830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Franziska Schößler untersucht die literarischen Strategien der Kommodifizierung von Weiblichkeit in Ernst Willkomms Romanzyklus "Weisse Sclaven" und Louise Ottos "Schloss und Fabrik". Willkomm und Otto sind mit dem modernen Phänomen der massenhaften Pauperisierung freigesetzter Arbeitskräfte vertraut und beteiligen sich schreibend an der marktgerechten Transformation weiblicher Arbeitskraft für die Bedürfnisse der Kapitalherrschaft: Frauen partizipieren am Marktgeschehen, indem ihre schönen, sexualisierten und leblosen Körper Zirkulationsprozesse in Gang setzen. In "Weisse Sclaven", so der Befund, sind die sozialen Verwerfungen der frühindustriellen Textilproduktion personalisiert; die Unterwerfung unter das gesundheitszerstörerische Maschinensystem erfahre eine spektakuläre Inszenierung wie auf einer Theaterbühne, bei der mit schauerromantischen Elementen nicht gegeizt werde. Anders als bei Willkomm würden in Louise Ottos "Schloss und Fabrik" die Möglichkeiten organisierten Widerstands der Arbeitenden zwar ausdrücklich thematisiert, zugunsten eines reformorientierten Programms der bürgerlichen Verbesserung der Arbeit letztlich aber verworfen. Das Ideal romantischer Liebe zwischen einer Fabrikantentochter und einem Arbeiter besetze eine zentrale Stelle im Text, die durch deren Tod durch Erschießen während eines Streiks durchkreuzt wird. Als Ausweg aus dem Elend empfiehlt Louise Otto Mildtätigkeit und das Almosenwesen; Liebe sei überdies das alle Klassenkonflikte aushebelnde Instrument, das letztlich Kommunismus bedeute.
Am 23. September 1912 - Kafka hatte die Nacht zuvor "Das Urteil" zu Papier gebracht - kommentiert er seinen literarischen Durchbruch emphatisch: "Wie alles gewagt werden kann, wie für alle, für die fremdesten Einfälle ein großes Feuer bereitet ist, in dem sie vergehn und auferstehn." Das Schreiben als Schmelztiegel, als alchimistische Läuterung der unterschiedlichsten Traditionen - das bietet ein etwas anderes Bild, als es lange Zeit von der Forschung favorisiert wurde; die las Kafka mit Vorliebe voraussetzungslos, als Neuanfang, als Sonderfall, der sich keiner Epoche zuordnen lasse. Tatsächlich aber können gerade in den frühen Texten Kafkas, die, wie das Tagebuch belegt, während intensiver Auseinandersetzung mit den Werken von Dickens, Goethe und Kleist entstanden sind, Spuren literarischer Diskurse, Zitate und Anspielungen gesichert werden. Diese Zitationen aber sind vor allem auf ein poetologisches Interesse Kafkas zurückzuführen und beziehen sich bevorzugt auf traditionelle Künstlerkonzepte und -biographien. Es sind im "Verschollenen" zwei Traditionslinien, die den Text über das amerikanische Exil palimpsestisch grundieren: Zum einen werden biographische Details von Autoren eingearbeitet, insbesondere von Goethe und dem Freiheitskämpfer und Dichter Körner, so daß das frühe Fragment Kafkas als versteckte Künstlerbiographie gelesen werden kann. Karl ist ein Künstler, obgleich, oberflächlich betrachtet, seine Kunstbemühungen banalisiert oder sogar dementiert werden - er spielt Soldatenliedchen, er will nicht Schauspieler werden, sondern technischer Arbeiter. Die andere Traditionslinie, die ebenfalls im Zeichen einer Künstlerinitiation eingearbeitet wird, ist eine mythologische; in Kafkas Romanfragment werden Mythen wie die des Prometheus und des Musenpferdes Pegasos aufgenommen, zu ironischen Details verdichtet.
Die Resurrektion des Dichterkönigs : zur Novalis-Rezeption in Botho Strauß´ Roman Der junge Mann
(2005)
Auf welche Weise vollzieht sich der Prozeß einer Rechtswendung im Werk von Botho Strauß´? Wie ist die problematische Poetik des Essays Anschwellender Bocksgesang entstanden und wo sind die Wurzeln dieses Programms zu finden? Über diese Fragen gibt der große Roman der 80er Jahre, Der junge Mann, Aufschluß. In dem dichten intertextuellen Gefüge wird vor allem über die Anspielungen auf Novalis eine Poetik entworfen, die den desavouierten Begriff des Bodens im Namen einer unzugänglichen dichterischen "Pflanzstätte" und eines königlichen Dichters wiederzugewinnen sucht, einer "Pflanzstätte", in der auch das Zwiegespräch und die Liebe ihren Schutzraum finden sollen.
Am Märchen „Die neue Melusine“, das Goethe den „Wanderjahren“ eingefügt hat, wird der zentrale Paradigmenwechsel in der Geschlechterkonzeption um 1800 abgelesen: die Intimisierung des Hauses, d.h. der „Verschluß der Frau in den Festen des Hauses“, zusammen mit der Universalisierung und Biologisierung der Geschlechterdifferenz. Dieser Paradigmenwechsel wird aus medizingeschichtlicher Perspektive verdeutlicht: „Das Märchen Goethes reflektiert die Ablösung weiblichen medizinischen Wissens durch den sich professionalisierenden Einheitsstand der männlichen Ärzte.“ Des weiteren läßt sich das Märchen als „Dekonstruktion einer romantischen Literatur verstehen, die die neue Rolle der Mutter im intimen Raum, ihr Verschwinden im Haus, mit einem Arsenal an phantastischen Überhöhungen beantwortet“.