830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Die Epoche des Vormärz ist von einer Intensivierung staatlicher Geheimdiensttätigkeit sowie einer Professionalisierung und Institutionalisierung der staatlichen Überwachungs- und Zensurbehörden gekennzeichnet. Die in dieser Zeit sich herausbildenden Kontrolltechniken und -strukturen bildeten die Grundlage für spätere Überwachungsregime. Es war eine Zäsur für die deutsche Geschichte generell und für die Geschichte der deutschen Inlandsspionage im Besonderen. Von 1833 bis 1842 wurden die Ermittlungen des Deutschen Bundes gegen politisch Andersdenkende durch die Bundeszentralbehörde in Frankfurt am Main und das Mainzer Informationsbüro durchgeführt; in Preußen wurde 1833 die zweite Ministerialkommission ins Leben gerufen, die bereits 1819 bis 1828 aktiv gewesen war und sämtliche "politischen Umtriebe" in Preußen überwachte. [...] Die staatlichen Überwachungsapparate funktionierten nur mit Hilfe von zahlreichen beteiligten Menschen: von hohen Ministerialbeamten über Polizeibeamte bis zu informellen Zuträgern, die unter vielen Namen bekannt sind - Konfidenten, Informanten, Agenten, V-Leute, Spitzel. Über die Biographien und die konkreten Tätigkeiten dieser untergeordneten Akteure liegen bislang nur verstreute Forschungen vor. Der vorliegende Aufsatz stellt einen von ihnen vor - den Literaten und geheimen Informanten Joel Jacoby. Joel Jacoby (1811-1863) war eine der berüchtigtsten Figuren des Vormärz. Um sein Leben und Wirken als preußischer Spitzel rankten sich schon zu Lebzeiten zahlreiche Legenden. Doch bislang gab es nur wenig gesichertes Faktenwissen darüber, worin sein geheimdienstliches Wirken eigentlich genau bestand. Neu aufgefundene Geheimberichte, die Jacoby an die preußischen Überwachungsbehörden sandte, erlauben nun erstmals Einblicke in seine Tätigkeit. Jacobys Berichte stellen einen Schatz sowohl für die Erforschung seiner Biographie als auch des Geheimdienstwesens im Vormärz dar. Ich gebe im Folgenden einen ersten Überblick über die Berichte aus der Frühzeit von Jacobys Spitzeltätigkeit. Sie führen vor Augen, wie umfangreich, akribisch, aber auch widersprüchlich die Arbeit eines Agenten sein konnte, der die Rollen eines Verfolgers und Verfolgten, eines Spitzels und Schriftstellers in seiner Person vereinte. Es wird sich zeigen, welch großen Stellenwert Literatur und Presse für die Agententätigkeit hatte und wie sehr die Berichte an dem jeweiligen Empfänger ausgerichtet waren.
Charles Cros, Erfinder technischer Reproduzierbarkeit von Wahrnehmung in Nachmärz und Moderne
(2023)
Charles Cros (1842-1888) verkörpert den Weg der französischen Lyrik von der Spätromantik über Parnass und Symbolismus zur Moderne in überraschender Dichte, anders, aber nicht weniger typisch als Verlaine, Rimbaud und Mallarmé. [...] Die naturwissenschaftlichen Erfindungen von Charles Cros sind durchweg kommunikativer Natur und zielen auf die Reproduzierbarkeit von Sinneseindrücken wie seine Poesie auf die "Wiederholbarkeit von Träumen". Der Zusammenhang von technischer Reproduzierbarkeit - hier durchaus im Sinne von Walter Benjamins einschlägigem Essay verstanden - und der lyrischen 'Chansons perpétuelles' von Cros ist indessen noch niemals untersucht worden.
Der eurozentrische Blick des 18. und 19. Jahrhunderts, den es hier zu untersuchen gilt, definiert und interpretiert das Wahrgenommene über vergleichende Studien. Stets steht eine Differenz in der Subjekt-Objekt Beziehung zwischen Beobachtendem und Wahrgenommenem. Dies gelingt am ehesten, wenn das Objekt der Betrachtung abstrahiert und verallgemeinert und zugleich aus einer sicher wirkenden Distanz beschrieben wird. Beschreibungen von Menschen verschiedener Herkunft basieren auf Vergleichen, deren Kriterien die Untersuchungsergebnisse von vornherein festlegen. Sie fokussieren sich auf Körpermerkmale und deren unterstellte Einflüsse auf intellektuelle und kulturelle Entwicklungsmöglichkeiten. Sie betrachten gesellschaftliche Strukturen und ziehen daraus ihre verallgemeinernden Schlüsse. Solche Untersuchungen entstehen auf unterschiedlichen Ebenen: Im bildungsbürgerlichen Haushalt finden sich populärwissenschaftliche Publikationen wie Lexika für Erwachsene und Kinder. Die sich etablierende Anthropologie bedient sich ebenfalls der Vergleichsmodelle in der Beschreibung des Andersseins. Versuche, die Perspektive zu ändern und einen kulturellen Transfer überhaupt erst zu denken, lenken den Blick auf ein weiteres wichtiges Phänomen der Wahrnehmung in Selbsterkenntnis. Als Quellentexte und Anschauungsmaterialien sind solche Publikationen zusammengestellt, in welchen die Differenz zwischen Europäer:innen und Afrikaner:innen herausgearbeitet wird. Der afrikanische Kontinent gewinnt im 19. Jahrhundert zunehmend an Bedeutung. Das Innere des Kontinents lockt Forschungsreisende, Missionare und später Kolonialmächte an. Aus den Begegnungen und Beschreibungen leiten sich nicht nur Bilder, sondern zugleich Argumentationslinien für europäische Handlungsstrategien ab, die bis heute nachwirken.
