830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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'Lokalformel' und 'Bürgerpatent' : Ausgrenzung und Zugehörigkeit in der Posse zwischen 1815 und 1860
(2002)
Die Veränderungen der politischen Landkarte in den Jahren 1789-1815 lassen von Jahr zu Jahr neue Grenzen entstehen, ehe mit dem Wiener Kongreß eine übersichtliche Neuordnung auf Dauer erreicht zu sein scheint. Dennoch hat die fünfundzwanzigjährige Fluktuation im deutschsprachigen Gebiet eine Krise der Orientierung hinterlassen, die sich auf Jahre hinaus in einer Begrenzung, um nicht zu sagen in einem Rückzug in die überschaubare Enge, ins Lokale, niederschlägt. Das sog. Biedermeier ist so verstanden worden, und in ihm wurde umstandslos das Genre - theatergeschichtlich gesehen - der Lokalposse festgemacht. Es fragt sich freilich, ob mit dieser Ernennung des Lokalstücks zum Leitgenre des Biedermeier das letzte Wort gesprochen ist oder ob auch eine weiterreichende Leitfunktion unter dem Gesichtspunkt des Vormärz zu diskutieren wäre. Daß das lokale Genre seine Bedeutung durch Grenzmarkierung gewinnt, legt es nicht automatisch auf ausschließlich regionale Faktoren fest, auch nicht auf solche, die als 'lokalpatriotisch' und damit im heutigen Verständnis des Wortes als überwiegend apolitisch aufgefaßt werden.
Nach der Befreiung des Konzentrationslagers Theresienstadt am 9. Mai 1945 fand die dort seit Februar inhaftierte Journalistin Eva Noack-Mosse eine kleine Anzahl von Gedichten und Gedichtfragmenten auf "Fetzen armseligen Papiers [...] meist mit Bleistift gekritzelt, vielfach durchgestrichen und verbessert, oft verlöscht und schwer lesbar." Sie wurden der dort am 19. April 1945 verstorbenen Kunsthistorikerin und Dichterin Gertrud Kantorowicz zugeschrieben und gehörten zu der "unübersehbaren Flut" von Versen, die sich laut Hans Günther Adlers monumentaler Geschichte von Theresienstadt über das Lager ergoss. Er sah in den meisten nur "ein einsames Gesellschaftsspiel mit sich selbst," denn noch "ein klapperndes Versmaß verspricht mehr Schutz und Bestand als das Fristen eines zerhämmerten und gnadenlosen Daseins." Geht man aber von der persönlichen Bekanntschaft der jungen Gertrud Kantorowicz mit Stefan George und den hiermit verbundenen lange nachwirkenden Anregungen aus und wird ferner berücksichtigt, welche Rolle im George-Kreis die Antike-Rezeption gespielt hat, so ist es nicht mehr so verwunderlich, dass die meisten Theresienstadt-Gedichte Kantorowicz' in antikisierenden Versformen und im hohen Stil gehalten sind; das ist nicht nur eine unerhörte Verfremdung der herabziehenden und demütigenden Lagererfahrung, sondern auch ein Sich-Erheben über Schmutz, Gewalt und Ungeist, eine ganz persönlich geprägte poetische Selbstbehauptung und Widerstandshandlung. Diesen Zusammenhängen soll im Folgenden nachgegangen werden.
This paper presents a contrastive analysis of auto- and hetero-stereotypes of Bosnians and Germans. The analysis is based on data collected from respondents choosing from a list of 140 characteristics. The anonymous online questionnaire asked respondents to identify those characteristics that they considered to be connected with their own culture or with the other culture, and to give their reasons for their choice (in the case of the most important characteristics). The analysis based on this data reveals how Germans and Bosnians perceive themselves and each other. It also enables the compilation of a list of stereotypes based on the most frequently identified characteristics, which can be used as a basis for further analysis and interpretation. This first analysis is intended as a foundation for future analyses of ethnic stereotypes among Germans and ethnic groups in the western Balkans: Bosnians, Serbs and Croats.
