830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Der Dichter als "poeta vates" ist eines der Dichtungsmodelle, das die Zeit zwischen dem späten 18. und dem frühen 19. Jahrhundert bestimmt. Der Topos des "poeta vates", wie er von Autoren des 18. Jahrhunderts unter anderem in der lyrischen Gattungsform der Hymne akzentuiert wird, ruft ein Modell religiöser Autorschaft auf und greift zugleich auf antike Vorbilder zurück. Autorisiert wird der Dichter von einer höheren Instanz. Mit dem Konzept des "poeta vates" entwirft schon die antike Literatur einen Topos, der den Dichter als Seher, Mittler und als göttlich Inspirierten begreift.
Betty Paoli (1814-1894) war eine jener berühmten Dichterpersönlichkeiten, die regelmäßig Vers- und Prosabeiträge für das beliebte literarische Taschenbuch "Iris" lieferten. Einer ihrer Texte erregte allerdings das Missfallen der zeitgenössischen Kritik, denn in ihm hielt sich Paoli nicht an die Regeln, die für den Publikationskontext galten. Das literarische Taschenbuch war ein Ort der Einübung bürgerlicher Normen, die weibliche Leserschaft sollte in dieser Lektüre das Ideal der bürgerlichen Geschlechterrollen abgebildet finden. Paolis Novelle "Merced" kann nicht nur als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der politischen Situation im vormärzlichen Österreich gelesen werden, sondern sie enthält auch eine Kritik an der Beschränkung des weiblichen Aktionsradius, und mit ihrer Protagonistin Merced schuf Paoli eine Frauenfigur, die den Vorstellungen vom 'moralischen Geschlecht' nicht entsprach. In diesem Beitrag wird Paolis Novelle "Merced" im Zusammenhang mit der Soziogenese der Frau des Biedermeier, wie sie sich im literarischen Taschenbuch spiegelt, gelesen.
Der "preßhafte Autor" : Biedermeier als Verfahren in E.T.A. Hoffmanns späten Almanach-Erzählungen
(2004)
Die Wertschätzung von E.T.A. Hoffmanns Erzählungen, die sich in den letzten Jahren als Spielwiese für mannigfaltige texttheoretische und verwandte Ansätze erwiesen haben, erstreckt sich nach wie vor nicht auf die sogenannten "späten Almanach-Erzählungen". Die im 19. und weiten Teilen des 20. Jahrhunderts vorherrschende Verurteilung von Hoffmanns Werk als effekthaschend und unausgewogen ist für diesen, nicht wie die meisten anderen Erzählungen Hoffmanns in einem Sammelband zusammengefaßten Werkteil bis heute nur in Ansätzen revidiert worden. Diese "moralisch-ästhetischen Ansichten" finden sich in nur leicht modifizierter Form z.B. noch 1988 in Stefan Diebitz Untersuchung der 1822 aus dem Nachlaß veröffentlichen Erzählung "Datura fastuosa", wenn als Kategorie der Abwertung die negative Antwort auf die Frage nach der "Vernünftigkeit des Vorsatzes" gesetzt wird, als hätte nicht gerade das Werk Hoffmanns eine solche Bestimmung bis ins Mark erschüttert. Die Erzählung ist "insgesamt als mißlungen anzusehen", weil Diebitz einen Bruch konstatiert zwischen dem von ihm für die ersten drei Kapitel konstruierten "Vorsatz, die Problematik einer ins Spießige verirrten Existenz" darzustellen und dem letzten Teil des Textes, in dem Hoffmann nach Diebitz "eine zweite und durchaus triviale Geschichte beginnen" läßt.