830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Die XII. Tagung des Verbandes der Deutschlehrer und Germanisten der Slowakei (SUNG), die vom 30. Juni – 02. Juli 2016 an der Philosophischen Fakultät der Comenius-Universität in Bratislava stattgefunden hat, widmete sich dem Verhältnis von Gewalt und Sprache. Die literaturwissenschaftlichen Beiträge dieses Hefts dokumentieren die Breite und zugleich auch die historische Bedeutung dieses Themas, dem durch das Gedenken an die sich jährende europäische "Urkatastrophe", den Ersten Weltkrieg, eine besondere Aktualität zukam.
Gewaltige Freude : Robert Walsers "Genreszenen" des Ersten Weltkriegs in der "Neuen Zürcher Zeitung"
(2017)
"Beim Militär ist manches ohne Frage riesig nett und hübsch, wie z. B. mit Musik durch friedliche, freundliche Dörfer marschieren" –so beginnt ein Prosastück Robert Walsers in der Neuen Zürcher Zeitung(NZZ) vom 5. September 1915 – da befindet sich Europa seit gut einem Jahr im Krieg. Der Erzähler plaudert munter drauflos, dass er nicht nur den Frieden, sondern auch "das Militär hübsch" finde und gar nicht so recht wisse, wie er mit diesem sonderbaren Widerspruch zurechtkommen könne. Der Text steht "unter dem Strich", der in den Tageszeitungen das Feuilleton vom politischen Teil trennte, und gehört in eine Reihe von weiteren idyllisierenden, humoristisch anmutenden Prosastücken Walsers in der NZZ dieser Kriegsjahre: "Denke dran!" (November 1914), "Haarschneiden" (April 1916), "Das Kind" (Mai 1916) und "Nervös" (Juni 1916) wurden in der Bieler Zeit des Autors publiziert, der 1913 Berlin verlassen hatte und in seinen Geburtsort an der deutsch-französischen Sprachgrenze Biel/Bienne –in die Schweiz also – zurückgekehrt war.
Kaum ein Text von Johannes R. Becher hat in der Weimarer Republik für so viel Furore gesorgt wie sein zweiter Roman "(CHCl=CH)3As (Levisite) oder Der einzig gerechte Krieg (1926)", stand er doch im Mittelpunkt des gegen den Autor eingeleiteten Hochverratsprozesses, der den öffentlichen Protest verschiedener Schriftsteller gegen die Unterdrückung freier Meinungsäußerung zur Folge hatte. Als Levisite 1926 erschien, ermittelten die Behörden bereits einige Zeit gegen den Kommunisten Johannes R. Becher. [...] Da die Forschungsarbeiten zu Becher schwerpunktmäßig aus der DDR-Germanistik stammen, kritisieren die vorliegenden Studien oftmals die Form, in der die ideologische Botschaft artikuliert wird. Geprägt von der Skepsis gegenüber experimenteller Sprachgestaltung, wie sie in der Formalismusdebatte am deutlichen zum Ausdruck kommt, bemerken sie im Buch einen "krasse[n] Widerspruch zwischen dem sprachexperimentellen Charakter der Dichtung und den politischen Intentionen des Dichters", der die Arbeiterklasse als Leserschaft daher eher abschrecke. Dabei ist der Roman aus dieser Perspektive nur sehr schwer zu fassen. Hierfür ist ein Ansatz vonnöten, der in der Lage ist, die ästhetische Form und den Inhalt zusammenzudenken, und der das Werk zudem im Kontext des Hochverratsprozesses gegen Becher beleuchtet. Denn "Levisite" ist als bewusster Skandalroman angelegt und in dieser Weise als performativ-politisches Statement, das im fiktionalisierten Rückbezug auf den Autor dessen Entscheidung für den Kommunismus legitimiert. Das Problem, wie man Kunst und Leben zusammenbringen soll, beschäftigt die Frühe Moderne seit den naturalistischen Manifesten. Becher selbst vertritt Zeit seines Lebens ein Konzept, nach dem beide Dimensionen unmittelbar ineinander übergehen oder sich gegenseitig befruchten. Bechers Werk wird also nur verständlich, wenn man die Selbstinszenierungsstrategien seines Autors mit in den Blick nimmt. Dies gilt auch für die einer solchen Egozentrik scheinbar eher abträgliche politisch-engagierte Literatur der 1920er Jahre, wie sich am Beispiel von "Levisite" besonders gut zeigen lässt. Im Gegensatz zum konventionellen Bild der proletarisch-revolutionären Literatur, das vom Sozialistischen Realismus und der Arbeiterliteratur geprägt ist, erinnert der Roman den heutigen Leser daran, dass es eine kommunistische Avantgarde auch außerhalb der Theaterexperimente eines Erwin Piscator oder Bertolt Brecht gab. Er zeigt eine kommunistische Bewegung, die noch auf der Suche nach dem idealen Weg ist, um die politischen Machtstrukturen durch Kunst verändern zu können. Bechers Antwort auf diese Frage hat viel mit ihm selbst zu tun, weil sich die intendierte Wirkung des Buchs nicht unbedingt dadurch entfaltet, dass sich der Leser die Protagonisten zum Vorbild nimmt. Der Roman ist vielmehr das wichtigste Instrument Bechers, die Wahrnehmung seiner eigenen Person in der Weimarer Republik zu beeinflussen und sich selbst als Exempel des politisch verfolgten Schriftstellers zu inszenieren, womit der Inhalt der Romanhandlung in der Realität Bestätigung findet.
Zur Wette im Faust
(2004)
Die Inbrunst, mit der die Frage nach dem Ausgang der Wette(n) im Faust früher erörtert wurde, mutet heute fast grotesk an, ist aber immerhin ein Beleg dafür ist, daß man den Text auch in seinem literalen Ablauf ernst nahm. Heute schlägt das Pendel ins Gegenteil hinüber. Der Ausgang scheint uninteressant geworden zu sein. Ob Goethe da nicht unterschätzt wird? Es ist zwar wohltuend, wenn die Fixierung auf den "juristischen" Abschluß der causa Faust und damit der harte Zugriff auf ein "Ergebnis" suspendiert wird. Aber die so gewonnene Unbefangenheit sollte zu einem erneuten Blick auf diese pragmatische "Hauptgräte" des Textes genutzt werden: Die Wette, so sei vorweg behauptet, spielt nicht einfach "so oder so keine Rolle mehr"; Goethe hat vielmehr das Handlungsmuster derart mit Bedeutung versehen, daß es sich am Ende selbst aufhebt und dabei den Sinn des Dramas pointiert.