Dieser Aufsatz leistet einen Beitrag zur Erforschung des Reisehandbuchs von weiblichen Autorinnen. Spezifisch bezieht sich Karin Baumgartner auf das Werk von Helmina von Chézy, die zwischen 1816 und 1833 zwei Reisehandbücher herausgab. Zur Diskussion steht hier die These von Irmgard Scheitler, die sagt, dass Reiseliteratur von Frauen das weibliche Schreiben thematisiert und als ein autobiographisches Dokument mit hohem Authentizitätsanspruch gelesen werden muss. Die Reisehandbücher Chézys widerlegen eine solche These jedoch, da es sich bei diesen um Auftragsarbeiten handelt, die vor allem aus finanziellen Gründen geschrieben wurden und die Autorin als professionelle Schriftstellerin zeigen. Die subjektiven Erfahrungen, die in Chézys Reisehandbüchern prominent verarbeitet werden, haben nicht die Aufgabe das eigene weibliche Schreiben zu thematisieren, sondern erlauben dem Leser eine authentisch-individuelle Reiseerfahrung durch die Identifikation mit der Erzählerstimme. Die Reisehandbücher Chézys lehren den Leser, eine präformierte als eine subjektive Erfahrung zu erleben und tragen damit zu einer radikalen Abwendung der Gattung von der Apodemik - und zu deren Modernisierung - bei.
Karin Baumgartner diskutiert Strategien zur Bewältigung der adligen Legitimationskrise nach den preußischen Landreformen und gegenüber einem bislang unbekannten Rechtfertigungsdruck, der aus einer finanziell oftmals prekären Lage resultierte und seitens eines Bürgertums ausgeübt wird, das als produktive und staatstragende Klasse auf den historischen Schauplatz drängt. Als Gegner des Smithschen Liberalismus und vor allem der französischen Freiheitsdoktrin verteidigt der romantische Staatstheoretiker Adam Müller dabei das positive Recht als organisch gewachsene Institution, deren abrupte Veränderung zugunsten einer entfesselten frühkapitalistischen Produktivität die tradierte natürliche Balance zwischen gewerblichem und landwirtschaftlichem Sektor störe und umstürzlerische Auswirkungen nach sich ziehen könne. Müller sei der Erste, so Karin Baumgartner, der Klasse und Geschlecht aneinanderkopple und damit "Caroline Fouqué Argumente liefert, um die Legitimationskrise des Adels in ihren Romanen als männlich-weibliche Beziehungskrise zu verarbeiten." Gegen den bürgerlichen Vorwurf der Unproduktivität führe Adam Müller darüber hinaus einen "Geist" und eine "Tradition" als allein durch den Adel einzubringende ideelle Ressourcen ins Spiel, die letztlich Stabilität des Gemeinwesens garantieren könnten.
"Es war die Zeit des 'Bubikopfes', es war die Zeit des 'kurzen Rockes', der 'fleischfarbenen Strümpfe', es war die Zeit der fortgelaufenen Söhne und entführten Töchter, es war die Zeit, da die Vaterländer, statt Gut und Blut von ihren armen Teilnehmern zu fordern, wie in den mörderischen Jahren 1914-1918 (da man fürs Vaterland nicht nur sterben durfte, sondern auch morden mußte), sich mit dem Hab und Gut der dem Weltkrieg entronnenen Steuersubjekte zufrieden gaben, es war die Zeit, da die Radiowellen, […] täglich dichter und dichter den Erdball umspülten, ein Wellenbad, dessen Wirkung auf die Konstitution des Patienten damals noch ganz ungewiß war, es war die Zeit des ersten Zeppelinfluges über den Atlantischen Ozean, die komische Zeit, da die 'Vereinigten Staaten von Europa' noch Utopie schienen und als Phantasie idealistischer Träumer von den sogenannten Realpolitikern belächelt wurden […]."
So stellt sich der 1927 in Berlin erschienene Jazz-Roman von Hans Janowitz einen Rückblick auf die zwanziger Jahre vor. Dieser beispiellos dichte Auftakt der Geschichte über "Lord Punchs Jazz-Band-Boys" vermittelt einen Eindruck der Vielschichtigkeit des Romans, dessen erklärtes Ziel es ist, die Gesetze der Jazzmusik auf die Literatur zu übertragen. Die Handlung hier kurz zusammenzufassen, kommt also dem Versuch gleich, ein Stück Jazzmusik in Worten zu erläutern.
