830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Häufig wird angenommen, man sei dort "zu Hause", wo man geboren wurde. Man könnte etwa sagen: "Hier! Hier bin ich zur Welt gekommen", und mit diesen Worten wäre impliziert, dass man sich keinen vertrauteren, wertvolleren und intimeren Ort vorzustellen vermag. Dieser Ort wäre, anders ausgedrückt, der Ort, wo man hingehört. Der Ort, an dem man geboren wurde, ist jedoch willkürlich. Menschen wurden im Exil geboren oder auch neben Straßensperren. Tatsächlich hat kein Mensch Einfluss auf die Umstände der eigenen Geburt. Der eigene Geburtsort bedeutet also nur auf indirekte Weise Zugehörigkeit. In Wirklichkeit bezeichnet nichts mehr Zugehörigkeit als ein Grab. Ein Grab ist ein fester Ort, auf den man zeigen und dabei feststellen kann: "Hier liegen mein Vater und seine Vorfahren begraben, und hier werde auch ich eines Tages begraben sein." Es ist der Ort, den man häufig für sich selbst auswählen kann, wo das Menschliche schließlich eins mit der Erde wird. Diese grundlegende Einheit des Belebten und Unbelebten veranlasste etwa Giambattista Vico zu der Aussage, in früheren, primitiveren und prosaischeren Zeiten sei der Grabstein ein rechtliches Gebilde. "So zeigten schon durch die Gräber ihrer Bestatteten die Giganten die Herrschaft über ihrer Ländereien an; [...] Und zu Recht", bemerkte Vico, "gebrauchten sie jene heroischen Redensarten: 'wir sind Söhne dieser Erde', 'wir sind geboren aus diesen Eichen' [...]." Somit gehört man nicht an den Ort, an dem man geboren wurde, sondern dorthin, wo man zur letzten Ruhe gebettet wird.
Manche Menschen besitzen mehr als nur einen Grabstein. Gershom Scholem ist einer von ihnen - eine merkwürdige Tatsache. Dem Anschein nach gehört Scholem, wenn er überhaupt irgendwohin gehört, nach Jerusalem.
Das Ziel dieser Arbeit war es herauszufinden, welche Angstgefühle die DaF-Lernenden, die die deutsche Sprache innerhalb und außerhalb des deutschsprachigen Raums lernen, in Gesprächssituationen erleben. In diesem Zusammenhang wurden zwei verschiedene Probandengruppen ausgewählt und Online-Befragungen erstellt, um genauer zu untersuchen, ob es zwischen diesen Gruppen signifikante Unterschiede gibt. Die Ergebnisse, die aus der Datenauswertung erfolgen, sind für beide Lernergruppen verschieden. Nach den untersuchten Sprechtendenzen verhält sich die Gruppe aus der Türkei als eine meist affektiv eingestellte Gruppe, die beim Sprechen zurückhaltend handelt. Dagegen zeigt die Gruppe aus Deutschland tendenziell weniger Zurückhaltung gegenüber dem Sprechen in Bezug auf die emotionalen bzw. kognitionalen Einstellungen. In Bezug auf unterrichtsbezogene Sprechangst ist zu bemerken, dass die meisten Lernenden von beiden Gruppen häufig die gleiche Meinung vertreten.
"Schiller und die Aufklärung" - das ist ein Feld, weit und gut bestellt zugleich. Und mit Neuentdeckungen ist einstweilen nicht zu rechnen. Doch ist das Thema selten einmal so grundsätzlich gestellt worden, wie es die Sache zu fordern scheint. Berührungspunkte mit einschlägigen Interessen der Schiller-Forschung sind jedoch allemal reichlich vorhanden: Probleme der sogenannten "Jugendphilosophie" oder auch der Kant-Rezeption Schillers lassen sich selbstverständlich nicht ohne den Sinnkomplex der "Aufklärung" diskutieren. So fraglos Schillers Teilhabe am Großprojekt der "Aufklärung" aber auch sein mag, eine Gleichsetzung mit deren Idealen erschien der Schiller-Forschung doch problematisch. Daß Schiller das Königsprinzip der Aufklärung, den Gedanken der Autonomie des vernunftbestimmten Menschen, nicht nur geteilt, sondern auch künstlerisch immer wieder umspielt hat, ist angesichts eindeutiger Bekenntnisse wohl nicht zu bezweifeln.
