830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Lange Zeit gab es in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteraturkritik keine Unterscheidung zwischen phantastischen Erzählungen und Fantasy. Diese Gattungsdifferenzierung beginnt sich erst ab der Jahrtausendwende durchzusetzen. Betrachtet man das deutsche Textkorpus, das bis dahin global als Phantastik bezeichnet wurde, so lässt sich feststellen, dass der mittlerweile herausgearbeitete Unterschied zwischen phantastischen Erzählungen und Fantasy schon in den 1950er und 1960er Jahren zu erkennen ist. Sowohl die gattungstheoretischen Unterscheidungen als auch die Gattungsbegriffe haben jedoch erst um die Jahrtausendwende eine gewisse Festigkeit gewonnen.
Ein zentrales Anliegen dieser Arbeit ist es, die nicht-realistischen kinder- und jugendliterarischen Werke der Nachkriegsjahrzehnte im Lichte der jüngeren gattungstheoretischen Differenzierungen neu zu bewerten und ggf. zuzuordnen. Gefragt wird, ob in der deutschen Kinder- und Jugendliteratur der 1950er bis 1980er Jahre bereits Werke existieren, welche nach aktuellem Begriffsgebrauch als Fantasy zu bezeichnen sind. Ein dabei zu berücksichtigender Aspekt betrifft die Gattungsgeschichte, welche nicht mit der der englischer bzw. amerikanischer Kinder- und Jugendliteratur vergleichbar ist. Laut einer Definition von Ewers (2013) versuchte die deutsche Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft lange Zeit, dem Genre Fantasy „beizukommen“, indem sie diese als ein Sub-Genre der Phantastik ansah. Hierin sieht er einen Irrweg. Sicherlich gibt es Parallelen zwischen phantastischer Erzählung und Fantasy, doch seien diese rein äußerlicher Natur.
Anhand der Definition von Ewers untersucht diese Arbeit, ab wann von Texten gesprochen werden kann, die dem jüngeren Verständnis von Fantasy entsprechen und welche kinder- und jugendliterarischen Werke nach diesem Erkenntnisstand hinzuzuzählen sind. Dabei liegt das Augenmerk auf der Bedeutung und Vorgeschichte von Fantasy-Literatur für den westlichen deutschsprachigen Raum. Methodisch wurde wie folgt vorgegangen: Ein Korpus aus kinder- und jugendliterarischen Texten wurde gebildet. Anschließend wurde dieser im Hinblick auf die in Ewers‘ Definitionsansatz genannten Charakteristika untersucht. Hieraus entwickelte sich der Gedanke, eine für die weiterführende Forschung hilfreichen Klassifizierung der phantastischen Kinder- und Jugendliteratur der Nachkriegszeit zu entwickeln, um den Stellenwert zeitgenössischer Fantasy verdeutlichen zu können.
Welt, Wort, Mensch : (Un-)Gestalten des Ganzen in Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften"
(2022)
Musil entwickelt seine literarische Ganzheitsreflexion in enger Auseinandersetzung mit der Wissenschaft seiner Zeit: von der Gestaltpsychologie bis hin zur Thermodynamik, wie Inka Mülder-Bach in ihrer Lektüre des "Mann ohne Eigenschaften" zeigt. Musils Text sei einerseits von zahlreichen Dualismen geprägt, andererseits erteile er einem 'klassischen' Verständnis von Teil und Ganzheit eine deutliche Absage. Einem Briefpartner beschied Musil 1931 kurz und bündig: "Eine Totalität lässt sich nicht durch noch so viele Einzelheiten darstellen." Zentral ist hierbei nicht zuletzt der Begriff der Darstellung. Totalität wird bei Musil in erster Linie zu einem Problem des eigenen literarischen Verfahrens. Mülder-Bach legt dar, dass das Phänomen der Ganzheit unzählige Aspekte seiner Schreibweise tangiert: vom Wortbau über die Syntax und die Metaphorik bis hin zu der für die Darstellungsebene des Romans zentralen Form des 'Gleichnisses'. Auch die politische Prekarität 'Kakaniens' oder das Geschwisterverhältnis seien als Spiegelungen und Ausdruck der Ganzheitsproblematik zu begreifen. Den Umgang mit Figuren der Vielfalt, der Vollständigkeit, der Teilung, der Verdopplung, der Mitte, der Grenze, der Symmetrie oder des Gleichgewichts sieht Mülder-Bach dabei oft in zunächst paradox erscheinende Versuche einmünden, Trennung und Verbindung irgendwie zusammenzuziehen oder gar zu vereinen. Auch die bekannte auf die Geschwister gemünzte Wendung der "Ungetrennten und Nichtvereinten" erschließe sich erst vor diesem Hintergrund. Angesichts des fragmentarischen Charakters des Romans seien alle Musil'schen Antworten auf das Ganzheitsproblem freilich als "tentativ" zu begreifen.
