830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Bei den alljährlichen Fastnachtsumzügen der Stadt Esslingen reitet unter den die Vergangenheit repräsentierenden Figuren auch eine schwarzgelockte Gestalt in Generalsuniform, mit Federhut und Stulpenstiefeln. Sie stellt Ezéchiel Graf von Mélac dar, einen der im südwestlichen Deutschland gefürchtetsten Generale Ludwigs XIV. Um diese, im Gedächtnis der Esslinger einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassende Gestalt hat sich im Laufe der Zeit eine Legende gebildet, die sich zu einer fest umrissenen Sage verdichtet hat. Während des 18. und 19. Jahrhunderts hat die Sage verschiedene literarische Adaptionen erhalten. Der folgende Beitrag versucht aufzuzeigen, in welchem Maße die Entstehung der Sage und ihr literarisches Fortleben unabhängig von der historischen Realität, und in welchem Grade ihre Ausprägungen den jeweils herrschenden Ideologien unterworfen waren.
Psyche und Bewußtsein, Ausdruck und Gestik, Sprache und Bild – diese drei Aspekte eines Sachkomplexes rückten im Zeichen eines neuerwachten Interesses an Anthropologie, Körpersprache und Metaphorik in den letzten Jahren verstärkt ins Blickfeld. Eine Untersuchung der Metaphern, die affektische Regungen versprachlichen, muss demnach verschiedene Ebenen berücksichtigen. Auf der ersten Ebene liegt der Bereich der psychischen Bewegungen. Was sich im Bewusstsein oder im Unterbewusstsein ereignet und in Form von - kalkulierten und emotionalen - Handlungen äußert, scheint ein Resultat bestimmter Hirnfunktionen zu sein, wie die Hirnforschung der letzten Jahre deutlich machen konnte. Auf einer zweiten Ebene sind die Ausdrucksformen des Bewusstseins angesiedelt. Mit ihnen hat sich außer der modernen Psychologie schon immer die Disziplin der Mimik und Gestik beschäftigt, weniger aus erkenntnistheoretischen Gründen, als vielmehr aus pragmatischen Interessen. Der gesellschaftliche Aspekt findet sich in der das weltkluge Handeln lehrenden Wissenschaft von der "Politik" und deren Ausläufern, den Benimmbüchern; der künstlerische Aspekt in der Schauspielkunst, die sich mit dem Komplex körperlichen Agierens auseinandergesetzt hat und den werdenden Mimen konkrete Anweisungen erteilt, wie am eindrucksvollsten Schmerz und Freude, Hass und Liebe pantomimisch ausgedrückt werden könne – im Bund mit oder an Stelle von sprachlicher Handlung. Auf einer dritten Ebene, der Ebene der Zeichen, befindet sich das Arsenal der sprachlichen Mittel, mit denen die Ausdrucksformen literarisiert werden. Es handelt sich dabei um ein festumgrenztes Bild- und Metaphernrepertoire zur Benennung bestimmter Ausdrucksformen, das in gesellschaftlichen Konventionen steht und in ritualisierter Weise zur Anwendung kommt. In der Literatur freilich werden diese Konventionen erweitert oder durchbrochen; das macht ihren "Mehrwert" gegenüber der ritualisierten Alltagssprache aus. Metaphern sind konzentrierte Semantik, und insofern vermag ihre Analyse auch über historische Mentalitätsprozesse Aufschlüsse geben.
Mit dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und Caroline Flachsland besitzen wir ein Dokument, das eine Fülle von Einsichten in die Psyche zweier komplexer Persönlichkeiten bietet, der nicht zuletzt wegen der Umbruchsituation, in der sich beide Briefschreiber sowohl nach ihren privaten Umständen als auch nach ihrer geistigmentalen Orientierung befanden, von Interesse ist. „Der Briefwechsel zwischen Herder und Caroline mit seiner Gefühlsbetontheit und seinem seelischen Auf und Ab“, so befindet der Herderbiograph Friedrich Wilhelm Kant-zenbach, „gehört zu den reizvollsten der deutschen Geistesgeschichte. Man nimmt tiefen Anteil an dem Empfinden des zwanzigjährigen Mädchens, das über des Freundes schulmeisterliche Glossen verdrossen ist und nicht einsieht, weshalb der geliebte Mann zögert, das Jawort zu sprechen.“ Bevor eine Reihe dieser Aspekte näher beleuchtet werden kann, ein Blick auf die biographische Situation der Briefschreiber.