"Das Drama muß, weil es seinem Inhalte wie seiner Form nach sich zur vollendetesten Totalität ausbildet, als die höchste Stufe der Poesie und der Kunst überhaupt angesehen werden". Mit solchen, enthusiastisch gestimmten Worten formuliert Hegel in seinen Vorlesungen zur Ästhetik zugleich Summe und Nachklang der idealistischen Dramentheorie in Deutschland. [...] Gerade die Besonderheit [...], die das Drama – einerseits – zum Gipfel der Künste qualifiziert, ist – andererseits – für dessen sicheren Untergang verantwortlich. [Novalis] bislang von der Forschung vernachlässigte Bemühungen um eine "Poetik des Dramas" sollen [...] im folgenden [...] etwas genauer untersucht werden. Wenn dabei auch ein zusätzliches Licht auf Novalis dichterisches Werk und vor allem auf einen auffälligen motivischen wie stilistischen Zug desselben fallen sollte, so wäre dies nur willkommen.
Daß die Geschichte der deutschen Literatur auf dem amüsanten Gebiet der Komödie ihrerseits nur wenig Erfreuliches und Gültiges zu bieten hat, gehört seit langem zu den leidigen Gewißheiten der Forschung. Auch die Ausnahmen sind bestens bekannt. Im Gegensatz aber zu Goethe und Schiller, zu Friedrich und August Wil-helm Schlegel (und einer Reihe anderer) scheint einer von dieser Klage durch hö-here Unzuständigkeit freigesprochen. Sein dichterisches Naturell erheischt die produktionspsychologische Forderung nach der Komödie so wenig wie seine philosophisch-theoretischen Grundbegriffe eine solche auch nur zuzulassen scheinen – nämlich gar nicht. Die Rede ist von Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis.
In einer Antwort auf die im Jahr 1990 von der Redaktion an zahlreiche Autoren gerichtete Umfrage zu 'Irrwegen' oder 'Weiterzuführendem' der Vergangenheit sowie möglichen Perspektiven für die Weimarer Beiträge heißt es über die Zeitschrift: "Sie hat über die Jahre ein durchaus unverwechselbares Profil entwickelt, wobei mir die DDR-spezifische Mischung von Literaturanalyse, Soziologie und Kulturtheorie gut gefallen hat [. . .]". Diese Konstatierung eines 'unverwechselbaren Profils' spricht gleichsam die Intention der folgenden Ausführungen an. Gefragt wird danach, wohin jene Neuprofilierung Anfang der siebziger Jahre führte, mit der aus der Zeitschrift für Literaturgeschichte (so der Untertitel 1957-1963) bzw. Zeitschrift für Literaturwissenschaft (1964-1969; 1968: Literaturwissenschaftliche Zeitschrift) die Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturtheorie wurde, was daraus erwuchs für die Zeitschrift, ihre Arbeitsweise, ihre Inhalte und ihre Bedeutung in der damaligen Wissenschaftslandschaft, und inwiefern sich hierin 'Unverwechselbares', Innovatives, Weiterweisendes, auch womöglich heute noch oder wieder Aktuelles zeigte.
Dem liegt ein wissenschaftsgeschichtliches Interesse zugrunde: Fachzeitschriften organisieren, bündeln und forcieren wissenschaftliche Kommunikation. Sie schreiben Fachgeschichte, und zugleich vermag eine Beobachtung ihrer Geschichte institutionen-, personen-, konzept- und methodengeschichtliche Erscheinungen, Vernetzungen und Prozesse der Wissenschaft aufzuzeigen. Ein Rückblick auf die Entwicklung einer national wie international renommierten Zeitschrift wie der Weimarer Beiträge im angegebenen Zeitraum (1989 wurde ihr der Alfred-Kerr-Preis verliehen) kann somit ein Stück Wissenschaftsgeschichte in der DDR erhellen. Der Fokus ist gerichtet auf 'Organisation von wissenschaftlicher Kommunikation' in den mit der Neuprofilierung bearbeiteten Gegenstandsbereichen, wobei es auch um Fragen der 'Repräsentativität' und Wirksamkeit - der Zeitschrift als Organisator und Akteur jener Kommunikation wie in ihr präsenter Diskurse, Institutionen, Personen - im Kommunikationsraum Wissenschaft und darüber hinaus geht. Immanent werden einige Probleme von Fachgeschichtsschreibung für Wissenschaft in der DDR thematisiert.
