830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Huwilogus
(2002)
Grammatisch-lexikalisches Lehrgedicht von 1246 Versen, mit lat. und dt. Glossierung. Der Titel (auch in der Form "Hugwilogus" bezeugt) ist mit Hilfe des Suffixes -logus aus dem Autornamen Hugutio in seinen spätmal. Varianten "Huwicio", "Hugwicio" gebildet. Als Verfasser nennt eine Prologglosse der Trierer Hs. einen Nicolaus Sehusen (Sehusen: ältere Namensform von Seesen, Kr. Gandersheim), während der Katalog der Erfurter Kartause das Werk einem Magister Nicolaus Engelhuß zuschreibt. Falls Sehusen Herkunftsbezeichnung ist, könnte Nicolaus Sehusen mit Nicolaus Engelhuß identisch sein. Mit dem 'Hubrilugus'-Wörterbuch des Hermann Kappel hat der 'Huwilogus' nichts zu tun. Überlieferung. Trier, StB , Hs. 1100/33, 8", 206r -240 r, Göttingen 1445, mit Kommentar; Wien, 3816, 175r -200v, "Gramatica Huhiligi", 15. Jh., aus dem Benediktinerkloster Mondsee, unvollst. Abschnitt aus Teil I "De nominibus", beginnend mit v. 194. Bezeugt sind ferner: ehem. Erfurt, Kartause Salvatorberg, M 25 (Mal. Bibl. Kat. 2, S. 478, 16); ehem. Erfurt, Artistenfakultät, XX 5, "Hugwilogus de significatione terminorum", Legat des Baccalaureus Johannes Sune aus Gotha (Mal. Bibl. Kat. 2, S. 171, 6f.). Das Werk beginnt mit einer kurzen Prosavorrede, die Zweck und Anlage erläutert (inc. "Ut benivolorum probitas grammaticali fructuositate salubrius roboretur" ...). Demnach ist es das Ziel des Verfassers, in Versform ("ut ergo opus memorie tenacius imprimatur") die Bedeutungen schwieriger Wörter festzulegen. Der Text (inc. "Lucrum fit questus, fit ceremonia questus ...") ist in zwei "Libri partiales" ("De nominibus"; "De verbis") gegliedert. Schwierigkeiten für den Lateinlernenden werden in erster Hinsicht von den Synonymen (z. B. "sanguis/cruor"), klangähnlichen Wörtern (Differentiae; z. B. "lepus/lapor") und mehrdeutigen Wörtern (Aequivoca; z.B. "dolus: 'prudentia'/'fraus' ") erwartet. Als lexikalische Autorität zitiert der Verfasser mehrfach "Hugwicio", d. h. den 'Liber derivatioilum' des Hugutio Pisanus. Daneben bezieht er sich wiederholt auf den 'Graecismus' des Eberhardus Bethuniensis; diesem steht der 'Huwilogus' dem Werktyp nach nahe, und ihm sind verschiedene Verse fast unverändert entnommen (z. B. entsprechen v. 2-6 des 'Huwilogus' den 'Graecismus'-vv. IX 4, 6, 10, 30, 44f.). Wie nicht zuletzt die Mitüberlieferung in den bezeugenden Hss. erkennen läßt, wurde das Werk im Studium der Triviumsfächer verwendet. Seine Wirkung blieb begrenzt. Die stellenweise eingestreuten dt. Worterklärungen im Text und im Kommentar der Trierer Hs. belegen, daß die Unterrichtspraxis nicht gänzlich ohne muttersprachliche Interpretamente auskam. Selbst im Merkvers ("Est castor beber, sed fiber dicitur otter", Kommentar f. 220 v) schließen sich Latein und Deutsch zusammen. Das Wiener Bruchstück bietet gleichfalls dt. Worterklärungen. L i t e r a t u r . LEHMANN, Erf. V, 1962, S. 61; G. POWITZ, Hubrilugus u. Huwilogus, ZfdA 93 (1964) 226-238, bes. S. 233-238; P. BECKER, Die Benediktinerabtei St. Eucharius-St. Matthias vor Trier (Germania Sacra. NF 34), 1996, S. 166 Nr. 220; U. KOHNE, Engelhus-Studien (Scrinium Friburgense 12), 1999, S. 167-170.
Streler, Johannes OP
(1995)
Streler, Johannes OP I. Geboren vermutlicli noch vor 1390, trat St. frühzeitig in den Dominikanerorden ein. Sein Geburtsort ist nicht bekannt; nach einer Titelaufschrift der Frankfurter Hs. Ms. Praed. 20 war er "filius nativus" des Frankfurter Konvents. 1416 wirkte er, wie er selber berichtet, im Trierer Kloster als magister studentium. 1431 ließ er sich an der Univ. Wien als Student der Theologie einschreiben und hielt hier in den folgenden Jahren als Cursor biblicus und Sententiarius die zur Erlangung des Doktorgrades vorgeschriebenen Vorlesungen. 1439 wurde er zum Magister der Theologie promoviert. Eine Reise im Auftrag des Ordens (1432/33) und ein Aufenthalt in Frankfurt (1437) unterbrachen die Wiener Studienjahre. Im Frühjahr 1439, also noch während seiner Wiener Zeit, wählte ihn der Frankfurter Konvent zu seinem Prior. Im September 1440 immatrikulierte sich St. als Dr. theol. an der Univ. Köln. 1442- 44 ist er zeitweise in Straßburg und 1444-45 in Frankfurt nachweisbar. 1445 kehrte er als Professor der Theologie nach Wien zurück und nahm Vorlesungen auf. Im WS 1445/46 wählte ihn die theologische Fakultät zu ihrem Dekan; zur gleichen Zeit bekleidete St. das Amt des Vikars der österreichischen Nation innerhalb der Ordensprovinz Teutonia. 1448 begegnet er nochmals in Straßburg. 1451 -52 schrieb er das Augustinus-Florileg im Frankfurter Ms. Praed. 70. St. starb am 23. Okt. 1459. Sein persönlicher Bücherbesitz (darunter Autographen fast aller seiner Schriften) fiel dem Frankfurter Kloster zu. II. 1. St. gehört nicht zu den namhaften und wirkungsmächtigen theologischen Gelehrten des 15. Jh.s. Seine Hauptschriften waren dazu bestimmt, den Anforderungen des artistisch-theologisclien Studienganges an der Univ. Wien Genüge zu tun. Mehrere Opuscula, Vorlesungen und Predigten traten im Laufe der 40er Jahre hinzu. Mindestens vier Schriften sind unvollendet geblieben. Ob St. überhaupt mit der Absicht der Piiblikation schriftstellerisch arbeitete, bleibt zweifelhaft. Nennenswerte Verbreitung hat nach unserer gegenwärtigen Kenntnis keines seiner Werke gefunden; von den Predigten und den 'Informationes' abgeselien, liegen alle Texte bezeichnenderweise nur in autographer Überlieferung in Frankfurt, StB u. UB, Ms. Praed. 20 und Ms. Praed. 