830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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Im Zuge des unvermindert andauernden Mittelalter-Rezeptionsbooms hat Dieter Kühn (...) nun einen weiteren mittelalterlichen Autor, Neidhart, in den Mittelpunkt eines Werkes gestellt. Er konfrontiert in diesem „Liederbuch mit Prosakapiteln“ Übersetzungen nach Transkriptionen der Neidhart-Handschriften (...) mit Texten neidhartscher Zeitgenossen (...) und Collagen (...) aus zeitgenössischen Chroniken und wissenschaftlicher Sekundärliteratur.
Im Falle jenes Textes, dem die (...) Überlegungen gelten sollen, handelt es sich freilich um eine fatale Verknüpfung von Umständen, die seiner editorischen Erschließung entgegenwirken, obwohl der ‚Ritter vom Thurn’ mit zu den erfolgreichen und immer wieder neu aufgelegten Werken der frühen Druckgeschichte zu zählen ist: (...) Der autobiographische Fiktionsrahmen um seine Übersetzung des ‚Livre du Chivalier de la Tour pour l’enseignment de ses filles’ wird durch die Existenz der Töchter Elsa und Jakobea (...) bestärkt.
Die Rezeption des Mittelalters hat im wesentlichen nicht als Ausweis für ein Interesse am Mittelalter zu gelten, sondern vielmehr als Moment des Interesses an der V e r w e r t b a r k e i t des Mittelalters, seiner Mythen und Utopien unter einem speziellen Aspekt zeitgenössischer Ideologisierung. (…) Zu hinterfragen ist gleichfalls das Interesse der mediävistischen Philologie an der Rezeption des Mittelalters. Hinter der zweifelsohne weitgehend unverdächtigen Freude an der legitimationsstiftenden Rolle der aktuellen Rezeption für ein scheinbar jedem direkten zeitgenössischen Zugriff entzogenes Fachgebiet und der einsichtigen eskapistischen Freude der Mediävist/inn/en an der Möglichkeit, die engen Fachgrenzen und ihren spezifischen Ballast vorübergehend hinter sich zu lassen, steht oft genug auch der Versuch, das eigene Unbehagen an der zeitgenössischen Aneignung des Mittelalters zu übergehen, um nicht als fachidiotischer Störfaktor einer allgemeinen Begeisterung zu gelten.
"Du bist mir Apollo", "Du bist mir Helena" : "Figuren" der Liebe im frühneuhochdeutschen Prosaroman
(1991)
Die folgende Untersuchung gilt zwei in Handlungssituierung, Erzählgestus und Entwicklung der Romantechnik durchaus unterschiedlichen, obschon in nicht allzu großer zeitlicher Distanz entstandenen Modellen, die jedoch miteinander verbindet (...), daß sie unter je verschiedenen sozialen Bedingungen beide das Nichtfunktionieren von Liebesbeziehungen aufzeigen (...). Gemeint sind Jörg Wickrams „schöne Histori / von sorglichem anfang vnd außgang der brinnenden Libe / vier Personen betreffend“ (...) [sowie die] Erzählung von der „brünstige(n) Liebe [...] Camilli und Emilie“, deren deutscher Nachdruck rund dreißig Jahre später anzusetzen ist (...).
Die folgenden Überlegungen gelten einer literarischen Gattung, die in ihrer Entstehungs- und Primärrezeptions-Phase für das 15. und 16. Jahrhundert von größter Bedeutung war und die darüber hinaus durch ihre spätere Verbreitung in Form von billigeren Drucken als „Unterhaltungsliteratur“ zum Leserrepertoire auch der folgenden Jahrhunderte gehören sollte: dem frühen deutschen Roman, zur Unterscheidung von seinen versifizierten höfischen Vorläufern unter der aus neuzeitlicher Sicht scheinbar tautologischen Bezeichnung „Prosaroman“ bekannt.
Das Lied MF 159,1 interessiert die Minnesang-Philologie vorrangig als einer der beiden Ausgangspunkte für Walthers Reinmar-Parodie L 111,23. (...) Doch weder (...) Abweichungen in der Strophenfolge noch die – zum Teil eklatanten – Unterschiede im Wortlaut vermochten das Interesse der Forschung recht zu wecken.
Im Fall der Lieder Walthers (...) hat man (...) die Qual der Wahl zwischen den Textfassungen Carl von Kraus’ und Friedrich Maurers (...). [Ingrid Bennewitz] möchte im folgenden die Überlieferung der Handschrift E zum Anlaß nehmen, um anhand einiger Beispiele die Stationen der Textkritik und jene Argumentationsstrategien zu demonstrieren, die seit Lachmann Texte ins forschungsgeschichtliche Abseits gestellt oder aber zur Bildung von Atethesen geführt haben.
Die Literatur des Mittelalters produziert unterschiedliche Konzeptionen von ‚Weiblichkeit’ und weiblichen Körpern. Mich interessieren an dieser Stelle weniger die kanonischen Entwürfe des schönen (…) Frauenkörpers durch männliche Autoren als vielmehr der angestrengte Versuch einer normativen Konditionierung, die sich im wesentlichen der Strategien raumzeitlicher und mentaler De-Mobilisierung sowie physischer und intellektueller Reduktionierung bedient. (…) Es geht (…) um eine Kenntlichmachung des Sonderfalls ‚weiblicher Körper’ über das Medium der Literatur, deren Ziel – nur scheinbar paradoxerweise – sein Unsichtbarmachen zu sein scheint.
In der deutschsprachigen Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit entfällt – für fast alle Bereiche der weltlichen Literatur und so auch für die moralisch-didaktischen Werken – die Möglichkeit eines Vergleichs von Texten männlicher und weiblicher Autoren, wie sie für den französischen Sprachraum der gleichen Zeit etwa durch die Ausnahmeerscheinung einer Autorin wie Christine de Pizan möglich ist. Ihre Werke lassen deutlich werden, daß es für Frauen, die eine entsprechende Bildung und Selbstständigkeit aufzuweisen hatten, durchaus möglich war, andere Idealbilder weiblichen Verhaltens und weiblicher Lebensformen zu entwerfen, selbst unter der Voraussetzung einer grundsätzlich Gültigkeit und Akzeptanz christlicher Wertvorstellungen.
Die Geburtsstunde der ‚Hexe’ als populäres Identifikationsmuster für weiblichen Widerstand gegen die fortdauernde gesellschaftliche Diskriminierung und Unterdrückung der Frau liegt mittlerweile mehr als ein Jahrzehnt zurück. (...) Im Zentrum dieser Widerstandaktion stand als wesentliches Interesse das Selbstbestimmungsrecht der Frau über sich selbst und ihren Körper im umfassenden Sinne. (...) Die feministische Bewegung der siebziger und achtziger Jahre war in erster Linie ein teils loses, teils enges Netzwerk intellektueller Frauen, zumindest was ihre prägenden Vertreterinnern und besonders ihr theoretisches Fundament betrifft (...)