830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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'Provinzielle Weite' ist eine Formulierung, die eine Spannweite aufzumachen gedenkt zwischen einem Verständnis von Provinz/provinziell als beschränkter, statischer, nicht weltoffener Lebens- und Denkweise und einer zwar peripheren Position, die aber gleichwohl gesellschaftliche und mentale Veränderungen sensibel wahrnimmt und künstlerische, technische und wissenschaftliche Innovationen in ihrer ganzen "Weite" zu registrieren und produktiv zu verarbeiten weiß. Im besten Fall kann es sogar geschehen, dass die Provinz die Chance des weit Abgelegenen nutzt, die dort gegebenen Spielräume und Eigenheiten produktiv zu wenden, um damit sogar ins Zentrum zurückzuwirken. Mit dieser Schlusswendung und der Nennung eines Zentrums wird in das Begriffsfeld "provinzielle Weite" eingestandenermaßen eine Denkfigur eingeführt, die mit dem Begriffspaar Peripherie und Zentrum umschrieben ist. Der [...] Abschnitt wird sich allein auf Kerner in Weinsberg konzentrieren, um das erstaunliche Phänomen zu erörtern, auf welche Weise es Justinus Kerner gelang, mit geschärftem Bewusstsein in der Provinz und weitab von der großen Hauptstadt zu leben und doch eine selten erreichte, weltoffene, internationale Plattform errichten zu können, kurz, wie es Kerner schaffte, die weite Welt in der Provinz Weinsberg zu implantieren.
Es besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass die Literatur an der Herausbildung des kulturellen Gedächtnisses entscheidend mitwirkt. Dies gilt nicht nur in archaischen Zeiten, in denen die 'res gestae' dem Gedächtnis künftiger Generationen anvertraut werden, sondern es gilt auch für die Moderne, in der literarische Texte Teil eines Traditionszusammenhangs sind, mittels dessen eine Gesellschaft sich selbst eine kulturelle Identität zuschreibt. Insbesondere jene Elemente gesellschaftlicher Interaktion, die normativen Erwartungen ausgesetzt sind [...], werden Gegenstand bewahrenswerter Kommunikation und können dadurch als aktualisierbarer Sinn (bzw. Semantik im Luhmann'schen Verständnis) jederzeit verwendet werden. Eine so verstandene Konzeption des kulturellen Gedächtnisses beruht auf dem Gedanken der Kontinuität. Im Extremfall wird solche Kontinuität durch Rituale oder durch die Religion über Jahrhunderte hinweg aufrechterhalten bzw. es wird suggeriert, dass es eine solche Kontinuität gebe. Diese Kontinuität überschreitet auch den Tod des Einzelnen.
Was aber geschieht, wenn aufgrund einer Katastrophe eine ganze Gesellschaft vernichtet wird?
[...] [Hoffmann] ist es im Sandmann [...] darum zu tun, beide Lesarten, die des Übernatürlichen/Wunderbaren auf der einen Seite und des Natürlichen, in diesem Falle: des dezidiert Psychologischen, auf der anderen, in der Schwebe zu halten. [...] er verfolgt [...] eine Strategie der unsinnlichen Ähnlichkeit, dergestalt dass das Wunderbare mittels einer metaphysisch angereicherten Psychologie als allegorisch lesbar wird.