Mit "Inbrunst im Herzen" reiste Richard Wagners Tannhäuser nach Rom. Jedoch "verschlossnen Augs, ihr Wunder nicht zu schauen, durchzog <er> blind Italiens holde Auen." Der Pilger Tannhäuser folgte langbewährter Sitte. Wie die Geschichte des Reisens, die Apodemik, lehrt, hat es im Laufe der Jahrhunderte sehr unterschiedliche Arten des Reisens gegeben. Im Mittelalter waren es Pilger und Ritter, die aus religiösen oder politischen Gründen die beschwerliche und gefahrvolle Romfahrt auf sich nahmen und sich den Teufel um Kunst und Land und Leute scherten. Erst im 17. Jahrhundert wandelte sich die Motivation. ...
Der Ratgeber ist „ein Seitenstück zur Kunst mit Männern glücklich zu seyn“. Das Kapitel „Die Karakteristik des Geschlechts“ fasst die Geschlechterphilosophie der Zeit um 1800 schlagwortartig zusammen. Der Zusatz „nach Göthe“ etc. verweist, wohl in spekulativer Absicht, auf bekannte Autoren, deren Werken die Maximen entnommen sein sollen. Bei dem vorliegenden Exemplar handelt es sich um einen Nachdruck des im Verlag Oehmigke in Berlin 1800 mit fünf Kupfertafeln erschienenen Werkes. Der Nachdruck enthält ein eigenes Titelkupfer. Das Werk liegt in der Originalausgabe als Mikrofiche in der „Bibliothek der deutschen Literatur“ (Mikrofiche-Ausgabe, München: Saur 1990-94) vor. Im Folgenden werden wiedergegeben: Titelkupfer und Titel mit Vignette, Inhaltsverzeichnis, Erklärung des Titelkupfers und der Vignette, Einleitung: Die Karakteristik des Geschlechts.
Der Beischlaf : eine phisiologische, historische und philosophische Darstellung ; dritter Theil
(2008)
Ich möchte den Gemeinsamkeiten wie den Differenzen beider Texte nachgehen und aus ihrem Spannungsverhältnis die "Welt" der Venetianischen Epigramme charakterisieren. Zunächst stelle ich vergleichend einige der Prosa und den Epigrammen gemeinsame Themen und Motive vor und suche ihre poetischen Versionen zu analysieren. In einem zweiten Punkt wird sich zeigen, daß Goethe nicht nur zu äußerst gewagten erotisch-sexuellen Themen neigt, sondern diese auch ganz bewußt im unteren sozialen Milieu des "Volks" ansiedelt. Erklärungen dafür kann – drittens – ein Blick auf Goethes Reaktion auf die im Vorjahr 1789 statt-gefundene Französische Revolution bieten und – viertens – zu dem Ergebnis führen, daß auch in seinem Inneren sich eine "Revolution" ereignete, die ihn zu dieser Zeit in Verwirrung und Irritation brachte. "Verwirrung und Irritation" sind wiederum Momente, die auch sein Venedig-Erlebnis vier Jahre zuvor, 1786, prägten. Unterschiedlich jedoch ist deren literarische Behandlung: Erfolgt im Tagebuch der italienischen Reise – das wäre ein fünfter Punkt – ein Ordnungs- und Orientierungsprozeß, so bleibt in den Venetianischen Epigrammen – sechstens - die Turbulenz bestehen, und gerade sie erweist sich als poetisch produktiv. Sie läßt sich – siebtens - generell als "Grenzüberschreitung" definieren, deren poetischen Niederschlag ich in einigen zentralen Bereichen verfolgen möchte, um abschließend in einem achten Punkt nach gemeinsamen Strukturmerkmalen der Venetianischen Epigramme zu suchen. Da Besonderheit und Reiz des ganzen Zyklus aus Goethes Befindlichkeit im Jahre 1790 resultieren, zitiere ich die handschriftliche Urfassung aus dieser Zeit und nicht die abgemilderten und geglätteten Versionen von 1795 und 1800.
Es [war] schon immer ein Wertungskriterium für Kunst, ob es ihr gelänge, Natur so darzustellen, daß diese Künstlichkeit dieser zweiten, künstlichen Natur darüber vergessen wird. Hier aber, und darauf kommt es mir an, wird solche künstliche Natürlichkeit mit dem Konzept der Volkspoesie in Verbindung gebracht. Ich möchte mich bei diesem Problem ein wenig aufhalten und Bürgers Ballade in diesen Zusammenhang – Entstehung der Kunstballade und der Volkspoesie-Konzeption – einordnen. Dann werde ich etwas genauer auf "Die Entführung" selbst eingehen.