Der Blick hinter den Spiegel : Sinnbild und gedankliche Bewegung in Hölderlins "Hälfte des Lebens"
(2004)
Hölderlins Gedicht "Hälfte des Lebens" besitzt jene Überzeugungskraft des Vollkommenen, welche die Interpreten zu der Annahme verleitet, mit profaner Rede sei hier kaum etwas Wesentliches aufzuhellen. Der Innenraum, so scheint es, bleibt ohnedies verschlossen und evident zugleich, und so schickt man die Interpretationssprache selbst ins Dunkle, damit sie dort das Gedicht treffe, oder man konzentriert sich auf Fragen der Form umschweift das Gedicht im biographischen Umraum und versucht, einzelne Bilder punktuell durch Parallelstellen aufzuhellen. Doch Hölderlins Gedichte sind nicht nur wohlgeformter, assoziativer Ausdruck einer "Stimmung", so tiefgründig diese auch sein mag. Sie sind gedanklich kohärente Gebilde. – Für die Interpretation ergibt sich daraus die Aufgabe, den gedanklichen Vorgang zu rekonstruieren. Denn nur in seinem Kontext erhalten die Bilder ihre aktualisierte Bedeutung, werden sie "monosemiert", werden auch die Elemente der Form zu Bedeutungsträgern. Mag der Kern auch "inkommensurabel" oder, wie man neuerdings sagt, "polyvalent" sein, – so ist doch schon viel gewonnen, wenn das Geheimnis (oder auch die "Dialektik") nicht an der falschen Stelle vermutet wird.
Die psychohistorische Dimension der Gesellschaftsgeschichte wird zuweilen an den literarischen Niederschlägen deutlicher greifbar als an anderen Quellen. Nicht in dem Sinne, daß Literatur eine wie immer geartete Wirklichkeit einfach darstellt oder "widerspiegelt", sondern in dem Sinn, daß sie auf Probleme, häufig ungelöste Probleme, referiert. Die folgenden Überlegungen operieren mit zwei Voraussetzungen, die eng miteinander verknüpft sind. Erstens: Die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ist eine begriffsgeschichtliche "Sattelzeit", in der die Dynamik der modernen Welt irreversibel wird und auch die Begriffe in beschleunigten Wandel geraten. Diese Vorstellung von der "Sattelzeit" stammt aus den Vorüberlegungen des Wörterbuchs Geschichtliche Grundbegriffe und wurde durch das Wörterbuch selbst auf eindrucksvolle Weise bestätigt. Wenn man "Begriffe" generell als Instrumente des Begreifens oder Konstruierens von Welt auffaßt, ergeben sich zwanglos Anschlüsse zu weiträumigeren Theorien der Modernisierung. So entspricht die Zäsur zeitlich und auch in einigen inhaltlichen Momenten dem, was Michel Foucault als Umstellung von der Episteme der Repräsentation zu der der Reflexivität und Bewegung ansetzt. Und als metatheoretischer Erklärungsrahmen bietet sich die von Niklas Luhmann auf der Basis früherer Entwicklungstheoreme ausgearbeitete These von der Umstellung des Differenzierungsmodus von Stratifikation auf Funktion mit seinen Folgen an. Unter dem Druck der Differenzierungsprozesse zerfallen die alten Inklusionsformen der Individualität, wird Individualität durch Exklusion begründet und so mit enormen Lasten für die Identitätsbegründung versehen. - Die zweite Voraussetzung ist, daß in diesem Zusammenhang die Poesie eine besondere Funktion entwickelt, indem sie als Stätte der Formulierung ungelöster Probleme ausdifferenziert wird. In einem von unmittelbarem Entscheidungs- und Handlungsdruck entlasteten Formulierungsraum können neue Begriffe und Begriffsverschiebungen erprobt werden, bis hin zu ihren (auf dem Papier) tödlichen Konsequenzen, können Themen angeschlagen werden, nur damit sie intersubjektiv verfügbar bleiben und nicht der Sprachlosigkeit anheimgegeben werden, können semantische Vorräte angelegt werden.
Die Gedichte Goethes [...] sind keine autonomen Einzelgebilde. Das lyrische Gebilde muß in seiner momenthaften Abgeschlossenheit mit anderen Mitteln als eine "Rolle" der Wahrheit kenntlich gemacht werden. Auch ein konsequenter zyklischer Bau wäre dafür ungeeignet, denn auch er ergäbe schließlich ein abgeschlossenes Gebilde. Das probateste Mittel, Kontingenz der Oberfläche und Consensus der "Wahrheit" zu gestalten, ist das lyrische Ensemble.
Die am 6. August 1953 gegründeten Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (NFG) waren eine privilegierte wissenschaftliche und kulturelle Einrichtung der DDR. Dies entsprach der großen Wertschätzung des "kulturellen Erbes" in diesem Staat. Die Weimarer Klassik sollte "Gemeingut der ganzen Gesellschaft" werden. Das galt, bei allen konzeptionellen Wandlungen, für die Geschichte der DDR von ihrer Gründung im Goethe-Jahr 1949 bis zu ihrem Ende im Herbst 1990 und ist nur ein Beispiel für den Versuch, die Werke der Weltkultur den Bürgern im Geiste des Marxismus-Leninismus nahezubringen und für den Aufbau des Sozialismus produktiv zu machen.
Die Stiftung Weimarer Klassik (SWK) wurde als Nachfolgerin der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur in Weimar (NFG) in zwei Schritten errichtet: 1991 durch Erlass des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft und Kultur als "unselbständige", 1994 durch Gesetz als "rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts". Schon im ersten Dokument sind die "Bewahrung und Erhaltung", "Erschließung und Erforschung" sowie "Vermittlung und Verbreitung" der überlieferten Traditionsbestände als Aufgaben dieser Institution festgeschrieben. Und im 'Thüringer Gesetz über die Errichtung der Stiftung Weimarer Klassik' vom 8. Juli 1994 ist als Stiftungszweck formuliert, "die Stätten und Sammlungen der klassischen deutschen Literatur in Thüringen in ihrer Einheit zu erhalten, zu bewahren und zu ergänzen, sie in geeigneter Weise der Öffentlichkeit zugänglich zu machen und die Erschließung, Erforschung sowie die Präsentation, Vermittlung und Verbreitung dieses kulturellen Erbes zu fördern." Demnach sind "Bewahrung und Erhaltung", "Erschließung und Erforschung" und "Vermittlung und Verbreitung" als untrennbare Einheit zu begreifen. Doch dürfte genauso klar sein, dass die bewahrenden und erschließenden Funktionen prioritär zu verwirklichen sind, denn ohne die vollständige Erfüllung dieser vorrangigen Aspekte des Stiftungszweckes könnte sich die Institution den weiteren wissenschaftlichen und kulturellen Pflichten überhaupt nicht erfolgreich zuwenden. Daher hat sich das vordringliche Interesse der SWK darauf zu richten, die überlieferten Bestände einerseits in ihrer materiellen Substanz (Bauwerke, Bücher, Handschriften, Kunstsammlungen etc.) zu bewahren und zu sichern und andererseits zu erschließen. Nur bei unbedingter Beachtung dieser Voraussetzung ist es möglich, die kulturellen Traditionen durch Ausstellungen, Tagungen und künstlerische Inszenierungen in ihrer gegenwärtigen geistigen und ästhetischen Bedeutsamkeit zu vermitteln, mit welcher Konzeption und in welchen Proportionen dies auch immer sein mag. Es ist also zu klären, inwieweit die einzelnen Elemente des Stiftungszweckes in den ersten Jahren nach Errichtung der SWK zur Geltung kamen, welche kurzfristigen, vor allem aber langfristigen Schwerpunkte sie setzte und durchsetzte.
