830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Autofiktion ist en vogue. Karl Ove Knausgårds sechsbändiges Werk "Mein Kampf", Annie Ernaux' "Die Jahre" oder "Der Platz", Rachel Cusks Trilogie "Outline", "Transit" und "Kudos", Ben Lerners "Die Topeka-Schule" - all das sind Werke, die der "Autofiktion" zugerechnet werden. Autobiographie, das war seit Augustinus' "Confessiones" und Rousseaus "Confessions" die Schilderung eines Lebens mit Bekenntnischarakter und einem Anspruch auf Wahrheit, also dem Ziel, "Dichtung und Wahrheit" so weit als möglich zur Deckung zu bringen und so größtmögliche Authentizität zu erzielen. Im Gegensatz dazu ist "Autofiktion" eine Erzähltechnik, in der sowohl die Grenzen zwischen Autobiographie, Essay und Roman als auch zwischen Fakt und Fiktion aufgehoben und autobiographische Elemente mit fiktionalen Handlungselementen verwoben werden. Daraus ergibt sich eine Art "Versteckspiel", das Lesepublikum, Autoren und Kritiker fasziniert: Autofiktion hat die traditionelle Autobiographie (scheinbar) abgelöst und beherrscht derzeit Buchmarkt und Feuilletons, Literatur, Literaturbetrieb und Literaturwissenschaft gleichermaßen. Worauf gründet diese Faszination? Und wie lässt sie sich erklären?
Der folgende Beitrag richtet sich gegen einen allzu häufig alltagssprachlich und unreflektiert bleibenden Identitätsbegriff und entwickelt aus der Betrachtung der Autobiographie unter konsequenter Einbindung identitätstheoretischer Grundannahmen einen Zugriff, der die Faktizität der Autobiographie aus dem textuellen Identitätsbildungsprozeß heraus erklärt. Als Textgrundlage wurde ein relativ aktuelles Beispiel gewählt, in dem sowohl die Faktenlage als auch die Identität des Autobiographen gleichermaßen prekär erscheinen: Jens Biskys "Geboren am 13. August. Der Sozialismus und ich".
Nach der Wende ins 21. Jahrhundert gilt deutsche Geschichte für deutsche Schriftsteller nach wie vor als ein privilegiertes Experimentierfeld für Erkundungen, Infragestellungen, Neubesinnungen. Wie bei Günter Grass' Novelle 'Im Krebsgang' (2002) oder bei Christoph Heins Roman 'Landnahme' (2004) wird die deutende Sinngebung des Vergangenen als ein Beitrag zum kollektiven Gedächtnis der Nation konzipiert. Immer wieder stößt man bei näherer Betrachtung auch der literarischen Produktion aus den 1990er Jahren auf Texte, die erkennen lassen, in welchem Maße Erinnerung an deutsche Vergangenheit immer noch als eine unerlässliche Voraussetzung für das Verständnis der Gegenwart angesehen wird. Auch die Debatte um den Luftkrieg, die von W. G. Sebald ausgelöst wurde, gehört in diesen Kontext als ein Versuch, ein schmerzhaftes Kapitel der Kriegsgeschichte ohne Ressentiments und mit der nötigen Einfühlung in das Leid der eigenen Nation nachzuholen. Wissenschaftliche Forschung hat diese neue Aufarbeitungswelle pünktlich registriert und analysiert, essayistisch-kritisches, engagiertes Denken hat, unter sehr verschiedenem Vorzeichen, ihre Legitimität in Bezug auf die Notwendigkeit, ein nationales Gedächtnis zu bilden und zu pflegen, bestätigt. Wie kann nun aber im Medium der Fiktionsliteratur - so lautet die Ausgangsfrage dieses Beitrags - ein in sich gekehrtes, notwendigerweise einsames Erinnern den Weg zum kollektiven Gedächtnis suchen und finden, um repräsentativ zu sein, ohne sich auf den an sich zwar verständlichen, doch beschränkten Anspruch des Dabeigewesenseins oder des Dazugehörenwollens reduzieren zu lassen?
Aus der Sicht der Literatur, im Rahmen literarischer Schreibweisen, erscheint das Tagebuch als besonders 'unmittelbare' Form. Das kann Verschiedenes bedeuten, etwa, dass es eigentlich gar keine Form ist, dass das Schreiben von Tagebüchern keiner besonderen Vorgabe folgt und dass man auf alle möglichen Weisen Tagebuch schreiben könne. Historisch ist das tatsächlich der Fall, wie die Vielfalt überlieferter Tagebücher zeigt: Sie können umfassend und sehr begrenzt sein, ein Leben oder auch nur eine Woche umfassen, und man kann sie mit fast allen möglichen Schreibmaterialien produzieren. alleine, zu zweit, oder auch als Gruppe. Daher haben Tagebücher für die Literaturwissenschaft lange als formlose Gebrauchstexte außerhalb der 'eigentlichen' Literatur gegolten, die allenfalls als Quelle biographischer oder historischer Informationen interessant sein könnten. Als die Forschung begann, sich mit ihnen zu beschäftigen, geschah das aus diesem biographischen, meist psychologischen Interesse heraus. Dabei wurde die 'Unmittelbarkeit' noch anders verstanden, nämlich dass es sich beim Tagebuch um eine 'authentische' Form handelt, sei es, dass das Berichtete hier direkter als sonst beschrieben wird, sei es, dass der Berichtende hier besonders unverstellt zu Wort kommt. Gerade weil ihm die Vermittlung einer besonderen literarischen Form fehle, komme das Schreibende oder das Geschriebene unmittelbarer als anderswo zum Ausdruck. Dazu gehört auch, dass das Tagebuch eines Autors zum Ort werden kann, wo schreibend über das eigene Schreiben reflektiert wird, wo sich das Schreiben gewissermaßen selbst berührt.
Das Hultschiner Ländchen ist heute ein Teil der Tschechischen Republik, in dem seit Jahrhunderten die mährischen/tschechischen, deutschen und polnischen sprachlichen und kulturellen Bevölkerungsgruppen zusammenlebten, wobei der deutsche Aspekt eine bestimmende Rolle spielte. In dieser Region wurde der vielseitig begabte Max Ring geboren, der als Arzt, Schriftsteller, Dramatiker und Journalist in Oberschlesien und vor allem in Berlin tätig war. In seinem autobiografischen Werk 'Erinnerungen' schildert Ring seine Kinderjahre im national und religiös liberalen Milieu des Heimatdorfes und die sozialen Verhältnisse im industriellen Oberschlesien genauso wie das Leben der Boheme in den Berliner literarischen Gesellschaften.