In den Jahren 1912-1914 gelang es dem Deutschen Botschafter Karl Max Lichnowsky (1860-1928) und seiner Gattin, der Schriftstellerin Mechtilde Lichnowsky (1879-1958), die Botschafter-Residenz Carlton House Terrace zu einem Mittelpunkt des damaligen Londoner Kulturlebens und der Avantgarde zu verwandeln. Mechtilde Lichnowsky hatte mit ihrem ersten Buch "Götter, Könige und Tiere in Ägypten" (1913) einiges Aufsehen erregt und arbeitete in der Botschaft an ihrem zweiten Manuskript, dem Drama "Das Spiel mit dem Tod" (1915). Sie war eng mit Roger Fry befreundet und arbeitete in der britischen Avantgarde-Bewegung mit. Karl Max Lichnowsky bemühte sich bis zuletzt, den Krieg auf diplomatischem Wege zu verhindern. Die Mission der beiden Kosmopoliten scheiterte.
In der Querelle des Anciens et des Modernes ergreift Friedrich Hölderlin Partei für die Moderne. Daraus ergibt sich eine Absage an die Tragödie als höchste Kunstform und ein Bekenntnis zur Lyrik. Hölderlin gelangt jedoch zu einem ganz anderen Lyrikkonzept als etwa Hegel, der Lyrik als Artikulation von Subjektivität begreift. Für Hölderlin ist die Lyrik kein Medium subjektiver Selbstvergewisserung, sondern die vorzügliche Gattung des Erinnerns, des geduldigen Ausharrens ‘in dürftiger Zeit’ sowie des Schreibens gegen die gefährliche ‘exzentrische Begeisterung’. Vom Schreiben erhofft er sich eine Revolution der ‘Vorstellungsarten’. Hölderlin möchte der Moderne unabhängig von der ausgedienten Sprache der Tradition ein autonomes ästhetisches Profil verleihen, und so wird die Sprache der modernen Dichtung bei ihm unvermeidlich zur Sprache der obscuritas, der Dunkelheit. Hölderlins Ringen um eine genuin moderne Diktion verfremdet die überlieferte Sprache und führt zu einer Entfremdung von ihr, was wiederum Befremden auf Seiten der Rezipienten bewirkt. Hier soll zum einen der Wechsel von der Tragödie zur Lyrik als gattungspoetischem Paradigma der Moderne seit dem späten 18. Jahrhundert rekonstruiert werden. Zum anderen wird Hölderlins Verflechtung von Subjekt- und lyrischer Sprachkritik studiert, um die Spur sichtbar zu machen, die sie bis zu Adorno auslegt.
1981 erschien eine erste Fassung meiner Kleinen Literaturgeschichte der DDR, eine zweite, stark erweiterte und bis an den Herbst 1988 heranreichende Ausgabe im Frühjahr 1989. Die seit dem Frühjahr 1996 vorliegende dritte Fassung zeigt, daß sich mein Blick auf vierzig und mehr Jahre DDR und DDR-Literatur nicht unbeträchtlich verändert hat. Anders als die (wenigen) Forscherkollegen, die sich nicht zu korrigieren brauchten, anders vor allem als die große Zahl derer, die sich nicht korrigieren wollten und schnurstracks zu einer neuen Tagesordnung übergingen, als ob nichts gewesen wäre, fand ich Anlaß zu einer ganzen Reihe von Korrekturen. Bei aller Kritik hatte ich dem Staat DDR und seinen offiziellen kulturellen Hervorbringungen immerhin einigen Kredit eingeräumt. Die Loyalitätsfalle Antifaschismus und die Sehnsucht nach einem wahren Sozialismus waren wohl die entscheidenden Gründe dafür. Sigmund Freud umreißt den therapeutischen Prozeß der Psychoanalyse bekanntlich mit dem Dreischritt 'Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten', und dazu gehören, wie man weiß, auch Mühen und Schmerzen. Mir schien es so, daß es unausweichlich sei - mit dem Motto von Freud - , den Weg von der Mythologisierung zur Historisierung der DDR-Literatur zu gehen. Die nachstehenden Blicke zurück - ohne Zorn, aber doch kritisch und mit je einer Prise Selbstironie und Trauer versehen, versuchen es.
