830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Die folgenden Ausführungen konzentrieren sich (aber mit Anschließbarkeit an einige bisherige Interpretationsansätze, wie etwa den von Martel [2004]) gemäß dem narratologischen Analysekonzept auf das Gedicht als Reflexionsprozess (und der schließlich damit verbundenen Reflexion von Dichtung) im Rahmen der Imaginations- und Erinnerungsthematik, die bereits mit der Überschrift „Andenken“ angesprochen wird. Auf eine ausführliche Auseinandersetzung mit anderen (insbesondere primär philosophisch-metaphysischen) Deutungsansätzen wird verzichtet.
Inhalt 1. Humboldts Kritik am Kolonialsystem 2. Zielsetzung der Reise 3. Die Rolle Humboldts als Forschungsreisender 4. Aussagen zum Kolonialismus während der Reise. Beispiele 5. Der inoffizielle und der offizielle Humboldt 6. Der Essai politique sur le royaume de la Nouvelle-Espagne 7. Die Relation historique 8. Wirkung
Was läge näher, als im Jahr von Schillers 200. Todestag einen Beitrag mit einer Referenz an den „Dichter der Freiheit“ (Reich-Ranicki) zu beginnen, dessen Modernität in jeder der neueren Studien zu Leben und Werk des Klassikers betont wird? In der Fülle der Neuerscheinungen von Alt über Damm zu Safranski wird die Aktualität des Schillerschen Werks mit dem Verweis auf die unabgeltbaren Prinzipien geistiger Freiheit begründet. Von solch erwartbaren rereadings des Schulbuchklassikers ausgehend soll hier der Weg in eine andere Richtung gehen, indem nach einem verschollenen „Zwilling“ Schillers gefahndet wird, dessen Lebenskonturen eine Art „Komplementärmythos“ aufscheinen lassen. Dass und inwiefern dieser möglicherweise Elemente eines unvollendeten Projekts einer anderen Klassik (und Moderne) enthält, soll an dessen Zitierfähigkeit für die Postmoderne untersucht werden. Wie Die Räuber, Cervantes Don Quijote, Klassik und Exotismus, Weimar und das Kap der Guten Hoffnung in all ihrer scheinbaren Heterogenität überraschenderweise aufeinander verweisen, wird sich im Fortgang meiner Ausführungen zeigen lassen.
Der prägnante Moment fand nicht statt : Vaterlosigkeit und Heilige Familie in Lenz´ Hofmeister
(2004)
Eine Auseinandersetzung mit den konfessionellen Konflikten, das bedeutet im Blick auf Jeremias Gotthelf, einen evangelisch-reformierten Theologen und Schriftsteller im Kanton Bern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, fast ausschließlich eine Auseinandersetzung mit dem zeitgenössischen Schweizer Katholizismus. Kein Thema hat die Schweiz in die-sem Zeitraum neben den Folgen der industriellen Revolution mehr bewegt, tiefer erschüt-tert und nachhaltiger geprägt als die konfessionellen Konflikte, die zunächst auf einer geis-tigen Ebene, dann zunehmend mit physischer Gewalt in der keineswegs so idyllischen „Pracht ihrer stillen Täler“ ausgetragen wurden. Inmitten dieser Auseinandersetzungen zwischen einem sich immer ultramontaner gebärdenden Katholizismus auf der einen und den mehrheitlich reformierten Anhängern des politischen Radikalismus auf der anderen Seite steht Jeremias Gotthelf alias Albert Bitzius, der unermüdlich produktive Briefschreiber, Essayist, Prediger, Erzähler und Romancier. Untersucht man sein umfangreiches Werk auf Spuren, welche die Konflikte des „zweiten konfessionellen Zeitalters“ darin hinterlassen haben, wird man an zahlreichen Stellen fündig, und die Analyse aller bisher greifbaren relevanten Texte läßt einen bewußt reformierten Menschen und Autor sichtbar werden, der sein Verhältnis zum Katholizismus ein Leben lang immer wieder neu überdacht und an den jeweils aktuellen Zeitgeschehnissen überprüft hat und der so auch immer wieder neu zu einer persönlichen, teils recht individuellen und oftmals sehr einsamen Position gegenüber einem sich ebenfalls wandelnden Katholizismus gefunden hat. Insgesamt können fünf verschiedene Phasen abgesteckt werden, die jeweils eine andere Haltung Gotthelfs zum Schweizer Katholizismus erkennen lassen. Diese Wandlung sei im folgenden exemplarisch an fünf Beispielen nachgezeichnet, wobei vieles aufgrund der hier gebotenen Kürze nur angedeutet werden kann (vgl. Hildmann, 2005).