No poema "Die Götter Griechenlands", Schiller elabora a diferença entre uma Grécia clássica idealizada, entendida como totalidade orgânica em harmonia consigo mesmo, e a Europa moderna do sec. XVIII com sua fragmentação e seu materialismo temível. Afirma-se que o autor está menos condenando o cristianismo do que enfatizando a função da arte. Na última estrofe, a beleza da arte é oferecida como último recurso de preservar sentido e humanidade. O status quase religioso que Schiller reserva para a arte é crucial para entender o pensar literário e cultural na Alemanha do sec. XIX.
Por que o Mefistófeles no "Fausto" de Goethe, ao contrário de todas as expectativas, não apresenta uma natureza realmente má? Partindo desta pergunta, neste artigo discute-se a figura do diabo no imaginário europeu no sec. XVI e no "Doctor Faustus" de Christopher Marlowe. Em seguida são analisados alguns traços principais do diabo goethiano secularizado. O Mefistófeles de Goethe não é o demônio da mitologia cristã e tão pouco representa o grande vilão da peça. Seu autor deixa claro que a responsibilidade pelo mal produzido nas duas partes do "Fausto" é dos seus personagens humanos.
The lifelong friendship between Anna Seghers and Jorge Amado began in the late 1940s, when both were engaged in the international communist struggle for world peace. After becoming disillusioned with the Stalinist tyranny, Amado left the PC, whereas Seghers officially continued to follow the party line. She concealed her critique of (post-) stalinist theory and practice in some essays on literature history, especially on Tolstoy, Dostoevsky and Schiller – essays which she dedicated to Amado, who would understand the problems and contradictions within her political involvement.
This article examines three novels by the popular Flemish youth author Gie Laenen, written between 1975 and 1982, in which the theories and practices associated with progressive education in the 1970s are key elements of the narrative. It argues that Laenen, who was convicted in 1973 and again in 2008 of serial sexual abuse of teenage boys, used progressive education as a narrative trope both to suggest to his young readers that close attachments between young boys and adult men were harmless and to provide an exculpatory defence for his own acts. Through narratological analysis and a contextualisation of the novels within the educational culture of the time, the article shows how Laenen – by drawing upon the ideas of progressive education, using these ideas to shape his narratives, and suggesting parallels between himself (as author) and several main characters – effectively appropriated the ideals of progressive education for ulterior purposes to justify his own abusive behaviour.
Das Exil in Zeiten des Faschismus macht notwendig erfinderisch. Bertolt Brechts Exilwerk ist geprägt durch Strategien und Techniken der Identitätssicherung durch Satire, Witz, Gewitztheit. Die subversive Kraft des Schelmischen, wie es im Werk Bachtins theoretisch produktiv gemacht wurde, zeigt sich in nahezu allen Texten Brechts aus jenen Jahren. Sein Stück "Schwejk im Zweiten Weltkrieg", Resultat einer langjährigen Auseinandersetzung mit Hašeks Werk, lässt wie in einem Brennspiegel erkennen, wie Brecht literarische Tradition aktualisiert und als Erfolg versprechende Form des literarischen Widerstands einsetzt. Identität wird hier durch die Ambivalenz des Schelmischen gesichert, ohne dabei permanente Gefährdung dieser Identität zu verschweigen.
Lors d'une migration, le passage d'une langue maternelle à une langue étrangère suscite plusieurs questionnements identitaires, culturels et politiques. Ceci d'autant plus si la situation linguistique est complexe dans le pays d'origine et dans le pays d'accueil. En l-'occurrence, dans son roman autobiographique "Die undankbare Fremde" (2012), Irena Brežná crée à partir de deux trames narratives alternantes un lieu de rencontre entre deux mondes différents. Elle donne une importance considérable à la langue qu'elle prend comme point de départ pour démontrer les différences culturelles et politiques entre l'ex-Tchécoslovaquie et la Suisse en même temps qu'elle remet en cause les crises identitaires qui peuvent résulter d'une migration ou d'une fuite. Le présent article a pour objectif de mettre en évidence les différentes fonctions attribuées à la langue dans un contexte plurilingue et de migration tout en argumentant qu'Irena Brežná invite, à travers la lecture de son roman critique, à une participation active dans la construction d'une société ouverte à l’immigration.
Wahrnehmung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts bestimmt als "Organ unseres ursprünglichen Welt-Erlebens." Das ursprüngliche Welterleben war das des Flaneurs, der mit allen Sinnen Umwelt wahrnimmt, um sich zu situieren und aus dieser Verortung Sicherheit und Anderssein zu gewinnen; die Verortung war aber auch über die Individualebene hinaus von politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Bedeutung. Man greift nicht zu hoch, wenn der Vormärz als Zeitspanne betrachtet wird, in der eine vollere Realität in sehr spezifischer Weise greifbar wurde. Die Vielschichtigkeit der Vormärz-Welt war dabei eine konstanter Innovation, die eine Initiierung jener Selbstbilder bedeutete, die über das Wahrnehmen bestätigt wurden, das selbst ein anderes geworden war. Nicht mehr informierte Wahrnehmung über die tautologisch so genannten sozialen Tatsachen; sie schuf diese vielmehr um und damit neu - das Organ des Welterlebens wirkte hier auf die Welt ein und musste Erlebnisse nicht mehr erleiden. Die Erfahrung der Welt-Erlebnisse bestand auch darin, die Sinne als sinnenöffnend zu sehen, indem die theoretische Vorrangstellung des Informationsaspekts der Wahrnehmung zurücktrat und Indices von Engagement, Eingreifen und Emanzipation deutlich werden konnten. Dies bedeutete, eine Form des "Wirklichkeitskontakts" zu suchen, die bisher nicht bestanden hatte. War der Kontakt vorher so geschehen, dass die Sinne eine bestätigende Funktion den sozialen und politischen Valeurs gegenüber einnahmen, die bezogen auf Emanzipationsprozesse und deren Möglichkeit einer Schließung gleichkam, öffnete nun die Veränderung der Wahrnehmung neue Formen des Wirklichkeitskontakts. In diesem Kontakt war vor allem entscheidend, dass nun die Bedingungen der Wahrnehmung ersichtlich wurden, sich als veränderbar auswiesen und nicht mehr im umfassenden Konstrukt "Wahrnehmung" aufgingen.