60, vor. St. hat vor allem durch das gesprochene Wort: in Vorlesung und Predigt gewirkt. Seine Berufung in verantwortliche Ordens- und Universitätsämter zeugt von dem Ansehen, das er im Orden und in Kreisen der Wiener theologischen Fakultät besaß. Ungesichert bleibt die Autorschaft an den 'Quaestiones librorum de anima', die eine Aschaffenburger Hs. (Hofbibl., Ms. 47 a, f. 1 -50) einem Magister Johannes de Franckfordia zuweist. H. THURN (J. HOFMANN/H. THURN, Die Hss. d. Hofbibl. Aschaffemburg, 1978, S. 110) bezieht den Namen vermutungsgsweise auf Streler. Da St. sonst nicht unter diesem Namen bezeugt ist und eine Ordensbezeichnung fehlt, ist keine sichere Entscheidung möglich. VgI. auch Johann von Frankfurt. 1. 'Quaestiones in Aristotelis Metaphysica' (Frankfurt, Ms. Praed. 20, f. 326-330). Begonnen (in Wien?) im Winter 1431 "pro continuatione dierum vacantiarum". St. behandelt in kurzer Form ausgewählte Themen aus dem 1. und 2. Buch der 'Metaphysik' und bezieht u.a. Stellung zu den "opiniones Platonicorum". Mit L. II q. 6 bricht der überlieferte Text unvermittelt ab. 2. 'Dicta in librum Ecclesiasticum' (Ms. Praed. 20, f. 1 - 91). Als erstes exegetisches Thema ("primus cursus") wies die Wiener theologische Fakultär St. das Buch Ecclesiasticus zu. Wegen einer Reise mußte er die Anfang Nov. 1432 begonnene Vorlesung nach kurzer Zeit unterbrechen. St. konnte sie erst am 8. Juni 1433 mit c. 3 wieder aufnehmen und am 16. Nov. dieses Jahres abschließen. 3. 'Lectura in epistolas Pauli ad Timotheum' (Ms. Praed. 20, f. 92- 107; mit inseriertem Text). Nach FRANK, S. 211, las St. im Winter 1433134 über die beiden Paulus-Briefe, die ihm die Fakultät als Gegenstand des zweiten Cursus zugeteilt hatte. Der Text ist am Ende auf 1433 datiert; St. spricht hier die Hoffnung aus, zu gegebener Zeit über die Sentenzen lesen zu können ("Sperans eciam ad sentenciarum lecturam suo tempore pervenire"). 4. 'Lectura in libros Sententiarum' (Ms. Praed. 20, f. 111 - 152). Vollständig behandelt ist nur das 1. Buch der Sentenzen, und zwar anfangs in Anlehnung an den Kommentar des Wiener Theologen Heinrich Totting de Oyta. Beginnend mit I 15 löst sich St. von diesem Leitfaden (127 va: "Hic incipio dimittere questiones principales Magistri Henrici de Oyta"). Der Kommentar zum 2. Buch, begonnen am 13. Okt. 1434, bricht nach wenigen Seiten in der Erklärung von II 9 mitten im Satz ab. 5. 'Quaestiones in libros Sententiarum' (Ms. Praed. 20, f. 159 - 313). Ein vollständiger Zyklus von Vorlesungen, die im Unterschied zur stärker kursorischen 'Lectura' den Hauptinhalt der wichtigsten Distinktionen in scholastischer Form problematisieren. Neben Thomas und Albertus Magnus werden im Text und in marginalen Zusätzen vor allem Petrus de Palude (Pe. Pa.) und Michael (de Furno) zitiert, seltener Johannes von Sterngassen. St. begann die Vorlesung im Sommer 1434 und schloß sie spätestens Anfang 1436 ab. In einer Schlußklausel unterwirft er seine Darlegungen dem Urteil der Wiener und der Kölner Universität. 6. 'Lectiones super epistolam Pauli ad Romanos' (Ms. Praed. 60, f. 130- 133). St. beginnt die Auslegung mit einer Commendatio des von ihm gewählten Themas (Phil 3,21) und erörtert anschließend verschiedene Dubia, die sich auf die Paulus-Briefe insgesamt und speziell auf den Römerbrief beziehen. Vom Text des Römerbriefe selbst ist nur die Salutatio apostolica (1,1-7), also nur der Anfangsabschnitt des Exordiums (1,1- 17), behandelt. St. setzt sich hier namentlich mit den "Errores hereticorum" (Arius, Photius, Sabellius) auseinanauseinander und führt gegen sie in der Filiationsfrage thomistische Argumente ins Feld. Die Zuhörer werden mit "venerandi mei" angesprochen. Der Vortrag des Textes, begonnen in der Zeit um den 23. Sonntag nach Pfingsten, zog sich über die Wende eines nicht näher bezeichneten Jahres hin (132 va Lect. ult.: [...] "quam epistolam transacto anno dei nutu incepi"). 7. Eine in Frankfurt, StB u. UB, Ms. Praed. 70, f. 1v, erwähnte "Lectura magistri Johannis Streler super prima canonica Johannis" ist nicht erhalten. 8. 'Lectiones super psalmos poenitentiales' (Ms. Praed. 60, f. 198-202). Ein umfänglicher Prolog handelt im I. Principale ausführlich von den einzelnen Worten des Titulus (tractatzis, septem, psalmorum, penitencialium); das 2. Principale geht wesentlich knapper auf die radix (den Urheber) und auf die utilitas der Bußpsalmen ein. Die Texterklärung selbst endet nach wenigen Spalten mit einer Auslegung zu v. 1-2 des ersten Bußpsalms, die um das Thema der Prädestination kreist. 9. Predigteil. Ohne ein zusammenhängendes Predigtwerk zu hinterlassen, ist St. seinen Ordens- und universitären Amtspflichten gehorchend zu verschiedenen Zeiten als Prediger aufgetreten. Wie er in Ms. Praed. 20, 187 ra, selbst bezeugt, hielt er 1434 am Wiener Schottenstift eine lat. Predigt zum Fest Mariae Geburt. Als Universitätsprediger übernahm er später in Wien Predigten zu Mariae Himmelfahrt (1439) und zum Weihnachtsfest (1445; FRANK, S. 212, 213). Eine Notiz in Ms. Praed. 60, 13 va (Straßburg, Anfang der 40er Jahre), hält fest, daß er "post prandium in conventu propter dedicacionem altaris" eine Evangelienstelle auslegte ("Applicavi donum sapientie apostolis [...]"). Neben Abschriften von Predigten Meister Ingolds überliefert der Sammelband Ms. Praed. 60 eine Reihe verfasserloser Sermones, von denen einige möglicherweise St. zuzuschreiben sind. Drei lat. Predigten eines Strelarius (zum 14., 16. und 17. Sonntag nach Pfingsten) finden sich eingestreut in eine De-tempore-Reihe, die der Pleban der Kirche im elsässischen Lautenbach 1448 aufzeichnete (Basel, UB, cod. A. X. 127, 130 r, 141 v, 142 v). Es handelt sich um kurze Predigtdispositionen, deren Verfasser - ähnlich wie häufig Meister Ingold in seinen Predigten - Dreizahl-Schemata zugrunde legt (z. B. 130 r "Dilectionem ostendit triplici signo: [...]"). Der Sermo zu Dominica 17 ist unvollständig. Die einzige bekannte dt. Predigt, gehalten von "meister Hans Strell anno 49 jor," hat Lc 17,17 "Seind nit zechen [Aussätzige] gereinigt? Wo sind die neun?" zum Gegenstand. Der Text wurde im Nürnberger Dominikanerinnenkloster St. Katharina aufgezeichnet (Nürnberg, StB, cod. Cent. V1, 52, 205 r - 218 r). 