830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Zwei Thesen sollen in diesem Aufsatz entfaltet werden: Die erste besagt, dass im Poetischen Realismus von Stifter bis Fontane, Raabe und Storm – analog zur deutschen Wirtschaftslehre des 19. Jahrhunderts – die Smith zugeschriebene Position einer Präzedenz des ökonomischen
Egoismus bestritten und an dessen Stelle der Gesamtnutzen als wirtschaftliches Movens in den Vordergrund gestellt wird. Sozusagen in Umdrehung der smithschen These werden Geschäftsmänner geschildert, die das ökonomische Wagnis eingehen, sich vorderhand um die Gesamtverfassung der Gesellschaft zu kümmern und damit belohnt werden, dass sie selbst reich werden. Freilich halten, wie die zweite These besagt, diese Behauptungen einer zweiten Lektüre nicht unbedingt stand. Bei Stifter, so soll gezeigt werden, bleibt die vom Kopf auf die Füße gestellte These Smith' ein rein rhetorisches Phänomen, weil ihr zwar nicht widersprochen, sie jedoch, mangels Gegengewicht durch den Icherzähler, auch nicht verifziert wird. Diese Tendenz verstärkt sich in den heterodiegetisch erzählten Romanen/Erzählungen Storms, Fontanes und Raabes, die als Gegenmodell des moralischen Geschäftsmanns nicht mehr nur den Smithianer, sondern dessen Radikalisierung und historischer Nachfolger, den Spekulanten, notieren. Diese Texte gehen das narrative Risiko ein, gegen ihre eigene Argumentation eine innere Verwandtschaft zwischen moralischem Geschäftsmann und Spekulant zu insinuieren und damit Letzteren nachhaltig aufzuwerten.
Einleitend zum Schwerpunktthema "Geld und Ökonomie im Vormärz" soll anhand ausgewählter Forschungsliteratur ein ökonomiehistorischer Bogen von der frühindustriellen Mechanisierung des Textilgewerbes bis zum maschinisierten Fabriksystem im späten Vormärz gespannt werden, der technologischen und politischen Grundzüge der beginnenden Kapitalverwertung als transeuropäischen Prozess nachzeichnet. Dabei soll deutlich werden, dass die mit der Durchsetzung der kapitalistischen Lohnform verbundene Monetarisierung des Alltags, welche am Ende jede Lebensäußerung der in diese Transformation gezwungenen Subjekte bestimmt, keineswegs "ohne Mittel der Gewaltherrschaft" vor sich ging und dass die "Überlassung wertvoller Güter ohne Kampf, Raub und Krieg" am Ende des Zeitraums gerade nicht "wahrscheinlicher" geworden war.
An der Transformation ökonomischen Wissens zwischen 1780 und 1830 lassen sich im Kern vier Schlussfolgerungen ablesen: Erstens trete die externe politische Steuerung des ökonomischen Feldes und seiner Akteure zugunsten der schon bei Adam Smith beschriebenen Selbstregulierung zurück, "die sich im Bezug auf Rückkopplung, Regelkreise und Selbstreferenz vom Diktat souveräner Repräsentation wie auktorialer Intervention absetzen und sich durch die Unabschließbarkeit ihres Prozessierens auszeichnen." Zweitens sei die Triebkraft des Ökonomischen die Erfahrung einer "fundamentalen Knappheit", die sich trotz einer gigantischen Überschussproduktion daraus ergebe, dass "den anderen stets fehlt, was man selbst nicht besitzt." Daraus resultiere drittens eine neue Arbeitsweise, in der das Produkt "vor allem das Sich-Selbst-Fremd-Werden des Produzenten repräsentiert" und in der Arbeit als das "materielle Entäußern des Eigensten" verstanden werden müsse. Der vierte Aspekt betrifft Folgen dieses Prozesses für die Deckungskraft der im gesellschaftlichen Verkehr produzierten, nicht mehr an eine spezifische Materialität gebundenen Wert-Zeichen, die, gerade weil sie als "Zeichen eines Fehlens von Realität erscheinen", mit dem "Titel eines poetischen Geistes versehen worden" sind.