830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Im Folgenden möchte ich dem Zusammenhang des Vielen als einer sozialen Frage nachgehen. Mit dem sozialhistorischen Wandel im 18. Jahrhundert, der langfristig auf eine bürgerliche Gesellschaft hinausläuft, ändern sich auch die zwischenmenschlichen Verbindlichkeitsformen. Die Literatur um 1800 verhandelt diese Veränderungen intensiv - exemplarisch und hervorgehoben gilt dies für die Frühromantik. Ich begreife die Frühromantik zugleich als eine literaturhistorische wie auch als eine soziale und soziologische Erscheinung. Letzteres ernst zu nehmen heißt, sie einerseits als ein "Phänomen gesellschaftlicher Gruppenbildung" in einer sozialhistorischen Umbruchsphase zu verorten, andererseits ihren Beitrag zu einer modernen Theorie des Sozialen herauszustellen. Hieran schließt mein Befund an, dass die Frühromantik gleichzeitig ein modernes literarisches und ein soziales Formenwissen ausbildet. In der Frühromantik, so lautet die These, sind Poetik und Sozialität untrennbar verschränkt - eine Verschränkung, für die ich den Begriff der Soziopoetik vorschlage. These und Begriff werden am Zusammenspiel von Fragment und Geselligkeit entfaltet. Es geht um die Vergleichbarkeit der Strukturen von Fragmentpoetik und sozialer Assoziation, nämlich um Formen des Bündelns und der Bezugnahme auf andere/s. Im Fall von Fragmenten kann man gattungspoetologisch mit Blick auf die organisierende Kraft und Bindekunst der Text-Vielheiten, die im Zeichen der experimentellen Sozialität steht, von einer poetischen Vergesellschaftung von kurzen Einzeltexten sprechen: von geselligen Texten. Während Kurzgattungen um 1800, insbesondere der Aphorismus, bislang im Rahmen einer "explorative[n] Wissenspoetik" gelesen wurden, wird hier vorgeschlagen, den Experimentcharakter der Gattungen epistemologisch und sozial zu verstehen. Ausgehend von der Beziehung zwischen Fragment und frühromantischer Geselligkeit widmet sich der Beitrag der poetischen Verfasstheit von Sozialität. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht Friedrich Schleiermachers "Versuch einer Theorie des geselligen Betragens" (1799). Schleiermachers Geselligkeitsanalyse interessiert als Modelltext, der ein doppeltes soziopoetisches Wissen entfaltet: Wichtigkeit der Äußerungsform zum einen, Gemachtheit sozialer Ordnung zum anderen. Leitend ist die Problemstellung, wie (soziale) Vielheit um 1800 organisiert ist. Diese Frage wird entlang dreier Parameter verfolgt: Ein- und Ausschluss, interne Organisation, Kunstwerkcharakter und Zeitlichkeit sozialer Ordnungen. Zunächst wird in einem begrifflichen und historischen Vorlauf die 'Assoziation' als ein Schlüsselphänomen der Epoche und die Frühromantik als soziales Versuchslabor beschrieben.
Ich spreche im Folgenden über ein Thema, das 'Hermeneutik nach Luther' heißen soll. Als Hermeneutik verstehe ich dabei im Anschluss an Friedrich Schleiermacher - also im Anschluss an einen protestantischen Theologen, der seine eigene Hermeneutikkonzeption vorwiegend mit Bezug auf die Auslegung des Neuen Testamentes entwickelt hat, das heißt in einem dezidiert christlichen und zugleich mehrfachen, noch näher zu klärenden nach-Luther'schen Sinn - die "Kunst des Verstehens". Die Bestimmung verdeutlicht, dass das Verstehen nichts Selbstverständliches ist. Verstehen versteht sich nicht von selbst. Es muss selbst verstanden werden. Hermeneutik bezeichnet nach diesem Verständnis eine Aufgabe, und zwar, wie Schleiermacher zu betonen nicht müde wird, eine niemals abgeschlossene, immer weiter fortzusetzende Aufgabe.
Als eines der Hauptprobleme der Rezeption deutscher Kultur in Frankreich kann die Dichotomie von Dekontextualisierung vs. Hyperkontextualisierung bezeichnet werden, wobei man das Bild von den zwei Seiten derselben Münze benutzen könnte. Die damit verbundenen Interpretationsansätze bewirken einerseits, dass bei der Auseinandersetzung mit deutscher Literatur, Philosophie und Kunst der historische, politische und soziale Kontext oft vernachlässigt oder gar ausgeblendet wird. Bereits Heinrich Heine warnte seine französischen Zeitgenossen in seinem Buch 'De l'Allemagne' (1833) vor dieser Gefahr beim Umgang mit der deutschen Romantik. Andererseits kann man ebenso häufig beobachten, wie in Frankreich geistig-künstlerische Werke aus Deutschland auf ihre geschichtlichen Entstehungsbedingungen oder politischen Implikationen bzw. Belastungen heruntergebrochen werden. Dieses Phänomen kann natürlich verstärkt in Zeiten ideologischer und kriegerischer Auseinandersetzungen zwischen beiden Ländern beobachtet werden, vor allem während der Periode 1870–1945. Aber auch heute noch - ein halbes Jahrhundert nach dem deutschfranzösischen Freundschaftsvertrag - prägt die Epoche des Nationalsozialismus den Blick vieler Franzosen auf Deutschland und beeinflusst maßgeblich die Rezeption deutscher Literatur, Philosophie und Kunst.
Die hiermit aufgeworfene Frage ist die nach dem notwendigen bzw. angemessenen Grad von (politikgeschichtlicher) Kontextualisierung im französischen Verhältnis zur deutschen Kultur, wobei eine pauschale Beantwortung sich selbstredend als schwierig oder gar unmöglich erweist.