Ziel der folgenden Ausführungen ist es, Hölderlins Verarbeitung des Fichteschen "Wechsel"-Begriffs sowohl in seiner Tragödientheorie wie auch in der Tragödie selbst kenntlich zu machen. Ausgehend von Fichtes philosophischer Konzeption ist zunächst zu zeigen, in welcher Weise Hölderlin die ‚Wechselwirkung’ im Grund zum Empedokles poetologisch funktionalisiert. Vor diesem Hintergrund soll danach die dichterische Umsetzung der "Wechselwirkung" im Tod des Empedokles verfolgt werden.
Die hier vorgeschlagene Neuzuschreibung der Nachricht über Tischbeins berühmtes Goethe- Porträt an Aloys Hirt erlaubt es nicht nur, die durch die bisherige Zuschreibung bedingten Widersprüche in der Biographie Ludwig Philipp Stracks aufzulösen, die in der Kunstgeschichte immer wieder für Verwirrung gesorgt haben. Tatsächlich dürfte Strack wohl erst im Jahre 1789 gemeinsam mit dem Landschaftsmaler Friedrich Christian Reinermann (1764-1835) nach Italien gereist und mit Tischbein erst im Jahre 1790 in Neapel zusammengetroffen sein.23 Mit der Neuzuschreibung wird zudem ein wichtiger Quellentext der Kunst- und Literaturgeschichte des Klassizismus einem Verfasser wiedergegeben, der von der Forschung lange Zeit vernachlässigt worden ist, von Goethe jedoch trotz „oftmaliger verschiedener Meinung” zeitlebens geschätzt wurde. In einem Brief vom 12. August 1827, in dem er sich bei Hirt für die Übersendung der letzten Bände von dessen Geschichte der Baukunst (Berlin 1827) bedankt, läßt Goethe seinen ehemaligen Cicerone wissen: „Nun erinnert mich das übersendete Werk aufs angenehmste an gemeinsamen Eintritt in das Kunstgebiet; es giebt Zeugniss von fortwährendem parallelen Handeln und Bemühen, von convergirendem und begleitendem Thun und Wirken”. Ein Werk mit vergleichbarem Zeugnischarakter ist auch die 1787 verfaßte Beschreibung von Tischbeins berühmtem Gemälde Goethe in der Campagna di Roma, die am Anfang einer mehr als vierzigjährigen Bekanntschaft steht und zugleich, gemeinsam mit dem Verzeichniß der bekanntesten jetztlebenden Künstlerin Rom, als der früheste handschriftlich überlieferte Text Hirts gelten muß.
Romantische Ausgelassenheiten : demonstriert an Clemens Brentano ; das Märchen von dem Dilldapp
(2003)
Was Novalis seinen Lesern in dieser wie ein Fanal der Sehnsucht und der Rückkehr klingenden Exposition vor Augen führt, ist das Bild eines Kontinents, dessen Homogenität durch die gemeinsame Religion und die Weisheit der geistlichen Führer gestiftet wird. Eine wahre Steilvorlage für heutige Verfechter eines Vereinigten Europa auf der gemeinsamen Basis genuin christlicher Werte. Doch hält dieser geschichtsphilosophische Essay wirklich, wofür er im aktuellen Europadiskurs vereinnahmt wird? Lassen sich diesem frühromantischen Zeugnis aus der Zeit an der Schwelle zum 19. Jahrhundert Impulse abgewinnen, die am Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer Präzisierung der strittigen Unbestimmtheit einer europäischen Identität beitragen können? Gibt es triftige Gründe dafür, weshalb Europapolitiker noch heute Novalis lesen sollten? Oder müssen wir nach eingehender Prüfung doch von einem „unnützen“ Aufsatz sprechen, wie dies der ungekrönte König der Romantik, Ludwig Tieck, bereits 1837 unverblümt getan hat? Solche Fragen zu erwidern, soll in einem ersten Schritt zunächst die Struktur des Textes nachgezeichnet werden, um zu verdeutlichen, wie Novalis darin die abend-ländische Geschichte triadisch als Heilsgeschichte entwickelt. Dem τέλος dieser Heilsgeschichte widmet sich dann der darauffolgende Abschnitt, ehe abschließend der von Novalis genannte „Zauberstab der Analogie“ auch mit Blick auf unsere Gegenwart angewandt werden soll, um nach der Relevanz dieses romantischen Refe-renztextes für den aktuellen Europadiskurs zu fragen.