830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Die schöne Seele bei Jean Paul hat sich als der Ausdruck eines Theorie-Synkretismus erwiesen. Die platonische Erzeugung des Guten im Schönen und die rousseausche Transformation von der Liebe zur Liebe zur Pflicht werden in den frühen Romanen bis zum "Titan" enggeführt: Die Protagonisten erhalten ihren sozialen Ort und ihre rechtlichen Aufgaben über die Regulierung bzw. Veredelung ihrer erotischen Leidenschaften. Gleichzeitig wird diese Engführung ins Ästhetische transformiert: Es ist auf übertragener Ebene die literarische Phantasie, die als ästhetischer Motor für die Ideen- bzw. Pflichtfindung des Lesers dient.
Die Jugend der Moderne
(2007)
Das vorliegende Jahrbuch 2006 geht in seinem Schwerpunkt der Genese und markanten Ausprägungen des modernen Jugend-Konzepts in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach. Bereits die Rede vom "Jungen Deutschland", nicht selten als Epochenbegriff für die Jahre zwischen 1830 und 1848 verwendet, enthält jene Ambivalenz, die dem Thema und seinen bisweilen diffusen Konnotationen Aufmerksamkeit sichert: Der Aufbruch zu neuen (politischen, sozialen, künstlerischen) Ufern ist angesprochen, aber nicht wenige Zeitgenossen meinen auch Infragestellung bewährter Werte und Deutungsmuster. Diese charakteristischen Mehrdeutigkeit soll zunächst skizziert werden.
Strenger als im 19. Jahrhundert hat die Kleidung die Geschlechter nie geteilt. Nicht nur zogen sich Männer und Frauen extrem verschieden an; verschieden war vor allem auch das Verhältnis der Kleidung zum Geschlecht. Männlich heißt das unmarkierte Geschlecht, weiblich dagegen heißt die markierte Geschlechtlichkeit. ,Sein' ewig unauffällig dunkler Anzug gibt den idealen matten Grund, auf dem ,sie' durch das Leuchten der Seiden, den Glanz der Juwelen, den Schimmer der nackten Haut und das Elfenbein des Dekolletes erst richtig zur Wirkung kommt. [...] Im bürgerlichen Zeitalter finden wir uns, was das Verhältnis der Geschlechter zueinander angeht, wenn nicht in einem neuen, so doch radikalisierten Zustand. Die gesellschaftskonstituierende Grenze verläuft nicht mehr zwischen adelig und nicht-adelig, sondern zwischen weiblich und männlich. Die Opposition weiblich/männlich wird aber von einer zweiten Opposition gedoppelt, der von adelig und bürgerlich, wobei adelig zu einer Metapher für scheinhafte Macht geworden ist. Die für uns wichtigste, dritte Opposition ist die von eigentlich/männlich/bürgerlich versus uneigentlich/weiblich/rhetorisch.
Im folgenden sollen Aspekte dieses ambivalenten Orientierungsrahmens beleuchtet werden, die für Goethes Beschäftigung mit dem Renaissance-Dichter Torquato Tasso im weiteren Entstehungskontext des gleichnamigen Dramas von 1789 relevant sind. Zunächst wird für die grob skizzierte deutsche Tasso-Rezeption des späteren 18. Jahrhunderts die Bedeutung zweier grundverschiedener Verbindungswege zur französischen Literatur und Philosophie nachgezeichnet, die Goethe selbst reflektiert. Diese Reflexionen verbleiben jedoch im Allgemeinen und geben keinen Aufschluß über konkretere Anknüpfungspunkte für die Gestaltung seines Tasso-Stückes, obwohl eine nähere Verbindung zu Rousseau und seiner Tasso-Rezeption zu vermuten steht. Es gilt daher, für diesen französisch-deutschen Transfer mentalitätsgeschichtliche und intertextuelle Bezüge von den philosophischen und literarischen Werken Rousseaus zu Goethe zu rekonstruieren, und zwar anband einschlägiger Texte aus dem Umkreis der Empfindsamkeit und Empfindsamkeitskritik. Auf diese Weise kann eine latente rezeptiongeschichtliche Linie aufgezeigt werden, die von Rousseaus epochemachendem Briefroman Julie ou la Nouvelle Heloise (1761) über Goethes Werther (1774) zu Torquato Tasso (1789) führt, den Goethe selbst dezidiert als »gesteigerten Werther« bezeichnet. Hierauf aufbauend wird schließlich eine Lesart des Tasso entwickelt, die der bisher für Goethe wenig beachteten Verbindung zur Entzweiungsphilosophie Rousseaus Rechnung trägt und diese Perspektive auf den Horizont der Weimarer Klassik, aber auch auf den simultanen der Romantik bezieht.