830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
Refine
Year of publication
Document Type
- Article (12)
- Part of a Book (3)
- Review (1)
Has Fulltext
- yes (16)
Keywords
- Raum <Motiv> (16) (remove)
Institute
- Extern (1)
Die labyrinthische Organisation des Erzählraums, die bisweilen dem Prinzip der Assoziation durch Josef K. zu folgen scheint, korrespondiert historisch mit der desorientierten Wirklichkeitserfahrung der Moderne - einem "Gefühl der 'Ohnmacht' und der 'Entfremdung' des 'modernen Menschen'". Nicht ohne Grund wird "Der Proceß" so in der verbreiteten sozialgeschichtlichen (und vor allem sozialkritischen) Lesart zur literarischen "Gestaltung der verwalteten Welt, der vielfältigen Einengungen und Bedrohungen, die das Individuum heute durch anonyme Mächte erfährt, zur Anklage des Kapitalismus, zur prophetischen Vorwegnahme der totalitären Regime des 20. Jahrhunderts oder, aktueller und à la Foucault, zur Verbildlichung der das Begehren unterdrückenden 'Macht'". Der vorliegende Beitrag unternimmt den Versuch, diese sozialgeschichtliche Lesart unter Hinzunahme des in der Kafka-Forschung bislang nur randläufig berücksichtigten Paradigmas der 'Biopolitik' bzw. 'Biomacht', wie es insbesondere von Michel Foucault analysiert wurde, noch einmal produktiv zu erweitern. [...] Franz Kafkas literarisches Werk befasst sich zweifellos immer wieder mit modernen Machtverhältnissen und Normierungsprozessen sowie auch mit den Individuen, die vor der (scheinbaren) Wahl stehen, sich zu assimilieren oder von eben jenen verschüttet zu werden. Dieser Beitrag wird erstens zu zeigen versuchen, wie das Gericht in Der Proceß durch seine Raumordnung als Metapher für eine breitere Machtökonomie der diegetischen Gesellschaftsordnung lesbar wird. Zweitens wird er der Frage nachgehen, inwieweit die Kategorie des Angeklagten als Schnittpunkt gelesen werden kann, der zwar intradiegetisch einen eigenen institutionellen und epistemologischen Stellenwert hat, auf der Metaebene allerdings der Logik des modernen Zusammenspiels bio- und disziplinarpolitischer Interventionen und Prozesse nachspürt.
Utopisch-dystopische Romane der deutschen Gegenwartsliteratur widmen sich vermehrt dem Thema Digitalisierung und damit verbundenen Themenkomplexe, Fragestellungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Besondere Relevanz kommt dabei der Bewertung und Kategorisierung von Individuen auf Basis von Datenanalysen zu, welche das Leben der Figuren bis ins kleinste Detail lenken und prägen. Die vorliegende Arbeit widmet sich zunächst der Frage, wie die Texte soziale Kategorisierungs- und Bewertungsmechanismen innerhalb digitalisierter Gesellschaften darstellen und inwiefern sich hier grundlegende kritische Kommentierungen herauslesen lassen. Zudem soll analysiert werden,inwiefern die Texte diese sozialen Positionierungen auch räumlich realisieren, ausgehend von der These, dass die Texte raumsemantische Strukturen nutzen, um Gefahrenpotenziale für die Freiheit und Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen herauszustellen. Als theoretische Basis fungieren dabei Michel Foucaults Theorie der Gouvernementalität, sowie die von Gilles Deleuze und Felix Guattari entwickelte Theorie des glatten und gekerbten Raumes. Literarische Beispiele sind den Romanen "Qualityland" (2017) von Marc-Uwe Kling, "Die Hochhausspringerin" (2018) von Julia von Lucadou und "Technophoria" (2020) von Niklas Maak entnommen.