Der Gestank der Armen : philosophische Notizen zur Topografie eines moralisch anästhesierten Sinnes
(2023)
In seiner reich instrumentierten Kulturgeschichte des Geruchs beschreibt der französische Historiker Alain Corbin die Großstädte des 18. Jahrhunderts als Orte olfaktorischer Zumutungen. Als der junge Rousseau 1731 nach Paris kam, fand er ein "Amphitheater von Latrinen" vor. Selbst in den Tuilerien und in den Gärten des Palais Royal konnte man den übelerregenden Dunstschwaden, die von den Ufern der Seine herüberwehten, nicht entgehen. Paris stank buchstäblich zum Himmel. [...] Noch taten sich Standesunterschiede nicht in der Abwesenheit von schlechten Gerüchen kund. Die Ordnung von Macht und Stand fand ihren Ausdruck in einer Steigerung "sozialer Sichtbarkeit", um die sich Angehörige höherer Stände ohnehin nicht besorgen mussten, weil sie ihnen qua Geburt schon immer gegeben war. Man musste sich nicht waschen, um das gemeine Volk in seine Schranken zu weisen. Selbst der Souverän stank. [...] Alain Corbin beschreibt die Phase von der zweiten Hälfte des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als eine Epoche der Desodorierung, die mit einem grundlegenden Wandel in der Wahrnehmung, Bewertung und Interpretation von Gerüchen einhergeht. Der Fokus verschiebt sich "vom Lebenden zum Sozialen", wie Corbin betont. Die Geruchstoleranz gegenüber der sozialen Mitwelt sinkt. Hygiene und Sauberkeit markieren zunehmend "soziale Positionen, soziale Unterschiede und soziale Pflichten". Insbesondere der öffentliche Raum wird zum Schauplatz hygienischer Disziplinierung. [...] Wenngleich sich Corbins Analysen nur zeitverschoben auf das vormärzliche Deutschland übertragen lassen, wächst auch hier mit den demografischen und industriellen Umwälzungen das Interesse an 'sozialen' Gerüchen. Gerüche werden zu affektiven Operatoren "sozialer Fremd-eigen Differenzen".
Hochmusikalisch, in seiner Jugend aus reinem, reichem Hobby ein Schüler Anton Bruckners, Vater des Schriftstellers Percy Eckstein und Gatte einer Schriftstellerin, die unter dem Pseudonym Sir Galahad bekannt wurde, seinerseits Autor einer leider verschollenen Bruckner-Monographie mit dem schönen Titel "Der Weltgeist an der Orgel", enorm belesen und enorm gebildet, stand der alte Eckstein im Ruf, einfach alles zu wissen. Es gab keine Frage, die er nicht unverzüglich beantworten konnte […] Man raunte sich zu, dass der große Brockhaus, wenn er etwas nicht wusste heimlich aufstand und im alten Eckstein nachsah.
Although Heinrich Eduard Jacob visited Brazil in 1932, having written various articles about this trip in particular, and later three books on Brazilian issues, he is almost unknown in Brazil. The following paper, therefore, focuses on the biography of the journalist and writer and his Brazilian books "Hothouse South America" (1934), "Coffee. The Epic of a Commodity" (1935) and "Estrangeiro. Einwandererschicksal in Brasilien" (1951). Furthermore he is put in context with other German-speaking authors who wrote about Brazil in the thirties and forties. These were mainly émigrés fleeing the Nazism such as Stefan Zweig, Richard Katz, Wolfgang Hoffmann-Harnisch, Frank Arnau and Marte Brill. Regarding the image of Brazil espoused by Jacob, it becomes clear that he, as so many other authors, saw in Brazil a "Land of a future" (as he called it) and an alleged existing "racial democracy". Nevertheless, he doesn’t refrain from revealing the proverbial Brazilian cordiality to be only appearance and from pointing out existing difficulties such as the politics regarding the coffee and the negative consequences of the nationalism promoted by the Vargas-Regime. By doing so, he took a view that opposed the one of his friend Stefan Zweig.
Seit 1990 kreist das literarische und publizistische Schaffen Bernhard Setzweins um die Erinnerung an eine durch Krieg und politische Spaltung im kollektiven Gedächtnis der Deutschen weithin verschüttete mitteleuropäische Kultur und Identität. Zugleich sucht er damit Anschluss an einen seit den 1970er Jahren geführten literarischen Diskurs österreichischer und ostmitteleuropäischer Autoren. Exemplarisch wird dieses Programm nachfolgend anhand einer Vorstellung des Romans "Die grüne Jungfer" (2003) expliziert, wobei Bernhard Setzweins Bamberger Poetikvorlesung vom Sommersemester 2004 als Referenztext mit berücksichtigt wird.
Thema des vorliegenden Beitrags ist das interaktionale Potenzial des Scherzens in seiner Funktion als kooperativ entfaltete Handlung der Kritik. Im Fokus liegen speziell Kontexte, die als 'interkultureller Dialog' markiert sind und in denen sich die Interaktionsaufgabe stellt, an diskursiven 'kulturellen Grenzen' verständigungsorientiert zu arbeiten. Exemplarisch wird an einer Gesprächssequenz zwischen deutschen und ägyptischen Studierenden gezeigt, wie gerade im gemeinsamen Scherzen Konstruktionen kultureller Zugehörigkeit und Differenz kritisch-konstruktiv bearbeitbar werden, auch in beziehungsorganisatorisch schwierigen Situationen. Als entscheidend erweist sich die damit verbundene Initiierung "kulturellen Handelns". Grundlage der Untersuchung ist ein sprachwissenschaftlicher kritisch-diskursanalytischer Zugang zum Material ('Oldenburger Ansatz' der Kritischen Diskursanalyse), in dessen Rahmen diskurssemantische und interaktionsanalytische Perspektiven zusammengeführt werden.
Entre as viagens da escritora austríaca Ida Pfeiffer (1797–1858) esteve uma estadia de cerca de dois meses ao Rio de Janeiro, realizada em 1846. Seu relato dessa experiência no livro "Eine Frau fährt um die Welt", assim como os outros livros do gênero, alimenta um imaginário sobre o Brasil entre seus leitores europeus. Mas, além disso, apresenta vários dos imaginários da autora e de seus conterrâneos acerca do que encontraria no país. O presente artigo busca realizar um levantamento dos trechos em que esses imaginários ficam explícitos no relato da autora, tomando sua obra como uma fonte histórica dos imaginários europeus do século XIX acerca do Brasil.