Was in diesem Aufsatz unternommen werden soll, lässt sich als eine Phänomenologie der pathischen Wahrnehmung charakterisieren: Es geht um die Wahrnehmung, insofern sie als ein leibliches Widerfahrnis erlebt wird. Genauer gesagt: In der Wahrnehmung geschieht eine Einwirkung des Wahrgenommenen auf den Wahrnehmenden, also eine angenehme oder unangenehme Einwirkung des Wahrnehmungsobjekts auf das Wahrnehmungssubjekt, die sich als phänomenaler Bestand erfassen lässt. Das Widerfahrnis gehört daher selbst zum Wahrnehmungsgehalt des wahrnehmenden Subjekts, und nur insoweit ist es das Thema einer Phänomenologie der pathischen Wahrnehmung. [...] Das Ziel dieser Untersuchung besteht darin, die Aufmerksamkeit auf bestimmte Qualitäten der Wahrnehmungsobjekte zu richten, welche in einer jeden Wahrnehmungsphilosophie unter den Tisch fallen, welche sich üblicherweise an epistemischen Fragestellungen orientiert und die Wahrnehmung deshalb primär als sinnliche Erkenntnis befragt. [...] Eine entscheidende Hürde, die einer Phänomenologie der pathischen Wahrnehmung im Wege steht, ist nun jene bereits erwähnte und in Philosophie und Wissenschaft weit verbreitete Auffassung, Wahrnehmung sei sinnliche Erkenntnis und sonst gar nichts - zumindest nichts, was einer philosophischen Untersuchung wert sei. Es bietet sich an, diese Hürde als Primat der Erkenntnis zu charakterisieren. Allerdings ist dies nicht die einzige Hürde, die es zu überwinden gilt, um die Philosophie weiter ins Dickicht der Wahrnehmung hinein zu führen. Es lassen sich immerhin noch zwei weitere unterscheiden, die als Primat der Praxis und Primat des Leibes bezeichnen werden können. Von einem Primat der Praxis lässt sich dort sprechen, wo eine pragmatische Verkürzung in dem Sinne vorliegt, dass Widerfahrnisse nur als Widerstände gegen unser Handeln berücksichtigt werden und das Unangenehme sich damit auf das Hinderliche reduziert. Demgegenüber soll von einem Primat des Leibes, bei dem die häufige Leibvergessenheit der Wahrnehmungsphilosophie geradezu durch eine Leibversessenheit überkompensiert wird, dann die Rede sein, wenn zwar pathische Qualitäten im Mittelpunkt stehen, diese jedoch lediglich als eigenleibliche Zustände verstanden und damit von jeglicher Wahrnehmung weltlicher Objekte abgetrennt werden. In den nun anschließenden Überlegungen sollen zunächst durch eine kritische Abgrenzung gegenüber den genannten drei Hürden die Konturen eines alternativen wahrnehmungsphilosophischen Ansatzes tentativ sichtbar werden. Nach dieser kritischen Auseinandersetzung folgt dann der positive Gegenentwurf, in dem anhand von konkreten Beispielen der Versuch einer Phänomenologie der pathischen Wahrnehmung unternommen wird.