Warum greift Adrian Leverkühn bei seiner einzigen Opernkomposition ausgerechnet auf Shakespeares "Verlorene Liebesmüh" zurück? Weshalb zieht er sich seine fatale Infektion unter dem Vorwand zu, eine von Strauss selber dirigierte Salome-Premiere zu besuchen? Wieso wird, im Gegensatz zu dieser besonders authentischen Aufführung, Saint-Saëns' "Samson et Dalila" nur noch als Schallplattenreproduktion eingespielt? Und weswegen wird bei einer kammermusikalischen Darbietung von Wagners Tristan und Isolde ausgerechnet eine Arie vom Löschen des Lichts herausgegriffen? Solche und ähnliche Fragen sollen hier im Rahmen einer ideologie-, aber auch quellenkritischen Relektüre des "Doktor Faustus" ihre Antworten finden. Geleitet ist diese von der so vice versa erhärtbaren These, daß sich der Roman als Teil und Ausdruck einer Bachofen-Renaissance verstehen läßt, wie sie im Umkreis der Konservativen Revolution aufkam.
Die bald einmal hundertjährige Geschichte der Thomas-Mann-Verfilmungen fand 2009 ihren sicherlich nur vorläufigen Abschluss mit Heiligendamm, "Nach der Erzählung 'Der Kleiderschrank' von Thomas Mann", verantwortet von Michael Blume, Jahrgang 1960, dem bisher jüngsten unter den deutschen Verfilmern Thomas Mann'scher Romane und Erzählungen. Blumes Kurzfilm nimmt innerhalb dieser Geschichte und ihrer filmästhetischen Weiterungen eine besondere Stelle ein. Im Gegensatz zumal zu den deutschen Verfilmungen bricht er radikal mit dem Gebot der Werktreue. Mit anderen Worten und positiv gewendet, löst er den verfilmten Text aus dessen historischem Kontext heraus, um ihn aufs Hier und Heute hin zu aktualisieren. Er versetzt die Handlung in die Zeit und an den Ort seiner Entstehung.
Die Versetzung hat einerseits zur Folge, dass der Film dem liberalen Zeitgeist seiner Gegenwart desto leichter Rechnung tragen kann. Dazu, das wird sich gleich zeigen, gehört ein kritisches Sensorium für Misogynie oder Homophobie, 'agism' und Rassismus. Andererseits reflektiert der Film den historischen Abstand, der ihn von der Entstehungszeit der verfilmten Novelle trennt. Wiederholt verweist er auf Ereignisse, die erst in dieses Intervall fielen. Gerade in solchen Referenzen erweist er sich als Ausnahme von einer bedenklichen Regel der deutschen Thomas-Mann-Verfilmungen - um insbesondere von den geplanten und realisierten Filmen Luchino Viscontis einmal ausdrücklich abzusehen.
Die deutschen Thomas-Mann-Verfilmungen zeichnen sich, wenn man so sagen darf, dadurch aus, dass sie einen bestimmten Aspekt der nationalen Geschichte systematisch ausblenden. Jüdische Figuren, wie sie auf Schritt und Tritt vor allem in Manns Frühwerk auftauchen, zu dem auch 'Der Kleiderschrank' zählt, wurden in den Verfilmungen in aller Regel als solche unkenntlich gemacht.
At the beginning of the 1970s, the literature in German language from Romania went through a radical process of change that transformed a largely epigonic and obedient literature into a dynamic, original and subversive one. The following paper analyses the context, the causes, and the mechanisms of this innovative period.
The search for footing can be thought of as an essential human experience. Joachim Wittstock’s essays published in the anthology Einen Halt suchen reveal not only the socio-political repercussions of this pursuit but also establish its phenomenology and morphology. In my paper I will focus on the link between the search for footing and the mortal condition, thus demonstrating how the true nature of this pursuit for existential stability and security can be understood as life’s aversion towards death.
