mentalitäten, den er bei einem mißglückten Versuch an der Universität Essen neu erfährt, wo er mit Studenten den Unterschied zwischen gesprochener und geschriebener Sprache herausarbeiten möchte und einsehen muß, daß sich die Inhalte durch die Übersetzung verfälschen.
Die Aufarbeitung des literarischen Nachlasses von Meinrad Inglin ist im Jahre 1981 abgeschlossen worden. Die durch Inglin der Kantonsbibliothek testamentarisch vermachten Dokumente sind systematisch geordnet und durch den Katalog "Nachlass Meinrad Inglin" erschlossen worden. 1985 wurde ein erster Nachtragkatalog erstellt. Dieser ist hier integriert worden und existiert nicht mehr. Seither sind der Kantonsbibliothek Schwyz durch Schenkungen weitere Dokumente und Materialien überlassen worden. Ausserdem lässt die Kantonsbibliothek Schwyz von Fall zu Fall von bedeutenden Inglin-Dokumenten, die sich im Eigentum Dritter befinden, xerographische Reproduktionen anfertigen. Diese stellen auch als Kopie der Originaldokumente eine wertvolle Bereicherung des Nachlasses Meinrad Inglin dar. Um die Registrierung und Aufarbeitung der neu eingehenden Dokumente besser und mit neuen Möglichkeiten fortführen zu können, wurde der erste (oben erwähnte) Nachtragkatalog "Nachlass Meinrad Inglin Postum, 1985" in den jetzt vorliegenden integriert.
Bibliografie Meinrad Inglin
(2008)
Es existiert bisher keine vollständige Bibliografie Meinrad Inglins. Diese Arbeit ist ein Ansatz dazu. Ich verweise auf die grundlegende, recht ausführliche Publikation von Beatrice von Matt mit dem Titel: „Meinrad Inglin. Eine Biographie“, Atlantis Verlag, Zürich, 1976. Die hier vorliegende Bibliographie beinhaltet die Primärwerke, listet die Adaptionen auf und umfasst in der Sekundärliteratur eine Reihe bis heute erschienenen Publikationen und Artikel über den Autor und dessen Werke.
Biller präsentiert seinen Text als Wette. Gewettet wird darum, eine Kolumne zu schreiben, in der so viele Wörter vorkommen, die vom Adjektiv „deutsch” abgeleitet sind, daß man sie nicht mehr zählen kann. Auf die Präsentationsform ‚Wette’ werden wir später noch zurückkommen; hier soll zunächst festgehalten werden, daß bei einer solchen Wette für Biller „nur ein Thema in Frage” kommt: „die neue Hauptstadt der Deutschen, die deutscheste aller deutschen Städte, Deutschlands Zukunft, Teutonias Hoffnung und Stolz, Cheruskiens großkotziger Neubeginn!”, Berlin also. Aus der thematischen Bindung von „deutsch” und Berlin” ergibt sich der inhaltliche Brennpunkt des Textes: Welche Bedeutung wird Berlin für einen neuen deutschen Nationalismus haben? Welche symbolischen Funktionen wird nicht nur die konkrete Stadt, sondern der Mythos „Berlin” innerhalb eines drohenden deutschen Chauvinismus übernehmen? Welche kulturellen, sozialen oder politischen Aberrationen lassen sich vielleicht an der Entwicklung dieser Stadt jetzt schon ablesen? Um diese Fragen zu beantworten, entwirft der Text eine Zweiteilung, die sich moralisch als Opposition zwischen ‚guten‘ und ‚schlechten‘ Deutschen, rhetorisch als Gegenüberstellung einer ‚wir-Gruppe‘ und einer ‚Gruppe der Gegner‘ sowie zeitlich als das ‚geteilte‘ und das ‚vereinigte‘ Berlin manifestiert.
Wenn man sich mit der Literatur der siebziger Jahre beschäftigt, stößt man zwangsläufig auf den Begriff der ‚Neuen Subjektivität’, ersatzweise auch auf den der ‚Neuen Innerlichkeit‘. Gemeint ist damit eine ungenaue Gemengelage, die die verschiedensten Texte und Tendenzen in Lyrik und Prosa zusammenzufassen versucht. An negativen ebenso wie an positiven Fixpunkten läßt sich feststellen: Eine Kritik an der Studentenbewegung und an den sich im Anschluß daran formierenden neu-linken Parteien wird von den Vertretern der ‚Neuen Subjektivität‘ artikuliert, um dagegen ganz offensiv die Bedürfnisse des Einzelnen, die Begehrlichkeiten des Subjekts, einzuklagen. Um typische Produkte aus jenen Jahren handelt es sich bei den Gedichten von Born oder Kiwus. Beide Texte folgen dem Ratschlag des Lyrikerkollegen Günter Herburger, der im Blick auf die neue Lyrik davon geredet hat, daß hierin keine Metaphern verwendet werden sollen, damit die Alltagssprache allererst zur Geltung kommen kann. Alltag, Stagnation, wenn man so will, Entfremdung – das sind die prägenden Erfahrungen, die sich in der Lyrik, aber auch in vielen Prosatexten der Zeit zeigen. Zu den mit beachtlichen Erfolgen als Prosaautor debütierenden Schriftstellern zählt der Österreicher Gernot Wolfgruber, der in rascher Folge zwischen 1975 und 1981 vier Romane vorgelegt hat, die das Schicksal kleinbürgerlich- proletarischer Helden erzählen: Von den Drangsalierungen in Elternhaus und Schule, dem Stigma des Proletarierdaseins, berichten diese Entwicklungs- und Desillusionierungsromane geradeso wie von den Hoffnungen und Enttäuschungen, die mit dem sozialen Aufstieg verbunden sind.
Fußball – das ist Leben, zugleich ein Bild oder, besser noch: Abbild der Gesellschaft, ein Mikrokosmos; und mit dem Spiel sind immer auch ganz bestimmte Sozialisationsformen verbunden: Glückserfahrungen ebenso wie frühes Leid. Ein Schriftsteller, dem das Fußballspiel seit je besonders am Herzen und in der Feder gelegen hat, ist der Saarländer Ludwig Harig. Dabei hat das Fußballspiel für Harig eine mehrfache Bedeutung. Zum einen übt der an der ästhetischen Programmatik der Stuttgarter Max-Bense-Schule mit ihrer Idee von einer experimentellen, sprachkritischen Literatur orientierte Autor eine Kritik am höheren oder auch tieferen Schwachsinn der Sportberichterstattung, an der Kollektivsymbolik dieser Sprachbilder, an den aufgeblasenen und in Myriaden von bundesdeutschen (Männer-)Köpfen anwesenden Kampf-, Kriegs- und Vernichtungsphantasien, einer „Kampf- und Sakralmetaphorik“, wie er einmal schreibt. Andererseits liebt er gerade dieses Spiel, lotet er seine Möglichkeiten sprachlich aus und versucht, Bewegungsabläufe und die Spielrhythmik, ja die eigentümliche Dramaturgie – mit oft genug peripathetischen Höhe- und Umschlagspunkten – einzufangen. Einen solchen Versuch stellt auch das Gedicht „herumgezogen flanken lauf“ dar, ein Musterbeispiel für ‚Konkrete Poesie‘, wie sie in Benses Schule kultiviert worden ist, und ein modernes Piktogramm dazu.