Der Theologe Bruno Bauer (1809-1882) war in der Zeit von etwa 1836 bis 1842 einer der führenden Köpfe unter den Junghegelianern, gar der 'linken' Hegelschule. Er hat jedoch als Rechtshegelianer begonnen; nach der gescheiterten Revolution von 1848 ist er schließlich zum Vertreter einer nationalistischen und antisemitischen Rechten mutiert. Dem Weg Bauers vom theologischen Konservativismus zu einer radikalen Religionskritik soll anhand dreier exemplarischer Texte nachgegangen werden. Dabei wird deutlich, wie sich im Laufe weniger Jahre die Wahrnehmung von Kritik fundamental verändert und sie sich dennoch, so die Grundthese dieses Beitrags, aus Hegelschen Bahnen im Grunde nie zu lösen vermochte. Am Anfang jedoch steht eine kurze biographische Skizze.
Baudelaire, Benjamin - zwei geistesgeschichtliche Großreignisse, mit denen allein man einmal Semester von Seminaren, Seiten von Dissertationen, Jahre in akademischen Lebensläufen füllen konnte. Ganze Bibliotheken und Ästhetiken der Moderne liehen sich von dieser Korrespondenz her schreiben, von der Vorwegnahme einer ästhetischen Moderne durch Baudelaire und ihrer Radikalisierung durch Benjamin. Allein, was zwischen diesen beiden Eckpfeilern der ästhetischen Moderne geschah, läßt sich auch anders als auf den unverschlungenen Wegen einer Literaturgeschichte erzählen. Denn tatsächlich arbeitete Benjamin nicht mit Geschichten, sondern mit Maschinen; tatsächlich war, was zwischen den beiden großen B.'s der ästhetischen Moderne geschah, eher ein Kurzschluß oder eine Rückkopplung innerhalb einer Deutungsmaschine als eine gepflegte Geschichte der Literatur. Die Maschine hieß "Passagen-Werk", Baudelaire ihr vorzüglichster (oder wenigstens vollendetster) Gegenstand.
Nur frühwarnsystembastelnde Optimisten glauben, daß die Auswirkungen der jüngsten Flutwelle auf materielle Schäden begrenzt bleiben könnten. Mit jeder neuen Nachrichtensendung, mit jedem neuen Tsunamiexperten erwischte uns ebenso flutartig und begleitet von zahlreichen wissenschaftlichen Erklärungsmustern eine Welle religiöser Deutungsmuster der Katastrophe. Naturfürchtig rollt sich jede Aufklärung in sich zusammen in Angst und Schrecken vor der Strafe Gottes. Mit anderen Worten: Wie bei jeder Katastrophe hat man es mit einem Wettlauf zwischen verschiedenen konkurrierenden Deutungsmodellen zu tun. Was bei dem Dezember-Tsunami überrascht - und von allen Medien fleißig kommentiert wurde -, war die Tatsache, daß biblische Deutungsmuster erstmals die Nase vorn hatten. Die jüngsten Tsunamis spülten eine Welle von biblischen Bildern und sintflutartigen Metaphern in die Wohnzimmer der nichtüberschwemmten Welt: Die erste globale Naturkatastrophe des neuen Jahrtausends war auch eine Rückkehr in ein wenn nicht biblisches, so doch religiös konnotiertes Weltbeschreibungssystem.
Diese Beschreibungen werfen die Zivilisation weiter zurück als die materiellen Schäden - exakt ins Jahr 1755. Am 1. November erreichte jene legendäre 22 Fuß hohe Welle Lissabon; nur zwei Stunden später war sie schon in Irland. Die schwerste Naturkatastrophe in der Geschichte Europas erschütterte die Iberische Halbinsel und Nordafrika mit drei Erdstößen. Sie zerstörte Lissabon und löste einen Tsunami aus, der zehntausende Menschen tötete und selbst in Deutschland noch zu spüren war. Die erste in London eintreffende Nachricht berichtete folgendes: "Das Handelshaus und der Königspalast sind vollständig zerstört, die Warenhäuser der Überseehändler verloren, und, um die Zerstörung der Stadt zu vervollständigen, wurde sie von schwefligen Eruptionen aus den Gedärmen der Erde in Brand gesetzt. Mehr als die Hälfte der Gebäude sind zerstört und ungefähr 100000 Menschen haben ihr Leben verloren. Der König und seine Familie entkamen halbnackt aus dem Palast."
Der Begriff des Monuments ist sicher nicht der erste, dem man augenblicklich eine gesteigerte Attraktivität bescheinigen könnte. Monument - das klingt nach Historismus und Historienschinken, nach Denkmalpflege und moosigen Steinen, nach brachialem 19. Jahrhundert, Bildungsbürgertum und Baedeker. Monument klingt nach allem - nur nicht nach Medium, Lektüre oder Codierung, drei Bausteine, an die man nach den jüngsten kulturwissenschaftlichen Relektüren des Monuments mit diesem verbinden sollte. Denn möglicherweise ist seine Inschrift erst heute lesbar geworden und sein Jetzt der Erkennbarkeit erst in diesen Tagen gekommen. Möglicherweise mußte das Monument im Schatten jeder Aufmerksamkeit vor sich hin dämmern, um aus der begriffsgeschichtlichen Abstellkammer wieder hervorgeholt werden zu können; vielleicht bedurfte es jenes monumentalen Schlummers, damit ein Prinz 1969 kommen und es aus diesem Schlummer erwecken konnte. Spätestens seit Foucault den Begriff in seiner Einleitung in die Archäologie des Wissens wachgeküßt und wieder zum Leben erweckt hat, gehört er in das neo-historistische Repertoire von Literatur- und Kulturwissenschaftlern: Tatsächlich stellt es eine der Kuriositäten des derzeitigen wissenschaftlichen Diskurses dar, daß die aufgerüstete kulturwissenschaftliche Rede von Codierung und Hardware so selbstverständlich in terms of Monumenten spricht, als befände man sich in der Mitte des Historismus. Dabei weisen schon Codierung und Hardware darauf hin, daß es durchaus veränderte Vorzeichen sind, unter denen das Monument neuerdings wieder in die wissenschaftliche Rede einfließt.