Angestoßen und beschleunigt durch eine Reihe von Emanzipationsbewegungen, an deren Anfang der bürgerliche Liberalismus mit seinem Kampf um Gleichberechtigung und Rechtsgleichheit in einer noch zu schaffenden Staatsbürgergesellschaft steht, verändern sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in entscheidender Weise die Spielregeln politischer Theorie und Praxis. Die Vielfalt der sich in ganz divergenten Bereichen (Universitäten, Straßen, Fabriken, Literatur, Theater etc.) ereignenden und von jeweils unterschiedlichen Akteuren getragenen Interventionen macht es notwendig, sowohl liberale, demokratische, republikanische und frühsozialistische als auch konservative Positionen genauer innerhalb der zeitgenössischen religiösen, sozialen, philosophischen und staatstheoretischen Debatten über Institutionen, Gesetz, Recht und Ordnung zu verorten. Das setzt voraus, das Feld der Politik in seiner Heterogenität als eines komplexer Transfervorgänge - vom Sozialen ins Symbolische (Theorie) und vom Symbolischen ins Soziale (Praxis) - ernst zu nehmen und von hier aus die gewohnten Operationen der Unterscheidung (gute vs. schlechte Staatsform) und mit ihnen die Funktion und Bedeutung politischer Kunst noch einmal auf den Prüfstand zu stellen.
Nach wie vor ist die Geschichte der ästhetischen und auch der poetologischen Debatten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, was ihre Breite und Heterogenität angeht, ein blinder Fleck der Forschung. Das überrascht angesichts der Dynamik der Verschiebungen innerhalb der Paradigmata des Schönen nach 1800, die der erstarkenden Bedeutung des Sehens im Horizont medialer Formerweiterungen ebenso Rechnung trägt wie der philosophischen Ausrichtung der Phänomenologie, der wachsenden Bedeutung der Psychologie und auch dem steigenden Einfluss von wissenschaftlichen Ordnungen auf die Künste. Allenthalben verschaffen sich neue Konzepte des Schönen, der Kontinuität, der Brüchigkeit und der Kritik, des Verhältnisses von Idee und Realität, von Phänomen und System, von Erscheinung und Abstraktion Ausdruck und werden wiederum in Ästhetik 'betrachtet' und eingeordnet.
Der 1801 als Sohn eines Zuchthaus- und Leihbankverwalters in der fürstlichen Kleinresidenz Lippe-Detmold geborene Dramatiker Christian Dietrich Grabbe (1801-1836), neben Georg Büchner der heute unbestritten wichtigste Wegbereiter des modernen Dramas im frühen 19. Jahrhundert, als Visionär des Medienzeitalters und luzider Geschichtskritiker aber in seiner Zeit eben auch lediglich einer der vielen Autoren, die "ein Publikum nur in der Zukunft" (Bourdieu) haben sollten, bietet mit seinem ostentativ nach außen getragenen Antiklassizismus ein frühes Beispiel für die Positionierungskämpfe, die das sich herausbildende literarische Feld bestimmen und als solche überhaupt erst durch die Ausdifferenzierung des Literaturmarktes möglich wurden. Mit Grabbe, dem seine bürgerliche Existenz als Militärrichter (Auditeur) nicht genügte und der hinausstrebte in die Welt des Theaters, dem er in seiner Zeit aber als unspielbar galt, richten die folgenden Ausführungen die Aufmerksamkeit auf den Vormärz als historisch gesehen relativ offene Phase der Modernisierung, die sich im Rückblick als "Suchbewegung des Experimentierens" zwischen zwei relativ stabilen Literatursystemen darstellt: nämlich desjenigen der Goethezeit (das um 1830 relativ abrupt zusammenbricht) und dem des Realismus (in dem sich das System um 1850 restabilisiert). Die Klassifikationskämpfe, die nach Bourdieu das literarische Feld strukturieren, treten in dieser "'Labor'-Zeit", in der konträre Diskursformationen (Klassik, Romantik, Biedermeier, Vormärz) neben- und gegeneinander bestehen, besonders anschaulich zutage.
Das Moment der Opposition gehört zu den Grundmerkmalen des Exils, beschreibt aber nur einen Aspekt seiner – erzwungenen oder eben freiwilligen – Notwendigkeit, in der sich Schriftsteller und Künstler, Juristen und Handwerker, Juden und Christen zu allen Zeiten gleichermaßen begegneten. Im Übrigen bleibt zu beachten, dass ebenso wenig wie von einer einheitlichen liberalen Gegenbewegung zum Metternich'schen System in ganz Deutschland die Rede von einer nur annähernd geschlossen auftretenden Opposition im Vormärz sein kann; eine solche konnte sich unter den politischen Bedingungen der Nachkriegsära nicht herausbilden. Opposition im Vormärz erstreckte sich bis in die zwischen konservativer Orthodoxie und innerkirchlichem Liberalismus zerrissenen Kirchen hinein, in denen liberale Gegenströmungen wie die "Lichtfreunde" und die "Deutschkatholiken" das Staatskirchentum der Amtskirchen in Frage stellten und so von hier aus die Revolution vorbereiteten. Ebenfalls nur eine der vielen Facetten des Exils erfasst die Koppelung des Begriffs an die Literatur, auch wenn die Erfahrung von Verfolgung und Vertreibung die Geschichte des geschriebenen Wortes seit der Antike begleitet.