Stellen Sie sich bitte einmal einen alten Roman vor: irgendwann nach 1850 entstanden und also zweifellos ›realistisch‹- nicht unbedingt von Wilhelm Raabe oder Theodor Fontane geschrieben, aber vielleicht von Felix Dahn oder von Gustav Freytag! Einen so genannten ›historischen‹ Roman also! Dieser Roman erzählt eine Familiengeschichte, die drei Generationen umfasst: Der Großvater ist zu Beginn des 18. Jahrhunderts geboren - der Vater um die Jahrhundert-Mitte und dessen Sohn schließlich kurz vor der Wende zum 19. Jahrhundert. Um 1830 gelangt die Handlung dann zu ihrem tragischen Ende: Die Familie stirbt aus. Im Leben dieser drei Männer steht jeweils eine Italienreise im Mittelpunkt: Großvater, Vater und Sohn sind durch ihre Erfahrungen im Süden auf je besondere Weise tief geprägt - viel entscheidender ist aber die Schicksalhaftigkeit in der Generationenfolge: Für den Großvater bleibt das italienische Reiseerlebnis die große Freude seines Lebens - sein Sohn findet im Süden zu seiner wahren Bestimmung - und zuletzt stirbt der Jüngste ebenso überraschend wie früh genau dort, wo sich sein Vater Jahrzehnte zuvor »wie der Fisch im Wasser« gefühlt hat. - In Rom also erfüllt sich das Schicksal dieser Familie, weil die Ewige Stadt für sie sowohl das Glück als auch den Tod bedeutet.
Als 1983 der Roman "Die Klavierspielerin" erschien, war Elfriede Jelinek längst keine unbekannte Größe mehr. Der Roman beginnt damit, dass die Klavierspielerin Erika Kohut "wie ein Wirbelsturm in die Wohnung" "stürzt", "die sie mit ihrer Mutter teilt". Es gibt Sätze, deren Gehalt sich geradezu in einer Disproportion zu ihrer Länge befindet, so auch dieser Satz -naturgemäß, weil er der erste des Buchs ist und dadurch das Privileg hat, das Meiste zu sagen und in die riesige Einheit eines Romantextes einzustimmen, und wir die Stimme des Romans an der Stimme dieses ersten Satzes messen. Jedes Satzglied ist mit so viel Information geladen, dass die Aussagekraft des Satzganzen seinen syntaktisch-strukturellen Rahmen sprengt und Sinnsignale in seine nächste Umgebung bzw. über diese hinaus sendet. "Sie ist Nichts. Und nichts gibt es mehr für sie", heißt es im Roman "Die Klavierspielerin" von der Protagonistin Erika Kohut. Je ferner man im Abseits ist, desto näher befindet man sich an dem Abgrund, der "Nichts" heißt. "Die Klavierspielerin" ist ein Roman über das Außenseitertum darüber, wie man ins Abseits kommt. Das Abseits liegt zwischen dem Weg und dem Nichts: hier das Leben, dort der Abgrund.
"Elisabeth II." gehört zu denjenigen Theaterstücken Thomas Bernhards, die weder "eine besonders große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben" noch im akademischen wissenschaftlichen Betrieb eingehend behandelt worden sind. War das fehlende Interesse für "Elisabeth II." anfangs durch das geringe wissenschaftliche Interesse an Bernhards Theaterstücken schlechthin zu erklären, so verlor diese Erklärung mit dem Erscheinen der lediglich dem Bühnenwerk Bernhards gewidmeten Untersuchungen ihre Plausibilität. "Elisabeth II." ist, abgesehen von der gelegentlichen Erwähnung im Kontext anderer Theaterstücke bzw. anderer Werke, außerhalb des fachlichen Diskurses geblieben und scheint sich bis dato mit ihrer germanistischen Randexistenz zu begnügen.
Mannmännliches Begehren und Lieben ist sicher kein Schwerpunkt für Brecht gewesen, doch hat es ihn unleugbar fasziniert. Von Anfang an gibt es, wenn auch nur sporadisch, Homosexualität in seinem Werk. Die Texte bis ca. 1938 repräsentieren indessen nichts, was im gängigen Sinn als „schwule Literatur“ gelten könnte. Weder manifestierte sich Brecht je als „bisexuell“ oder gar „schwul“, noch wird der Stellenwert von Homosexualität – oder genauer gesagt: von Homosexualitäten – bei ihm thematisiert. Nie hat er je irgend etwas gezielt für „Schwule“ geschrieben. Eine andere Rolle spielt die Schilderung von Homosexualität in Bertolt Brechts Romansatire "Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar". An diesem Projekt arbeitete er 1938/39 gemeinsam mit seiner Geliebten Margarete Steffin (1908-1941) im dänischen und schwedischen Exil. Der umfangreiche Fragment gebliebene Roman wurde in Buchform erst posthum 1957 veröffentlicht. Der Roman, obschon wie ein Großteil seiner Prosa, in den Schatten der medialen und wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für den Lyriker, Dramatiker und Theatermann geraten, gehört zweifellos zu den Hauptwerken Bertolt Brechts und steht an zentraler Stelle in seinem Schaffen. Einige der wichtigsten Themen Brechts fließen im Caesar-Projekt zusammen, das reichen Aufschluss gibt über seine Sicht der Dinge und seine sich daraus ergebende Arbeitsweise.
Der Vortrag will den Vorschlag unterbreiten, "Trivialität" als eine historisch spezifische Texteigenschaft mittlerer Abstraktheit zu konzipieren, mit der sowohl bestimmte Texteigenschaften als auch kontextuelle Bedingungsgefüge berücksichtigt werden können. Den Schwerpunkt wird ein Teilproblem bilden: die Charakteristik eines ‚trivialen Erzählstils', der hier nicht nur als semiotisches Phänomen und als Funktion des discours aufgefasst, sondern zusätzlich unter der Perspektive eines system-theoretischen Modells von ‚Komplexität' analysiert werden soll. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist die Beobachtung, dass ‚triviale' Texte (auch) mit differenzierten Erzählmodi, Figurenarsenalen, Wissensreferenzen oder komplexen Handlungsverläufen arbeiten, dass sie aber trotz dieser erzählerischen Differenziertheit vergleichsweise "einfache" Welten entwerfen. Diese "Einfachheit" ist immer historisch relativ und lässt sich, so die These des Vortrags, als eine Form reduzierter Komplexität beschreiben. Sie regelt die strukturellen Beziehungen ‚trivialer' Texte zu ihren literarischen ebenso wie zu ihren nicht literarischen Umwelten - an der systematischen Schnittstelle zwischen Schemata, Klischees, den verschiedenen Ebenen des discours und zwischen Selbst- und Fremdreferenz. Das vorgeschlagene Beschreibungsmodell soll an einem historischen Beispiel überprüft werden: an Hans von Kahlenbergs (d.i. Helene Keßler) "Ahasvera" (Berlin 1910). Der Roman scheint sich ganz auf der Höhe einer komplexen Modernität zu bewegen, fährt diese aber über spezielle Erzählver-fahren auf ein reduziertes Maß an Komplexität zurück, das sich auf mehreren Textebenen beschreiben lassen wird.
