830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Die Renaissance des Familien- oder Generationenromans in der (nicht nur deutschsprachigen) Gegenwartsliteratur ist in zahlreichen Untersuchungen der letzten Jahre zum Gegenstand gemacht worden. Um diese Wiederkehr eines Totgeglaubten rankten sich alsbald polemische Debatten, aus denen man ersehen konnte, dass es um weit mehr als das Wiedererstarken eines literaturwissenschaftlich recht schwammig definierten, unter Abgrenzungsschwächen (Familien- versus Generationenroman) leidenden, ästhetisch eher traditionellen Genres ging. Definitionsversuche wie derjenige der amerikanischen Komparatistin Yi-ling Ru brachten den Familienroman (scheinbar unauflöslich) in Zusammenhang mit den Kriterien der Verfallsgeschichte, der Chronologizität, der Schilderung integraler Familienriten und insbesondere mit einem unhintergehbaren Realismus der Darstellung. Dass der Umgang mit dem Thema 'Familie' über alle eher literarischen Koordinaten hinaus aber vor allem als Seismograf gesellschaftlicher und kultureller Entwicklungen verstanden wurde, zeigten schon die Kontroversen um den Stellenwert von Familie im deutschen Feuilleton, in dem etwa die Zeit-Literaturkritikerin Iris Radisch "[d]ie elementare Struktur der Verwandtschaft" gegen die "Monaden" der Gegenwartsliteratur in Stellung brachte: Gedeutet wurde die 'Rückkehr' der Familie so zugleich als Indiz für eine Sehnsucht nach traditionellen Strukturen, gerichtet gegen die Zersetzungskraft der Postmoderne, gegen das Single-Dasein als Lebensform. Andere wie Sigrid Löffler sahen in genauer Umkehrung der Werteskala gerade im Wiederauftauchen familiärer Narrative das konservative Revival einer spätestens mit Heimito von Doderers (1896-1966) Merowinger-Roman (1962) durch Hyperbolisierung in sich kollabierten Gattung.
Das Spiel, die Maskerade und andere Elemente des Karnevals sind Fixpunkte in beinahe allen Texten von Felicitas Hoppe. Sie tauchen aber nicht nur auf inhaltlicher Ebene auf, sondern sie sind zudem wesentliche Bestandteile des ästhetischformalen Erzählprogramms der Autorin. Im vorliegenden Beitrag soll unter Berücksichtigung von Michail Bachtins Konzepten der Dialogizität und Polyfonie das karnevaleske Moment in Felicitas Hoppes Erzählwerk, vor allem in den Romanen 'Paradiese, Übersee' (2003), 'Johanna' (2006), und 'Hoppe' (2012) herausgearbeitet werden und zwar auf Ebene des Sujets, der Sprache und der Textgattung. Um Missverständnisse zu vermeiden, sei vorangestellt, dass das Motiv des Karnevals von seiner Anlage her keine bewusste narrative Strategie darstellt (auch wenn es durchaus als solches eingesetzt werden kann). Statt einer autorzentrierten Interpretation soll daher die 'Karnevalisierung' der Literatur ganz im Sinne Michail Bachtins als Traditionslinie und Textdynamik begriffen werden, die flexibel ist und die Individualität der einzelnen Autorinnen und Autoren in keinster Weise tangiert beziehungsweise formal einengt.
Bücher, die Wirklichkeit werden, Figuren, die aus Geschichten in die Welt des Lesers eintreten, oder umgekehrt, Leser, die geheime Pforten zu fantastischen oder zu fiktionalen Welten aus ihrer Lektüre durchschreiten, gehören zum Inventar kinderliterarischen Erzählens, seitdem Lewis Carrolls (1832-1898) Alice an einem langweiligen Nachmittag dem weißen Kaninchen mit der Taschenuhr in sein Erdloch folgte und sich in Wunderland wiederfand. Eine Alice-Figur ziert als intertextuelle Allusion auch den Einband von Hoppe: Zu sehen ist ein kleines Mädchen mit Schleifen im Haar, vornübergebeugt zum Schnürsenkelbinden. 'Hoppe' ist natürlich kein Kinderbuch, sondern das autofiktionale Experiment einer Schriftstellerin, die bereits selbst Kinderbücher verfasst und übersetzt hat, die sich zudem gegen eine strenge Grenzziehung zwischen sogenannter Erwachsenen- und Kinderliteratur ausspricht und dafür plädiert, als Erwachsener die Bücher der eigenen Kindheit erneut zu lesen. Und so ist auch in Hoppe die Grenze zwischen sogenannter Kinder- und Erwachsenenliteratur äußerst durchlässig, springen doch bei einer ersten Lektüre bereits zahlreiche Anspielungen auf kanonische Texte der Kinderliteratur wie etwa Carlo Collodis 'Le avventure di Pinocchio' (1883), Mark Twains 'The Adventures of Tom Sawyer' (1876), Jules Vernes 'Les enfants du capitaine Grant' (1867/68), Frank L. Baums 'The Wonderful Wizard of Oz' (1900) und Astrid Lindgrens 'Pippi Långstrump' (1945-1948) ins Auge. Der autofiktionale Text 'Hoppe' mit seiner Doppelbiografie, einer verleugneten und einer vermeintlich 'verbrieften', mit seinem metaautobiografischen Spiel, stellt sicherlich die Fiktionalität eines jeden autobiografischen Schreibens noch einmal nachdrücklich aus.