Der Beitrag widmet sich einem ausgewählten Bereich öffentlicher Pressesprache, wobei strukturelle, semantische und pragmatische Besonderheiten der sogenannten hölzernen Sprache in der deutschsprachigen Zeitung Neuer Weg (NW) aus Rumänien exemplarisch am Beispiel von Beileidstelegrammen zum Ableben der kommunistischen Führer Josef Wissarionowitsch Stalin und Gheorghe Gheorghiu-Dej (1953 bzw.1965) erfasst werden sollen. Mit der Darstellung von Formulierungspräferenzen in einer ausgewählten Textsorte der öffentlichen schriftlichen Kommunikationspraxis und der Analyse dieses soziokulturell geprägten Sprachgebrauchs hinaus sollen auch die sozial-historischen Bedingungen, die für das Auftauchen der Ausdrucksformen der hölzernen Sprache förderlich waren, eruiert werden.
The present paper focuses on some aspects of the so called wooden language in the german newspaper published in Romania from the pre-revolutionary period, to be exact in the forms of expression of this language identified in the condolences messages on the death of the communist leaders Josef Wissarionowitsch Stalin and Gheorghe Gheorghiu-Dej, which were published in the newspaper Neuer Weg (NW) (1953 respectively 1965). The theoretical point of view hold by the author is that of sociolinguistics and pragmalinguistics. At first, the concept wooden language is defined and its most important structural features and means of utterance are identified, the socio-historical background, that encourages the existence of the analysed phenomenon is also explained. The results of the analysis are presented further: the form of expression of the “wooden” statements, their morpho-syntactic, semantic, pragmatic-stylistic structure. The paper contains some final remarks on general characteristics of the written press.
The present paper aims to analyse the language use in the interactive field of online comments, which appeared in the online discussion site of the Siebenbürgische Zeitung Online forum. The analyse focuses on the performance of the speech act sanctioning at the linguistic level – lexical, morphological, syntactic, pragmatic. The participants to the process of interaction, who are members of the Siebenbürger Sachsen association, introduce discussion topics on the political situation in Romania or reply to others’ comments by taking a stand on the topics. The authoress takes the theoretical stance of pragmalinguistics, speech act theory and intercultural communication in assessing language facts.
Drei paradigmatische empfindsame Romane – Gellerts "Das Leben der Schwedischen Gräfinn von G***", Sophie von La Roches "Geschichte des Fräuleins von Sternheim" und Goethes "Werther" – werden darauf hin befragt, was sich ihnen hinsichtlich der diskursiven Struktur der Empfindsamkeit ablesen läßt. Dabei werden, aufbauend auf Foucaults Bestimmungen, ein starker und ein schwacher Diskursbegriff unterschieden: Kriterium der Unterscheidung ist, ob eine "Formation" sich selbst als Diskurs organisiert oder ob sie nur (nachträglich) als Diskurs beschrieben werden kann. Mit Hilfe dieser Differenz läßt sich eine signifikante, notwendige Entwicklung der Empfindsamkeit nachweisen, die die drei Romane auf unterschiedliche Weise reflektieren.
Lessings Schrift "Die Erziehung des Menschengeschlechts" wirkt bis heute widersprüchlich. Sie scheint zugleich zu behaupten, daß die Offenbarung die Entwicklung der menschlichen Vernunft uneinholbar transzendiert, wie daß sie diese nur beschleunigt. Der scheinbare Widerspruch hat jedoch seine Funktion in der Rhetorik des Textes, wie eine intertextuelle Lektüre zeigt: Vor dem Hintergrund der Reimarus-Fragmente und mit Blick auf die ethischen Implikationen der Ringparabel offenbart sich die logische Konsistenz eines säkularen eschatologischen Modells.
Jürgen Döring vermittelt in seinem Aufriß zur "Humoristischen Grafik in deutschen Künstlervereinen vor 1860" einen ersten Eindruck von den Schätzen, die unter den über 5.000 Blättern noch zu heben sind. Er beginnt mit dem 1814 von Gottfried Schadow gegründeten "Berlinischen Künstlerverein" und endet mit dem ersten Jahrzehnt des 1848 von Emanuel Leutze ins Leben gerufenen "Düsseldorfer Malkasten". Daß die Gebrauchsgrafik des 19. Jahrhunderts im wesentlichen ein Produkt der Vereinskultur ist, unterstreicht die Bedeutung dieser Form bürgerlicher Selbstorganisation für die Entwicklung der angewandten Kunst. In den scherzhaften Arabesken und humoristischen Übertreibungen der Festkarten und Programme gewinnt diese Vereinskunst ihre gemeinschaftsstiftende Funktion, zu der auch die gemäßigt karikaturalen Formen beitragen.
Else Buschheuer hat 2000 mit "Ruf! Mich! An!", Charlotte Roche 2008 mit "Feuchtgebiete" ein sogenanntes Skandalbuch veröffentlicht. Beide Romane wurden von der Literaturkritik meist auf eher fragwürdigem Niveau diskutiert. Der Aufsatz sucht Gründe für die oberflächlichen Urteile und stellt heraus, wie beide Romane gängige literarische Muster entgrenzen und damit Erwartungen an literarische 'Hochkultur' unterlaufen. Beide Autorinnen werden der TV-Kultur zugeordnet, was zusätzlich nicht der Vorstellung vom (männlichen) Dichter entspricht und Vorbehalte der Kritiker zu wecken scheint, die über solchen personenbezogenen Vorurteilen eine angemessene Auseinandersetzung mit den Werken unterlassen und damit Ausgrenzungsprozessen Vorschub leisten.
Die hier vorgeschlagene Neuzuschreibung der Nachricht über Tischbeins berühmtes Goethe- Porträt an Aloys Hirt erlaubt es nicht nur, die durch die bisherige Zuschreibung bedingten Widersprüche in der Biographie Ludwig Philipp Stracks aufzulösen, die in der Kunstgeschichte immer wieder für Verwirrung gesorgt haben. Tatsächlich dürfte Strack wohl erst im Jahre 1789 gemeinsam mit dem Landschaftsmaler Friedrich Christian Reinermann (1764-1835) nach Italien gereist und mit Tischbein erst im Jahre 1790 in Neapel zusammengetroffen sein.23 Mit der Neuzuschreibung wird zudem ein wichtiger Quellentext der Kunst- und Literaturgeschichte des Klassizismus einem Verfasser wiedergegeben, der von der Forschung lange Zeit vernachlässigt worden ist, von Goethe jedoch trotz „oftmaliger verschiedener Meinung” zeitlebens geschätzt wurde. In einem Brief vom 12. August 1827, in dem er sich bei Hirt für die Übersendung der letzten Bände von dessen Geschichte der Baukunst (Berlin 1827) bedankt, läßt Goethe seinen ehemaligen Cicerone wissen: „Nun erinnert mich das übersendete Werk aufs angenehmste an gemeinsamen Eintritt in das Kunstgebiet; es giebt Zeugniss von fortwährendem parallelen Handeln und Bemühen, von convergirendem und begleitendem Thun und Wirken”. Ein Werk mit vergleichbarem Zeugnischarakter ist auch die 1787 verfaßte Beschreibung von Tischbeins berühmtem Gemälde Goethe in der Campagna di Roma, die am Anfang einer mehr als vierzigjährigen Bekanntschaft steht und zugleich, gemeinsam mit dem Verzeichniß der bekanntesten jetztlebenden Künstlerin Rom, als der früheste handschriftlich überlieferte Text Hirts gelten muß.