Bei Helmut Brall-Tuchel geht es um die Prozesse der inneren und äußeren Wahrnehmung. Diese Analyse, die sich mit den Affekten befaßt (vor allem mit der Bildsprache des Schreckens im Parzival) und mit der Beziehung des Erzählers zu den Wahrnehmungen seiner Figuren, konzentriert sich auf einen kulturanthropologischen Gesichtspunkt.
Mit dem Aufkommen schriftlicher volkssprachiger Literatur wurde im Mittelalter ästhetische Erfahrung im Medium der Lektüre möglich, einer Lektüre, die nicht mehr im religiösen Rahmen praktiziert wurde. Das bis zu dem Zeitpunkt vom Klerus – der den Genuß des Textes um seiner selbst willen verbot – kontrollierte Medium wurde von einer Literatur in Anspruch genommen, die sich nicht mehr primär als religiöse verstand. In der neuen volkssprachigen Literatur wurden die ihr spezifischen Leseformen im Modus des Literarischen reflektiert. Ästhetische Erfahrung läßt sich dabei aus den Texten erahnen und in der Interpretation herausarbeiten. Die Analyse von Chrétiens Lektüreanweisung und von Wolframs Titurel, dessen Handlung ab dem Erscheinen der beschrifteten Unterlage Lektüre und ästhetische Erfahrung ins Zentrum stellt, bekräftigt das, wovon die jüngere Forschung, trotz gelegentlicher Einwände, überwiegend ausgeht: dass bezüglich der Reichweite des Konzepts der ästhetischen Erfahrung auch das Mittelalter unbedingt zu berücksichtigen ist. Ästhetische Erfahrung in der profanen Lektüre, ohne dem Vorwurf der Sünde direkt ausgesetzt zu sein, ist kein rein neuzeitliches Phänomen.
A lot has already been written on Heinrich von Kleist's "Über das Marionettentheater" ("On the Marionette Theater"). I will engage in a reading that is based on deconstructivist approaches as well as on queer- and cyberfeminist-thoughtboth of which reform concepts of the subject by taking into question bodily and gender coherence and gender identity. Queer Studies provoke a thinking of the multiplication of difference as well as a thinking of difference within ('entities') rather than of difference between ('entities'). Cyberfeminism explores the possibilities of manipulating and changing the physical body and provides metaphors for thinking 'posthuman' identities. Donna Harawayin allusion to the hybridization of gender relations and gender conceptionsposits the cyborg as a leading figure/figuration of feminist politics.
Der Rekonstruktionsversuch der Werkgenese und der Editionsgeschichte des ersten in Druck erschienenen deutschsprachigen Schriftstellerlexikons der siebenbürger Sachsen mag angesichts des derzeitigen Forschungsstandes gewagt erscheinen, ist jedoch mehr als notwendig. Das 18. Jahrhundert ist – was Siebenbürgen betrifft – keine bevorzugte Epoche der Literaturgeschichtsschreibung, stellt Stefan Sienerth in der Geschichte der siebenbürgisch-deutschen Literatur im achtzehnten Jahrhundert resigniert fest. Als beinahe unüberwindbares Hindernis tut sich die Gattungs-, Formund Gehaltvielfalt der Texte aus der Zeit des Pietismus und der Aufklärung auf, infolge dessen meistens nicht die Literaturwissenschaft, sondern die verwandten Disziplinen mit den schriftlichen Zeugnissen des 18. Jahrhunderts sich auseinandersetzen; aber auch das fehlende, da unerforschte und unedierte Quellenmaterial erschwert die (literatur)wissenschaftliche Erforschung der Epoche. Besonders deutlich manifestiert sich dies am Beispiel des Johann Seivert.
1998 erschien in Ungarn ein Gedichtband von Endre Kukorelly unter dem Titel H.Ö.L.D.E.R.L.I.N. Es kam nicht von ungefähr, dass Attila Bombitz, seiner Besprechung den vielsagenden Titel In Hölderlin (Hölderlin ist in) gab, denn in den 90er Jahren haben sich neben Kukorelly auch andere Autoren produktiv mit dem Hölderlinschen Werk auseinandergesetzt, außerdem sind mehrere selbstständige Hölderlinausgaben erschienen, gleichsam als Manifestationen einer zwar unerwarteten, aber wohl kaum abstreitbaren ungarischen Hölderlinrenaissance. Alle Rezensenten des Gedichtbandes konzentrierten sich auf die Deskription der poetischen Verfahren, mittels deren Kukorelly die die ungarische Hölderlinrezeption beherrschenden romantischen Hölderlintopoi gewissermaßen zu dekonstruieren versuchte.
Im Bereich der deutsch-ungarischen literarischen Wechselbeziehungen offenbaren sich kontinuierlich neue Forschungslücken, die Fragestellungen aufwerfen, welche bislang weder von der Germanistik, noch von der hungarologischen Forschung hinreichend beantwortet wurden. Die Wirkungsgeschichte Hölderlins in Ungarn stellt zweifels ohne eine derartige Forschungslücke dar: selbst in den groß angelegten Forschungsprojekten zur Geschichte der Aufnahme der deutschsprachigen Literaturen in Ungarn wurde auf die Rezeption des Hölderlinschen Werkes entweder nur am Rande oder gar nicht eingegangen. Dies überrascht umso mehr, als die Rezeptionshandlungen bereits seit Jahrzehnten über die Grenze des Textmediums hinaus wiesen. In der Folge soll Andor Sas’ 1909 veröffentlichter Hölderlinaufsatz – der den Beginn der ungarischen Hölderlinforschung darstellt – einer kritischen Analyse unterzogen werden.
Queertheorie bestimmt sich über Vorläufigkeit, die sich nicht als fixiertes System versteht, sondern als eines, das lediglich ein Instrumentarium zur Verfügung stellt, um die Logik der Spezifität von Machtbeziehungen und Machtkämpfen, etwa in literarischen Texten, zu analysieren. Insofern jeder kritischen Theorie die Verpflichtung aufgegeben ist, kritisch gegen sich selbst gewendet, auch die Möglichkeit zu denken, dass sie nicht immer da sein wird, gilt es, sich nicht im eigenen Moment einzurichten. So möchte ich im Sinne einer vorläufigen und zugleich einer strategischen Kanonisierung vorschlagen: Die germanistische Literaturwissenschaft sowohl mit postkolonialen Theorien als auch mit Gender- und Queertheorien momenthaft und gleichsam verschränkt zu perspektivieren, um dadurch neue Realisationen von Texten zum Entstehen zu bringen.