Das unaufhaltsame Vergehen verleiht der Gegenwart noch nicht erhöhten Glanz, vielmehr übersteigt es alles Sinnhaltige, wirkt lähmend und mündet in das Wortlose. Im Entstehungsjahr der Terzinen verzeichnet das Tagebuch am 26. November 1894: "Heute war […] Schnee, dann taute es und war Kot und ein Wind, wie im März. 'Mein Frühling', sagte ich vor mich hin und hatte fast bis zum Weinen das Bewusstsein der Vergänglichkeit des Lebens." Ohne Lebensgeschichtliches ungebührlich hineinzuziehen oder gar für die Dichtung selbst zu überfordern, verdient berücksichtigt zu werden, dass Hofmannsthal wenige Wochen vor Niederschrift dieser Terzinen menschliches Vergehen in überaus persönlicher und angreifender Nähe wahrnehmen musste, den Tod der hochverehrten Josephine von Wertheimstein; diese Erfahrung bestätigte sein beklommenes Ahnen, ließ ihn zutiefst erleiden, "wie viel unendliche Schönheit da für immer weggegangen […] Es war schon […] früher so grauenhaft, sie zu sehen; ihre edle, großartige Schönheit war in etwas Schattenhaftes, Verblichenes, Hilfloses verwandelt […]". Diese Erscheinung, schon zuvor "Symbol für unzählige Dinge", blickt auch aus den Terzinen hervor.
Webportal Polyphonie. Mehrsprachigkeit_Kreativität_Schreiben http://www.polyphonie.at
Das Webportal Polyphonie. Mehrsprachigkeit_Kreativität_Schreiben ist 2012 aus dem gleichnamigen Forschungsprojekt entstanden, das 2009 von einer Gruppe von ForscherInnen aus Italien und Österreich ins Leben gerufen wurde. Das Projekt untersucht die vielfältigen Zusammenhänge zwischen Mehrsprachigkeit und Kreativität im Schreiben systematisch und aus interdisziplinärer Perspektive. Es setzt sich zum Ziel, den mehr oder weniger stringenten Zusammenhang von individueller oder gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit und Kreativität im Allgemeinen bzw. literarischer Kreativität im Besonderen zu erforschen.
This paper aims to reveal the relevance of a so far neclected essay, written by Petru Dumitriu in German and originally published in 1965. This essay discussed the situation of the novel and argue against some shortcomings in contemporary conceptions of literature.
Thomas Mann und Otto Dix hätten die Kriegsjahre von 1914 bis 1918 nicht unterschiedlicher erleben können: Der Schriftsteller Mann, der mit 25 schon nach kurzer Zeit wegen eines Plattfußes und einer Sehnenscheidenentzündung aus dem Pflichtwehrdienst entlassen wurde, meldete sich 1914 zum Landsturm, wurde aber 1916 endgültig wegen Magenproblemen und Nervosität für untauglich erklärt und war so nie an der Front. Der Künstler Dix hingegen wurde als Ersatz-Reservist schon drei Wochen nach Kriegsausbruch zur Ausbildung eingezogen und kämpfte von September 1915 bis zum Kriegsende an der West- und Ostfront. Als Schütze und Führer eines Maschinengewehrzuges stand er dabei immer an vorderster Front.
Während der Kriegsjahre und der Weimarer Republik spielten der Konflikt und seine Auswirkungen auf die deutsche Gesellschaft eine zentrale Rolle in den Werken von Dix und Mann. Ein Vergleich von Dix' Triptychon 'Der Krieg' (1928-1932, Staatliche Kunstsammlungen Dresden) und der Kriegsszene am Ende von Manns Roman 'Der Zauberberg', die der Autor erst kurz vor dessen Veröffentlichung 1924 schrieb, zeigt, dass die beiden Werke sowohl in der Motivik als auch in dem die Darstellungen bestimmenden Verständnis von Krieg als einem Phänomen der menschlichen Existenz übereinstimmen. Beide Werke werden gewöhnlich als realistische Schilderungen der grausamen, entindividualisierenden und entmenschlichenden Kräfte des Krieges verstanden.
Das Problem der künstlerischen Persönlichkeit wird im Rahmen der Musikästhetik besonders um 1800 zum Thema einer heftigen Diskussion. Schon längst spielte sich der Diskurs auch auf dem Gebiet anderer Disziplinen ab, wie z. B. der Philosophie, der erwähnten Thematik ist jedoch auch ein soziologischer Aspekt kaum abzusprechen. Dazu kommt die Germanistik, um diese Problematik zusammenzufassen und in den breiteren Kontext der romantischen Literatur einzusetzen. In den fiktiven Biografien vom Flötisten Andreas Hartknopf (K. Ph. Moritz) und vom Kapellmeister Joseph Berglinger (W. H. Wackenroder und L. Tieck) wird ein in dieser Zeit nach der künstlerischen Autonomie strebender Künstler dargestellt. Diese Studie zeigt, in welchen Punkten der Weg zur eigenen Ausdruckweise bei beiden fiktiven Musikern übereinstimmt und wo er unterschiedlich ist.