Der Aufsatz widmet sich einem 1810 in Heinrich von Kleists Berliner Abendblättern erschienenen Distichon mit dem programmatischen Titel „Nothwehr“ und unternimmt es, die in den beiden Versen geschilderte Technik der Täuschung und Verstellung vor dem Hintergrund der französischen Besetzung Preußens zu deuten. Dabei zeigt sich, daß das Notwehr-Distichon nicht nur als Lektüreanweisung zur Entschlüsselung der in den Abendblättern abgedruckten, vermeintlich pro-französischen Nachrichten zu verstehen ist, sondern darüber hinaus eine Denkfigur formuliert, der für Kleists Werke eine gewisse Schlüsselfunktion zukommt.
Gegenstand des vorliegenden Aufsatzes ist es, einige Aspekte des Versuchs, den in Deutschland neu geprägten Begriff der "Ästhetik" nach Frankreich zu importieren, in der Zeit um 1850 zu beleuchten, einer Periode, in der die Ästhetik sich als philosophische Wissenschaft in Frankreich allmählich etabliert. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts stieß der Begriff "esthétique", der als direkte Übersetzung des deutschen Wortes "Ästhetik" geprägt wurde, auf zähen Widerstand. Schon ein schneller Blick auf die Wortgeschichte zeugt von dieser Resistenz. Zwar tauchte der Terminus "esthétique" bereits 1753 auf, aber dieser erste Beleg, der im Werk des französischsprachigen Mitglieds der Berliner Akademie der Wissenschaften Louis de Beausobre erschien, blieb lange Zeit isoliert und ohne Widerhall. In der "Encyclopédie" von Diderot und d'Alembert ist bezeichnenderweise unter "esthétique" kein Eintrag zu finden. Erst in zwei Nachbildungen der "Encyclopédie" - in die "Encyclopédie d'Yverdon" von Fortunato Bartolomeo de Felice und ins "Supplément à l'Encyclopédie" von Charles-Joseph Panckoucke - wurde ein solcher Artikel eingeführt. Dieser Importversuch blieb aber bis Anfang des 19. Jahrhunderts so gut wie folgenlos. 1835 wurde das Lemma zum ersten Mal in der sechsten Ausgabe des "Dictionnaire de l'Académie Française" aufgenommen. Den ersten wichtigen Beleg für einen regelrechten Einbürgerungsversuch liefert aber erst der zweite Band des "Dictionnaire des sciences philosophiques" von 1845. Dort ist ein Eintrag zur "esthétique" zu finden, der von Charles Bénard gezeichnet ist. Damit wurde dem Wort "esthétique" in der Sprache der französischen Philosophie sozusagen sein erster Taufschein erstellt. Wer genau war der Autor dieses langen Artikels und was hat ihn veranlasst, einen solchen Eintrag zu schreiben? Wie konnte die Ästhetik als besonderes Teilgebiet der Philosophie um 1850 neue Befürworter finden? Auf welche Hindernisse stießen ihre Fürsprecher? Auf diese Fragen sollen im Folgenden einige Antworten skizziert werden.
2003 konstatiert Erwin Pracht in den Weimarer Beiträgen für den Beginn der 1990er Jahre einen "Ästhetisierungs-Boom" in Bezug auf die häufige Verwendung des Begriffs in zeitgenössisch aktuellen Debatten. Ästhetisierung erscheint in diesen Debatten nicht selten als postmoderne Modevokabel, wenngleich der Begriff bereits eine gut 200-jährige Verwendungsgeschichte hat: Ästhetisierung ist ein Neologismus der 'Sattelzeit' (Reinhart Koselleck), womit die Begriffsbildung von den gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Umbrüchen um 1800 zeugt. Gleichzeitig ist Ästhetisierung im Sinne einer Idee auch als Antwort auf diese Umbrüche zu verstehen. Aus der Ästhetisierung spricht ein Wunsch nach ästhetischer Bildung und politischer Teilhabe an Debatten gesellschaftlich relevanter Fragen. Im Kern liegt in der Ästhetisierung das Utopiepotential für ein besseres, das heißt schöneres Leben, welches weniger vollständig erreichbar, denn mehr als Ideal erstrebenswert scheint. Es zeugt von der Möglichkeit, die Perspektive zu wechseln und ästhetisierend wahrnehmen zu können. Dabei erweist sich eine ästhetisierende Haltung nicht als Flucht, sondern mehr als Vorsatz des Individuums, in der modernen Gesellschaft ein kultiviertes Leben zu führen und persönliche Gestaltungsoptionen, die zunehmend demokratischere Gesellschaftsstrukturen bieten, zu nutzen. Ästhetisierend wahrzunehmen ist so weniger Ausdruck davon, andere Perspektiven in den Hintergrund zu drängen, vielmehr zeigt sich daran, dass die unmittelbaren Lebensbedürfnisse gestillt sind. Zudem beinhaltet Ästhetisierung im Sinne individueller Gestaltungsmöglichkeiten einen Kern rebellierenden Protests, wie er sich besonders in den Ausprägungen des Dandys und Flaneurs äußert. Analog zum Anwachsen von Wohlstand, Bildung und politischer Teilhabe in Deutschland wird der Begriff der Ästhetisierung im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer häufiger gebraucht. Die Fundierung des Begriffs liegt dabei im Nachdenken über Literatur.
Seine damaligen Zeitgenossen ebenso wie die neuen Leser haben immer wieder Falladas Humanismus hervorgehoben. In seinen Büchern hat er unzähligen Lesern Mut zugesprochen, selbst in den schwierigsten Lebensphasen glauben seine Figuren stets an das Gute, an die Anständigkeit und menschliche Würde. Wenn es aber um seine eigene Person ging, kannte Fallada keine Gnade. Sein Leben war eine taumelnde Selbstzerstörung. Worauf führt Fallada das humane Verhalten seiner Figuren zurück? Dieser Frage versuche ich anhand von drei seiner Romane nachzugehen: "Kleiner Mann - was nun?"(1932), "Wolf unter Wölfen" (1937) und "Jeder stirbt für sich allein" (1947). Berücksichtigt wird auch die damalige Briefkorrespondenz zwischen dem Autor und seinen Zeitgenossen.