Jan Faktor, ein tschechisch-deutscher Schriftsteller und Übersetzer, kann zu den "interkulturellen" Autor/innen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur gezählt werden. 1951 in Prag geboren, siedelte er 1978 nach Ost-Berlin über, wo er einen literarischen Sprachwechsel vollzog. Seine Werke greifen u. a. Themen wie Mobilität, Identität, Gedächtnis und Holocaust auf. Der Beitrag geht in Folge des durch den Spatial Turn neu theoretisierten literarischen Raumes (vgl. DÜNNE/MAHLER 2015) der Frage nach, welche literarischen Räume auf welche Weise in Faktors zweitem Roman konstruiert werden, wie sie sich verändern und welche Funktionen sie dabei erfüllen. Zudem wird das Verhältnis von "Raum" zu den anderen Konstituenten der epischen Erzählung, insbesondere zu den "Figuren" und ihre "Handlungen" bzw. ihren "Bewegungen"(vgl. BÖHME 2005) analysiert. Dabei hat sich herausgestellt, dass ein Wohnraum – die Wohnung von Georgs Mutter – im Roman eine zentrale Rolle spielt und das Bewegungsverhalten und die Entwicklung des Protagonisten insgesamt stark beeinflusst.
Unterwegssein am Rande "Europas" : Robert Musils Prosa aus den 20er Jahren als Praktik des Spacing
(2018)
"Die große Obsession des 19. Jahrhunderts war bekanntlich die Geschichte [...]. Unsere Zeit ließe sich dagegen eher als Zeitalter des Raumes begreifen." Mit dieser Aussage hat Michel Foucault bereits früh - in den späten 1960er Jahren - eine Wende von der Geschichte (oder Zeit) zum Raum diagnostiziert. Der "spatial turn", die Wiederentdeckung des Raumes durch die Postmoderne, hat mittlerweile auch in die Literaturwissenschaften Einzug gehalten. Dort, wo man den "'erzählte[n] Raum' [...] schon längst vor dem spatial turn behandelt" hat, hat die neue Raumperspektive vor allem zu einer "Aufwertung realer Räume" geführt: Orte werden "nicht mehr nur als narrative Figuren oder Topoi, sondern auch als konkrete, geographisch identifizierbare Orte" untersucht; es geht also etwa um "Jane Austen's Britain" oder "Sherlock Holmes' London". Was diese Art der Behandlung literarischer Werke im Zeichen der "räumlichen Wende" angeht, ist Robert Musil mit seinem Hauptwerk "Der Mann ohne Eigenschaften" (1930/32) denkbar ungeeignet. In seinem "auf dem Gedanken basierenden Roman", wie Milan Kundera treffend feststellt, wird Wien, der Schauplatz des Romans, "kaum erwähnt, ja der Autor hält es nicht einmal nötig, Straßen, Plätze und Gärten visuell heraufzubeschwören." Bei Musil ist Kakanien, so Kundera weiter, "nicht, wie Davos bei Thomas Mann, Hintergrund des Romans, es ist eines der Themen des Romans; es wird nicht beschrieben, es wird analysiert und gedacht". Auch wenn sich bei Musil also keine topographische Beschreibung von Orten findet, so reflektiert Musil moderne Raumverhältnisse doch auch in seinem Hauptwerk auf bedenkenswerte Art und Weise. Vor allem aber Musils kleine Texte aus den 1920er Jahren, die in der Forschung bisher nur marginal behandelt worden sind, bieten interessante Ansatzpunkte für eine raumtheoretische Betrachtung.
Ota Filip was a German writer with Czech roots. He was born in Ostrava in 1930, and he died in Garmisch-Partenkirchen in 2018. He grew up in Czechoslovakia but was forcibly expatriated in 1974 after repeated problems with the communist regime, and he settled in the Federal Republic of Germany. There he worked as a freelance writer and political journalist. With his novel 'Café Slavia' (1985) he made his debut in world literature. Drawing on the theoretical approaches associated with the "spatial turn" (Soja 1991, Bachmann-Medick 2009) and other spatial-theoretical approaches, this paper seeks to examine how Filip's novel 'Café Slavia' (1985) is constructed, which literary spaces are constituted, how they change and which functions they perform.
In diesem Beitrag werden Raumkonzepte untersucht, die der Autor Erwin Guido Kolbenheyer in seiner Erzählung "Begegnung auf dem Riesengebirge" (1928) entwickelt. Es wird gezeigt, dass der belletristische Text neben einer ästhetischen Qualität zugleich eine beunruhigende politische Aussage beinhaltet. Sie wird ersichtlich, wenn die verschiedenen Raumpräsentationen analysiert werden. Es werden die vom Autor entworfenen Raumordnungen und seine Grundlagen vorgestellt und im Kontext der Zwischenkriegszeit verortet. Dabei wird auf die Kontinuität der großdeutschen Raumvorstellung von Zentraleuropa hingewiesen. Theoretisch geht der Beitrag von Henri Lefebvres theoretischen Überlegungen zum Raumverständnis aus.
