830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Der Beitrag thematisiert die literarische Darstellung virtueller Investigationen, welche eine performativ-schauspielerische Wiederholung von Tatgeschehnissen beinhalten. Er analysiert insbesondere die Rolle von Zufallsmotiven und -aspekten in solchen Darstellungen und deren metapoetische Bedeutung im Rahmen einer Gattungspoetik des Kriminalromans. Als Fallbeispiele dienen hierfür Friedrich Dürrenmatts 'Requiem auf den Kriminalroman' "Das Versprechen" und Stanisław Lems Roman "Der Schnupfen". Im Vergleich der beiden Texte zeigt sich unter anderem, dass die Idee eines genauen 're-enactment' von Tathergängen auf der Grundlage virtueller Rekonstruktionen in beiden Romanplots nicht direkt zum gewünschten Ergebnis führt, dass aber in Lems Roman eine Integration des Faktors Zufall in virtuelle Ermittlungsprozesse und in die Poetik des Kriminalromans insgesamt sehr viel positiver gewertet wird, während der Einfluss des Zufalls bei Dürrenmatt ebenfalls als unhintergehbar, aber nicht als uneingeschränkt begrüßenswert perspektiviert wird.
Das Endinger Judenspiel
(2001)
Wer 1784, nur fünf Jahre vor der großen Revolution und mitten in der großen Bewegung der Aufklärung, zu Christian Gottlieb Jöckers Allgemeinem Gelehrten-Lexicon mit Fortsetzungen und Ergänzungen von Johann Christoph Adelung griff, konnte unter dem Buchstaben C folgenden Eintrag finden: "Cäsar, (Johnnes Baptista,) Syndicus zu Frankfurt um Main, legte aber sein Amt nieder, wegen des damahligen Judentumults. Er hat unter dem Namen Vespasiani Rechtani den Judenspiegel drucken lassen, und die Judenbadstube angehängt, worin er erwiesen daß die Juden höchst schädliche blutsaugende Thiere und Verräther des Vaterlandes und gar nicht zu gedulden seyn ...". Der doppeldeutige Anschluß hat schon seinen Sinn, denn nicht nur in seinem Judenspiegel "beweist" Cäsar die Minderwertigkeit und Schädlichkeit der Juden, sondern vor allem mit seinem Wiederabdruck von "Der Juden badstub. Ein anzeygung jrer manigfeltigen schedlichen hendeI zuo Warnung allen Christen/jren trieglichen listigkeyten zuo entweychen vnd zuo uermeyden", die 1535 zum ersten Mal im Druck erschienen war. Es bedurfte auch fast 250 Jahre später keines erklärenden Hinweises, was mit diesem Wort "Judenbadstube" gemeint sei - offenbar konnte Adelung noch immer darauf vertrauen, daß des bis heute unbekannten Philips von Allendorf dingallegorische Ausdeutung der Abläufe in einer spätmittelalterlichen Badestube jedem Gebildeten, der in seinem Lexicon Rat suchte, bekannt war. Diese Tatsache allerdings bedarf der Erklärung....