Mit den vorliegenden Ausführungen wird versucht, das häufig behandelte Phänomen der Verführung an der Rezeption von "Amor und Psyche", dem "artigen Märchen-Histörchen", wie es der spätantike Schriftsteller nennt, an einigen Beispielen aus der Lyrik der frühen Moderne aufzudecken. Wie bekannt, nahm Apuleus die Erzählung in seinem berühmt gewordenen Roman "Der goldene Esel" auf. Die Fabel erzählt, wie die Königstochter Psyche, die ihrer Schönheit wegen mit Venus verglichen wird, den Neid der Göttin herausfordert und dadurch veranlaßt, Psyche an ein Ungeheuer zu verkuppeln. Amor jedoch will Psyche für sich gewinnen und verlangt von Zephir, sie ihm in seinen Palast zu bringen. Psyche verbringt eine Liebesnacht mit Amor, ohne ihn sehen zu dürfen und zu wissen, daß er es ist. Von ihren Schwestern, die sie besuchen, verleitet, will Psyche das angebliche Ungeheuer, für welches Amor gehalten wird, im Schlaf töten. Beim Schein der Lampe erkennt sie den Gott. Er erwacht und verläßt sie. Nach Irrfahrten und bestandenen Prüfungen hilft ihr Amor letztlich doch. Jupiter setzt sich für die Vereinigung beider ein. Psyche wird in den Kreis der Unsterblichen aufgenommen.
Die Rheinthematik und -symbolik als ein Aspekt des "Kollektivbewußtseins" hat in Deutschland wie in Frankreich die Diskurse geprägt - z.T. in sehr gegensätzlicher Weise. Da die Symbolik im Rahmen des jeweiligen "Kollektivbewußtseins" dazu verwendet wurde, die nationale Differenz im Verhältnis zum Nachbarn jenseits des Rheins und zugleich auch die eigene nationale Identität zu unterstreichen, gehört zu dem "Vielen", was im 19. Jh. "zusammenkam", leider auch, daß Deutsche und Franzosen nicht "zusammenkamen", und daß sie am Rhein (und weitgehend auch in der politischen Rheinlyrik) nicht aufeinander zu, sondern aufeinander los gingen.
Mehr als 65 Jahre lang setzte sich der Schriftsteller und Literaturkritiker Rudolf Gottschall (1823-1909) mit Heine auseinander - in Aufsätzen, Rezensionen, Literaturgeschichtsbüchern und sogar in Gedichten. Gottschall war mit Heine persönlich bekannt: er hatte ihn 1851 in Paris besucht und ging in seinen Memoiren davon aus, daß Heine "günstig über [ihn] dachte". Auch wenn Gottschall von Heines 'Charakter' mitunter enttäuscht war, so blieb er doch stets ein großer Verehrer von Heines 'Talent'. Daran änderte sich auch nichts, als aus dem liberalen Oppositionellen der 1840er Jahre ein Geheimer Hofrat mit Adelstitel geworden war, der Hymnen auf den deutschen Kaiser verfasste. Der alte Gottschall nahm Heine sogar gegen Angriffe von rechts in Schutz.
Do you know what I think? asks Adrian Leverkuehn. "Musik ist die Zweideutigkeit als System." Music is Janus-faced by its very nature. It can move and paralyze. "What passion cannot music raise and quell," exclaims John Dryden in his Song for St. Cecilia's Day, 1687. Music is an expert in the use of opiates, asserts Settembrini in The Magic Mountain, and Nietzsche speaks of her dual, intoxicating and befogging, nature. Shakespeare's Desdemona "will sing the savageness out of a bear" (IV, i) and the merchants in Novalis' Heinrich von Ofterdingen tell the story of another Orpheus whose song so charms a sea "monster" that it saves the singer's life and returns his treasure to him. John Dryden's Thimotheus "to his breathing flute and sounding lyre, could swell the soul to rage, or kindle soft desire" (Alexander's Feast, 1697). "Musica Consolatrix" and "Musica Tremenda". She is the "Mysterium tremendum et fascinosum" in Kleist's novella about the power of music. While English late 17th and early 18th century literature offers a particularly rich harvest of poetry celebrating the contradictory qualities, or effects, of music, there is in fact testimony to this at all stages of our tradition.
This contribution was prompted by events in East Germany that ultimately led to German unification. Many forces contributed to the collapse of the GDR as a separate state, the final and most visible was the mass exodus via Hungary and Czechoslovakia. The Communist regime resisted change when change was taking place in most of East Germanys neighbors to the east and southeast. But an ever increasing number of increasingly restless citizens insisted on it and, not given a chance to change matters by improving the system, effected the most radical change of all: they swept away an unresponsive, cynical and calcified government.
A single mother and her grown children. A team now. The fathers have come and gone and are barely remembered. These are her children. By contrast, Matthew (27; 56) identifies an anonymous woman as "the mother of Zebedee's children." We'll talk about it, for what it may mean. More important is the fact that this group is headed by a dominant female. Let's see if it makes a difference. Demian, as you'll remember, was the product of matriarchy, as it were, and seemed to be none the worse for it. It wasn't even worth mentioning. Fifty years later, Edgar Wibeau of Plenzdorf's The New Sorrows of Young W. (1972), a modern version of Goethe's bestselling novel Werther written 200 years earlier, and one of the most brilliant pieces of theatre post-Brecht, does find it worth mentioning. He is "sick & tired" of being paraded as living proof that "a single mother can successfully raise a male."
Rilke und die Musik
(1959)
Rilke war im gebräuchlichen Sinne des Wortes unmusikalisch. Er hat das selbst wiederholt zugegeben. Er behielt keine Melodie, so einfach sie sein mochte, und so oft man sie ihm auch vorspielte. Auch seine Freunde berichten von diesem Zug. Hinzu kam eine tiefe Skepsis der Musik gegenüber, in der er etwas Verführendes und Berauschendes sah, was ihn zu einer allerdings kurzfristigen völligen Ablehnung dieser Kunstgattung führte.
At the beginning of The Judgment, we find Georg Bendemann, who has just finished a letter to his friend in Russia, reliving once more the agonizing decision to write the letter in the first place. The decision had not been easy. Like many of Kafka's characters, Georg Bendemann is obsessed with the idea of analysis, with the painstaking exploration of all sides of a given issue. "What could one write to such a man without hurting him?" had been the question. "On the other hand, by writing only casual gossip or not at all one would doubtless increase the friends isolation" had been the counter-argument. What follows now is an exercise in looking at alternatives that spawn new alternatives that leaves the reader dazzled. Each conclusion is in turn explored to its possible opposite implications, which are in turn qualified, which leads to more questions followed by more partial conclusions plus qualifications thereof. The process could continue ad infinitum, in fact, has gone on for years--we are merely presented with a condensed version of it.
Wozu Dichter?
(2010)
Goethe's Tasso is no "Dichter in duerftiger Zeit." He is rather duerftig himself, unbalanced and impulsive in the extreme. In fact, in an annoyed moment, the diplomat Antonio sees him as a useless and pampered brat and undiplomatically says so, triggering a fateful sequence of events that generate a seemingly unstoppable momentum.
