830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
Refine
Document Type
- Article (3)
- Part of a Book (3)
Has Fulltext
- yes (6)
Is part of the Bibliography
- no (6)
Keywords
- Architektur (6) (remove)
Der Garten : zur Einführung
(2000)
The present essay engages with the short story 'The Burrow', written by Franz Kafka between 1923 and 1924, a few months before his death. The ambiguity of the original title, 'Der Bau', which defies translation by pointing at the same time at a construction and an excavation work, anticipates the multilayered image of the burrow itself. While both nature and function of the burrow are hard to pinpoint (is it a dwelling, a shelter, a fortress, a labyrinth, a ruin?), the initially reported success of its construction is revealed as illusory, thus prompting the ongoing first-person narration of the incessant builder's work. Similarly unsuccessful is any attempt of the reader to attain metaphorical closure. In the light of other impossible, i.e., unfinished, bound-to-fail, ruinous, or selfdismantling structures portrayed by Kafka, as well as on the background of coeval texts by Paul Valéry and Georg Simmel, the essay investigates the wide and deep significance of the burrow’s countering the classical ideal of architectural wholeness.
Andrea Polaschegg untersucht aus medienpoetischer Sicht die Friktionen zwischen dem Text und den philosophischen oder literarischen Ganzheitspostulaten, die an dessen Stoffe, Gegenstände oder gar Gattungszuschreibungen herangetragen werden. Den Text begreift Polaschegg als "transitorisches Medium", "das vorne beginnt und hinten endet" und das jede Bemühung unterläuft, "eine organische Einheit wechselseitiger Teil-Ganzes-Beziehungen oder eine statische Einheit aus übereinandergeschichteten Teilen zur Darstellung zu bringen". Dieser Einsicht hätten sich mit letzter Konsequenz allerdings bislang weder poetologische noch literaturwissenschaftliche Denktraditionen gestellt. Seit der Autonomieästhetik lasse sich ganz im Gegenteil eine Fülle an Versuchen beobachten, die fundamentale 'Sukzessivität' von Texten metaphorisch über konzeptionelle 'Simultaneisierungen' stillzustellen. In diesem Umfeld nimmt Polaschegg insbesondere die oft als Ganzheitsgarant dienende Metaphorik der Architektur in den Blick, die sie bis in das bekannte, den 'Aufbau' dramatischer Texte visualisierende Pyramidenmodell Gustav Freytags hinein verfolgt.
Zwar hatte Loos seinen Feldzug gegen das Ornament schon um 1900 begonnen, doch entwickelte keiner seiner scharfzüngig formulierten Essays eine größere Sprengkraft als der 1908 erschienene Aufsatz "Ornament und Verbrechen", dessen Hauptthesen er zugleich erfolgreich in wirkungsvollen Vorträgen popularisierte. Er wandte sich darin gegen den historistischen Fassadenstil der Wiener Ringstraßenästhetik und gegen die Formensprache sezessionistischer Strömungen, propagierte eine an Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit orientierte Baukunst und verteufelte die seiner Meinung nach überflüssige Dekorationswut, die aus der Verbindung zwischen Kunst und Kunsthandwerk im Gefolge der Arts-and-Craft-Bewegung hervorgegangen war. Trotz oder wegen der kontroversen zeitgenössischen Aufnahme hatten die kämpferischen Thesen eine vielfältige Wirkungsgeschichte. Sie beeinflussten nicht nur nachhaltig die architektonische Praxis bei der Herausbildung des internationalen Funktionalismus, sondern auch puristische und elementaristische Strömungen in der bildenden Kunst sowie allgemeine ästhetische Theorien und hinterließen bis ins 21. Jahrhundert hinein Reflexe in literarischen Texten.
Architektur und Albtraum : Erkundungen zu Horrorhäusern, Geisterstädten und metaphysischen Türmen
(2014)
Auf seiner Flucht aus dem Schreckenshaus seiner Ahnen träumt Clifford Pincheon (aus Nathaniel Hawthornes Roman The House of the Seven Gables von 1851) in der Eisenbahn von einem modernen Nomadentum, das einen vom Schicksal befreien könne: Statt sich zum "Gefangenen von Mauern, Backstein" zu machen, wird der Mensch der Zukunft "nirgends - oder besser - überall […] wohnen". Die Vision, sich vom konkreten Ort, von Geschichte zu befreien und gleichsam in der Zeit sesshaft zu werden, verwirklichte sich nicht allein in den silbernen, stromlinienförmigen Home-Trailern und Mobile Homes. Sie verwirklichte sich auf höherer Stufenleiter in den glänzend geschlossenen Spiegelglas-Türmen, die in den Machtzentren des Kapitals heute zunehmend dominieren. Die dunkel oder metallisch spiegelnden Türme wirken wie in heiliges Öl getaucht, rituell gesalbt, dabei jedoch nicht erhaben, sondern verführerisch, bezaubernd: Die fugenlos glatte, glitzernde Hülle aus Spiegelglas und Metall macht die Bauwerke zu Fetischen, phallischen Signifikanten, zu unsterblichen Ikonen einer Macht, deren innerstes Prinzip eine Ökonomie der Zeit ist. Das Kapital träumt seit je davon, sich vom irdischen Raum der Menschen zu befreien: Mit den Türmen - einer artifiziellen Raum-Enklave - gewinnt der Traum strahlend Gestalt. Hierin verdichtet sich gesellschaftlich und technologisch höchste Mobilität, erstarrt in reiner Gegenwart, der Zeitform der global players. Diese arbeiten an einem Schicksal, das jede Bindung an konkreten, irdischen Raum, an Familien und Völker, an vergangene Geschichte verloren hat. Das ist zweifellos unheimlich, doch auf ganz andere Art als das klassische Horrorhaus.