Goethes Sommerreise 1805
(2005)
Warum Wezel?
(2004)
Ich werde zunächst kurz Begriff und Entwicklung der Naturgeschichte im 18. Jahrhundert skizzieren (I); anschließend soll der von Bertuch angepriesene Nutzen der Naturgeschichte fürs Leben näher untersucht werden (II); in einem weiteren Schritt werde ich auf Probleme und Mittel der Popularisierung eingehen (III) und schließlich noch kurz über den Erfolg des Projekts berichten (IV).
1. Zur Vorreden-Reflexion - Kulturförderung durch Geschmacksbil-dung oder durch Vermittlung von Weltwissen 2. Ein Vergleich der Inhalte im Jahrgang 1776 - zweierlei Kultur-Panoramen 3. Ein Vergleich ausgewählter Beispiele - diskursive Unterströmungen und argumentative Verwerfungen im Alltagsgeschäft | 3.1 Abhandlungen über die Schönheit - wechselnde Fronten in der Ästhetik | 3.2 Abraham auf Moria - die Einstimmigkeit des empfindsamen Diskurses über die Musik | 3.3. Die Schwärmer-Debatte - ein Freiraum für Meinungen in der Diskussion | 3.4. Die Homer-Übersetzung - ein kulturpolitisches Gemeinschaftsprojekt
Wezel und die Frauen : Prototypen feministischer Argumentationsstrukturen im späten 18. Jahrhundert
(2004)
Bei der Behandlung des Themas "Wezel und die Frauen" muß leider zunächst eine schmerzliche Leerstelle konstatiert werden: In Johann Karl Wezels Vita, die ja sowieso nur sehr fragmentarisch überliefert ist, scheinen Frauen seltsam ausgeschlossen. Das gilt jedoch zum Glück nicht für das Werk. Hier finden sich mehrere interessante Frauengestalten und sogar eine weibliche Titelheldin ? was für einen männlichen Autor der Zeit einigermaßen ungewöhnlich ist. Wenn ich im folgenden exemplarisch einige dieser Frauenfiguren untersuche, geht es mir zunächst um eine feministische Fragestellung: Gibt es im Werk Wezels eine Vorstellung von Emanzipation, eine Kritik von Geschlechtsstereotypen oder ein Konzept von Weiblichkeit? Spielt Gender für das Schreiben Wezels überhaupt eine Rolle? Darüber hinaus interessiert mich jedoch auch die umgekehrte Frage: Welchen inhaltlichen Stellenwert und welche poetologischen Konsequenzen haben die Themen von Weiblichkeit, Männlichkeit, Liebe und Ehe für das Werk Wezels selbst? Um das sozial- und diskursgeschichtliche Umfeld im späten 18. Jahrhundert wenigstens durch knappe Streiflichter zu erhellen, werde ich im folgenden zuerst auf einige literarische und theoretische Texte der Zeit zu sprechen kommen, die sich ebenfalls mit Geschlechterfragen beschäftigen. Im Anschluß daran werde ich vor allem den Belphegor sowie die Ehestandsgeschichten und in einem kurzen Exkurs Herrmann und Ulrike behandeln.
[Hier sollen Fragen] anhand der Untersuchung eines wesentlichen Bestandteils des Versuch, nämlich der Theorie von den Empfindungen, geklärt werden. Diese breitet Wezel ausführlich im zweiten Teil des Werks aus, ja sie hätte sogar noch den dritten Teil ausgefüllt. In der Philosophie und der Rhetorik wird das Thema seit der Antike unter dem Titel "Affektenlehre" behandelt; in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts präsentiert es sich im neuen Gewand als Lehre von den Gefühlen - Wezel ist einer der ersten, die den neuen Terminus benutzen. Um die diskursive wie philosophiegeschichtliche Einordnung des Versuch zu präzisieren, werden vergleichend die Affektlehren einiger Texte hinzugezogen, die Wezel selbst an verschiedenen Stellen als seine Quellen benannt hat, und die gleichzeitig stellvertretend für verschiedene philosophische Richtungen und unterschiedliche disziplinäre Kontexte stehen sollen: John Lockes Essay on Human Understanding, David Humes Treatise of Human Nature und Claude-Adrien Helvétius´ De l´esprit als Vertreter philosophischer Hauptströmungen der Zeit (vgl. I); Johann Friedrich Zückerts Medicinische und moralische Abhandlung von den Leidenschaften und Samuel Auguste Tissots Traité des nerfs als medizinische Beiträge (vgl. II); und schließlich für die deutsche Popularphilosophie Johann Georg Feders Untersuchungen über den menschlichen Willen (vgl. III). Anschließend soll Wezels eigene Theorie der Empfindung kurz dargestellt und zu den anderen Texten in Beziehung gesetzt werden (vgl. IV). Ich werde dabei versuchen, wesentliche Aussagen der genannten Autoren zu zentralen Themen der Affektenlehre herauszuarbeiten: Wie definieren sie die grundlegenden Termini Affekt, Leidenschaft, Empfindung, Gefühl? Was für Klassifikationen und Kategorien führen sie ein? In welchem Verhältnis stehen die Affekte bei ihnen zur Moralität und zum Willen/Begehrungsvermögen des Menschen? Daneben wird zu untersuchen sein, welcher Methoden sie sich bedienen: Gibt es so etwas wie spezielle philosophische oder anthropologische Argumentationen, Schluß- und Beweisverfahren oder eine unterschiedliche Topologie der verschiedenen Diskurse über den Menschen?