Ende mit Schrecken : Arnold Zweigs "Judenzählung vor Verdun" als Bild aufgeschobener Identität
(2008)
Ein Schriftsteller, dessen gesamtes Werk zwischen der Beschäftigung mit Antisemitismus einerseits und der Reflexion über den richtigen Weg des Zionismus andererseits pendelt, ist Arnold Zweig. Zweig gehörte in der alten Bundesrepublik nicht zu den bekanntesten deutsch-jüdischen Autorinnen und Autoren, doch finden sich (gerade deswegen) in seinem umfangreichen essayistischen und literarischen Werk von der literaturwissenschaftlichen Forschung noch ungehobene Schätze. Eine besonders bedeutsam funkelnde Vignette stellt der zweieinhalbseitige poetische Text mit dem Titel "Judenzählung vor Verdun" dar, der am ersten Februar 1917 in der Wochenzeitschrift 'Die Schaubühne' erscheint. In ihm konkretisiert sich die abstrakte Eingangsfrage auf emblematische Weise. In einem ersten Teil möchte ich hier den historischen und geistesgeschichtlichen Kontext von Zweigs Text aufrollen, bevor ich in einem zweiten Teil zu einer genauen Lektüre komme.
Unter der Leitung der Ege Universität und der Beteiligung der Universität Paderborn, Istanbul und Hamburg fand vom 14. bis zum 16. November 2017 die erste internationale/kooperative Vierer-Tagung im Rahmen der Germanistischen Institutspartnerschaft an der Ege Universität in Izmir statt. Wissenschaftler und Interessierte reisten aus verschiedenen Städten wie Istanbul, Ankara, Eskişehir, Berlin, Paderborn, Hildesheim und Hamburg für die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) geförderte GIP Tagung an und leisteten mit gebiets- und themenbezogenen Vorträgen einen besonderen Beitrag dazu, eine international sehr vielschichtige Plattform entstehen zu lassen, die mehr als nur den literaturwissenschaftlichen Austausch ermöglichte
Literatur- und Fremdsprachendidaktik : zur Rolle des Theaters im Deutschunterricht in Burkina Faso
(2017)
Die Verwendung der Belletristik im Fremdsprachenunterricht trägt dazu bei, sprachliche und kulturelle Kompetenzen zu erwerben. Da die Sprechfertigkeit eine der sechs Grundkompetenzen im DaF-Unterricht ist, ist ihr Erlernen eine grundlegende und unverzichtbare Aufgabe im Fach "Deutsch als Fremdsprache" in und außerhalb Deutschlands. Deshalb versucht dieser Aufsatz, die Potenziale des Theaters auszuloten, um diese Grundkompetenz bei den Deutschlernenden in Burkina Faso zu entwickeln. Es geht also darum, die Möglichkeiten des Theaters als literarische fiktionale Gattung beim Spracherwerb der burkinischen Deutschlernenden zu bestimmen. Darüber hinaus wird dargestellt, inwiefern ein Theaterstück in einer "classe de première" bzw. einer 11. Klasse Unterrichtsgegenstand sein sollte und literaturdidaktisch aufbereitet werden kann. Dafür werden Theorien und Methoden der Theaterdidaktik sowie der rezeptionsästhetischen Literaturdidaktik verwendet und an einem Beispiel illustriert.
Le texte part d'une réflexion sur le rapport immanent aux paroles entre les termes "local" et "global", puisque chaque mot occupe un lieu particulier dans une phrase tout en participant de la nature transmissive de la communication. De plus, chaque phrase dite véhicule un sens qui présuppose un dire en acte qui, lui, ne saurait être dit. L'attention qui réunit ces deux modalités linguistiques qualifie entre autres le langage poétique, lequel ouvre sur une temporalité non-chronologique et une spatialité qui rend compte de l'espace entre les langues, domaine propre à la traduction. Les technologies digitales, notamment l'internet, sont en mesure de réaliser le rêve utopique d'une communication immatérielle. Ainsi entrent-elles dans une certaine mesure en concurrence avec la poésie (voire p.ex. le mythe d'Orphée ou "la Divine Comédie"). Avant de procéder à une analyse d'un poème du poète autrichien Franz Josef Czernin, dans laquelle Baschera se penche sur la différence entre ces deux approches, il attire l'attention sur celle existant entre les termes de globalisation et mondialisation.
