830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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In ihren Arbeiten zu Emily Dickinson und Paul Celan macht Shira Wolosky immer wieder auf die thematischen und linguistischen Gemeinsamkeiten der beiden Autoren aufmerksam. Dabei betont sie beispielsweise die stilistischen Auffälligkeiten in beiden Werken. Zudem beschreibt Wolosky neben den Parallelen eine Art des Austauschprozesses zwischen den Werken, die durch die Übersetzung Celans entstehe. In einer zweiten Arbeit zu Dickinson und Celan führt sie diesen Gedanken weiter aus und sieht in der Übersetzung eine Darstellung von Celans eigener Perspektive auf Dickinsons Werk. Auch in der deutschsprachigen Forschung gibt es Beiträge, die herausgearbeitet haben, dass eine nähere Beschäftigung mit Dickinson und Celan relevant ist, da beide ähnliche Themen in ihren Dichtungen behandeln, darunter "die Beziehung des Ichs innerhalb der Spannungsfelder von Liebe und (zumeist unerfülltem) Begehren, Zeit und Ewigkeit, Schöpfung und Vergänglichkeit, Tod und Unsterblichkeit, Gott und Transzendenz, Offenbarung und verweigerter Theodizee." Trotz dieser vielversprechenden Untersuchungen wurde den Dickinson-Übersetzungen Celans im Allgemeinen in der Forschung wenig Beachtung geschenkt, bzw. wurde der Schwerpunkt vor allem auf linguistische Analysen gelegt (so wie die von Wolosky selbst). Im Folgenden möchte ich daher das Gedicht "Because I could not stop for Death", das in der Übersetzung Celans 1959 im Fischer Almanach erschien, näher betrachten und dabei fragen, auf welche Weise sich Celans Übersetzung von Dickinsons Vorlage unterscheidet. Dabei werde ich an Woloskys These anknüpfen, dass Celan die Gedichte nicht nur übersetzt, sondern auch stark bearbeitet und mit seiner eigenen Dichtung verbindet.
This paper is an attempt to peel out the core of historical and autobiographical reality in Klara Blumʼs poems, to show their militant character and ideological limits, and to analyze them as contemporary documents whose relevance lies less in the originality of their language than in the consistency of their historical and intellectual substance.
Walser's "Reisebericht" can been read as a very concrete and exact description of a walk from Bellelay in the Swiss Jura mountains through Solothurn to Biel. The article confronts this locally highly specific readability with the text's depiction of a global or planetary journey through a "purely worldly" land, also stylized as a journey of artistic production. Special attention is being paid to differences between the first version of the piece ("Reisebeschreibung") and the context of its journal publication in 1915 and the book version of "Reisebericht" from 1919/20; differences which bear on the artistic reworking of connotations resonating World War I and on a poetics of universal nature which counteracts a rhetoric of patriotism, violence and disintegration.
Karsten fügt der umfangreichen Lampedusa-Forschung einen wichtigen Aspekt hinzu, indem er die bislang weitgehend unbeachtete geschichtsphilosophische Dimension des Romans beleuchtet. Er zeigt, dass und wie sich Lampedusa der Zeit um 1860/61 sowohl zu erzählerischen Zwecken, zur Handlungsmotivation, Figurengestaltung und -kontextualisierung, bedient als auch dazu, geschichtliche Ereignisse dieser Zeit zu kommentieren und einzuordnen.