Ich will im folgenden zunächst kurz darstellen, wie Wezel selbst in der zitierten Oberon-Rezension sein eigenes Dichtungsverständnis expliziert. Anschließend will ich in einem sehr knappen Durchgang durch die neuere Forschung zeigen, welche unterschiedlichen Triebwerks-Modelle im Blick auf den »ganzen Wezel « bisher vorgeschlagen wurden. Abschließend werde ich das literarische Gesamtwerk in den Blick nehmen und untersuchen, wie die verschiedenen Triebwerks-Modelle dort in Bewegung gesetzt werden bzw. zusammenspielen.
Die Zuspitzung auf die Rechtsproblematik in beiden Erzählungen verdeckt in der Tat etwas, aber es als das Eigentliche zu bezeichnen, käme aus der Perspektive einer an Kleist orientierten Lektüre dem aporetischen Versuch gleich, Einsinnigkeit im Feld polysemantischer Relationen zu konstruieren. Nicht von ungefähr wurde in einer Ver-öffentlichung jüngeren Datums auf das Manko einer Interpretation hingewiesen, die Kleists Bettelweib von Locarno zum Referenztext von Schloß Dürande nimmt, ganz zu schweigen von der Parallele, die zwischen Gabriele und dem Käthchen von Heil-bronn schon in einer Rezension aus der Publikationszeit der Eichendorff-Novelle ge-zogen wurde. Und erst recht hellhörig wird man, wenn Wolfgang Wittkowski das Versepos Robert und Guiscard, das in der Vergangenheit immer wieder in die Nähe der Dürande-Handlung gerückt wurde, „in entfernter Anlehnung an Kleists ,Käthchen‘“ gestaltet sieht. Denn so klingt die Vermutung weniger spekulativ, dass es sich bei Nicolo, dem Schlosswächter und Vertrauten Hippolyt Dürandes, nicht nur rein zufällig um einen Namensvetter des Findlings in der gleichnamigen Kleist-Erzählung handelt. Kleists Texte verhalten sich zur Novelle Eichendorffs wie Nicolo zu Colino, der verstorbenen Schattenfigur im Findling: Entsprechend der anagrammatischen Konstellation sind sie im Sinne von Jean Starobinski als abwesend gegenwärtig zu denken. Das macht einerseits ihre Anschlussfähigkeit in unterschiedlichen Zusam-menhängen aus, andererseits teilt sich der subversive Charakter, der sie auszeichnet, unmittelbar auch der Novelle mit. Nicht zuletzt aus diesem Grunde erweist sich Das Schloß Dürande in unterschiedlicher Hinsicht: thematisch, erzählerisch und sprachlich, als ein Stück umgestürzter Ordnung.