10. 'Miracula S. Theodulphi' (Ms. Praed. 60, f. 245 -247). In einem persönlich gefärbten Zusatz zur Abschrift einer Vita s. Theodulphi berichtet St. rückblickend von drei Heilungswundern, die der Heilige um 1416 in Trier an dem Dominikanerprior Giselbertus de Traiecto, dem Subprior Johannes Bolant und an einem Famulus des Domdekans bewirkt habe. Mit der Wendung "Et ego frater Johannes sacre theologie professor [...] ea que audivi et vidi non silebo" unterstreicht St. die Glaubwürdigkeit seines Berichts. 11. 'Informationes' (Basel, UB: cod. E.III.13 47 r; Abdruck: Löhr, 1924, S. 162). In sechs kurzen Sätzen äußert St. seine Lehrmeinung über unterschiedliche Wahlverfahren im Konvent, Fragen der Beichte und Absolution sowie über die unbefleckte Empfängnis. In diesem letzten Punkt vertritt St. ("BMV tenet conceptam sine originali") eine ihn im Orden isolierende Meinung. Außer den Niederschriften eigener Werke sind von St.s Hand zahlreiche Abschriften theologischer und moralphilosophischer Texte anderer Autoren erhalten. Nach örtlichen Vorlagen, zuweilen in Verbindung mit weiteren Schreibern kopierte und exzerpierte er während seiner Aufenthalte in Frankfurt, Straßburg und Köln, was ihm nützlich und bewahrenswert erschien. Predigten, darunter die des Meisters Ingold, sowie moralrheologische Kompendien jeder Art (Moralitates, Figurae Bibliorum, Florilegien), auch Fabeln (Aesopus, PS.-Cyrillus) und der 'Physiologus' fanden sein Interesse. Auf das Kölner Studium weist die Abschrift des Physik-Kommentars in Frankfurt, StB u. UB, Ms. Praed. 39. Unter den Ordensschriften sei das 'Opus indulgentiarum' des Domiilikaners Blandus de Pavorino (Frankfurt, Stadtarch., Dominikanerbuch 19) hervorgehoben. Das meiste, was er schrieb, war für den eigenen Gebrauch bestimmt, Knappe Bemerkungen über die Beschaffenheit der Vorlagen ("ex antiquissimo libro rescriptus; in albo sollempni libro in bona scriptura") verraten seinen Büchersinn. St. schreibt eine dichte, bewegungsreiche Gelehrtenkursive, deren Niveau durchweg unterhalb der Buchschrift bleibt. Literatur: ....
Harghe, Johannes
(1981)
Harghe, Johannes 1. Jo. Harghe de Holtzacia (300 vb) stammte aus Kiel (124 vb "Kilensis aliquis de tali ciuitate natiuo meo"; vgl. 337 rb "Holste ut ego holsaticus"). Die Harghes zählten zu den vermögenden und politisch einflußreichen bürgerlichen Familien der Stadt. Sie stellten vom 14.-16. Jh. mehrfach Ratsherren, so um die Mitte des 15. Jh.s den Bürgermeister Siverd Harge und den Kämmerer Tymmo Harge. J.H. kam 1444 - wohl anläßlich des Konzils - nach Basel; am 1. Mai 1444 hat er hier ein Amt ("officium" 300 vb) übernommen. Inhalt und harmonisch regulierte Buchschrift des von ihm geschriebenen lexikalisch-grammatischen Studienbandes lassen vermuten, daß H. noch in jüngeren Jahren stand und als Schreiber oder Sekretär tätig war. Seine letzte Äußerung bezieht sich auf die Auflösung des Konzils 1449 (54 vb). 2. H. bearbeitete um 1445 in Basel ein zweiteiliges (lat.-dt. und dt.-lat.) Vokabular. Überliefert als Haupttext des autographen philologischen Sammelbandes Basel, UB, cod. F IV 9 (aus dem Besitz des Basler Bischofs Johannes von Venningen, 1458-1478; seit 1439 Kanoniker am Basler Münster). Die Hs. vereinigt 14 Einzeltexte, teils Stücke aus dem Lektürekanon des Lateinunterrichts ('Disticha Catonis' ['Cato'], 'Facetus', 'Pamphilus', 'Physiologus'), teils stilistische, wortkundliche und grammatische Hilfsmittel ('De elegantia linguae Latinae', naturkundliche lat.-dt. Glossarien, Composita verborum; 1449 angefügt: 'Ars minor' des Donat und 'Doctrinale'). Schon in der Schlußschrift des lat. 'Vocabularius eloquentiae rhetoricorum et poetarum' (datiert 12./13.6.1445) verweist H. mit der Wendung "in nostro vocabulario" (430 rb) auf sein lat.-dt. Vokabular BI. I-300 (datiert 14.10.1445). 3. Nach dem Muster des namentlich in Norddeutschland verbreiteten 'Brevilogus' ist das Werk in drei grammatische Hauptteile ("principalia") gegliedert; doch schaltet H. die Indeklinabilien buchstabenweise in den Text des Verbarius ein (226 vb "secundum meum principale ... cum tercio meo principale"). Der Textanfang mit Prolog fehlt (Bl. I frei). Laut Schreibervers 300 vb schrieb H. "levitate stili clero ... iuvenili" (HÄNGER, S. 34 Anm. 32). 4. Verloren sind Anfangs- und Schlußglossen des außerordentlich stoffreichen dt.-lat. Teils Bl. 307*-388 (etwa 20.000 Lemmata; erhalten: Abele - Wust). Er steht typologisch, bedingt auch quellenmäßig in der Tradition der ostfälischen dt.-lat. Vokabulare der Zeit um 1400, die schon auf den 'Quadriidiomaticus' des Dietrich Engelhus gewirkt hatte. - Die Sprachform der Interpretamente und Lemmata, im Grundcharakter mnd., ist in doppelter Hinsicht uneinheitlich: neben die nordsächs. Formen des Holsteiners H. treten ostfäl. Formen seiner nd.-lat. Vorlage ("henne/hinne"; "offer/opper"); gleichzeitig bewirken ergänzende hd. Vorlagen oder der Aufenthalt tief im Süden des hd. Sprachgebietes einen Einschuiß hd. Wortgutes ("pfeffer/peper"). Literatur. G. POWITZ, NdJb 86 (1963) 99 Anrn. 50; K. GRUBMÜLLER, Vocabularius Ex quo, 1967, S. 220 Anm. 1; H. HÄNGER, Mhd. Glossare u. Vokabulare in schweiz. Bibl. bis 1500, 1972, S. 34f.; F.G. BECKER, Pamphilus, 1972, S. 19-21.