Der Fokus der Studie liegt auf der Analyse des Fiktionalitätsstatus von Erzählwerken in der literaturwissenschaftlichen Praxis. Im Zentrum steht die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Fiktionalität, der Vorstellungskraft und dem Handeln von Autorinnen und Autoren sowie Leserinnen und Lesern. Dabei wird eine wechselseitige Erhellung zweier Fragen unternommen: Was ist Fiktionalität und Nichtfiktionalität? Und: Welchen Fiktionalitätsstatus haben Max Frischs "Montauk" (1975) und Lukas Bärfuss' "Koala" (2014)? So werden Vorschläge erarbeitet und auf die Probe gestellt: eine literaturwissenschaftlich operationalisierte Definition von Fiktionalität und Nichtfiktionalität einerseits - eine Klassifikation der notorisch umstrittenen Fälle "Montauk" und "Koala" andererseits.
Wie kein anderes Land ist Italien im deutschsprachigen Raum seit mehr als 600 Jahren Gegenstand einer nahezu unüberschaubaren Auseinandersetzung in Kunst, Kultur, Philosophie und Politik. Als Kernland des römischen Imperiums, mit Rom als Zentrum der Christenheit und wichtiger Etappe auf dem Pilgerweg ins Heilige Land, durch jahrhundertelang politisch und wirtschaftlich mächtige Republiken wie beispielsweise Venedig, Genua und Florenz war Italien in vielerlei Hinsicht von besonderem Interesse. Dies gilt auch für die Zeit nach 1796, für die Zeit nach dem Einmarsch der französischen Truppen und die damit verbundene Umgestaltung der politischen Landkarte Italiens. Im ersten Teil stehen mit Blick auf das (post-)risorgimentale Italien zunächst exemplarische Untersuchungen in Literatur, Publizistik und Philosophie im Fokus. Der zweite Teil des Jahrbuchs ist dem Thema "Deutsche Künstler in Italien - zwischen politisch-ästhetischer Revolution und Traditionsbewahrung" gewidmet. Italien als Sehnsuchtsziel von Malern und Schriftstellerinnen sowie als Gegenstand von Reiseberichten, Gedichten und als Opernschauplatz bietet einerseits Inspiration und Freiraum zum künstlerischen Schaffen. Andererseits ist Italien aber auch ein kulturell seit Jahrhunderten beschriebenes Gebiet, das zu einer Auseinandersetzung mit den Kulturgeschichten beider Länder und bislang vorliegenden künstlerischen Gestaltungen herausfordert.
Deutscher Volksballadenindex. Index ursprünglich gedruckt in: O.Holzapfel, Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien: Balladen = DVldr, Bd.10, Bern 1996, S.171-239 [mit Register]; dazu Ergänzungen, Verweise und Nachträge; Verweise auf Texte und Kommentare aus: O.Holzapfel, Das große deutsche Volksballadenbuch, Düsseldorf 2000. Hier nochmals erweitert und ergänzt.
Die Literaturwissenschaftlerinnen Eva-Tabea Meineke und Stephanie Neu-Wendel greifen Impulse der Forschungen Ujmas auf und erkunden in komparatistischer Perspektive "Visionen nationaler Einheit aus weiblicher Perspektive. Europäische Italienbilder von Cristina Trivulzio di Belgiojoso und Fanny Lewald". Meineke und Neu-Wendel widmen sich einem wichtigen Desiderat der Forschung, denn sowohl Trivulzio di Belgiojoso als auch Lewald waren zu Lebzeiten einflussreich, sind aber kaum kanonisiert und ihr Beitrag zur risorgimentalen bzw. vormärzlichen Literatur und zu Italiendarstellungen in dieser Zeit wurde für jede einzeln bislang nur selten und in vergleichender Gegenüberstellung noch gar nicht gewürdigt. Während Trivulzio di Belgiojoso aufgrund ihrer Zeitungsartikel 1846-47 gleichsam einen Blick von innen auf Italien gewährt, liefert Fanny Lewald in ihren Reisebeschreibungen aus annähernd derselben Zeit einen Blick von außen auf das Land. Dass und wie sich beide Frauen über gender-spezifische Normen und Konventionen hinwegsetzen und die politischen und sozialen Umwälzungen rund um das für die europäischen Nationalbewegungen zentrale Jahr 1848 genau beobachten und begleiten, ist Thema dieses Aufsatzes.
Karin Füllner unterzieht in ihrem Beitrag zu "Utopie und Melancholie in Heinrich Heines italienischen Reisebildern" die Auto- und Heteroimages darin einer genauen Untersuchung. Diese werden in dem autobiographisch grundierten Schreibprojekt Heines an Musik, Kunst und Speisen ebenso deutlich wie in der Auseinandersetzung mit tradierten literarischen Italienbildern, etwa denen Goethes. Das dialektische Spannungsverhältnis zwischen Utopie und rückwärtswandter Melancholie vergleicht Füllner mit Heines Frankreichbildern und kann so die Besonderheit seiner Italienrezeption aufzeigen.
This study compares and analyses hetero-stereotypes in Flaubert's travelogue "Voyage en Égypte" and Bachmann's prose fictions "Wüstenbuch" and "Das Buch Franza" in order to find out to what extent Flaubert resorts to stereotypical representations of the colonial Orient, and Bachmann perpetuates, transforms, or revises Flaubert's imagological discourse in the age of postcolonialism. Whereas Flaubert's sexist and racist narrative posits white superiority, Bachmann's protagonists subvert the male hegemonic stance of her French predecessor, insisting on white and male inferiority, causing just another stereotypization of race and gender.