Für die Erforschung geselligen Literaturlebens im 18. Jahrhundert sind syste-matische, landesgeschichtlich fundierte Studien erforderlich, die in den Archiven vor Ort die Entstehung und Verbreitung von literarischen Gesellschaftsformen innerhalb eines Territoriums oder einer Landschaft aufarbeiten. Monika Neugebauer-Wölk weist in der Einführung zu Holger Zaunstöcks Studie Sozietätslandschaft und Mitgliederstrukturen zu Recht darauf hin, dass die Erforschung von aufklärerischer Geselligkeit und Lesekultur sich hauptsächlich an der Kultur-, Alltags- und Mikrogeschichte zu orientieren hat. Die Vorstellung des Gründungsvorhabens einer reinen Frauengesellschaft in der mittelhessischen Universitätsstadt Gießen um 1789/1790 soll einen Baustein zu der Frage nach explizit weiblichen literarischen Geselligkeits- und Organisationsformen im Umfeld der Französischen Revolution beisteuern. Im Mittelpunkt der hier zu beschreibenden literarischen Aktivitäten steht die Schriftstellerin, Redakteurin und Journalistin Henriette Charlotte Hezel, die 1779 in Ilmenau bei Weimar das Frauenjournal Wochenblatt für´s Schöne Geschlecht redigierte. Nach ihrem Umzug nach Gießen setzte sie am neuen Wirkungsort ihr literarisches Engagement fort und projektierte eine reine Frauenlesegesellschaft, „wo kein Hauch männlicher Nation das Zimmer berühren soll“. Kurze Zeit später wurde sie Mitglied eines auf privater Basis organisierten weiblichen Lesezirkels in der Universitätsstadt. Hezel verließ damit den tradierten Erfahrungsraum des Privaten und trat als Schriftstellerin, Herausgeberin und Organisatorin einer reinen Frauenlesegesellschaft in die literarische Öffentlichkeit. Bemerkenswert an dieser Gründungsinitiative war die auffällige Affinität der Organisatorin zur radikaldemokratischen Geheimgesellschaft Deutsche Union, die von dem Radikalaufklärer Karl Friedrich Bahrdt 1787 gegründet wurde und im hessischen Raum ein wichtiges Wirkungsfeld besaß. Eine zentrale Rolle für die Verbreitung der Bahrdtschen Ideen in der hessischen Region spielte das Verlagsunternehmen Krieger, das verschiedene informelle Foren für den lite-rarischen Austausch zwischen den Mitgliedern der Geheimgesellschaft schuf. Für das Frauenleseprojekt in Gießen stellt sich deshalb die Frage, ob das aufkläreri-sche Leseprogramm der Deutschen Union für die Gründungsabsichten einer Frau-enlesegesellschaft in Gießen wesentliche Impulse lieferte. Eine zweite Frage zielt auf die mögliche überregionale Ausstrahlung dieses innovativen literarischen Projekts.
Im Blickfeld meiner Ausführungen werden die Kommunikationsabläufe des literarischen Marktes und die Vertriebsstrukturen in der Verlagsbranche stehen. Besonderes Augenmerk gilt den materialen Medien des Netzwerks, die Alltäglichkeit der Netzwerkgestaltung, die fortgesetzte Installation und Weiterentwicklung von Netzwerken als Alternative zum unzulänglichen postalischen und Finanzsystem, unter dem die expansive Buchbranche um 1800 besonders zu leiden hatte.
In der Schrift Der Verfasser teilt die Geschichte seiner botanischen Studien mit (1817) erinnert Goethe, wie er 1786 in Padua angesichts einer Fächerpalme die Idee zur "Metamorphose der Pflanze" faßte. Er ließ deswegen einen Gärtner die "Stufenfolge dieser Veränderungen" abschneiden und führte diese botanischen Dokumente zwischen großen Pappen mit sich. 1817 weiß er, wie dieses Verhalten zu bezeichnen ist: "Sie liegen wie ich sie damals mitgenommen, noch wohlbehalten vor mir und ich verehre sie als Fetische, die meine Aufmerksamkeit zu erregen und zu fesseln völlig geeignet, mir eine gedeihliche Folge meiner Bemühungen zuzusagen scheinen." (WA II, 6, 119-121) ...
Gottfried August Bürger
(2008)
Überblickt man Bürgers Leben, so offenbart sich, daß er nicht nur während dieses Schicksalsschlages, sondern zu jeder Zeit – und er selber deutet ja darauf hin – in einem Morast erbärmlicher Verhältnisse, unsäglicher Mühen und auswegloser Situationen steckte, aus denen zu befreien er sich immer wieder bemühte, doch letztlich vergebens. Es wird auch deutlich, daß die Figur des Freiherrn von Münchhausen, des Über-menschen, der immer Glück hat und die schwierigsten Situationen meistert, Bürger als sein eigenes Gegen- und Wunschbild angezogen haben muß. Aus seinen Briefen lernen wir Bürger als einen überaus unsicheren, labilen Menschen kennen, zwischen Extremen schwankend, bald sich zu wenig, bald sich zu viel zutrauend, schnell resignierend und ebenso schnell triumphierend, voller genialer Ideen, aber oft unfähig, sie in die Tat umzusetzen – sei es aus persönlicher Anlage, eigener Schuld, oder aufgrund äußerer Umstände. In beinahe allen veröffentlichten Schriften dagegen kompensiert er seine Schwäche und Ohnmacht durch Kraft und Stärke, durch forcierte Forschheit und gewagte Flucht nach vorn. Von Anfang an ist es der Münchhausen-Stil, der hier vorherrscht, ein Renommiergehabe, das seine Verzagtheit überdeckt und das verständlich, viel leicht sogar einnehmend werden kann, wenn wir sein Schicksal kennen.