Johannes de Mera
(1983)
Johannes de Mera Mal. Beiname: Johannes Grammatica (Mainz, St., cod. I 53d, v. J. 1372, 2vb). 1. Geboren wohl in dem Dorf Meer (zw. Antwerpen und Breda; vgl. A. WELKENHUYSEN, Archives et Bibliotheques de Belgique 50 [1979] 544), lebte J. 1350 in Antwerpen, 1354 in Mecheln. Um die Mitte des 14. Jh.s verfaßte er zwei lat. Wörterbücher, den 'Puericius' und den 'Brachylogus'. J. schrieb für die Schule (utilitatem parvulorum et scolarium prospiciens). Der cod. Vat. lat. 10062 überliefert unter seinem Namen auch eine kleine Sammlung von Briefmustern (Dictamina) und legt ihm den Magistertitel bei. 2. Über die Entstehung der Wörterbücher äußert sich J. in zwei metrischen Epilogen. Danach beendete er den 'Puericius' am 12.März 1350 in Antwerpen (älteste Hs., Erfurt, Wiss. Bibl., cod. Amplon. Q27, datiert jedoch 7.5.1349). In den folgenden Jahren revidierte er den Text "stricta lectura"; die zweite durchgesehene Auflage ("quasi rectus") wurde am 1. Sept. 1354 in Mecheln abgeschlossen und erhielt den Titel 'Brachylogus'. Überlieferung. POWITZ, S. 206-208 U. 216. Zu ergänzen: Salzburg, UB, cod. M II 100, 15. Jh., scripta ... a Petro cuiusdam Stanislai; f. 1-58 Register, f. 60-437 'Brachylogus' qui et Sertum intitulatur. 3. 'Puericius' und 'Brachylogus' sind derivatorische Wörterbücher in der Nachfolge der 'Magnae Derivationes' des Huguccio Pisano. Als ergänzende Quellen benutzt J. vor allem das Bibelwörterbuch des Guilelmus Brito und die grammatisch-lexikalischen Lehrgedichte des Alexander de Villa Dei ('Doctrinale'), Eberhardus Bethuniensis ('Graecismus') und Johannes de Garlandia. Sein Hauptziel ist die didaktische Umsetzung: der Stoffreichtum der großen Wörterbücher, deren "tediosa prolixitas" den Lernenden verwirrt, soll auf das Maß eines für Schul- und Studienzwecke brauchbaren Handwörterbuchs ("opusculum breve compendiosumque") zurückgeführt werden. Gleichwohl übertreffen beide Werke die Lexika des Huguccio und des Guilelmus Brito an Umfang. Um das Nachschlagen zu erleichtern, gab J. selbst alphabetische Wortindices bei, wie sie auch die Huguccio-Überlieferung kennt. 4. Verwendung der Wörterbücher für Schule und Studium ist nur selten unmittelbar bezeugt. Hauptträger der Überlieferung sind Welt- und Ordensgeistlichkeit (hier vor allem Benediktiner, Zisterzienser, Kartäuser). Die stärkste Wirkung wird in den Jahrzehnten um 1400 erreicht. Von Brabant aus wandern die Wörterbücher nach Osten (Maas, Mosel, Niederrhein), gelangen von hier aus nach Westfalen, Thüringen, Preußen und Böhmen, gleichzeitig rheinaufwärts (Frankfurt, Basel). Insgesamt bleibt die Bezeugung mit 15 bisher nachgewiesenen erhaltenen Hss. vergleichsweise schwach (Huguccio 210, 'Vocabularius Ex guo' etwa 250 Hss.). In Norddeutschland ist die Wirkung durch die um 1400 konzipierten alphabetischen lat.-dt. Wörterbücher gleichen Formats ('Brevilogus'; 'Vocabularius Ex quo'; Vokabulare des Dietrich Engellius) eingeschränkt worden. Ein später Nachklang ist es, wenn gegen Ende des 15. Jh.s - namentlich von niederländischen Schulphilologen - 'Puericius' und 'Brachylogus' gemeinsam mit anderen Wörterbüchern zu Autoritäten erhoben werden und wenig später als Ziele humanistischer Polemik, insbesondere des Erasmus-Kreises, ein letztes Mal Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Literatur. J.P. GUMBERT, Die Utrechter Kartäuser u. ihre Bücher im frühen 15, Jh., 1974, S. 127; G. POWITZ, J. de M., ein Brabanter Lexikograph d. 14. Jh.s, Mlat. Jb. 13 (1978) 204-216.
Konrad von Zabern C. 'Gedicht vom Seelenheil' (52 vv., dt.). Überlieferung. Frankfurt a.M., StB u. UB, Ms. Barth. 99, 333 r-v, um 1450; vgl. GÜMPEL, 1956, S. 153f. Die Hs. gehört zu einer Gruppe theologischer Sammelbände aus dem Umkreis der Univ. Heidelberg (G. POWITZ/ H. BUCK, Die Hss. d. Bartholomaeusstifts u. d. Karmeliterklosters in Frankfurt a.M., 1974, S. XIIIf.; XXII; 213; zu Ms. Barth. 99: S. 220-227). Ausgaben. F. PFAFF, Germ. 25 (1880) 105f.; E. MARTIN, Straßburger Stud. 3 (1888) 238-240. Dem Gedicht K.s voraus gehen von gleicher Hand die 1446 verfaßten Artikel des Heinrich Toke und Heinrich Zolter gegen das Hostienwunder von Wilsnack. Im Einklang mit der wallfahrts- und wunderkritischen Tendenz dieser Artikel wendet sich K. gegen fehlgeleitete Mirakelgläubigkeit, wie sie "frauwen unde man" (v. 5) der Pilgerscharen beherrscht, die an der Gnadenstätte Genesung von körperlichen Leiden erhoffen und dabei die Sorge um das Seelenheil aus den Augen verlieren. Genannt werden die hessischen und rheinpfälzischen Wallfahrtsorte Rodenberg, Armsheim (Heiligblutwallfahrt) und Hirzenhain (Marienwallfahrt). Eine lat. 'Roboratio teutonici dictaminis', die von der Dekretale 'Quum infirmitas' (X 5.38.13) ausgeht, und mehrere kritische Notabilien zum Mirakelwesen sichern die Tendenz des flugschriftartigen Gedichts gelehrtdogmatisch ab. Selbstnennung des Verfassers und abschließende Kopistenermahnung verraten eine den kunstlosen Versen kaum angemessene literarische Bewußtheit.