Albrecht von Haller zählt bekanntlich zu den wichtigsten Vertretern aufklärerischer Lehrdichtung; in vielen seiner Gedichte, beispielsweise den Alpen, verficht er Ideale aufklärerischer Kunst- und Sprachauffassung wie Klarheit, Eindeutigkeit, Ordnung oder das Primat der didaktischen Wirkungsabsicht. Und doch zeigen einige seiner Texte auch den Gegendiskurs dazu: massive Zweifel am aufklärerischen Vernunft- und Sprachoptimismus, was schließlich zu „Hallers dichterische[m] Verstummen“ führt. Die Haller-Forschung erklärte die ‚lyrische Krise’ des Autors insbesondere mit dessen biographischer Situation: mit privaten Schicksalsschlägen, den Sprachproblemen des „Bärndütscher[s]“, der Spannung zwischen der rational-empirischen Wirklichkeitswahrnehmung des Wissenschaftlers sowie der emotional-religiösen des gläubigen Calvinisten oder mit Hallers Selbstverständnis als Dichter. Sein Interesse gilt weniger ästhetischen Problemstellungen als vielmehr naturwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen, die er mit seiner Lyrik zu vermitteln hofft.
Schiller hatte um 1800 ein Problem, das vor kurzem wieder aktuell war. Wann beginnt das neue Jahrhundert: am 1. Januar 1800 oder am 1. Januar 1801? Schiller war sich entweder nicht wirklich sicher oder löste die Frage pragmatisch: er empfing das neue Jahrhundert einfach zweimal. So schrieb er, nachdem er den Silvesterabend bei Goethe verbracht hatte, am 1. Januar 1800 an diesen: „Ich begrüße Sie zum neuen Jahr und neuen Seculum“. Ein Jahr später, im Januar 1801, „begrüßte“ er mit denselben Worten gleich noch einmal „zum neuen Seculum“, diesmal Körner und Cotta. Um dasselbe Problem geht es in Kotzebues „Posse in Einem Akt“ Das neue Jahrhundert.
Als Friedrich Schiller 1790 seine Rezension über Bürgers Gedichte schrieb, kritisierte er nicht nur einen populären Lyriker, sondern lieferte zugleich einen Schlüsseltext für sein Verständnis „der lyrischen Dichtkunst“ (NA 22, 245), sofern ein solches Selbstbewußtsein als Lyriker bei ihm überhaupt existierte, wie Käte Hamburger zu bedenken gab. Hier äußerte er jedoch nicht nur seine Forderungen nach „Vereinigung“ der „getrennten Kräfte der Seele“ (NA 22, 245) und nach „Idealisierung, Veredlung“ der dichterischen Individualität (NA 22, 253), er setzte sich nicht nur indirekt mit seiner eigenen Jugendlyrik auseinander, in dieser Besprechung manifestiert sich vielmehr auch Schillers Verhältnis zu lyrischen Traditionen und dichtenden Zeitgenossen, wenn er über ‘die lyrische Dichtkunst’ schreibt
Die Geschichte von der schönen Tochter des Troerkönigs Priamos, die der Gott Apoll begehrte, fesselt seit der Antike die Leser, besonders jene, die der Stofftradition eine eigene Bearbeitung hinzufügten. Das Faszinosum Kassandra liegt sicherlich in deren Wohlgestalt und Weisheit einerseits und in ihrem Leid andererseits begründet: die Gabe, die Zukunft schauen zu können, erhält sie von Apoll. Kassandra löst jedoch die versprochene Gegenleistung – eine Liebesnacht mit dem Gott – nicht ein, woraufhin Apoll sie dadurch bestraft, dass niemand ihren Weissagungen Glauben schenken wird. Auch das Ende der Warnerin ist bekanntlich ein tragisches: obwohl sie die Eroberung Trojas vorhergesehen hat, kann sie diese nicht verhindern, wird von Agamemnon nach Mykene verschleppt und stirbt dort durch die Hand der eifersüchtigen Klytämnestra.
Heinrich von Kleists Modernität wurde mittlerweile zum Topos der literaturwissenschaftlichen Forschung; übernimmt das Werk dieses Autors doch häufig katalysierende Funktionen. Es konzentriert und extremisiert die ästhetischen wie kulturellen Krisenphänomene seiner Zeit und verweist dadurch mitunter auf narrative Techniken des 20. und 21. Jahrhunderts. Um so mehr verwundert es, daß einem Phänomen in den Texten Heinrich von Kleists bislang kaum Beachtung geschenkt wurde, dem in der ästhetischen Diskussion um 1800 eine Schlüsselposition zuzuweisen und das zu den Kennzeichen der Moderne zu rechnen ist: das Groteske.