Martin Luther : 1483-1546
(1996)
450 years ago, in the early hours of February 18, the charismatic reformer and fearless combatant who had changed the face of Europe and of Christianity died in his home town of Eisleben while on a peace mission. The feuding Counts of Mansfeldt had asked him to mediate. Accompanied by his three sons, Luther, old at 62 and ailing, made the trip in mid-winter against the advice of friends and family. His body was returned to Wittenberg and buried there on February 22. It is impossible to overestimate his impact. The common priesthood of man, "everybody his own priest", this truly revolutionary notion at the core of his teaching, was immediately recognized for its (unintended) political, democratic implications. To him, all the faithful were one community, there was no room for separate casts. His zeal as a preacher of the "true faith", and his denunciation of those who would not accept it, earned him the reputation of intolerance, even anti-Semitism. The latter would surprise him, for he considered himself a prophet, though anointed against his will, like those of the Old Testament who also admonished, cajoled and condemned the "wayward children of Israel"'
The house of Tantalus
(2010)
The tentative title of my presentation is GENDER AMBIVALENCE (AMBIGUITY?) and deals with Renaissance iconography in Thomas Mann's Death in Venice. It will show that homosexual attraction, although obvious in the story (and Mann's life) is a secondary issue and that the main concern lies with the problem provided by an aesthetic principle. (Parallel narratives, the plot is not the real/only story).
Faust the colonizer
(1995)
"Musst du nicht längst kolonisieren?" ("Hasn't colonizing been your business?") is Mephisto's loaded comment on Faust's dilemma, namely his inability to persuade Philemon and Baucis to vacate their little estate voluntarily in exchange for pleasant retirement quarters in his newly gained territory, wrested from the sea (Faust, Part II, V, line 11274). Baucis in particular sees no reason why they should be displaced and resents Faust's expansiveness. "Wie er sich als Nachbar brüstet, soll man untertänig sein" ("He struts into the neighborhood expecting us to act like serfs," lines 11133/4). "Kolonisieren" as Mephisto uses the word clearly favors strong-arm tactics over restraint. Faust finally gives the go-ahead: "So geht und schafft sie mir zur Seite" ("Go and get them out of there," line 11275) for an attempt at forced resettlement that leaves three more corpses on his path to salvation and is followed by a seamless flow of events culminating in his own death.
Goethe: Helena
(2010)
Although we are concentrating on the Third Act, Faust's appreciation of legend's most beautiful woman begins much earlier, perhaps as early as the Hexenkueche scene where he is thoroughly enraptured by a woman's image in a magical mirror. It drives him crazy, he says (2456), particularly since he has to stay at a certain distance to keep it in proper focus (2434); can you see Mephisto's mischievous smile at this bit of enforced "disinterested contemplation"? Woman is God's final art work, the true Crown of Creation, we learn from Schiller's Princess Eboli; Mephisto seems to say as much, and Faust like most men needs no convincing. We can't be sure that this is indeed Helen, we (and Faust) have yet to meet her. She remains nameless but, by any name, would be as sweet.
Gretchen's infanticide
(2010)
In the scene At The Well, Gretchen herself describes the sequence of events best and in all their fateful simplicity. It is the progress from "sin" to "shame", that is to public disgrace as soon as her private transgression becomes "visible" as pregnancy. Already here the painful confusion over her private perception ("good, dear love", lines 3585/6) and public judgment ("slut", line 3753) which will eventually drive her mad is obvious. In her derangement and despair she will destroy the evidence against her, that is, drown her child.
Goethe - Egmont
(2010)
Goethe : Novelle
(2010)
Eckermann reports a conversation with Goethe on January 29, 1827: Es kam sodann zur Sprache, welchen Titel man der Novelle geben sollte; wir taten manche Vorschlaege, einige waren gut fuer den Anfang, andere gut fuer das Ende, doch fand sich keiner, der fuer das Ganze passend und also der rechte gewesen waere. "Wissen Sie was", sagte Goethe, "wir wollen es die Novelle nennen; denn was ist eine Novelle anders als eine sich ereignete unerhoerte Begebenheit. Dies ist der eigentliche Begriff, und so vieles, was in Deutschland unter dem Titel Novelle geht, ist gar keine Novelle, sondern bloss Erzaehlung oder was Sie sonst wollen. In jenem urspruenglichen Sinne einer unerhoerten Begebenheit kommt auch die Novelle in den Wahlverwandtschaften vor." This is the epilogue, as it were, to a lengthy conversation on January 15, 1827, in which Goethe interprets his own Novelle. Here an excerpt, a highly condensed analysis: Zu zeigen, wie das Unbaendige, Unueberwindliche oft besser durch Liebe und Froemmigkeit als durch Gewalt bezwungen werde, war die Aufgabe dieser Novelle, und dieses schoene Ziel, welches sich im Kinde und Loewen darstellt, reizte mich zur Ausfuehrung. Dies ist das Ideelle, dies die Blume. Und das gruene Blaetterwerk der durchaus realen Exposition ist nur dieserwegen da und nur dieserwegen etwas wert.
Brecht - Galileo
(2010)
This is the age of doubt, says Brecht's Galileo, the 17th century scientist. "It ain't necessarily so," says Gershwin's Sportin' Life of the 1930ies. "De t'ings dat yo li'ble / to read in de Bible / it ain't necessarily so. / Now I takes dat gospel / whenever it's pos'ble / but wid a grain of salt."
Diese Arbeit soll zeigen, wie Böhme das Böse als Teil des Offenbarungsprozesses Gottes ansieht, ja als Manifestation Gottes, ohne mit der allezeit festgehaltenen Idee der absoluten Gutheit Jehovas in Konflikt zu geraten. Zwar liessen sich dazu eine Reihe von Schriften Böhmes heranziehen, doch schien das Mysterium Magnum (1623) am geeignetsten, weil es sein letztes grösseres Werk ist und einen eigenwilligen Kommentar zur biblischen Schöpfungsgeschichte darstellt, mithin einen Text behandelt, der ebenfalls einen Werdegang beschreibt.
Der Ackermann aus Böhmen
(1962)
Die Hauptschwierigkeit liegt darin, dass im Ackermann zwei Anschauungen vom Menschen zum Ausdruck kommen, die auf den ersten Blick unvereinbar scheinen. Jedoch handelt es sich bei den entgegengesetzten Formulierungen, die Kläger und Tod vortragen, weit weniger um eine weltanschauliche Kontroverse als darum, dass beide aus völlig verschiedenen Perspektiven sprechen. Darauf soll diese Arbeit kurz eingehen. Vor allem aber möchte ich versuchen, ein Hauptteil der Klage des Ackermanns aus der Rolle zu erklären, die die Frau in seiner Weltordnung spielt.