1979 geschrieben, erschien Christa Wolfs Erzählung "Was bleibt" erst im Sommer 1990. An diesem Buch entzündete sich bekanntlich ein Streit westdeutscher Kritiker über die Rolle der Intellektuellen in der Noch-DDR. Die Ich-Erzählerin thematisiert innerhalb eines Tages psychische Folgen von Bespitzelung, Post-und Telefonüberwachung. Wie wird Gewalt in dieser Erzählung dargestellt und aus welcher Perspektive wird über sie erzählt? Im Folgenden wird mit einem doppelten Gewaltbegriff (dem der sog. "Doppelkörperlichkeit") gearbeitet, demzufolge der menschliche Körper physisch (durch die körperliche Gewalt) und zugleich psychisch (durch die symbolische Gewalt) beschädigt werden kann.
Das vorliegende Heft der Slowakischen Zeitschrift für Germanistik versteht sich als erster Band mit Beiträgen, die im Rahmen der XII. Tagung des Verbandes der Deutschlehrer und Germanisten der Slowakei präsentiert wurden (Bratislava, 30.6.2016 – 2.7.2016). Im Mittelpunkt der Tagung standen Überlegungen zum vielfältigen Verhältnis von Gewalt und Sprache, die in mehreren Sektionen und aus unterschiedlichen Perspektiven thematisiert wurden. Die Schwerpunkte des vorliegenden Heftes wurden ursprünglich in den Bereich Deutsch als Fremdsprache eingeordnet. Die präsentierten Beiträge betreffen aber neben dem Bereich der Didaktik/Methodik des Deutsch als Fremdsprache-Unterrichts auch den Bereich der Lehrer_innenbildung und der Sprachenpolitik in der Slowakei.
[ Shakespeare ] Shakspeare als Liebhaber : Lustspiel in einem Act ; nach Duval frey bearbeitet
(1818)
When, some two centuries ago, German Romantics turned their backs on modernity – industrialisation, urbanisation, commerce and secularisation – they turned to ancient India. For them, India exemplified the primordial unity of mankind with this and the afterworld. For sections of the emerging nationalist movement in Germany, found the deployment of India handy to question the cultural hegemony, and eventually break the political dominance, of France. They tried to surpass the French, who claimed the ancient Roman heritage, by claiming an even older heritage for the Germans. Friedrich Schlegel for example suggested that the German language, and not the French, stood in unbroken continuity with ancient Sanskrit. For Romantics such as he, Sanskrit, the oldest surviving Indo-European language, was closest to the language of original divine revelation. This lead Schlegel to romanticise India in a way that stood in marked contrast to the Orientalist clichés current in other parts of Europe at the time. For him, the link between Sanskrit and German made Germany the true oriental self of Europe. The importance of this particular representation of India for the German national movement is underlined by the great number of university chairs that sprang up in the course of the nineteenth century: twenty two in Germany as opposed to only three in the United Kingdom. This paper explores the particular kind of ‘inverse’ Orientalism of the Germans in the context of its recent post-colonial critique.
Este texto busca caracterizar a imagem de pensamento (Denkbild) como um gênero particular de composição que mistura filosofia e literatura, conceito e imagem. O argumento central é o de que, devido às suas peculiaridades formais, a imagem de pensamento possui tanto um forte teor intersubjetivo, quanto a capacidade como de fazer surgir o não-idêntico em experiências cotidianas. Desse combinação surge um tipo de escrita prática, que merece ser recuperada no presente.
Ardıl çeviride not alma eğitimi konusuna ilişkin Türkçe kaynakların oldukça sınırlı olmasıyla birlikte, not alma, özellikle ardıl çeviri eğitiminde üzerinde durulması gereken önemli bir konudur. Çevirmen adayları büyük oranda, duyduğu her şeyi not alma ile anladığını not alma arasındaki ayrımı algılayacak duyarlılığa henüz sahip olmamaktadırlar. Sözlü çeviride not almanın ilkelerine ilişkin, yabancı kaynaklarda birbirinden farklı çok sayıda görüş olmasına rağmen, çıkarsama yoluyla bazı temel ilkeler belirlemek, özellikle sözlü çeviri eğitimi açısından fayda sağlayacaktır. Çalışmanın amacı, sözlü çeviride not almanın önemini irdelemenin ve söz konusu temel ilkeleri somutlaştırmanın yanı sıra, sözlü çeviri eğitiminde not alma duyarlılığını geliştirici bir açılım sunmakta belirginleşmektedir. Bu çalışma kapsamında önerilen alıştırma, öğrencilerde not alma duyarlılığının ve bilincinin gelişmesine katkı sağlayacak nitelikte olup, duyduğunu anlama, ifade gücü, belleği güçlendirme, bilgi donanımı ve genel kültür konularına da didaktik anlamda önemli ölçüde katkılar sağlayacak nitelikte bir alıştırmadır.
Bu çalışmada, tarih boyunca yapılmış çeviriler arasından, tarihin seyrine yön verenler içinde bulunan Septuaginta adlı Tevrat çevirisi ve Reşid taşının çevirisi irdelenmektedir. Çalışmanın amacı, çevirinin her zaman sadece işlev odaklı bir uygulamadan ibaret olmadığını; bilakis sosyoloji, siyaset, ekonomi, din gibi alanlarla etkileşim içerisinde bulunan ve insanlık tarihini belirleyebilecek ölçüde önemli bir etkinlik olabileceğini belirginleştirmektir. Çalışmada, ilgili çevirilerin tarihi olgular üzerindeki etkileri ortaya konmaktadır. Çalışma kapsamında irdelenen her bir çeviri etkinliği, ortaya çıkış nedenleri ve - özellikle de tarih akışının seyrini değiştirecek - etkileri bakımından ele alınıp yorumlanmaktadır.
Werbung stellt in einer von Globalisierung und Transkulturalität geprägten Welt ein Phänomen dar, das nicht nur omnipräsent ist und uns mit Glücksversprechen und Idealbildern in Plastik(-schein-)welten verführt, sondern zunehmend als populäre Form der Kunst gepriesen wird, deren Wirkung durch ausgefeilte Formen der Rhetorik sowie eine suggestive bzw. manipulative Bildersprache gekennzeichnet ist. Fach- und insbesondere Fremdsprachen bilden einen wesentlichen Bestandteil im sprachlichen und stilistischen Repertoire der Werbesprache. Der Beitrag gliedert sich denn auch in zwei Abschnitte: Im ersten Teil der Untersuchung wird das sprachliche und stilistische Repertoire (Fachsprachen, Jugendsprache, Dialekt, Fremdsprachen (Anglizismen) der Werbesprache dargestellt. Der zweite Teil der Untersuchung beinhaltet eine exemplarische Analyse von türkischen und deutschen bzw. deutschsprachigen Werbeanzeigen im Hinblick auf die Verwendung von Anglizismen.