Pola Groß beobachtet in ihrem Beitrag zu neuesten deutschen Theatertexten eine Abkehr von der Relevanz der Aufführbarkeit, die mit einer Entwicklung hin zu stärkerer Fokussierung auf die Artifizialität und Poetizität der Texte einhergeht und somit zur "Reliterarisierung des Theaters" führe: Der Einsatz rhetorischer Stilmittel und die Aufwertung von Rhetorik als auch linguistisch fixierbare Sprechhandlung definierter Gruppen auf der Bühne trage dazu ganz wesentlich bei. Das zeigt Groß am Beispiel der Stücke dreier Gegenwartsdramatiker: Thomas Köck, Enis Maci und Wolfram Höll. Sie sind für das Verhältnis von Rhetorik, Stil und Gegenwartsbezug der neuen Stücke so aufschlussreich wie symptomatisch. In Köcks "paradies fluten" trägt nicht zuletzt die disparate Stilmischung zu einer auffälligen "Dramaturgie der Gleichzeitigkeit" bei. Ellipsen und fehlende Interpunktionen verstärken diesen Effekt. Enis Macis "Mitwisser" wird mitunter als "erstes wirkliches Internetdrama" gehandelt. Sie hält den hohen Stil auch dort durch, wo er ironisch gebrochen wird, integriert viele orale Segmente, bleibt jedoch im Ganzen auf die Ausstellung von Stil und Grammatik fixiert, um die Form gegenüber dem Inhalt und seinem Informationsgebot aufzuwerten. Hier schießt die Autorin jedoch, wie Groß überzeugend darlegt, mitunter übers Ziel hinaus, indem sie zu erläuternden (oft allzu moralischen) Kommentierungen bzw. Gebrauchsanweisungen neigt. Auch in Wolfram Hölls "Disko" geht es um den stilistisch bedingten Effekt der Gleichzeitigkeit, mehr noch als bei Köck, der diesen inhaltlich, und Maci, welche ihn formal privilegiert. Der Sound der 'Disko Europa' ist von einem minimalistischen Stil geprägt. Aber die an das elliptische Prinzip anknüpfenden Stile und Phrasen der Figuren nähern sich tendenziell so sehr an, dass sie sich zu einer Gruppen- oder Schulrhetorik formieren. In den unterschiedlich eingesetzten Techniken, eine Gleichzeitigkeit von Stil und Rhetorik zu forcieren, sieht Groß aber doch Möglichkeiten einer genuinen und bühnenwirksamen Literarizität.
Die Meridian-Rede ist als die zentrale poetologische Schrift Celans anzusehen, in der er sich mit unterschiedlichen poetologischen und philosophischen Konzepten auseinandersetzt. Im Folgenden werden die vielen für die Rede bedeutsamen Intertexte jedoch nicht nochmals thematisiert; es soll vielmehr das Augenmerk auf die Rhetorik des Raums gerichtet werden. [...] Aufbauend auf Celans Poetik des globalen Raums soll der Versuch unternommen werden, dessen Konzeption einer dichterischen Toposforschung anhand eines Gedichts aus dem im Jahr 1967 erschienenen Band "Atemwende" plausibel zu machen. Es handelt sich um das letzte Gedicht des zweiten Zyklus und trägt den Titel "Hafen".
Der vorliegende Beitrag stellt einen Versuch dar, einige bio-zentrisch konzipierte Gedichte aus der Spätphase von Paul Celans Schaffen vom posthumanistischen Standpunkt her zu lesen. [...] Betrachtet man Celans Werk aus der Perspektive seines spezifischen 'nature writing', so lässt sich behaupten, dass verschiedene Elemente der außermenschlichen Natur zumindest ab dem Band "Sprachgitter" (1959) in seinen Texten eine sehr wichtige Rolle spielen. Während aber in diesem Band vor allem Bilder unbelebter Natur und geologische Schichten vom versteinerten Leben Celans poetische Landschaften mitgestalten, nehmen die bio-orientierten Referenzräume in seinem späteren Werk einen immer mehr vegetativen und animalischen Charakter an. Diese stilistische Gestik äußert sich nicht nur in der Hinwendung zu Pflanzen- und Tiernamen, die meist mit großer Kenntnis der Fachbegriffe einhergeht, sondern auch in Celans Vorliebe für Fachvokabular aus den Bereichen von Geologie, Botanik, Zoologie, Paläontologie etc. Textanalytisch ist dabei nicht bloß diese lexikalische Spezifik interessant, sondern ihre jeweilige Funktionalisierung in den einzelnen Gedichten, auf die im Folgenden eingegangen wird.