Der Mediziner und Psychiater Erwin Straus (1891-1975) hat für die Welt der Wahrnehmung eine eigene Ästhesiologie, in der er Wahrnehmung selbst als ein leibliches Empfinden differenziert, entwickelt und gewinnt über seine Kritik der Trennung von Wahrnehmung und Wirklichkeit ein eigenes Konzept der kommunikativen Struktur von Wahrnehmung und Welt jenseits der polaren Struktur von Subjekt und Objekt. [...] Im Folgenden werde ich Straus' Ästhesiologie in drei Schritten vorstellen: Beginnen werde ich mit den leiblichen wie welthaften Grundlagen der Wahrnehmung im Empfinden, dem inkarnierten Subjekt in pathischer und gnostischer Kommunikation mit der Welt, wie Straus dies differenziert. Zweitens bauen sich aus der raum-zeitlichen Struktur dieser Kommunikation Erfahrungen in einem historischen - einem Lebenskontext - auf; hier rekurriert Straus dann auch auf das spezifisch menschliche Wahrnehmen. Abschließend werde ich Straus' Entwicklung einer aus der Situation des Wahrnehmenden gewonnenen Theorie der Norm vorstellen, mit der er nicht nur auf dem Feld der Psychiatrie psychopathologisch wie auch ärztlich argumentiert, sondern auch generell für die Grundlage sinnhafter Erfahrungen unserer Wirklichkeit als sinnliche Subjekte in einer Welt für Selbst- und Fremdwahrnehmung, um gegen Reduktionismen mancher empirischen Forschungen wieder den Reichtum einer gemeinsam erlebten Welt wiederzugewinnen: Als Reichtum der phänomenalen Vielfalt, der unreduzierbaren Eigen- und Andersheit, nicht als Regel, sondern als Sinn der Sinne. Eben jenes, worum Büchner und die Personen seiner Vormärz-Dramen ringen.
Der Gestank der Armen : philosophische Notizen zur Topografie eines moralisch anästhesierten Sinnes
(2023)
In seiner reich instrumentierten Kulturgeschichte des Geruchs beschreibt der französische Historiker Alain Corbin die Großstädte des 18. Jahrhunderts als Orte olfaktorischer Zumutungen. Als der junge Rousseau 1731 nach Paris kam, fand er ein "Amphitheater von Latrinen" vor. Selbst in den Tuilerien und in den Gärten des Palais Royal konnte man den übelerregenden Dunstschwaden, die von den Ufern der Seine herüberwehten, nicht entgehen. Paris stank buchstäblich zum Himmel. [...] Noch taten sich Standesunterschiede nicht in der Abwesenheit von schlechten Gerüchen kund. Die Ordnung von Macht und Stand fand ihren Ausdruck in einer Steigerung "sozialer Sichtbarkeit", um die sich Angehörige höherer Stände ohnehin nicht besorgen mussten, weil sie ihnen qua Geburt schon immer gegeben war. Man musste sich nicht waschen, um das gemeine Volk in seine Schranken zu weisen. Selbst der Souverän stank. [...] Alain Corbin beschreibt die Phase von der zweiten Hälfte des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als eine Epoche der Desodorierung, die mit einem grundlegenden Wandel in der Wahrnehmung, Bewertung und Interpretation von Gerüchen einhergeht. Der Fokus verschiebt sich "vom Lebenden zum Sozialen", wie Corbin betont. Die Geruchstoleranz gegenüber der sozialen Mitwelt sinkt. Hygiene und Sauberkeit markieren zunehmend "soziale Positionen, soziale Unterschiede und soziale Pflichten". Insbesondere der öffentliche Raum wird zum Schauplatz hygienischer Disziplinierung. [...] Wenngleich sich Corbins Analysen nur zeitverschoben auf das vormärzliche Deutschland übertragen lassen, wächst auch hier mit den demografischen und industriellen Umwälzungen das Interesse an 'sozialen' Gerüchen. Gerüche werden zu affektiven Operatoren "sozialer Fremd-eigen Differenzen".
Die folgenden Überlegungen zielen darauf ab, den Übergangscharakter der Erkenntnislehre Feuerbachs auszuweisen, die einerseits an die objektivistische Linie der empiristisch-sensualistischen Philosophie unter den französischen Materialisten anschließt und andererseits auf die ökologische Fundierung des menschlichen Bewusstseins und seiner Leistungen vorausweist, die seit dem letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts in Philosophie und Wissenschaften Verbreitung gefunden und der aktuellen, in Philosophie und Neurowissenschaften vertretenen Embodiment-Forschung den Weg bereitet hat. So stehen Feuerbachs 'reformatorische' Bemühungen um eine Erneuerung der deutschsprachigen Philosophie nach dem Idealismus in einer bislang noch unbeachtet gebliebenen Fernbeziehung mit den Bemühungen der Gegenwart um eine Revision des klassischen Leib-Seele-Dualismus. Zur Veranschaulichung des Kerngehalts von Feuerbachs französischen Vorläufern greife ich zunächst auf die Radikalisierung des Empirismus einerseits durch den erkenntnistheoretischen Sensualismus und andererseits durch den physiologischen Materialismus zurück, indem ich exemplarisch Etienne Bonnot de Condillacs "Traité des sensations" und Julien Offray de La Mettrie's "L'Homme Machine" als realtypische Ausdrucksgestalten dieser französischen Entwicklungslinie darstelle (1). In einem zweiten Schritt zeige ich Gemeinsamkeiten und Differenzen Ludwig Feuerbachs im Verhältnis zu dieser sensualistischmaterialistischen Traditionslinie des empiristischen Philosophierens auf (2) und schließe damit, wie Feuerbachs Umformung dieser Tradition zugleich auf die Ökologisierung der Erkenntnistheorie um 1900 und vermittelt darüber auch auf die gegenwärtige Forschung zur Philosophie der Verkörperung vorausweist (3).