Kappel, Hermann, von Mühlhausen 1. H.K. (Cappil), Verfasser des 1at.-dt. "Hubrilugus"-Vokabulars, ist 1424 und 1425 im thüringischen Mühlhausen als Geistlicher nachweisbar (Repertorium Germanicum IV 1, S. 1367, 252; IV 2, S. 1943). Als Notar, gleichzeitig Gerichtsschreiber am Mainzer geistlichen Gericht urkundet er um die Jahreswende 1425/26 in Frankfurt a. M. und Oberems/Ts. (L. GERBER, Die Notariatsurk. in Frankfurt a.M.im 14.u. 15.Jh.,1916,S.3 Nr. 69; S. 117). 2. Überlieferung. Mainz, StB, cod. I 601 (Untermaingebiet 2. Viertel 15. Jh.s; aus der Mainzer Kartause); Tübingen, UB, cod. Mc 341, geschr. 1463 von Johannes de Bylstein tunc temporis scolaris in Gruningen (Markgröningen bei Ludwigsburg). Eine weitere Hs. benutzte um die Mitte des 15. Jh.s der Basler Dominikaner Stephan Irmy (Exzerpte in der Basler Hs. B V11 31; vgl. G. MEYER/M. BURCKHARDT, Die mal. Hss. d. UB Basel, Abt. B. 1, 1960, S. 805, 814). 3. Verfassername und Werktitel gehen aus den - im übrigen völlig abweichenden - Prologen der Mainzer und Tübinger Hs. hervor. Das Vokabular heißt "Hubrilugus", weil seine lat. Textteile vorwiegend aus den Wörterbüchern des Hugucio und des Guilelmus Brito sowie aus dem "Vocabularius Lucianus" kompiliert wurden. Die Titelkontamination aus den Anfangssilben der Quellennamen ist angeregt durch den Sigelgebrauch des philologischen Fachschrifttums; ähnlich arbeitet die mlat. Memorialversifizierung ('Cisioianus'). Die literarische Künstelei der Titelbildung wird im Prolog-Akronym der Tübinger Hs. noch überboten. Nach Inhalt und Umfang hat der 'Hubrilugus' den Charakter eines Handwörterbuchs üblichen Zuschnitts. Es wurde, wie die Oberlieferung bezeugt, im Unterricht der Lateinschulen und für Klosterstudien benutzt. Vom md. Westen aus drang das Werk nach Südwestdeutschland vor; seine Wirkung insgesamt blieb gering. Literatur. L. DIEFENBACH, Glossarium Latino-Germanicum mediae et infimae aetatis, 1857, S. XV Hs. Nr. 17; A. DIEHL, in: Gesch. d. humanist. Schulwesens in Württemberg 1,1912, C. 173 Anm. 90; H. SCHREIBDER, Die Bibl. d. Mainzer Kartause, 1927, S. 111; LEHMANN, Erf. V, 1962, S. 44, 61; G. POWITZ, Hubrilugus u. Huwilogus, ZfdA 93 (1964) 226-238.
According to the opinion of the author literary heritage of L.Holberg (Denmark, XVIII c) may be considered as a series of various realizations of one underlying ideal. Being statuary as to its essence, this ideal manifests self-sufficient and detached structure always identical with itself. But the main genre of Holberg’s work is the comedy. That’s why this ideal appears first of all indirectly, through the satirical demonstration of its opposite. Such opposite is brightly presented in image of Jeppe, the protagonist of his most renowned comedy “Jeppe paa Bierget” (1722). Jeppe is noteworthy for correlation of his weak self-consciousness and his degraded self-sensation i.e. by almost full absence of feeling of bounds proper to his own body. Close analysis shows that in accordance with nature of Holberg’s creative phantasy this antithesis of his ideal (as well as some other similar characters in Holbergian plays) is endowed with structure which is not identical with itself, unstable and disintegrating.
Unter Schüttelreimern ist bekannt, daß seit Ende des 19. Jahrhunderts in Familienblättern, Wochenschriften und humoristischen Zeitschriften immer wieder Schüttelreime abgedruckt wurden. Manfred Hanke nennt in seinem Buch "Die Schüttel-reimer" (1968) auf Seite 43 beispielhaft den Kladderadatsch, die Fliegenden Blätter, die Meggendorfer und die Lustigen Blätter, Ulk, Simplizissimus und die Jugend. Zusammengestellt und veröffentlicht wurden diese frühen Einzelschöpfungen unseres Genres bisher nirgendwo. Gründe dafür gibt es genug: Die Schüttelreime sind sehr verstreut, fast nie regelmäßig abgedruckt und kaum über Register aufzufinden, was eine Durchsicht ganzer Jahrgangsbände erforderlich macht. Erschwerend kommt hinzu, daß das Zeitschriftenmaterial nur in wenigen Bibliotheken - und dort nicht immer vollständig - vorhanden ist. Die in diesem Bändchen zusammengetragenen Texte erheben deshalb nur insofern Anspruch auf Vollständigkeit, daß sie alle Schüttelreime umfassen, die in den durchgesehenen Zeitschriften in den angegebenen Zeiträumen abgedruckt wurden. Man kann sicher sein, daß auch noch in weiteren Blättern Schüttelreime aufzufinden sind - eine Aufgabe für später. Die Auswahl orientierte sich an den mir leicht zugänglichen Bänden der im Titel genannten Zeitschriften. Überprüft wurde hierbei auch der Simplizissimus, der allerdings bis zum Jahrgang 1920 keine Schüttelreime enthält. Weitaus die meisten Texte sind anonym oder nur mit Initialen abgedruckt worden. Soweit Verfassernamen vorhanden sind, ließ sich nur in wenigen Fällen in biographischen Nachschlagewerken etwas über den Autor ermitteln - es wird von Fall zu Fall mitgeteilt. ...
Schüttelgedichte
(1997)
Die Schüttelgedichte von Harun Dolfs werden hier zur Feier der hundertsten Wiederkehr ihres Erstdrucks neu vorgelegt. "1896", schreibt Manfred Hanke in seinem Buch Die Schüttelreimer (Stuttgart 1968), "als noch der hurtige Allgemeine Deutsche Reimverein mit seinen Almanachen Schüttelreime in die Welt setzte, erschien in Berlin auch schon die erste Einzelschrift. ... Der Verfasser nannte sich Harun Dolfs - ganz offensichtlich ein Pseudonym; wer dahintersteckte, blieb im Dunkeln. Die Gedichte waren höchst beachtenswert. Hier bewies jemand - bei langem Atem - Formtalent und investierte Geist und Witz". ...
