830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
Refine
Document Type
- Article (2)
Language
- German (2)
Has Fulltext
- yes (2)
Is part of the Bibliography
- no (2)
Keywords
- Der geteilte Himmel (1)
- Deutschland (DDR) (1)
- Ehre <Motiv> (1)
- Lieutenant Gustl (1)
- Literarisches Leben (1)
- Literaturproduktion (1)
- Schnitzler, Arthur (1)
- Wolf, Christa (1)
- Wolf, Christa: Der geteilte Himmel (1)
Der vorliegende Aufsatz verfolgt ein einfaches Ziel. Er möchte zeigen, dass die von der Forschung vernachlässigte Nebenfigur des Bäckermeisters die Pointe von Schnitzlers Monolognovelle "Lieutenant Gustl" vorwegnimmt und damit eine wichtige hermeneutische Funktion erfüllt. Die Interpretation des Textes findet im Handeln der Nebenfigur einen wichtigen Anhaltspunkt, wenn man nach der Pragmatik der Publikationshandlung im historischen Kontext fragt und nach einem Grund für die enorme zeitgenössische Wirkung des Textes sucht. Dabei dient der Innere Monolog als Mittel, das provokante Gedankenexperiment über die Kultur der Ehre, das diesem Text zugrunde liegt, von einem fakultativen Diskussionsbeitrag in eine für die Verfechter der Ehre bedrohliche Vorstellung von großer imaginativer Kraft zu verwandeln. Die Figurenrede des Bäckermeisters impliziert nämlich, was in der realen Welt von Schnitzlers Zeitgenossen auf keinen Fall explizit werden soll, in Gustls (fiktiver) Welt am Ende aber umstandslos praktiziert wird: das Fortbestehen einer ausgehöhlten, nach dem Reglement der Ehre tatsächlich ehrlosen Ehrpraxis.
Die parteiamtliche Kulturpolitik der Deutschen Demokratischen Republik hat der Literatur mit Beginn der Eigenstaatlichkeit der DDR das Ziel gesetzt, eine eigene "sozialistische Nationalliteratur" zu schaffen, die dem neu gegründeten Staat durch Bereitstellung kollektiv verbindlicher Narrative gesellschaftlichen Rückhalt verleihen soll. In der Tat hat die DDR nicht nur ein literarisches Feld mit groben Unterschieden zur Bundesrepublik hervorgebracht, sondern auch eine Literatur, die insbesondere im Bereich der Epik seit den sechziger Jahren als solche "klar konturiert" ist. Diese Literatur - ich beschränke mich im folgenden gattungsmäßig auf die Erzählliteratur und literaturgeschichtlich auf die sechziger Jahre, in denen der Literaturbetrieb der DDR relativ störungsfrei abgeschottet und durchreguliert war - ist zwar nicht notwendigerweise programmatisch "sozialistisch" und muß auch nicht als Beitrag zu einer separaten Nationalliteratur intendiert sein, aber sie ist über gemeinsame Rahmenbedingungen, die artikulierbaren und tatsächlich artikulierten Fragestellungen und ästhetischen Vorentscheidungen sowie durch intertextuelle Verknüpfungen in hohem Maße verbunden. Im Kontext der DDR-Kulturgeschichte ist dieser Befund nicht überraschend. So wie sich spätestens seit dem Mauerbau eine eigene Konsumkultur entwickelt, so bildet sich eine eigene literarische Kultur, deren Werke durch die regionalen Sonderbedingungen geprägt sind - und zwar sowohl dort, wo sie sich staatlichen Direktiven vorsichtig zu entziehen versuchen, als auch dort, wo sie ihren Beitrag zur 'Planerfüllung' weitgehend leisten.