So unterschiedlich auch immer J. G. Fichtes und Hegels Auffassung des Ich sind, unterscheidet sich I. H. Fichte - der posthume Herausgeber der Werke seines Vaters - in der "Erste[n] Abtheilung: Das Erkennen als Selbsterkennen" seiner Grundzüge zum Systeme der Philosophie 1833 in mehreren Hinsichten, die für den Vormärz charakteristisch sind, noch stärker von ihnen als die beiden voneinander: 1. Am Anfang dessen Entwicklung steht das Ich weder Sachen gegenüber noch setzt es ein Objekt sich gegenüber, sondern das Ich wird von einer Mannigfaltigkeit der Empfindung geradezu besetzt. 2. Die Entwicklung des Ich beginnt nicht mit einer völligen Aktivität, sondern mit einer völligen Passivität, aus der allmählich (keine unbegrenzte) Aktivität entsteht. 3. Das Ich ist am Anfang dessen Entwicklung Mannigfaltigkeit; es konstituiert sich als Ich erst allmählich. 4. Das Ich ist am Anfang weder ein rein universelles Subjekt, in dem Sinne, in dem jedes Ich jedem Ich gleich ist, sondern das Ich ist individuell. Auch im Laufe dessen Entwicklung entsteht kein reines, universelles Ich, sondern es bleibt immer individuell. 5. Anders als das reine Ich bei J. G. Fichte und Hegel steht I. H. Fichtes Ich am "Anfang" seines "System der Philosophie". Die Wahrnehmung steht als "Erste Epoche" am Anfang der Entwicklung des Ich. Die erste Epoche enthält wiederum drei "Stufen" der Wahrnehmung.
Das Wachsein ist kein Privileg, sondern ein besonderes Ergebnis förderlicher Umstände. Wir können die Figurationen solcher Privilegien, d. h. auch die Umstände, auf denen sie beruhen, nicht verlassen, ohne dass Elemente starker Dysfunktion den Frieden dieser Anordnung einmal gestört hätten. Im 19. Jahrhundert sind die Sinne nicht nur bezogen auf das, was sie wahrnehmen, sondern tangieren jenseits der Inhaltsschübe die Strukturen und Selbstverhältnisse derjenigen, die zu diesem Zeitpunkt das symbolische Medium der Sprache verwenden. Im Vormärz störte eine Krise des Autoritarismus die unbefangene Herrschaft; Metternich et al. wurden zu Chiffren dessen, was eine staatliche Ordnung nicht mehr reibungslos beförderte, sondern im Zuge revolutionierender Prozesse Fragen aufwarf: Nach Geltung, der Verlässlichkeit der eigenen Wahrnehmung, die bislang meist von autoritären Strukturen geleitet worden war, nach möglichen Eigenanteilen an dem, was die politische Struktur bisher hergegeben hatte. Strukturwandel trat als Wahrnehmungswandel in die Geschichte ein. Die Sinne und allgemein die Wahrnehmungsfähigkeit werden im Vormärz im Gesehenen herausgefordert. Wahrnehmung ist eine 'contested area', ein umkämpftes Gebiet, in dem sich alte und neue Wahrnehmungsformen überlagern und kreuzen. Gezeigt werden soll, dass Wahrnehmung, mit Erwin Straus, ästhesiologisch aufzufassen ist, d. h. dass im alltäglichen Vollzug des sinnlichen Erlebens unser Interesse beim Gegenstand, der Welt, dem Anderen ist, nicht nur beim bestätigenden Sehen des Gesehenen, sondern dem Gesehenen als Quelle möglicher Änderung. Es gibt immer die Möglichkeit der Bewegung, die Möglichkeit, sich zum Wahrgenommenen zu verhalten. In diesem Sinne sind die Bewegung und Bewegtheit des Vormärz ein politisches Phänomen: aus den sensuellen Erfahrungen folgt etwas. Die bewegte und bewegende Beziehung zum Wahrgenommenen begründet im Vormärz einen Anspruch auf Partizipation, der einem Wachwerden der Sinne gleichkommt.