Aus dem Engeren : Litteraturbilder aus deutschen Einzelgauen ; IV: von der pommerschen Waterkant´
(1898)
Schottel
(1908)
Die Verdienste des Justus Georg Schottelius um die deutsche Sprache zu einer Zeit, wo die Fremdländersucht sie in die allerschlimmste Gefahr brachte, daran fast zu Grunde zu gehen und zum Gespötte des Auslandes zu werden, können gar nicht hoch genug angeschlagen werden, und nicht mit Unrecht hat man ihn den grössten Germanisten der Deutschen vor dem Erscheinen des Altmeisters Jacob Grimm genannt. Seine Verdienste um die deutsche Grammatik haben ihre Würdigung gefunden in einer Monographie von F. L. Koldewey unter dem Titel : Justus Georg Schottelius. Ein Beitrag zur Geschichte der Germanistik. Wolfenbüttel 1899. Seine Totenklage, die hier aufs neue zum Abdruck kommt, ist einer der vielen Stossseufzer, durch die er als wahrer Patriot seinem bedrängten Herzen Luft zu machen suchte. Seine Verse mögen uns abgeschmackt vorkommen und hie und da ein Lächeln abgewinnen, aber wie man sich auch zu dem Ganzen stellen mag, der heilige Ernst, der aus jeder Zeile spricht, ist unverkennbar. Schottels Name verdient mit Recht in einem Zuge mit Wimpfeling und Lauremberg genannt zu werden, deren Namen aus jenen traurigen Tagen glänzend hervorleuchten und deren Begeisterung für alles Vaterländische nicht umhin konnte Anhänger zu werben und Nachfolge zu wecken. Das Original der Lamentatio befindet sich auf der Bibliothek in Wolfenbüttel.
Das Endinger Judenspiel
(2001)
Wer 1784, nur fünf Jahre vor der großen Revolution und mitten in der großen Bewegung der Aufklärung, zu Christian Gottlieb Jöckers Allgemeinem Gelehrten-Lexicon mit Fortsetzungen und Ergänzungen von Johann Christoph Adelung griff, konnte unter dem Buchstaben C folgenden Eintrag finden: "Cäsar, (Johnnes Baptista,) Syndicus zu Frankfurt um Main, legte aber sein Amt nieder, wegen des damahligen Judentumults. Er hat unter dem Namen Vespasiani Rechtani den Judenspiegel drucken lassen, und die Judenbadstube angehängt, worin er erwiesen daß die Juden höchst schädliche blutsaugende Thiere und Verräther des Vaterlandes und gar nicht zu gedulden seyn ...". Der doppeldeutige Anschluß hat schon seinen Sinn, denn nicht nur in seinem Judenspiegel "beweist" Cäsar die Minderwertigkeit und Schädlichkeit der Juden, sondern vor allem mit seinem Wiederabdruck von "Der Juden badstub. Ein anzeygung jrer manigfeltigen schedlichen hendeI zuo Warnung allen Christen/jren trieglichen listigkeyten zuo entweychen vnd zuo uermeyden", die 1535 zum ersten Mal im Druck erschienen war. Es bedurfte auch fast 250 Jahre später keines erklärenden Hinweises, was mit diesem Wort "Judenbadstube" gemeint sei - offenbar konnte Adelung noch immer darauf vertrauen, daß des bis heute unbekannten Philips von Allendorf dingallegorische Ausdeutung der Abläufe in einer spätmittelalterlichen Badestube jedem Gebildeten, der in seinem Lexicon Rat suchte, bekannt war. Diese Tatsache allerdings bedarf der Erklärung....
Von Ahasver, dem ‚Ewigen Juden’ wird schon im Druck von 1602 erzählt, er habe, nachdem er von Christus zur ewigen Wanderschaft verdammt worden war, die Stadt Jerusalem verlassen und durch alle Teile der Welt wandern müssen. Als er nach Jahrhunderten wieder in das Heilige Land gekommen sei, habe er das Land verwüstet und Jerusalem so vollständig zerstört vorgefunden, dass er es nicht mehr erkannt habe. Mit dieser Bemerkung signalisiert der Autor des kleinen, aber überaus wirkungsmächtigen Traktats den Lesern, dass damit mehr gemeint ist als nur eine Episode auf der Wanderschaft Ahasvers. [...]
Am Ende des zweiten Jahrtausends wie am Ende des ersten sind die Menschen von eschatologischen Vorstellungen beunruhigt und fasziniert zugleich. Der Tod wird wieder entindividualisiert und mir Vorliebe im traditionellen Bild des Totentanzes und des tanzenden Todes ausgedrückt. Dies hat auch Auswirkungen auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema, die in den letzten Jahren intensiviert wurde. Einige der neueren Arbeiten zu den spätmittelalterlichen Totentänzen und zur Geschichte ihrer produktiven Rezeption werden hier vorgestellt und im Kontext der Traditionsforschung diskutiert.
Ins dritte Reich
(1934)
Die im Verlauf dieser Arbeit angestellten Überlegungen sollten versuchen, einige konstitutive Elemente der jüdischen Autobiographie nach dem Holocaust herauszuarbeiten. In einem ersten, allgemeinen Anlauf wurde dazu diese spezifische Ausprägung des literarischen Genres ,Autobiographie" in die Gattungstradition gestellt, mit dem Ziel, ihren spezifischen Charakter - oder, in anderen Worten: ihren Beitrag zur literarischen Evolution - deutlich hervortreten zu lassen. Es hat sich dabei gezeigt, daß die jüdische Autobiographie nach dem Holocaust sich der zentralen Erfahrung der Moderne, der Entfremdung von den ursprünglichen Lebenszusammenhängen, nicht verschließen kann. Die Erfahrung des sinnlosen, aber planvollen Völkermords ist die jüdische Variante der universalsten aller möglichen Entfremdungen: die Bestreitung des Lebensrechts. Infolge dieser Erfahrung ist den Überlebenden die Möglichkeit der entelechischen und teleologischen Autobiographie in der Tradition GOETHEs versagt; an ihre Stelle ist das Prinzip der Kontingenz, des bloßen Zufalls getreten, der allein das Überleben bestimmt hat. Im zweiten Hauptteil dieser Arbeit wurde dann versucht zu zeigen, wie sich das autobiographische Individuum dieser Erfahrung der lebensbestimmenden Kontingenz stellt, mit welchen literarischen Mittteln es in seiner Autobiographie diese Erfahrung bewältigt und welche Auswirkungen diese Erfahrung auf die Entwicklung und Erhaltung der eigenen Identität hat bzw. inwieweit sie diese überhaupt erst konstituiert. Zu diesem Zweck wurden die autobiographischen Texte von drei Autoren ausgewählt, die den Antisemitismus bis zum Massenmord im Dritten Reich als Kinder und Jugendliche auf verschiedenen Wegen überlebt haben und reflektiert darüber erzählen können. Allen ausgewählten Autoren ist gemeinsam, daß sie ihr autobiographisches Schreiben - teils in den Autobiographien selbst, teils in Reden und Aufsätzen - gründlich reflektieren und kommentieren. Daraus ergibt sich das Modell der Darstellung, nach dem in diesem interpretierenden Teil der Untersuchung vorgegangen wurde: Nach einer kurzen Einleitung, die einen kursorischen Uberblick über die zu besprechenden Texte sowie eine Einordnung in die Reihe der bereits untersuchten Werke enthält, folgt eine Darstellung der Einlassungen der Autoren zu ihrem autobiographischen Schreiben, die gefolgt wird von der eigentlichen Interpretation der autobiographischen Texte. Des besseren Kontrastes wegen wird den Autobiographien der Überlebenden GREVE, GOLDSCHMIDT und KLÜGER diejenige Werner KRAFTS gegenübergestellt, der - eine Generation früher geboren und bereits 1933 über Frankreich nach Palästina emigriert - noch ganz im Geist GOETHEs eine entelechische und teleologische Autobiographie zu schreiben vermag, die des Autors Selbstvollendung im deutschen Geist und in der deutschen Kultur nachvollzieht - freilich nicht ohne die theoretische Einsicht, daß diese Möglichkeit einer späteren Generation von Juden in Deutschland nicht mehr vergönnt sein wird. ...