Die künstliche Außenweltbeleuchtung ist keine neutrale Helligkeit, die die Sichtbarkeit der von ihr bestrahlten Umgebung unmodifiziert über die Dämmerungsgrenze hinweg in die Nacht hinein weiterdauern lässt. Sie hat in aller Regel einen intrusiven Aspekt und schafft ein spezifisches, vom Tagesanblick deutlich unterschiedenes Erscheinungsbild. Meistens erzeugt sie zum Beispiel Wahrnehmungsbilder, die mit fast allen Formen von gemalten Abbildungen und mit narrativen Darstellungen gemeinsam haben, 'Unbestimmtheitsstellen' zu enthalten.
Die Wahrnehmungsgeschichte der künstlich erleuchteten Stadtzentren ist von der Komplexität geprägt, die auch das Verhältnis von Kunstlicht und Raum charakterisiert. Im Verlauf der Epoche, die mit der Aufstellung der ersten Gaslaternen zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann und die mit der Einführung der elektrischen Glühbirnen, der Neon-Röhren und schließlich der LED-Dioden ihre Fortsetzung fand, hat das von diesen Lichtern erzeugte Raumerlebnis mehrfach qualitative Veränderungen erfahren. Die folgenden Ausführungen kontrastieren vier historisch aufeinander folgende Typen von Wahrnehmungsbildern der erleuchteten Innenstädte: 1.) Reaktionen aus der ‚Pionierzeit‘ der Straßenbeleuchtung (bis Ende des 19. Jahrhunderts); 2.) Reaktionen aus der Zeit der Einführung der elektrischen Beleuchtung; 3.) die avantgardistische Kunstlichtwahrnehmung der 1920er Jahre; 4.) Wahrnehmungsbilder, wie sie aktuell angewendete Beleuchtungspraktiken nahelegen. Die beobachteten Wandlungen im Erleben der beleuchteten Stadtszenerien werden mit Tendenzen, die für die jeweiligen Stadtgesellschaften typisch sind, in Zusammenhang gebracht.
The article shows, through a close reading of the two first chapters of Kafka's novel "The Trial", that the irruption of the extraordinary and inexplicable in Kafka's text is demonstrated above all in a shift of the spatial order. The disturbance of K., the derangement of his habitual surrounding becomes readable not through his interiority, but rather in a literal de-rangement of interior spaces and of their objects that are presented in their exteriority.
"Königliche Hoheit", Thomas Mann's second novel, is as replete with descriptions of interiors, paintings, decorations and other spatial features as it is obsessed with the very concept of 'representation'. The complex interplay of 'space' and 'signification' that underlies this text has not received much scholarly attention. This paper attempts to elucidate how "Königliche Hoheit" interweaves descriptions of space(s) and thorny semiotic issues. In the process, it seeks to show that the novel, far from being a harmless 'fairytale' grounded in Mann's own biography, is suffused with exclusionary ideology.
"Das Aussereinander", schreibt Gustav Teichmüller in seiner Abhandlung "Die wirkliche und scheinbare Welt", "bedeutet bloss, dass die Vorstellungen verschieden bleiben und nicht verschmelzen sollen." Wenn aber Räumlichkeit dergestalt relativiert wird, sind nicht nur die Bedingungen jedes objektiven Koordinatensystems und jeder subjektiven Orientierung a priori abgeräumt. Denn die Möglichkeit eines entscheidenden Kriteriums für die Trennung zwischen Innen- und Außenraum wird ebenso außer Kraft gesetzt, im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Ausgegangen wird in den folgenden Seiten von der Frage, wie nach dem Aussetzen oder Einstürzen jeglicher statthaften räumlichen Ordnung weiter erzählt wird. Durch eine Auseinandersetzung mit Friedrich Nietzsches "Also sprach Zarathustra" und Edgar Allan Poes "The Narrative of Arthur Gordon Pym" soll auszugsweise angedeutet werden, wie diesen desorientierenden Schriften anders charakterisierte Räume eingeschrieben sind.