830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Das Pathos, mit dem die Intellektuellen seit 200 Jahren als moralische Autoritäten angerufen oder als 'Verräter' oder 'Volksfeinde' mißachtet wurden, ist einer generellen Ernüchterung gewichen. "Ich möchte nicht, daß Männer für mich denken", schrieb Sibylle Berg 2009 in Literaturen. Mit Habermas, Luhmann und Adorno weiß sie nichts mehr anzufangen. Vorstellen kann sie sich als Intellektuelle allenfalls "Susan Sontag, Hannah Arendt oder Oriana Fallaci [... ] Alle nicht deutsch. Alle eine Mischung aus Publizistinnen und Philosophinnen. Und Frauen." Immerhin gesteht sie auch den in ihrer Sicht langweiligen und wirkungslosen männlichen Intellektuellen eines zu: Zwar sei es "möglicherweise egal, ob es sie gibt oder nicht, die Intellektuellen. Nur so langweilig ist es ohne sie. So grau und reduziert auf unsere Grundbedürfnisse: Fernsehen schauen, essen und meckern." Was hier eher leichtgewichtig als Kultur- und Patriarchatskritik daherkommt, findet sein positives Pendant im Konzept des 'nomadischen Intellektuellen', wie es Toni Tholen Enzensberger zuschreibt. Dessen Unterhaltungswert bleibt auch hier im Zentrum: Von besonderem Interesse sei "das Verfahren des Sich-Aussetzens", das das Ich zum Schauplatz innerer Erfahrung, nicht notwendigerweise aber prinzipienfester Selbstbehauptung mache. Damit aber ist jenes Moment des Posierens, Inszenierens und Skandalisierens ausgesprochen, das die intellektuelle Intervention von allem Anfang an begleitet hat - und vielleicht ihr zentrales Charakteristikum bildet. Zwischen Arbeitszimmer und Literatencafé, punktuellem Engagement und "Distanz gegenüber allen festen Positionen und ihren Inhabern", zwischen Bekenntnis und Verrat profiliert sich der/die Intellektuelle als "Paria und Privilegierter" gleichermaßen.
Hoffmann unterschätzt und disqualifiziert hier - natürlich auch im Interesse der Aufwertung eigener künstlerisch-kritischer Produktion - die Beliebtheit des spät- und popularaufklärerischen Genres der Blindenheilung, das die handfest-praktische Gegenseite des hochambitionierten und spätestens seit Diderot auch philosophisch prominenten Phänomens darstellt. Als „hochbesetzte Technik des 17./18. Jahrhunderts“ oder gar als „Urszene der Aufklärung“ verbindet das Starstechen den Gewinn des Augenlichts mit dem potentiellen Verlust anderer, ersatzweise erworbener, oft aber auch stärker als normal ausdifferenzierter Fähigkeiten. So folgt zumindest auf die literarisierte Blindenheilung regelmäßig der Wunsch nach erneuter Blindheit m – oder der Abbruch der Narration, „als bedeute das Tageslicht das Ende der Fiktion“. Peter Utz belegte diesen Konnex bereits 1990 mit Beispielen von Jean Paul über Goethe bis zu Bonaventuras Nachtwachen, machte aber auch auf den Rat von dessen Erzählerinstanz aufmerksam, die mögliche Fortsetzung der Geschichte „als Material für trivialromantische Verwertung“ zu nutzen. Hoffmann hingegen entwertet – wahrscheinlich wider besseres Wissen – das philosophische wie narratologische Problempotential der Blindenheilung, indem er probehalber eine Reihe anderer Varianten durchspielt, vom Arterienverschluss (,Aneurisma') über den Wundbrand bis hin zur geglückten Amputation.
Explizite Notenzitate in der Schönen Literatur sind selten, weisen sie doch auf die grundsätzliche Fremdheit zwischen den beiden Medien hin. Diese wurde schon in der romantischen Musikliteratur ebenso oft beschworen wie zu widerlegen versucht. Musik sei die bessere Sprache, meinten zahlreiche romantische Autoren, niemals würde die verbale Sprache sie zu erreichen vermögen. Gleichwohl kämpften Wackenroder und Tieck, Heine und Grillparzer um jene poetische Sprache, die so viel mehr sein soll als die Prosa. So überrascht es nicht, wenn nur wenige Autoren sich der Herausforderung stellen, mit dem Notentext selbst auch die Grenzen ihres eigenen Mediums zu bezeichnen - und noch weniger nutzen sie das Notenzitat als Indiz ihrer poetologischen Grundüberzeugungen. Nicht zufällig sind Hans Henny Jahnn, Arthur Schnitzler und Ingeborg Bachmann die wichtigsten nach wie vor seltenen Zeugen einschlägiger medienkomparatistischer Betrachtungen.
Der ,Neue Mann' zwischen Familie und Beruf : Erkundungen bei Hans Fallada und Joseph Breitbach
(2014)
Falladas „Kleiner Mann“ gehört zu den Erfolgstiteln der späten Weimarer Republik und darf bis heute mit uneingeschränktem Publikumsinteresse rechnen. Empathisch, realitätsnah, detailreich, aber wenig politisch engagiert, rief die Darstellung der absinkenden Mittelschicht schon in der Weimarer Republik den Vorwurf der „linken Melancholie“ hervor, der neben Fallada auch Kästner traf. Noch 1970 diente diese Kategorie dem Literaturwissenschaftler Helmut Lethen als Kampf- und Abwehrbegriff gegen einen vorgeblich „weißen“ Sozialismus, dem er die Absicht sozialer Pazifizierung zuschrieb. Die Farbwahl deutet auf die Langlebigkeit des politisch-literarischen Topos hin, hatte doch Kurt Tucholsky schon 1926 die deutsche Sozialdemokratie in dem Gedicht „Feldfrüchte“ als „außen rot und innen weiß“ charakterisiert. Joseph Breitbach greift in seinen Erzählungen „Rot gegen Rot“ und „Das Radieschen“ von 1928/29 diese Metaphorik ebenso auf wie die mit ihr assoziierten widerstreitenden Positionen. „Rot gegen Rot“ lautet auch der Titel seines 1929 bei der Deutschen Verlagsanstalt erschienenen ersten Erzählbandes. Im Gegensatz zu den politischen Kampffronten sind diejenigen zwischen den Geschlechtern erst spät, dafür aber mit eindeutigem und nachhaltigem Interesse an der „Neuen Frau“ ins Blickfeld der Literaturwissenschaft geraten. Es scheint geradezu, als habe das Erlöschen der politischen Utopie, die sich zunächst in der Weimarer Republik, dann für zahlreiche, vor allem angloamerikanische, Forscher in der DDR verkörperte, die vorherigen Hoffnungen nun auf eine grundlegende Neudefinition des Geschlechterverhältnisses verlagert: Die „Neue Frau“ sollte im Privaten und Öffentlichen realisieren, was politisch eben nicht gelungen war. […] Parallel wäre zu wünschen, dass der Literarisierung des „Neuen Mannes“ die gleiche differenzierte Aufmerksamkeit zukäme - selbst wenn er massenmedial weit weniger präsent ist als seine Geschlechtsgenossinnen. Zeichen seiner Schwäche sind schon in den 20er Jahren unübersehbar. Der „Neue Mann“ ist zumeist – ob im wörtlichen oder übertragenen Sinne – der „Kleine Mann“.