In Publikationen zur Frauenliteratur der Weimarer Zeit finden sich, direkt oder mittelbar formuliert, zwei Thesen: Dass zum einen die politisch engagierte Frau in den Romanen eine selten anzutreffende Figur sei und dass zum anderen die Schriftstellerinnen jener Zeit sich politisch eher rückwärtsgewandt verhalten und geäußert hätten. In einer differenzierten Untersuchung wird mit einer Fülle von Beispielen belegt, dass tatsächlich aber vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der Republik zahlreiche Schriftstellerinnen die politischen Vorkommnisse beobachteten, direkt kommentierten oder literarisch ausgestalteten. Den Begriff „rückwärts gewandt“ problematisierend wird erläutert, dass diese Einstufung weder ohne weiteres bestätigt noch verneint werden kann, da Wertbegriffe wie „fortschrittlich“ oder „reaktionär“ nicht eindeutig und zweifelsfrei definiert werden können.
Die Klemenskirche : Erzählung aus der Zeit der Raubritter ; für die deutsche Jugend und das Volk
(1885)
Lohengrin
(1858)
Schwarzwaldau
(1856)
Krates und Hipparchia : ein Seitenstück zu Menander und Glycerion ; zum Neujahrs-Geschenk auf 1805
(1804)
Menander und Glycerion
(1803)
Die Vogelscheuche
(1854)
Der Golem, so wie er in der jüdischen Tradition lebendig ist, zeichnet sich durch Merkmale aus, die in der Meyrinkschen Bearbeitung wiederkehren. Zunächst ist es das Verhältnis des Schöpfers zum Geschöpf, das im Akt der Schöpfung eines Golem zelebriert wird: In der Erschaffung des Golem wird der Mensch, das Geschöpf Gottes, selbst zum Schöpfer und partizipiert so am göttlichen Sein. Dieser Schöpfungsakt kehrt eine Spaltung hervor, die im "Golem" in dem Motiv des Doppelgängers pointiert wird: Das Geschöpf kann Schöpfer sein. Wie wir im ersten Kapitel sehen werden ist von besonderem Interesse am Akt der Golemerschaffung die Rolle, die die Sprache dabei spielt. Die mittelalterlichen Rituale, die sich um die Golemschöpfung bilden, sind hervorgebracht durch eine "linguistische Technik", durch Rezitationen von Permutationen des hebräischen Alphabets. Die Rolle der Sprache im Ritual sowie die kabbalistische Sprachauffassung läßt als eine mögliche Interpretation der Golemschöpfung zu, daß in diesem Ritual die Einführung des Menschen in die Sprache inszeniert wird: Golem, das Unfertige, kommt durch symbolische Operationen zum Sein, wie das nichtsprechende Menschenwesen, das auf besondere Art "golem" ist, durch die symbolische Ordnung zum Subjekt wird. Vor allem im letzten Kapitel werden wir im Zusammenhang mit der strukturalen Psychoanalyse untersuchen, inwieweit der Golem in Meyrinks Darstellung, Züge dieses zur Sprachekommens trägt. Die genuine Spaltung des Subjekts, die sich im Doppelgänger widerspiegelt, und die Wiederholung, als Wieder-Holung vergessener Geschichte und als ein Mittel zur vollen Präsenz, zum Sein ohne den Mangel zu kommen, wird hierbei besonders berücksichtigt und als ein Effekt von Sprachlichkeit verstanden. Die Darstellung der literarischen Rezeption des Stoffes ergänzt den religionsgeschichtlichen Überblick und beide gemeinsam bilden den Hintergrund für eine vorläufige Einschätzung von Meyrinks "Golem". Die Biographie Meyrinks stellt in wesentlichen Zügen Meyrinks Werdegang als Literat und Okkultist und die Entstehungsgeschichte des "Golem" dar. Dabei ist es eine Besonderheit von Meyrinks Entwicklung als Literat, nämlich die Tatsache, daß seine literarischen Anfänge in mündlicher Erzählung von Geschichten liegen, der hierbei besonderes Interesse gilt. Die wechselseitige Abhängigkeit von Erzählen und Erzählsituation beim mündlichen Erzählen enthält ein Moment von literarischer Beeinflussung der Lebenswelt: Das Erzählen ist geprägt von der Erzählsituation, die es selbst im Erzählen gestaltet. Eine Eigenart seines Schreibens, das "Schreiben unter Diktat", eine Art von "écriture automatique", und sein Literaturverständnis, sein Vertrauen in die Macht des Wortes, weist im biographischen Teil voraus auf den Aspekt der Wirkung von Literatur auf die Lebenswirklichkeit des Lesers, die den Abschluß des dritten Kapitels, der Untersuchung des Rahmens, bildet. In diesem Kapitel wenden wir verschiedene Theorien des Rahmens auf Meyrinks Roman an, um jeweils verschiedene Aspekte am "Golem" deutlich zu machen. Zuletzt führen wir ein eigenes Modell, das Moebiusband, ein, um die Struktur von Rahmen- und Binnenerzählung als ein Phänomen der Grenze und des Übergangs zu verdeutlichen. Diese Grenze - im Rückgriff auf Bohrers Diktum vom "Schein in der Kunst als ihre Grenze" - gemeinsam mit einigen Passagen des "Golem", in denen die Fiktion selbstreflexiv wird, läßt diesen Roman als Dichtung über Dichtung erscheinen. Dieser letzte Aspekt wird im vierten Kapitel vertiefend ausgeführt. Es sind dort im wesentlichen zwei Unterscheidungen von Norbert Reichel: "Das Motiv des Felsenmenschen" und "Die Sehn-Sucht nach dem Fortschritt zur Ruhe", die das begriffliche Instrumentarium für die Untersuchung der Bedeutung des Gettos, der Isolation, den Räumen und der Flucht ins Überhistorische zur Verfügung stellt. Beide Unterscheidungen charakterisieren dabei die besondere Situation des Dichters im bürgerlichen Zeitalter und dessen Reflex auf seine soziale Umwelt, der durch die Momente des Rückzugs und der Re-Aristokratisierung geprägt ist. Der Golem, so wie Meyrink ihn darstellt, hat eine besondere Eigenart: Seine Erscheinung ist abhängig von dem Gegenüber, dem er begegnet. Er begegnet Zwakh wie ein Gespenst; die Frau des Kabbalisten Hillel wiederum meint im Golem ihre eigene Seele erblickt zu haben; der Masse der Gettobewohner ist der Golem ein Wesen, das verschwindet, je mehr es auf die Betrachter zukommt, je mehr es sich nähert; Pernath schließlich begegnet der Golem in sich wandelnder Gestalt und erscheint als Katalysator einer geistigen Entwicklung. Nicht anders geht es dem Interpreten, dessen Blick eingeschränkt - eingeschränkt und gleichzeitig geschärft - ist durch die Fragen, die er an den Text stellt. "Der Golem" erscheint in jeweils verschiedener Hinsicht. Was wir für dieses Mal außerhalb des Blickfelds gelassen haben, sind die mystischen und okkultistischen Elemente, die Möglichkeit, den "Golem" als esoterische Fabel zu lesen. Einzig der Schluß dieser Arbeit eröffnet einen Zugang in dieser Hinsicht.