Johann Christian Josef Ommerborn wurde 1863 in der preußisch-bergischen Kreisstadt Lennep geboren. Einer seiner Vorfahren war der bekannte Pastor Johann Peter Ommerborn, der 1795 den Widerstand der bergischen Bauern gegen die französischen Revolutionstruppen organisiert hatte. Von seinem Vater erbte Ommerborn nach eigener Aussage die Lust zu fabulieren und die ausgeprägte soziale Anteilnahme, ebenso ein tiefgehende religiöses Bedürfnis. Eine höhere Schulbildung blieb ihm verschlossen. Bis zum 30. Lebensjahre war Ommerborn Fabrikarbeiter und gehörte wechselnden sozialdemokratischen bzw. anarchistischen Bewegungen an. Schon früh schrieb er zahlreiche Kriminal- und Kolportageromane, später Novellen und Erzählungen mit christlichen und sozialen Themen. "Dass ich schreibe, ist lediglich meine Parteinahme für die letzten der Gesellschaft" formulierte er in einem eigenhändigen Lebenslauf, und " seit 1910 gehöre ich der reformierten Kirche an". Ommerborns Lebensweg war unruhig und vagabundenhaft. In fortgeschrittenem Alter gründete er eine Landstraßenmission in Wuppertal-Barmen, war ihr Leiter, ging selbst missionierend und helfend auf die Straße und gab die "Vierteljahreshefte für Landstraßenmission" heraus. Sein Verhältnis zur etablierten Kirche war zwiespältig bis ablehnend. Der Roman Pastor Hans Kroppman spielt überwiegend in Ommerborns Geburtsstadt Lennep, manche Namen legen den Verdacht eines Schlüsselromans nahe. Jedoch ist das eigentliche Thema die Entwicklung des katholisch geborenen Titelhelden, der später evangelischer Pfarrer wird. Dabei werden soziale Zustände und innerkirchliche Kämpfe geschildert. Ommerborn starb 1938 in Wuppertal-Barmen.
"An der nördlichen Grenze des Aalbuchs, wo sich das Gebürge in den Gauen, die der Kocher und die Rems bewässern verliehrt, erhebt sich an der Spitze eines in das Thal hervorspringenden Hügels, kühn und trotzig, ein ungeheurer Felsen, auf drei Seiten durch senkrechte Wände unzugänglich, und auf der vierten, durch einen schmalen Fußsteig mit der Ebene des Gebürgs verbunden. Eine hohe Mauer, aus mächtigen Quadern aufgeführt, und an der westlichen Eke ein runder Thurm, stark verletzt durch den Zahn der Zeit, - verkündigen hier dem Wandrer, den ehemaligen Wohnsitz eines deutschen Ritters. Eine unermeßliche Gegend überschaut der Beobachter in den Ruinen der zerstöhrten Burg, die man nur mit Mühe und Gefahr erklettert. Denn an einem schauerlichen Abgrund, zieht sich der schmale, klippigte Fußsteig herum, der allein auf den Gipfel des Felsen führt, und wildes Gesträuch und Dorngebüsch, aus verwitterten Steinen hervorgewachsen, machen die Tritte unsicher. Rosenstein ist der Name der Burg. Auf dieser Felsenspitze siedelte im fernen Mittelalter Ulrich von Rosenstein, ein stattlicher schwäbischer Ritter, kühn und tapfer, bieder und fromm, der nie aus einem Streite als Besiegter, nie von einem Turniere ohne Dank zurückgekommen war. Er war der Schreken der Boßheit und die Zuflucht der Tugend. Unermeßlich war sein Reichthum, groß die Zahl seiner Hintersaßen, und wol vierzig Edelknechte, zog er aus zur Fehde, folgten seinem Banner." Mit diesen Worten beginnt ein anonym bei dem Basler Drucker Flick im Jahr 1795 erschienener Ritterroman "Ulrich von Rosenstein. Eine Geschichte aus der Ritterzeit". Sein Autor, der sich spätestens in seinen (posthum veröffentlichten) Lebenserinnerungen zu dem belletristischen Werk bekannte: der evangelische Pfarrer von Neubronn, Johann Gottfried Pahl, damals 27 Jahre jung. Der gebürtige Aalener war einer der begabtesten ostschwäbischen Autoren seiner Zeit, wenig später sollte er sich als württembergischer Publizist einen Namen machen.
»Die Stadt so grau wie die Gesichter…?« : Frankfurt als Impulsgeber zweier zeitgenössischer Romane
(2009)
»Sie haben, verehrte Frau, die deutsche Literatur (…) konsternirt, und den Vortheil, den man davon geistig hat, zu schreiben, ohne Schriftstellerin zu sein, denen die es sind, (…) frappant und demüthigend gemacht« – als die jungdeutschen Autoren Karl Gutzkow und Ludolf Wienbarg die von ihnen verehrte Bettine von Arnim mit diesen Worten 1835 zur Mitarbeit an der geplanten Zeitschrift »Deutsche Revue« einluden, benannten sie nicht nur, was die zeitgenössische Öffentlichkeit an dieser Frau faszinierte, sondern charakterisierten auch die Besonderheit ihres Schreibens sehr präzise. Denn Bettine von Arnim, die erst im Alter von 50 Jahren ihr erstes Buch veröffentlichte, ist streng genommen eine Autorin ohne Werk (darin am ehesten Rahel Varnhagen vergleichbar), die zeitlebens nur Briefe und Gespräche verfasste. Genau damit aber traf sie den Nerv der Zeit: Da sie die kanonisierten Formen literarischen Ausdrucks mied, wirkten ihre Texte lebensnah, ursprünglich und unverbraucht; weil sie ihr Schreiben eng an die eigene Biografie ankoppelte, schien es die von der Romantik geforderte Ungeschiedenheit von Leben und Werk einzulösen; und indem sie private Dokumente bedenkenlos öffentlich machte, verfuhr sie ähnlich wie ihre jungen Schriftstellerkollegen, die aus Gründen der Zensur ihre Stellungnahmen zur Zeitgeschichte als Zweckformen tarnen mussten.
Paul Celans Gedichte begleiten uns schon ein halbes Jahrhundert und sind doch weitgehend fremd geblieben. Manchen Anstrengungen zum Trotz haben sie ihre Widerständigkeit bewahrt und befremden noch immer, sind also im Sinne von Harald Weinrich "imagines agentes" par excellence. Ihre ebenso herausfordernde wie leise anklopfende Poetik ist wenig erkannt, geschweige verstanden worden. Dabei frappiert dieser Dichter mit seiner Aufforderung: „Machs Wort aus.“ Ob dieser imperativischen Zumutung möchte es einem beinahe die Sprache verschlagen. Doch bemerkt man dann vielleicht, dass es nur an einem selbst liegt, sie wiederzuerlangen und das Wort von neuem auszumachen. Zu einer solchen Neubestimmung des Wortes und der Sprache fordern Celans Gedichte auf, seit die großen Verheerungen und Verwerf- ungen dieses zu Ende gehenden zwanzigsten Jahrhunderts über die Menschen hereingebrochen sind. Zu keiner früheren Zeit sind sie von so systematischer Vernichtung heimgesucht worden wie in diesem Jahrhundert.