Bei den alljährlichen Fastnachtsumzügen der Stadt Esslingen reitet unter den die Vergangenheit repräsentierenden Figuren auch eine schwarzgelockte Gestalt in Generalsuniform, mit Federhut und Stulpenstiefeln. Sie stellt Ezéchiel Graf von Mélac dar, einen der im südwestlichen Deutschland gefürchtetsten Generale Ludwigs XIV. Um diese, im Gedächtnis der Esslinger einen unauslöschlichen Eindruck hinterlassende Gestalt hat sich im Laufe der Zeit eine Legende gebildet, die sich zu einer fest umrissenen Sage verdichtet hat. Während des 18. und 19. Jahrhunderts hat die Sage verschiedene literarische Adaptionen erhalten. Der folgende Beitrag versucht aufzuzeigen, in welchem Maße die Entstehung der Sage und ihr literarisches Fortleben unabhängig von der historischen Realität, und in welchem Grade ihre Ausprägungen den jeweils herrschenden Ideologien unterworfen waren.
Psyche und Bewußtsein, Ausdruck und Gestik, Sprache und Bild – diese drei Aspekte eines Sachkomplexes rückten im Zeichen eines neuerwachten Interesses an Anthropologie, Körpersprache und Metaphorik in den letzten Jahren verstärkt ins Blickfeld. Eine Untersuchung der Metaphern, die affektische Regungen versprachlichen, muss demnach verschiedene Ebenen berücksichtigen. Auf der ersten Ebene liegt der Bereich der psychischen Bewegungen. Was sich im Bewusstsein oder im Unterbewusstsein ereignet und in Form von - kalkulierten und emotionalen - Handlungen äußert, scheint ein Resultat bestimmter Hirnfunktionen zu sein, wie die Hirnforschung der letzten Jahre deutlich machen konnte. Auf einer zweiten Ebene sind die Ausdrucksformen des Bewusstseins angesiedelt. Mit ihnen hat sich außer der modernen Psychologie schon immer die Disziplin der Mimik und Gestik beschäftigt, weniger aus erkenntnistheoretischen Gründen, als vielmehr aus pragmatischen Interessen. Der gesellschaftliche Aspekt findet sich in der das weltkluge Handeln lehrenden Wissenschaft von der "Politik" und deren Ausläufern, den Benimmbüchern; der künstlerische Aspekt in der Schauspielkunst, die sich mit dem Komplex körperlichen Agierens auseinandergesetzt hat und den werdenden Mimen konkrete Anweisungen erteilt, wie am eindrucksvollsten Schmerz und Freude, Hass und Liebe pantomimisch ausgedrückt werden könne – im Bund mit oder an Stelle von sprachlicher Handlung. Auf einer dritten Ebene, der Ebene der Zeichen, befindet sich das Arsenal der sprachlichen Mittel, mit denen die Ausdrucksformen literarisiert werden. Es handelt sich dabei um ein festumgrenztes Bild- und Metaphernrepertoire zur Benennung bestimmter Ausdrucksformen, das in gesellschaftlichen Konventionen steht und in ritualisierter Weise zur Anwendung kommt. In der Literatur freilich werden diese Konventionen erweitert oder durchbrochen; das macht ihren "Mehrwert" gegenüber der ritualisierten Alltagssprache aus. Metaphern sind konzentrierte Semantik, und insofern vermag ihre Analyse auch über historische Mentalitätsprozesse Aufschlüsse geben.
Mit dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und Caroline Flachsland besitzen wir ein Dokument, das eine Fülle von Einsichten in die Psyche zweier komplexer Persönlichkeiten bietet, der nicht zuletzt wegen der Umbruchsituation, in der sich beide Briefschreiber sowohl nach ihren privaten Umständen als auch nach ihrer geistigmentalen Orientierung befanden, von Interesse ist. „Der Briefwechsel zwischen Herder und Caroline mit seiner Gefühlsbetontheit und seinem seelischen Auf und Ab“, so befindet der Herderbiograph Friedrich Wilhelm Kant-zenbach, „gehört zu den reizvollsten der deutschen Geistesgeschichte. Man nimmt tiefen Anteil an dem Empfinden des zwanzigjährigen Mädchens, das über des Freundes schulmeisterliche Glossen verdrossen ist und nicht einsieht, weshalb der geliebte Mann zögert, das Jawort zu sprechen.“ Bevor eine Reihe dieser Aspekte näher beleuchtet werden kann, ein Blick auf die biographische Situation der Briefschreiber.