Die Vormärzforschung befasste sich in der Vergangenheit vor allem mit Themen des Liberalismus, insbesondere mit juristischen Fragen und der Gründung einer verfassungsgebenden Versammlung. Dabei wurde die Kluft zwischen einem - oft akademisch geschulten - 'gehobenen Bürgertum' und der großen Mehrzahl der Menschen in Dörfern, Kleinstädten und einer sich noch vielfach als Heimarbeit etablierenden Industrie oft übersehen. Diese Arbeit wird sich auf die allmählich einsetzende Wahrnehmung dieser Mehrzahl konzentrieren, mit dem Ziel, ihr politisches Verständnis und ihren Willen zur demokratischen Partizipation zu analysieren. Hierbei geht es vornehmlich um ein "Gewahrwerden sinnlich vermittelter Gegebenheiten" und ihrer geistigen Verarbeitung. Bei diesem Prozess wird das geistig rationale 'Verständnis' der Gegebenheiten erweckt und zu einer empirisch vermittelten 'Sicht' der Dinge hingeführt. Bei solchen Sinneswahrnehmungen geht es in erster Linie um das Sehvermögen; das von den Augen Gesehene wird über Nerven an das Gehirn transportiert, wir machen uns ein 'Bild' davon, das im weiteren Verlauf zu einer 'Ansicht' oder 'Anschauung' werden kann. Ähnliches gilt für andere Sinneseinwirkungen: Das 'Gefühlte' komprimiert sich zu einem 'Gefühl', wobei neben anderen Sinneswahrnehmungen auch ein mentaler Prozess mit im Spiel ist. Von der Forschung wenig beachtet ist eine Umkehrung dieses Vorgangs: Mental Wahrgenommenes kann über die Imagination auch sinnlich anschaulich werden, ein Prozess, der vor allem in der Romantik häufig stattfand. Eine genauere Erörterung der Begriffe 'Wahrnehmung' oder 'Perzeption' ist hier nicht vorgesehen, doch wird im Kontext der dargestellten Beispiele auf weitere, vor allem literarische und philosophische Diskussionen dieser Begriffe eingegangen.
Wahrnehmung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestimmt als "Organ unseres ursprünglichen Welt-Erlebens." Das ursprüngliche Welterleben war das des Flaneurs, der mit allen Sinnen Umwelt wahrnimmt, um sich zu situieren und aus dieser Verortung Sicherheit und Anderssein zu gewinnen; die Verortung war aber auch über die Individualebene hinaus von politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Bedeutung. Man greift nicht zu hoch, wenn der Vormärz als Zeitspanne betrachtet wird, in der eine vollere Realität in sehr spezifischer Weise greifbar wurde. Die Vielschichtigkeit der Vormärz-Welt war dabei eine konstanter Innovation, die eine Initiierung jener Selbstbilder bedeutete, die über das Wahrnehmen bestätigt wurden, das selbst ein anderes geworden war. Nicht mehr informierte Wahrnehmung über die tautologisch so genannten sozialen Tatsachen; sie schuf diese vielmehr um und damit neu - das Organ des Welterlebens wirkte hier auf die Welt ein und musste Erlebnisse nicht mehr erleiden. Die Erfahrung der Welt-Erlebnisse bestand auch darin, die Sinne als sinnenöffnend zu sehen, indem die theoretische Vorrangstellung des Informationsaspekts der Wahrnehmung zurücktrat und Indices von Engagement, Eingreifen und Emanzipation deutlich werden konnten. Dies bedeutete, eine Form des "Wirklichkeitskontakts" zu suchen, die bisher nicht bestanden hatte. War der Kontakt vorher so geschehen, dass die Sinne eine bestätigende Funktion den sozialen und politischen Valeurs gegenüber einnahmen, die bezogen auf Emanzipationsprozesse und deren Möglichkeit einer Schließung gleichkam, öffnete nun die Veränderung der Wahrnehmung neue Formen des Wirklichkeitskontakts. In diesem Kontakt war vor allem entscheidend, dass nun die Bedingungen der Wahrnehmung ersichtlich wurden, sich als veränderbar auswiesen und nicht mehr im umfassenden Konstrukt "Wahrnehmung" aufgingen.