Dieser Artikel behandelt zwei deutsche Schriftstellerinnen – Fanny Lewald und Franziska Gräfin zu Reventlow. Sie sind Repräsentantinnen verschiedener Epochen innerhalb der Deutschen Literatur. Beide hinterließen uns ihre Autobiografien, Anekdoten und wir können heute ihre Entwicklung nachvollziehen und ihr heftiges Ringen um Freiheit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung gegen geschlechtsspezifische Rollenzuweisungen, Abstammung und sozialen Stand miteinander vergleichen.
In diesem Artikel soll einer der strittigen Vertreter der deutschen Romantik auf zwei verschiedene Weisen analysiert werden, erstens durch Untersuchung des historischen Rahmens seiner antiken Tragödie "Penthesilea", und zweitens, durch den Vergleich des Werkes mit seiner persöhnlichen romantischen Veranlagung, um die traditionellen und historischen Grenzen des Begriffs "Romantik" zu erweitern.
Was Wende ist, hat in der Literatur eine enorme Spanne. Wende als Aufhebung geographischer Trennungen (bei Christa Schmidt in "Rauhnächten") und noch mehr örtlicher Einschränkungen (Irina Liebmann in ihrem Roman "In Berlin"). Wende weiter als gewissermaßen "Vorher-Nacherher"-Betrachtungen, als Räsonnement, als verbale Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle im gesellschaftlichen Geflecht der früheren DDR. Volker Braun hat diese Form in der >Unterhaltung< (wie er es selbst nennt) "Der Wendehals" vielleicht am reinsten dargestellt. Daniela Dahn wählt in ihren Essays eine Mischform aus beiden. Auch Marion Titze wäre zu nennen, die mit "Unbekannter Verlust" ebenfalls in diese Kategorie gehört. Natürlich ist es völlig unmöglich, die Fülle jener Bücher auch nur andeutungsweise zu behandeln, die sich unterdessen zum Thema Wende angehäuft haben. Hier kann es eigentlich nur darum gehen, ein paar Schneisen zu schlagen, ein paar Autoren zu Wort kommen zu lassen, die sich mit unterschiedlichsten Intentionen dem Thema genähert haben.
Metaphern als Stil : Bilder des Weiblichen in Theatertexten von Elfriede Jelinek und Botho Strauß
(2006)
Der Vortrag analysiert den weiblichen Sprachstil im modernen deutschsprachigen Drama. Am Beispiel des Autors Botho Strauß erfolgt eine Abgrenzung der weiblichen zur männlichen Sprechweise mit einem vergleichenden Blick auf den Sprachstil der Dramenfiguren Elfriede Jelineks. Sprachstil wird hier aufgefaßt als eine Art des „subjektiv gefärbten Artikulierens“, als „pointierte Artikulation, die das Sagbare von innen heraus definiert, um über die als repressiv und unzeitgemäß kritisierten Konventionen der ästhetischen und politischen Gegenwart hinauszuweisen“ (Eckhoff). Der Vortrag konzentriert sich weniger auf syntaktische und pragmatische als vielmehr auf bildhafte Elemente, die bei Botho Strauß über eine rein sprachliche Verwendung hinausgehen und ein umfassendes semiotisches Verweisungssystem von Sprach-, Körper- und Raumbildern entstehen lassen. Deshalb richtet sich ein weiteres Augenmerk auf den Zusammenhang der verschiedenen Zeichensysteme und die Funktion der Stilisierung, die im Sinne Julia Kristevas eine Relativierung des Textes und die Ambivalenz des Wortes zur Folge hat. Im Zentrum der Überlegungen stehen die Besonderheiten, die Frauen und Männer in ihrer Art zu sprechen kennzeichnen, und die Bildhaftigkeit, die sich damit verbindet. Die Bilder in den dramatischen Texten der genannten Autoren werden mit Bildern von Weiblichkeit korreliert, die sowohl in der Kunsttheorie als auch in der feministischen Diskussion seit längerem eine Rolle spielen. Ziel ist herauszufinden, inwieweit Botho Strauß und Elfriede Jelinek in ihren Dramen stereotype Bilder des Weiblichen entwerfen bzw. festschreiben oder durchbrechen und inwieweit diese Bilder übereinstimmen oder differieren.
Mehr als 60 Jahre nach dem Tod Robert Musils zeichnet sich die Realisierung einer Gesamtedition des Musilschen Werkes ab. Angekündigt ist eine digitale Gesamtedition, die bis Herbst 2007 vorliegen soll. Das am Klagenfurter Musil-Institut angesiedelte Projekt »Kommentierte Digitale Gesamtedition Robert Musil (KDGE RM)« ist auf der Homepage der Internationalen Robert Musil-Gesellschaft vorgestellt.1 Bis November 2005 soll in einem ersten Schritt »Der Mann ohne Eigenschaften« (MoE) und der literarische Nachlass in einer kommentierten digitalen CD-ROM-Ausgabe erscheinen, die »Kommentierte digitale Gesamtausgabe« ist für Herbst 2007 geplant. Sowohl die Publikation wie auch eine systematische Analyse des Nachlasses sind anders als im Medium Computer nicht denkbar. Und das wiederum weist der Gesamtedition den Weg: Weil der Nachlass als Konvolut nur digital publiziert werden kann, muss auch die Gesamtausgabe ihrem Grundcharakter nach eine digitale sein. Das schließt Lesefassungen nicht aus und Taschenbuchausgaben stehen auch auf dem Programm der KDGE RM.4 Doch das ändert nichts an der digitalen Grundform. So, wie es 1992 eine Pionierleistung war, den gesamten Nachlass digital zu edieren, so wird es eine Pionierleistung sein, im Laufe dieses Jahrzehnts ein so gewichtiges Gesamtwerk nicht ergänzend, sondern grundsätzlich indigitaler Form zu edieren.