Mit "Inbrunst im Herzen" reiste Richard Wagners Tannhäuser nach Rom. Jedoch "verschlossnen Augs, ihr Wunder nicht zu schauen, durchzog <er> blind Italiens holde Auen." Der Pilger Tannhäuser folgte langbewährter Sitte. Wie die Geschichte des Reisens, die Apodemik, lehrt, hat es im Laufe der Jahrhunderte sehr unterschiedliche Arten des Reisens gegeben. Im Mittelalter waren es Pilger und Ritter, die aus religiösen oder politischen Gründen die beschwerliche und gefahrvolle Romfahrt auf sich nahmen und sich den Teufel um Kunst und Land und Leute scherten. Erst im 17. Jahrhundert wandelte sich die Motivation. ...
Die vorliegende Bachelorarbeit von Petra Mayer unterwirft E.T.A. Hoffmanns sogenanntes Kunstmärchen ‚Meister Floh’ einer gattungsanalytischen Revision. Durch stringente Argumentation gelangt die Verfasserin zu interessanten Ergebnissen, denn sie kann zeigen, daß Hoffmanns Text entscheidend durch groteske und satirische Elemente der menippeischen Tradition bestimmt wird. Ausgehend von der Überlegung, daß die von der Forschung monierte Heterogenität des Textes kein Defizit, sondern ein bewußtes Stilmittel darstellen könnte, werden bei der Untersuchung Gestaltungsprinzipien erkennbar, die auf die literarische Groteske verweisen: Brüche, Ambivalenzen, Digressionen, intertextuelle Bezüge und Metafiktion. Deutlich werden Bezüge zur menippeischen Tradition nach Bachtin (Lukian, Sterne, Smollet, Rabelais): Lachen, Traum, Wahnsinn, Phantastik, Kontraste, Vermischung von Welten und Stilen, Zeitkritik etc. – eine kontrastive Heterogenität gegen jede Regelpoetik, sodaß Irritationen dem Leser die Möglichkeit zur Neuorientierung eröffnen. Als repressive Rahmenbedingungen für eine solche Poetologie werden am Ende der Untersuchung die Zensur der Restaurationszeit und die Karlsbader Beschlüsse plausibel gemacht. Der Schluß von Hoffmanns Erzählung kann daher entschieden (und gegen die Forschung: Martini) als nicht harmonisierender (Märchen-)Schluß gedeutet werden.
Der Ratgeber ist „ein Seitenstück zur Kunst mit Männern glücklich zu seyn“. Das Kapitel „Die Karakteristik des Geschlechts“ fasst die Geschlechterphilosophie der Zeit um 1800 schlagwortartig zusammen. Der Zusatz „nach Göthe“ etc. verweist, wohl in spekulativer Absicht, auf bekannte Autoren, deren Werken die Maximen entnommen sein sollen. Bei dem vorliegenden Exemplar handelt es sich um einen Nachdruck des im Verlag Oehmigke in Berlin 1800 mit fünf Kupfertafeln erschienenen Werkes. Der Nachdruck enthält ein eigenes Titelkupfer. Das Werk liegt in der Originalausgabe als Mikrofiche in der „Bibliothek der deutschen Literatur“ (Mikrofiche-Ausgabe, München: Saur 1990-94) vor. Im Folgenden werden wiedergegeben: Titelkupfer und Titel mit Vignette, Inhaltsverzeichnis, Erklärung des Titelkupfers und der Vignette, Einleitung: Die Karakteristik des Geschlechts.