Im Folgenden möchte ich dem Zusammenhang des Vielen als einer sozialen Frage nachgehen. Mit dem sozialhistorischen Wandel im 18. Jahrhundert, der langfristig auf eine bürgerliche Gesellschaft hinausläuft, ändern sich auch die zwischenmenschlichen Verbindlichkeitsformen. Die Literatur um 1800 verhandelt diese Veränderungen intensiv - exemplarisch und hervorgehoben gilt dies für die Frühromantik. Ich begreife die Frühromantik zugleich als eine literaturhistorische wie auch als eine soziale und soziologische Erscheinung. Letzteres ernst zu nehmen heißt, sie einerseits als ein "Phänomen gesellschaftlicher Gruppenbildung" in einer sozialhistorischen Umbruchsphase zu verorten, andererseits ihren Beitrag zu einer modernen Theorie des Sozialen herauszustellen. Hieran schließt mein Befund an, dass die Frühromantik gleichzeitig ein modernes literarisches und ein soziales Formenwissen ausbildet. In der Frühromantik, so lautet die These, sind Poetik und Sozialität untrennbar verschränkt - eine Verschränkung, für die ich den Begriff der Soziopoetik vorschlage. These und Begriff werden am Zusammenspiel von Fragment und Geselligkeit entfaltet. Es geht um die Vergleichbarkeit der Strukturen von Fragmentpoetik und sozialer Assoziation, nämlich um Formen des Bündelns und der Bezugnahme auf andere/s. Im Fall von Fragmenten kann man gattungspoetologisch mit Blick auf die organisierende Kraft und Bindekunst der Text-Vielheiten, die im Zeichen der experimentellen Sozialität steht, von einer poetischen Vergesellschaftung von kurzen Einzeltexten sprechen: von geselligen Texten. Während Kurzgattungen um 1800, insbesondere der Aphorismus, bislang im Rahmen einer "explorative[n] Wissenspoetik" gelesen wurden, wird hier vorgeschlagen, den Experimentcharakter der Gattungen epistemologisch und sozial zu verstehen. Ausgehend von der Beziehung zwischen Fragment und frühromantischer Geselligkeit widmet sich der Beitrag der poetischen Verfasstheit von Sozialität. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht Friedrich Schleiermachers "Versuch einer Theorie des geselligen Betragens" (1799). Schleiermachers Geselligkeitsanalyse interessiert als Modelltext, der ein doppeltes soziopoetisches Wissen entfaltet: Wichtigkeit der Äußerungsform zum einen, Gemachtheit sozialer Ordnung zum anderen. Leitend ist die Problemstellung, wie (soziale) Vielheit um 1800 organisiert ist. Diese Frage wird entlang dreier Parameter verfolgt: Ein- und Ausschluss, interne Organisation, Kunstwerkcharakter und Zeitlichkeit sozialer Ordnungen. Zunächst wird in einem begrifflichen und historischen Vorlauf die 'Assoziation' als ein Schlüsselphänomen der Epoche und die Frühromantik als soziales Versuchslabor beschrieben.
Wenn augenblicklich Kunst, so die These, vom ehemals hehren Podest im Idealfall origineller, zumindest aber per Gesetz unter der Vorstellung der Urheberschaft verankerter und daher sakrosankter individueller Eigenleistung zum jederzeit und von jedermann bearbeitbaren Allgemeingut wird, passiert etwas, was es so wohl noch nicht gab, und auf das wiederum Kunst selbst reagiert oder nämlich allein schon aus Gründen der Selbsterhaltung zu reagieren hat. Kunst ist, wenn man so will, gleichsam demokratisiertes Allgemeingut, wird also nicht mehr als autark vorliegendes Artefakt erkannt, welches kompromisslos für sich steht und notwendigerweise, um Kunst zu sein, für sich stehen muss. Daran gekoppelt ist eine neue Selbstverständlichkeit, mit welcher gewisse, noch zu diskutierende Ansprüche an kulturelle Erzeugnisse gestellt, gar rigoros gefordert und diese Forderungen zudem von Seiten des vormals schweigenden Publikums selbst durchgesetzt werden. Beides, die Aktionen des vordem nur rezipierenden Publikums und jetzigen (Teil-)Akteurs einerseits, die Reaktion der Kunstschaffenden andererseits, wird an dieser Stelle nachvollzogen, analysiert und eingeordnet.
Neben dem hervorgehobenen Profil einer Epoche, das nicht zuletzt anhand öffentlicher Gedenkfiguren und regelmäßig gefeierter Geistesheroen entsteht, gibt es so etwas wie einen Negativabdruck: All dasjenige, was ein Zeitalter nicht bereit ist, im Gedächtnis zu behalten, was es an sich selbst vergisst. Als mir vor einiger Zeit der Begriff Krausismus begegnete, in einer Zeitschrift mit kleiner Auflage, hatte ich sofort das Gefühl, eine solche verlorene Spur berührt zu haben. Nicht nur war mir der Begriff ungeläufig, noch mehr überraschte mich meine Ignoranz, nachdem mir durch Nachforschen zunehmend klar wurde, was mir bis zu diesem Tag entgangen war. Ich fragte mich, wie das jemandem passieren konnte, der sich, neben Literatur und Medien, seit Jahrzehnten intensiv mit Philosophen und ihren verschiedenartigen Denkweisen beschäftigte? Was war Krausismus? Eine philosophische Schule wie der Hegelianismus, eine ideologische Richtung ähnlich dem Marxismus, eine politische Bewegung wie der Leninismus? Karl Christian Friedrich Krause, auf ihn ging die Bezeichnung Krausismus zurück, und offenbar war er Teil einer Nicht-Erinnerung geworden, die vermutlich nicht bloß bis zu mir reichte.