In hermeneutischen Zugangsweisen zu literarischen Texten spielt das Ganze eine doppelte Rolle: Zum einen scheint hermeneutisches Verstehen grundsätzlich nach einer wie auch immer gearteten Form von Ganzheit zu tendieren, sei es nur in irgendeiner Form des Zusammenhanges, sei es als „Sinn des Ganzen“, wie die stärkste Formulierung dieser Tendenz lautet. Zum andern kommt bei literarischen Texten, dies schon bei Aristoteles und dann verstärkt seit der Kunstperiode, die Utopie des ästhetischen Ganzen ins Spiel. Diese doppelte Rolle veranschaulicht zum Beispiel eine aktuelle hermeneutische Publikation des Komparatisten Horst-Jürgen Gerigk („Lesen und Interpretieren“, 2002, 30): „Wir müssen das Ganze kennen, um eine ausserfiktionale Begründung einsehen zu können. Das wiederum bedeutet, dass durch das Denken der poetologischen Differenz immer das Ganze fixiert wird. Ja, der Sinn des Ganzen kann sich nur erschließen, wenn die innerfiktionalen Sachverhalte auf ihre außerfiktionale Begründung angesehen werden.“ Die Postmoderne hingegen hat, in Weiterführung der Moderne, das Ganze, als ästhetische wie als hermeneutische Kategorie ideologiekritisch verworfen und ihr den Befund der Fragmentarizität entgegengehalten. Die Notwendigkeit dieser Kritik soll nicht grundsätzlich bestritten werden. Doch lässt sich das künstlerische Ideal des Ganzen in Produktion und Rezeption von Kunst gänzlich verwerfen? Ist es nicht eher so, dass Spielarten von Ganzheit weiterhin, wenn auch eine theoretisch unbewältigte, weil tabuisierte Rolle spielen? Aus dieser Frage ergibt sich das Forschungsziel, die Kategorie des Ganzen in einem ersten Schritt, von Neuem zu beobachten. Dies soll hier anhand eines konkreten Materials, der zwei Fassungen des „Grünen Heinrich“, geschehen. Die Novellentheorie operiert mit einer bestimmten Spielart von Ganzheit: Eine Novelle soll ein überschaubares, auf einen Punkt zentriertes Geschehen enthalten. Die Formel der „merkwürdigen Begebenheit“ oder die Rede vom Wendepunkt ist Ausdruck dieser Vorstellung, die mit Aristoteles Bestimmung des Dramas eng verwandt ist. Diese Vorstellung eines geschlossenen Handlungs-Geschehens findet sich im „Grünen Heinrich“ thematisiert; so ist davon die Rede, dass eine Handlung in ein erbauliches Ende einmünden sollte (5. Kapitel), und in Äußerungen Kellers zum „Grünen Heinrich“ ist von der „Endabsicht“ die Rede, die er mit dem ganzen Buch verfolge. Dass die literarische Großform, welche das Buch darstellt, den ästhetischen Postulaten der Novellentheorie aber nicht genügen kann und will, wird mehrmals thematisiert und verteidigt. Insbesondere wird dies in der ersten Fassung auch in einem Vorwort thematisch, welches in der zweiten Fassung wegfällt. Die zweite Fassung, welche Keller Ende der 70er Jahre herstellt, stellt den Versuch einer Verbesserung der ersten dar; in der Umschreibung des ganzen Textes in die erste Person dokumentiert sich Kellers Wunsch zur Vereinheitlichung. In welchem Verhältnis steht diese ungewöhnliche zweite Autorisierung mit der zeitgenössischen Novellentheorie und deren Utopie eines künstlerischen Ganzen?
Es gehört zu den bleibenden Leistungen der "Kinder- und Hausmärchen", daß sie die fiktionalisierte Moralförmigkeit älterer Kinder- und Jugendliteratur in eine poetisierende Märchenförmigkeit überführen - auf diesem Wege das kollektive Imaginäre ihrer Epoche als Ermöglichungsgrund jeglichen Bilderbewußtseins neu besetzend und umformulierend. Anders gesagt: die "Kinder- und Hausmärchen" öffnen – wiewohl sie sich nicht allein für die intentionale Kinderliteratur reklamieren lassen - deren Bereich nachdrücklich der Geltung der sog. “Ästhetik-Konvention”, die sich im Literatursystem um 1800 allgemein durchgesetzt hat. Sie bewirken damit eine folgenreiche Lockerung der für die Kinderliteratur immer noch verbindlichen Pädagogik-Konvention.
Welche Verstehensschwierigkeiten der Text "Nach den Prozessen" bereitet, läßt sich nach dessen erster Lektüre bereits ansatzweise, nach weiteren Leseprozessen noch genauer beschreiben. Das Gedicht „Nach den Prozessen” ist voller Lesewiderstände, schon allein aufgrund der ineinander verschlungenen Metaphernkomplexe und metaphorischen Vieldeutigkeiten. Daher ist ein Gespräch über das Verstehen des Gedichts stets auch ein Gespräch über die Konstituiertheit von Texten und über die Prämissen eigenen Verstehens, also auch über die Bedingungen und die Grenzen der eigenen Bereitschaft, sich auf jene Arendtsche „Geschichtsschreibung” einzulassen, die selbst nicht voraussetzungslos ist, sondern der Ästhetik der Moderne und ihrem emphatischen Anspruch auf poetisch verbürgte ‘Wahrheit’ folgt. Als Alternative zur Geschlossenheit einer Gesamtinterpretation könnten in verstärktem Maße auch offene, durchaus miteinander konkurrierende Zugänge zu Autor und Werkerprobt werden.
Um die Wahrnehmung der Liebe geht es im folgenden Beitrag. Nach einer detaillierten Untersuchung der Liebessprache im Parzival kommt Elisabeth Lienert zu dem Ergebnis, daß Wolfram keine neue Liebessprache entwickelt: Lienert argumentiert, daß es dem Erzähler nicht auf die Wahrnehmung von Emotionen ankommt, sondern auf die Darstellungen von wirkenden Kräften, vor allem von Gewaltverhältnissen.
Der Titel dieser kleinen Betrachtung zu Franz Fühmanns Geschichte "Drei nackte Männer" ist sicherlich in Bezugnahme auf Norman Mailers gleichnamigen Roman von 1948 irreführend, da die literarischen Kosmen der beiden Autoren stark den jeweiligen Lebenswelten (USA und DDR) verpflichtet sind. Die Nacktheit ist bei Fühmann durch die Wahl des Schauplatzes, einer Sauna, bedingt und wird so in einen kulturellen Rahmen eingefügt und durch Momente der Hygiene domestiziert. Die Aufschlüsselung des Ortes liegt nahe und ist schon anderenorts geleistet worden: Die Nacktheit der Sauna signalisiert ein egalitäres Moment, da dort jeder Saunagänger seiner sozialen Indikatoren wie Kleidung beraubt ist. Jedes rahmende Beiwerk bleibt gewöhnlich in der Garderobe. Nicht so bei der Figur des Wolligen, dem das Hauptaugenmerk des Erzählers gilt, dessen Insignien der Macht aus zwei ihn begleitenden Männern bestehen – dem Kürzeren und dem Längeren. Neudeutsch würde man von Bodyguards oder Gorillas sprechen, im Sprachgebrauch der DDR war dies der PS – Persönlicher Schutz. Durch die Rechnung zwei PS plus ein zu Schützender kommt man leicht zu dem Ergebnis, dass letzterer ein hohes Tier sein muss. Diese bereits etwas ins Negative abweichende Umdeutung des Schauplatzes wird im Verlauf der Erzählung noch vertieft, indem der Erzähler daraufhin weist, dass hier zwar alle gleich, viel eher aber noch vereinzelt sind. Die Sauna ist der Ort der gnadenlosen Sonderung, im Gegensatz zum Dampfbad, das als Ort bezeichnet wird, „wo alles Volk war“. Durch die gnadenlose Luft, Hitze, Trockenheit der Sauna kann kein verbindendes Lachen zwischen dem Wolligen, als dieser einen Witz erzählt, und den anderen Saunabesuchern entstehen – „ein gnadenlos vertaner Moment“. Warum solch ein gnadenloses Urteil über eine alltägliche Peinlichkeit? Wie verläuft der Weg dorthin?