Der Beischlaf : eine phisiologische, historische und philosophische Darstellung ; dritter Theil
(2008)
Ich möchte den Gemeinsamkeiten wie den Differenzen beider Texte nachgehen und aus ihrem Spannungsverhältnis die "Welt" der Venetianischen Epigramme charakterisieren. Zunächst stelle ich vergleichend einige der Prosa und den Epigrammen gemeinsame Themen und Motive vor und suche ihre poetischen Versionen zu analysieren. In einem zweiten Punkt wird sich zeigen, daß Goethe nicht nur zu äußerst gewagten erotisch-sexuellen Themen neigt, sondern diese auch ganz bewußt im unteren sozialen Milieu des "Volks" ansiedelt. Erklärungen dafür kann – drittens – ein Blick auf Goethes Reaktion auf die im Vorjahr 1789 statt-gefundene Französische Revolution bieten und – viertens – zu dem Ergebnis führen, daß auch in seinem Inneren sich eine "Revolution" ereignete, die ihn zu dieser Zeit in Verwirrung und Irritation brachte. "Verwirrung und Irritation" sind wiederum Momente, die auch sein Venedig-Erlebnis vier Jahre zuvor, 1786, prägten. Unterschiedlich jedoch ist deren literarische Behandlung: Erfolgt im Tagebuch der italienischen Reise – das wäre ein fünfter Punkt – ein Ordnungs- und Orientierungsprozeß, so bleibt in den Venetianischen Epigrammen – sechstens - die Turbulenz bestehen, und gerade sie erweist sich als poetisch produktiv. Sie läßt sich – siebtens - generell als "Grenzüberschreitung" definieren, deren poetischen Niederschlag ich in einigen zentralen Bereichen verfolgen möchte, um abschließend in einem achten Punkt nach gemeinsamen Strukturmerkmalen der Venetianischen Epigramme zu suchen. Da Besonderheit und Reiz des ganzen Zyklus aus Goethes Befindlichkeit im Jahre 1790 resultieren, zitiere ich die handschriftliche Urfassung aus dieser Zeit und nicht die abgemilderten und geglätteten Versionen von 1795 und 1800.
Es [war] schon immer ein Wertungskriterium für Kunst, ob es ihr gelänge, Natur so darzustellen, daß diese Künstlichkeit dieser zweiten, künstlichen Natur darüber vergessen wird. Hier aber, und darauf kommt es mir an, wird solche künstliche Natürlichkeit mit dem Konzept der Volkspoesie in Verbindung gebracht. Ich möchte mich bei diesem Problem ein wenig aufhalten und Bürgers Ballade in diesen Zusammenhang – Entstehung der Kunstballade und der Volkspoesie-Konzeption – einordnen. Dann werde ich etwas genauer auf "Die Entführung" selbst eingehen.
Ziel der folgenden Ausführungen ist es, Hölderlins Verarbeitung des Fichteschen "Wechsel"-Begriffs sowohl in seiner Tragödientheorie wie auch in der Tragödie selbst kenntlich zu machen. Ausgehend von Fichtes philosophischer Konzeption ist zunächst zu zeigen, in welcher Weise Hölderlin die ‚Wechselwirkung’ im Grund zum Empedokles poetologisch funktionalisiert. Vor diesem Hintergrund soll danach die dichterische Umsetzung der "Wechselwirkung" im Tod des Empedokles verfolgt werden.
Die hier vorgeschlagene Neuzuschreibung der Nachricht über Tischbeins berühmtes Goethe- Porträt an Aloys Hirt erlaubt es nicht nur, die durch die bisherige Zuschreibung bedingten Widersprüche in der Biographie Ludwig Philipp Stracks aufzulösen, die in der Kunstgeschichte immer wieder für Verwirrung gesorgt haben. Tatsächlich dürfte Strack wohl erst im Jahre 1789 gemeinsam mit dem Landschaftsmaler Friedrich Christian Reinermann (1764-1835) nach Italien gereist und mit Tischbein erst im Jahre 1790 in Neapel zusammengetroffen sein.23 Mit der Neuzuschreibung wird zudem ein wichtiger Quellentext der Kunst- und Literaturgeschichte des Klassizismus einem Verfasser wiedergegeben, der von der Forschung lange Zeit vernachlässigt worden ist, von Goethe jedoch trotz „oftmaliger verschiedener Meinung” zeitlebens geschätzt wurde. In einem Brief vom 12. August 1827, in dem er sich bei Hirt für die Übersendung der letzten Bände von dessen Geschichte der Baukunst (Berlin 1827) bedankt, läßt Goethe seinen ehemaligen Cicerone wissen: „Nun erinnert mich das übersendete Werk aufs angenehmste an gemeinsamen Eintritt in das Kunstgebiet; es giebt Zeugniss von fortwährendem parallelen Handeln und Bemühen, von convergirendem und begleitendem Thun und Wirken”. Ein Werk mit vergleichbarem Zeugnischarakter ist auch die 1787 verfaßte Beschreibung von Tischbeins berühmtem Gemälde Goethe in der Campagna di Roma, die am Anfang einer mehr als vierzigjährigen Bekanntschaft steht und zugleich, gemeinsam mit dem Verzeichniß der bekanntesten jetztlebenden Künstlerin Rom, als der früheste handschriftlich überlieferte Text Hirts gelten muß.