In seinen während des Ersten Weltkriegs entstandenen "Betrachtungen eines Unpolitischen" widmet sich Thomas Mann im letzten Kapitel der Ironie, die er als dem Radikalismus diametral entgegengesetzte Haltung versteht (seltsamerweise erwähnt er die soeben stattgefundene Oktoberrevolution kein einziges Mal). Diese Ausführungen, die keine klare Definition des Phänomens bieten, sowie spätere Äußerungen, in denen er sich als Erzähler zur Ironie bekennt, haben erheblich darauf gewirkt, dass der sechs Jahre nach den Betrachtungen veröffentlichte, aber schon vor diesen erstmals konzipierte "Zauberberg" in der Rezeption als stark ironiehaltiges Werk betrachtet wurde und wird. Auch Musils "Mann ohne Eigenschaften" wird häufig mit Ironie in Verbindung gebracht, und eine vorurteilslose Lektüre des Romans kann diese Verbindung nur bestätigen, auch wenn Musil in seinen Schriften den Begriff selten erwähnt. Sind die beiden Spitzenromane der Zwischenkriegszeit durch ihren Ironiegehalt vereint - oder eher, weil dieser sich unterschiedlich darbietet, getrennt?
In seinen Schriften, insbesondere seinen späten des letzten Lebensjahrzehnts, prägte Stéphane Mosès die Begriffe der normativen und der kritischen Moderne innerhalb der jüdischen Tradition. Er erklärt, wie diese beiden Tendenzen im jüdischen Denken des 20. Jahrhunderts fast zeitgleich entstehen, nämlich in und nach der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, und wie zwei parallele Stränge nebeneinander bestehen. [...] Der Dialog von Benjamin und Scholem über Kafka gehört zu den bedeutenden Briefwechseln der Literaturgeschichte, vergleichbar demjenigen von Lessing und Mendelssohn über das Trauerspiel, der erst im 20. Jahrhundert, lange nach seinem Entstehen, wirklich bekannt und rezipiert wurde. Es ist ein großes Verdienst von Stéphane Mosès, diesen Briefwechsel von Benjamin und Scholem kommentiert und uns die Positionen der beiden Denker lebendig vor Augen geführt zu haben. Ich habe meinerseits versucht, im Sog dieses Briefwechsels das Wesentliche hervorzuheben, um Benjamin in die jüdische Moderne einzubetten. Dabei scheinen mir die Gedanken des "Zerfallsprodukts der Weisheit" und des "Gerüchts von den wahren Dingen" sowie auch der einer "theologischen Flüsterzeitung, in der es um Verrufenes und Obsoletes geht" die Diagnose vom Traditionszerfall in der jüdischen und nicht jüdischen Moderne äußerst prägnant zu begleiten.
Paul Gilroy verweist in seinem "The Black Atlantic" auf Walter Benjamin, dessen Konzept der "Urgeschichte" der Moderne ihm insbesondere wegen aus der jüdischen Mystik übernommener Elemente für die Konstruktion einer Alternative zur Siegergeschichte geeignet erscheint. [...] Wie lässt sich ein notwendig diskretes mystisches Eingedenken gegen das unausweichlich dröhnende Triumphgeschrei der Sieger diskursiv umsetzen? So klar auch sein mag, dass die konstitutive Voraussetzung für die Konstruktion und das Schreiben der Geschichte der Unterdrückten nur darin liegen kann, den Namenlosen zuzuhören, bleibt gleichwohl die Frage nach der Möglichkeit der Darstellung einer Geschichte der Namenlosen. Lässt sich Geschichte überhaupt jenseits einer vermeintlich unentrinnbaren Dialektik von Siegern und Verlierern, mithin anders darstellen als in der Sprache und aus der Warte der Sieger? Um Missverständnissen vorzubeugen: Im Folgenden soll nicht Walter Benjamin zum Vordenker des Post-Kolonialismus stilisiert oder in aktuelle de-kolonialistische Debatten hineingezwängt werden. Stattdessen dient Gilroys intuitive Hinwendung zu Benjamin als Ausgangspunkt für die Suche nach einer Alternative zu der in Europa bis heute bestimmenden Geschichtsschreibung aus der Warte der Sieger.
Ausgehend von David Wellberys Befund, dass wir es im Bereich der Literatur seit der Transformation des Formenverständnisses ab 1800 mit einem endogenen Formenbegriff zu tun haben, möchte ich den Effekten nachspüren, die die Integration des Kraft-Begriffs in den des Lebens im Bereich der Literatur hat. Denn insofern sich ab 1800 davon sprechen lässt, dass die Formen der Literatur - insbesondere die des Romans - eine Theorie von Formung allgemein und damit eine Theorie von Leben im Besonderen verhandelt, gehe ich davon aus, dass mit der Erweiterung des Lebensbegriffs um den der Kraft, der auch in der Literatur statthat, eine Erweiterung des endogenen zu einem emergenten Formenverständnisses in Betracht gezogen werden muss. Und zwar deshalb, weil Literatur im Gegensatz zur Physiologie Formungsprozesse darstellen und reflektieren kann. Kurzum: Weil die Literatur Kraft in ihr Leben aufnimmt und in das Leben zurückgibt, erweitert sich auch der Funktionsumfang ihrer Formen, sie werden emergent. Ausgemacht wurde diese Funktion indes nicht erst in der Literatur, auch wenn sie erst dort zur Anschauung kommen kann - und genau deshalb zur Lebenskraft des Lebens werden konnte.