Mit Nachdruck hat der österreichische Dichter Nikolaus Lenau 1833 die Vorstellung zurückgewiesen, nach Goethe ließe sich keine Faust-Dichtung mehr schreiben, der Stoff habe in Goethes Werk seine letzt-, weil mustergültige Gestaltung gefunden. Der kategorische Ton, mit dem Lenau nur ein Jahr, nachdem der nachgelassene zweite Teil des Goetheschen 'Faust' erschienen war, damit das Projekt einer eigenen Faust-Bearbeitung verteidigt, dient der Klärung von Differenz; er ist dem Bemühen geschuldet, die ästhetische Autonomie des noch im Entstehen begriffenen eigenen Textes gegen den zu erwartenden Vorwurf des Nachzeitigen und Epigonalen zu verteidigen, kurz: das Besondere im scheinbar Vertrauten oder Ähnlichen des Sujets, die eigene, von Goethe abweichende Auffassungsweise des Stoffs ins rechte Licht zu rücken.
Im 15. Abschnitt seiner Aesthetik kommt Theodor Mundt auf den Humor als 'burleske Philosophie' zu sprechen. Als erster deutscher Ästhetiker hatte der von dem berühmt-berüchtigten Verbotsbeschluss des Bundestags vom 10. Dezember 1835 gegenüber dem sogenannten Jungen Deutschland hart getroffene Autor 1837 in seiner Abhandlung Die Kunst der deutschen Prosa systematisch die "zeitgemäße Stellung" der deutschen Prosa und damit deren Vorrangstellung gegenüber der Poesie begründet. [...] Richtete Mundt in dieser Abhandlung den Fokus noch auf die "Emancipation der Prosa", ist es in der Aesthetik nun "das Prinzip der Unmittelbarkeit" als "Philosophie der That". Mundt selbst spricht im Vorwort selbstbewusst von dem "von mir neu aufgestellte[n] Prinzip der Aesthetik". [...]
Patrick Eiden-Offe beginnt in "'Weisse Sclaven': Oder wie frei ist die Lohnarbeit? Freie und unfreie Arbeit in den ökonomisch-literarischen Debatten des Vormärz" mit einer Übersicht über die verschiedenen Reflexionsweisen freier und unfreier Arbeit in der Sozialtheorie des Vormärz: bei Weitling, bei Heß und im "Gesellschaftsspiegel". Es wird gezeigt, wie genau die verschiedenen Formen von Arbeit registriert werden, wie wenig aber auch noch eine präzise Begriffssprache für diese Phänomene existiert - die erst mit Karl Marx ausgearbeitet wird, der "Lohnarbeit" und "Kapital" als relationale Begriffe sowie als gesellschaftliche Formbegriffe entwickelt. Anknüpfend an die Kritik der New Labour History gelte es festzuhalten, dass bei der begrifflichen Klärung der Blick auf die historisch-empirisch im Vormärz oft noch ungeklärte Situation verloren geht, weshalb Marx etwa die Sklaverei seiner Zeit nicht als funktionales Komplement, sondern lediglich als Residuum überkommener Arbeitsverhältnisse deuten könne. Empirische oder theoretische Annäherungen an das Problem seien also notwendig mit Ausschlüssen und partiellen Blindheiten verbunden. In einer Betrachtung von Ernst Willkomms Roman "Weisse Sclaven" konstatiert der Autor, dass Willkomm in seinem Entwurf eines soziales Kontinuums von freier und unfreier Arbeit die funktionale Bezogenheit der verschiedenen Formen aufzeigt und dabei eine erstaunliche Hellsicht für globale Zusammenhänge beweist. Dies sei, so die These, allerdings allein im Medium Literatur möglich, indem die begriffliche Unschärfe produktiv gemacht und Zusammenhänge aufgezeigt würden, die theoretisch zum damaligen Zeitpunkt noch gar nicht eingeholt werden konnten.