Der vorliegende Beitrag - die stark überarbeitete Fassung des Vortrages "Lektüren des Unausdeutbaren ", den der Verfasser im Januar 2004 im Rahmen der kulturwissenschaftlichen Vortragsreihe GrenzBereiche des Lesens hielt - ist auch erschienen in: literatur für leser 27 (2004), Heft 4, S. 181-199. Ein Beispiel für die Schwierigkeit der literarischen Lektüre gibt Friedrich Schmidt. Er untersucht Lektüremöglichkeiten für das formale wie semantische "Abgebrochensein" des literarischen Kunstwerks der Moderne, wie es in den Fragmenten Kafkas seinen exponierten Ausdruck findet. In diesen Texten tritt zur äußeren Unabgeschlossenheit des Textkorpus ein brüchiges Sinngefüge: die Endlosigkeit der Reflexionen und Handlungszüge, die Heterogenität der Erzählfiguren, die Inkonsistenz jeder Bedeutungskonstruktion von Seiten des Lesers. Indem überdies der Abbruch, als verlorene Schrift oder verschwiegene Botschaft, in Kafkas Fragmenten explizit zum Thema wird, erhebt sich der Text gleichzeitig zum metareflexiven Kommentar: er vollzieht selbst, wovon er spricht. Insofern handelt er – sprachskeptisch – vom Defizit seines eigenen Ausdrucks, das letztlich auch von Lektüren nie vollständig eingeholt werden kann.
Innerhalb der Reihe "GrenzBereiche des Lesens" gehaltener Vortrag. "GrenzBereiche des Lesens" ist eine kulturwissenschaftliche Vortragsreihe, die 2003 und 2004 an der Universität Frankfurt stattfand. In ihrem Beitrag zu Spannungsliteratur und Lesepraxen um 1800 entwirft Ute Dettmar aus kultursoziologischer Perspektive ein Bild von der Vielfalt und Dynamik der kulturellen, literarischen und diskursiven Praxen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die Gleichzeitigkeit von ästhetisch-normierender Auseinandersetzung um die Faszination des Schrecklichen, von aufgeklärter Lesekritik und einer unbefangenen bürgerlichen Lese- und Theaterpraxis, die sich nicht an das vorgegebene Maß und die Grenzen eines autonomieästhetisch konstituierten Kunstbegriffs hält, charakterisiert das spannungsreiche Mit- und Gegeneinander dieser Umbruchzeit. Anhand der Lektüre populärer Räuberromane erweist sich, dass Grenzziehungen zwischen hoch- und unterhaltungskulturellen Textverwendungsweisen weder in Hinblick auf Stoffe und Gattungen, noch in Hinblick auf die lesende Öffentlichkeit hier bereits rigide gezogen sind.
Mit den Erinnerungstexten jüdischer Emigranten, in denen die Kindheit im altösterreichischen Galizien eine herausragende Rolle spielt, behandelt diese Arbeit eine bisher wenig beachtete Komponente der deutschen Exilliteratur. Enttäuscht in ihrer Identifikation mit Deutschland und verunsichert durch das Leben im Exil richten die Autoren die Gedanken nach rückwärts: Sie besinnen sich auf die schon weit entfernte Welt ihrer Kindheit im galizischen Schtetl. Trotz unterschiedlicher Formen weisen die Texte viele thematische Parallelen auf und sind in der farbigen Zeichnung der 'Welt von Vorgestern' von der unwirtlichen Exilgegenwart geprägt. Exemplarisch wird diese 'imaginative Aneignung ihrer Herkunft als Heimat' (B.Spies) an der Autobiographie des Schauspielers Granach und dem autobiographischen Roman des Journalisten Katz gezeigt.
Lavater was admired and detested for his unconventional approach to theology and his rediscovery of physiognomy. He was an avid communicator and through his correspondence became known to almost all leading personalities of eighteenth century Europe, such as Goethe, Wieland and Rousseau. The more than 21,000 letters in Lavater's estate in the Zentralbibliothek Zürich display the enormous thematic variety produced during a remarkable forty years of correspondence. This unique source material is now being published for the first time. IDC Publishers makes this collection available for research to such various disciplines as theology, history, literature, arts, humanities and above all, the history of eighteenth century culture. Scope: * 9,121 letters from Lavater * 12,302 letters to Lavater * 1,850 correspondents
Dies ist –virtuell & überhaupt- das erste Buch über den Schweizer Dichter & Filmemacher MATTHIAS ZSCHOKKE. Das Libell will eine Hinführung, Einführung & Verführung zu Zschokke sein. Nicht mehr - nicht weniger. Die umfangreiche Bibliographie weist Materialien für weitere Studien über Zschokke nach, mag eine Basis für den akademischen Diskurs bilden. Eine biographische Zeittafel rundet das Libell ab. "Nein, zur Herde der Augenblicks - Schriftsteller gehört dieser Matthias Zschokke nicht... Bereits im ersten Buch hat er unverwechselbar seinen Stil gefunden, und sein ureigener literarischer Ton macht Zschokke unter den Autoren seiner Generation zu einem Exponenten der neuen deutschsprachigen Belletristik in den achtziger und neunziger Jahren. Und auch im 21. Jahrhundert bleibt er hochaktuell."