Romantische Ausgelassenheiten : demonstriert an Clemens Brentano ; das Märchen von dem Dilldapp
(2003)
Was Novalis seinen Lesern in dieser wie ein Fanal der Sehnsucht und der Rückkehr klingenden Exposition vor Augen führt, ist das Bild eines Kontinents, dessen Homogenität durch die gemeinsame Religion und die Weisheit der geistlichen Führer gestiftet wird. Eine wahre Steilvorlage für heutige Verfechter eines Vereinigten Europa auf der gemeinsamen Basis genuin christlicher Werte. Doch hält dieser geschichtsphilosophische Essay wirklich, wofür er im aktuellen Europadiskurs vereinnahmt wird? Lassen sich diesem frühromantischen Zeugnis aus der Zeit an der Schwelle zum 19. Jahrhundert Impulse abgewinnen, die am Beginn des 21. Jahrhunderts zu einer Präzisierung der strittigen Unbestimmtheit einer europäischen Identität beitragen können? Gibt es triftige Gründe dafür, weshalb Europapolitiker noch heute Novalis lesen sollten? Oder müssen wir nach eingehender Prüfung doch von einem „unnützen“ Aufsatz sprechen, wie dies der ungekrönte König der Romantik, Ludwig Tieck, bereits 1837 unverblümt getan hat? Solche Fragen zu erwidern, soll in einem ersten Schritt zunächst die Struktur des Textes nachgezeichnet werden, um zu verdeutlichen, wie Novalis darin die abend-ländische Geschichte triadisch als Heilsgeschichte entwickelt. Dem τέλος dieser Heilsgeschichte widmet sich dann der darauffolgende Abschnitt, ehe abschließend der von Novalis genannte „Zauberstab der Analogie“ auch mit Blick auf unsere Gegenwart angewandt werden soll, um nach der Relevanz dieses romantischen Refe-renztextes für den aktuellen Europadiskurs zu fragen.
Hier soll nur ein Überlieferungsstrang herausgegriffen werden, das Bild „der Russen“ in einem Klassiker der borussischen Historiographie: Johann Wilhelm von Archenholz’ Geschichte des Siebenjährigen Krieges in Deutschland von 1756 bis 1763. Obwohl Archenholz, eine zentrale Bedeutung für die Entstehung eines spezifischen Bildes vom russischen Menschen in Deutschland hatte, wurde er bislang in der aus-ufernden Literatur, die dem deutschen Russlandbild gewidmet ist, vollkommen übersehen.
Am 6. August 1806 ließ der letzte erwählte Römische Kaiser, Franz II., in Wien die staatsrechtliche Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation verkünden. Am 7. August 1806 schreibt Goethe auf der Rückreise von Karlsbad in sein Tagebuch, der „Zwiespalt des Bedienten und Kutschers auf dem Bocke“ habe die Reisegesellschaft „mehr in Leidenschaft versetzt als die Spaltung des Römischen Reichs“. Dieser Satz wird in nahezu allen Darstellung, die das Ende des Alten Reiches berühren, zitiert. Nimmt man den Satz ernst, drängt sich die Vermutung auf, daß das Reich für die deutschen Intellektuellen, zumindest aber für Goethe keine besondere Bedeutung mehr gehabt hat.
Die von [einer] Flugschrift ausgelöste öffentliche Diskussion belegt, daß die Zeit seit Beginn des Siebenjährigen Krieges, ab 1756, von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung des deutschen Nationalbewußtseins war. Diese These wendet sich gegen die übliche Datierung dieses Vorganges in die Zeit der Revolutions- und Befreiungs-kriege von 1792 bis 1815 sowie gegen die These, die Entwicklung der „Idee eines deutschen Nationalstaates“ sei erst in der Mitte des 19. Jahrhunderts, im Kontext der Märzrevolution von 1848/49 zu beobachten. Es wird sich zeigen, daß die Entwicklung eines deutschen nationalen Bewußtseins im modernen Sinne in einen gesamteuropäischen Diskurs eingebettet und insbesondere von Schweizer Vorbildern beeinflußt war. Darüber hinaus war es insbesondere der kaiserliche Hof in Wien, der das Entstehen eines gesamtdeutschen Nationalbewußtseins förderte.