Der Titel von Volker Wehdekings 1971 publizierter Studie zur deutschsprachigen Nachkriegsliteratur verdichtet eine bedenkenswerte Herkunftsfiktion: "Der Nullpunkt. Über die Konstituierung der deutschen Nachkriegsliteratur (1945–1948) in den amerikanischen Kriegsgefangenenlagern". Zusammengesetzt aus einer der Metaphern historischer Rede nach 1945 und einem den Gegenstand bestimmenden Untertitel gibt er der Monografie die Abbreviatur einer komplexen literarhistorischen Narration als Leitthese vor. Die so entworfene Gründungserzählung einer Selbst(er)findung und Selbstgründung in den Lagern der Kriegsgefangenschaft verbindet sich in der Nachkriegskultur mit einer Erhebung des Lagers zu "einem allgemeinen Paradigma der Moderne". Die Gleichsetzung unvergleichlicher Lagererfahrungen aus prononciert deutscher Perspektive läuft so auf eine existentialistisch getönte Rede vom Lager als allgemeinem Symbol der Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts zu, in der die Erfahrung des einen Lagers die Erfahrung aller anderen vertreten kann. Diese Traditionslinie literarischen Erinnerns, die der rezenten Vergangenheit des Weltkrieges und der Shoah mit den Denkfiguren der Überblendung, Wiederholung und Verschiebung begegnet, diskutiert der folgende Aufsatz. Im Mittelpunkt stehen die erzählten Lager in Hans Werner Richters Romanen "Die Geschlagenen" und "Sie fielen aus Gottes Hand".
Niklas Luhmann hat die europäische Moderne als einen Ausdifferenzierungsprozess beschrieben, der am Ausgang des sogenannten Mittelalters begann und alle gesellschaftlichen Bereiche erfasste. Das betrifft auch und insbesondere 'die Technik'. Deren herausragende Vertreter sind die Ingenieure, die man als Gewinner des Modernisierungsprozesses bezeichnen kann, erlebte dieser Berufsstand doch vor allem seit der Aufklärung eine Erfolgsgeschichte, die nicht mehr nur die Erweiterung und Ausdifferenzierung des eigenen Berufsbilds umfasste, sondern auch in die Gesellschaft hineinwirkte und diese wesentlich veränderte. [...] Insbesondere die Sozial- sowie die Technikgeschichtsforschung haben jedoch herausarbeiten können, dass sich eine Kluft auftat zwischen der Selbstwahrnehmung 'der Ingenieure' als "Intellektuelle[] der Technik" und der aus ihrer Sicht noch immer nicht angemessenen Fremdwahrnehmung durch eine doch maßgeblich durch Technik bestimmte und von ihr profitierenden Gesellschaft. Dieser häufig beklagten Verteilungsungerechtigkeit symbolischen Kapitals in Form von Sozialprestige liegen allerdings realgesellschaftliche Defizite zugrunde, insbesondere die Unterrepräsentation in politischen Gremien oder, wie der Hochofentechniker Joseph Schlink schon 1879 aufzählte, in Sachen "Besitz, Macht und Einfluss, Mitgliedschaft von parlamentarischen, kommunalen und sonstigen Körperschaften, Titel und Orden, Hoffähigkeit und Adel u. dergl.". Auf beide Problembereiche reagierten 'die Ingenieure' mit diskursiven, pragmatischen und institutionsorientierten Strategien. Aus 'der Technik' als dem schlechthin Anderen der Kultur wurde eine technische Kultur als harmonische Verbindung, sie wurde also als Anpassung beider Sphären konzeptualisiert. Den Autobiographien deutscher Ingenieure kommt insofern eine herausragende Rolle in diesem Prozess zu, als sie die persönlichen Erfahrungen der Autoren mit einem gruppenbezogenen Anspruch an die Gesamtgesellschaft verknüpfen. In diesem Sinne nutzten die Ingenieure gezielt die nach Peter Sloterdijk zentrale Gattungsfunktion für ihre Zwecke: "Lebensgeschichtliches Erzählen ist eine Form sozialen Handelns - eine Praxis, in der individuelle Geschichten mit kollektiven Interessen, Werten, Phantasien und Leidenschaften zusammengewoben werden". Das Ziel dieses sozialen Handelns war die Sichtbarmachung, Anerkennung und Etablierung des auf technischem Gebiet genial-tatkräftigen Individuums, des 'großen Mannes'. So konnten 'die Ingenieure' ihren Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe erheben und sich selbst aus der als demütigend empfundenen Anonymität herausführen. Mittels ihrer oft mit Vorbild- und Appellfunktionen versehenen Autobiographien gelang es ihnen, aktiv eine neue, technische Kultur zu gestalten.