830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Rezension zu Auf Dornen oder Rosen hingesunken? Eros und Poesie bei Clemens Brentano. Im Auftrag des Freien Deutschen Hochstifts – Frankfurter Goethe-Museum hrsg. von Hartwig Schultz. Berlin: Saint Albin Verlag, 2003 [und] Laura Benzi: Resakralisierung und Allegorie im Spätwerk Clemens Brentanos. Das Märchen von Gockel, Hinkel und Gackeleia (1838) und Das bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi (1833). Bern u.a.: Peter Lang, 2002.
Rippoldsau ist nicht nur biographisch bedeutungsvoll als einer der vielen Orte, an denen Rilke Erholung suchte. Das Kurbad im Schwarzwald zählt auch zu jenen Fluchtpunkten einer räumlichen Ordnung, die die Forschung als 'innere Geographie' namhaft gemacht hat. Im Folgenden soll diese Topographie von Fluchtlinien unter dem Aspekt ihrer Modellhaftigkeit in den Blick genommen werden - allerdings nicht im Hinblick auf poetologische Aspekte, auf die vieldiskutierte, komplexe Verräumlichung in Rilkes lyrischen Szenarien. Am Leitfaden von Rilkes 'innerer Geographie' lässt sich auch sein Konzept von Autorschaft erschliessen. Denn Rilke ist in vielerlei Hinsicht repräsentativ für ein bestimmtes Autorschaftsmodell; ein Modell, das so erfolgreich ist, dass es nicht nur die klassische Moderne über weite Strecken prägt, sondern auch den unüberschaubaren Kunstbetrieb des 20. Jahrhunderts.
Vom Schriftexegeten, Kirchenlehrer und wahren Propheten respektive Apostel im 16. und 17. Jahrhundert, der mit Gotteshilfe Übermenschliches geleistet habe, über den Befreier der Vernunft und des Gewissens in der Aufklärung bis hin zum Nationalhelden, Heroen der deutschen Kultur und Vorbild bürgerlicher Lebensführung im 19. Jahrhundert - dies sind nur wenige Haupttransformationen, denen Luther im Laufe der Geschichte unterworfen wurde und an deren Vollzug sowie Tradierung die bildende Kunst entscheidend beteiligt war. Die Tatsache, dass sich jede Epoche, ja jede Generation "ihren eigenen Luther schuf", wurde zusammen mit der Heterogenität dieser zeitgebundenen Konstrukte spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch als ein gravierendes Forschungsproblem erkannt, das den deutschen Theologen und Kirchenhistoriker Heinrich Böhmer 1906 dazu veranlasste, ernüchtert festzustellen, dass es "so viele Luthers gibt, als es Lutherbücher gibt". In seiner herausragenden Studie zu Lucas Cranachs Bildnissen des Reformators von 1984 zeigte jedoch der Kunsthistoriker Martin Warnke, dass es bereits zu Lebzeiten und unmittelbar nach dem Tod des Wittenberger Theologen 1546 vor allem so viele Luthers gab, als es Lutherbilder gab. Cranach, der Hofmaler des sächsischen Kurfürsten, schuf mit den auffällig in ihrer Ikonografie variierenden und für die breite Öffentlichkeit bestimmten druckgraphischen Portraits ein wirkmächtiges "Image" des Reformators, das zum fundamentalen Bestandteil der protestantischen Publikationspolitik wurde und dabei zugleich gerade durch seine Mannigfaltigkeit eine mediale Angriffsfläche für das katholische Lager bot. Die Werke Cranachs, in denen das offizielle Bildnis des Theologen gleichsam generiert und autorisiert wurde, weisen differenzierte künstlerische Strategien der Sakralisierung und Heroisierung auf, welche von der Mehrzahl der etwa fünfhundert zeitgenössischen (Rollen-)Portraits Luthers kontinuierlich rezipiert und innovativ uminterpretiert wurden. Sie feiern den Wittenberger Bibelprofessor nicht nur als omnipräsenten und omnipotenten Gottesmann, sondern verklären ihn zur universellen Verkörperung der Reformation, zum personalisierten Sinnbild der neuen Theologie. Der Genese, den Facetten sowie der zeitgenössischen Rezeption dieses Phänomens in der Druckgraphik des 16. Jahrhunderts möchte der vorliegende Text anhand der exemplarischen Analyse ausgewählter Bildnisse des Reformators nachgehen.