830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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In Stephanie Willekes Beitrag ""Nichts mehr stimmt, und alles ist wahr." Tabubrüche in Herta Müllers "Atemschaukel"" steht die literarische Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen im Vordergrund der Betrachtung. Herta Müllers "Atemschaukel" fokussiert das Schicksal in Rumänien lebender Deutscher, die zum Kriegsende in Arbeitslagern interniert werden. Damit wird in gewisser Weise ein Tabu im Sinne des Unausgesprochenen berührt, da das Schicksal der internierten Rumäniendeutschen im Kollektivgedächtnis weitestgehend ausgespart bleibt.
Benjamin Hein beschäftigt sich im Beitrag "Über die Dethematisierung der Judenverfolgung und des Holocaust in der Populärliteratur der Nachwendezeit" mit den gegenwärtigen literarischen Aufarbeitungstendenzen der NS-Vergangenheit. Er untersucht, wie das Fortwirken eines Authentizitätsanspruchs und eines damit verbundenen 'Bildverbots' in der Schrifsteller-Generation der Nachgeborenen sowie der dritten Generation eine Aussparung der Opferperspektive zeitigt, die eine brisante Leerstelle produziere.
"Der Mensch, der sich auslöschte" : philosophische und literarische Perspektiven auf den Suizid
(2017)
Sarah-Christina Henze und Kevin M. Dear beschäftigen sich mit der literarischen Bearbeitung des Themas Suizid anhand von Terézia Moras Roman "Das Ungeheuer". In ihrem Aufsatz "Der Mensch, der sich auslöschte" - Philosophische und literarische Perspektiven auf den Suizid zeigen die Autoren anhand terminologischer Abgrenzungen die ethische Problematik auf, die sich mit der Selbsttötung verbindet. In diesem Kontext könnten Suizide als nachvollziehbar gelten, die das Ende eines physischen oder psychischen Leidens verheißen. Im Falle von Moras Protagonistin, die sich in Folge einer anhaltenden Depression das Leben nimmt, laufe eine solche Legitimation jedoch insoweit fehl, als die Depression an sich ein Nicht-Artikulierbares, ein Unberührbares im Sinne des Tabu-Begriffs darstelle, das im Roman umkreist wird.
Mit dem Beitrag von Lis Hansen zu den "Verdammte[n] Dinge[n] - Tabu und Müll in der Literatur" wenden wir uns im Anschluss der Betrachtung von Tabus und ihrer Überschreitungen in der Literatur zu. Hansen begreift Müll dabei im Sinne von Mary Douglas als Medium der Ordnungsstiftung und weist dem ordnungstiftenden Akt des Entsorgens mit Kristevas Abjekt-Begriff identitätsstiftende Funktion zu. Damit sind Müllprodukte jedoch auch fortwährend eingebunden in einen Kreislauf von Bedeutungsverlust und Sinnstiftung. Anhand verschiedener Beispiele der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur zeigt sie, wie die ausrangierten, erneut aufgefundenen Dinge für ihre Finder das Potential bereithalten, Lebensgeschichten zu erzählen und Sinnverlust in Sinnproduktion verwandeln können. Dabei setzt die Möglichkeit eines neuen Sinnarrangements aus dem Verworfenen poetisches Potential im Sinne eines semantischen Spiels frei, so dass dem Begriff Recycling hier eine neue, gleichsam poetisch gewendete Funktion zukommen kann.