Dass Celans Gedichte schwer zugänglich sind, ist bekannt und hat vielfache Gründe, von denen einige bereits zur Sprache kamen und die er besonders im Meridian dargelegt hat, worin er schließlich auf das, was er als ein "Gegenwort" bezeichnet, zu sprechen kommt, etwas, was zu Recht als ein "dichterischer Ausbruch aus verschlissenen Metaphern und banalisiertem Vokabular" aufgefasst werden kann. So gesehen ist gerade auch das Fremde und Unzugängliche dem Gedicht eigen und gehört mit zu seiner besonderen poetischen Sprache. Vor allem auch die hebräischen Worte lassen sich in diesem Kontext als 'Gegenworte' auffassen, die die Hermetik des Gedichts zunächst noch zu verstärken scheinen. Bei genauerer Analyse erweist sich jedoch, dass diese 'Schibboleths', wie man jene in der deutschen Sprache fremden und vielleicht befremdlich wirkenden Worte auch nennen könnte, zwar die Zugänglichkeit des Gedichts erschweren und die Herausforderung an den Rezipienten erhöhen. Werden diese jedoch als Losungsworte erkannt, so sind sie zugleich auch wichtige Erkennungsmale, die einen besonderen Übergang, einen ungeahnten Zugang, mithin eine Öffnung in ein Unbekanntes und Anderes ermöglichen. Zwei Gedichte sollen nun im Folgenden genauer vorgestellt werden. Zunächst wird es um das Gedicht "Schibboleth" gehen, in dessen Titel zum ersten Mal bei Celan ein hebräisches Wort auftaucht. [...] Abschließend soll es um ein Gedicht gehen, dessen letzte Verse in diesem Fall von zwei hebräischen Worten gebildet werden. Am 3. Dezember 1967 schreibt Paul Celan ein eher kurzes Gedicht, das jedoch von einer außergewöhnlichen, zeitlichen wie sprachlichen Vielschichtigkeit ist, und das gern auch als ein 'Jerusalemgedicht' bezeichnet wird.
Jameson argues that in 'a society bereft of all historicity', 'what used to be the historical novel can no longer set out to represent the historical past'. The 'postmodern fate' of the historical novel is to be forced to come to terms with 'a new and original historical situation in which we are condemned to seek History by way of our own pop images and simulacra of that history, which itself remains forever out of reach. Salman Rushdie's "Midnight's Children" (1981) and Patrick Süskind's "Das Parfum. Die Geschichte eines Mörders" (1984) stand out as two hugely successful novels from this period that raise questions about historical representation within the space of the popular. They might therefore be used as test cases for Jameson's concerns. "Midnight's Children" is a sprawling story of Indian and British imperial and post-imperial history across the twentieth century. "Das Parfum" tells the tightly framed tale of a murderous perfumer in eighteenth-century France. Seemingly very different texts, they bear one curious similarity: both feature a protagonist with an unusually sensitive sense of smell.
Afrodeutsche und afrofranzösische Kinder- und Jugendbücher : eine 'ganz, ganz kleine' Literatur?
(2022)
Vor einigen Monaten habe ich auf einer Tagung zu 'Minority Activism' eine Präsentation zu afrodeutscher und afrofranzösischer Kinder- und Jugendliteratur als Form des Aktivismus gemacht. Meine Präsentation hätte gut ins Panel "Activism of, and on behalf of migrants and minorities" oder in "Forms of Engagement" reingepasst, doch die Organisator:innen setzten sie in das Panel "Minority within Minority". Nach anfänglicher Irritation, musste ich mir eingestehen, dass die Organisator:innen der Tagung ein wesentliches Merkmal der afrofranzösischen und afrodeutschen Kinder- und Jugendliteratur (KJL) erkannt hatten: Sie ist eine "minorisierte" Literatur innerhalb einer "minorisierten" Literatur. Kurz, sie ist doppelt, und manchmal sogar dreifach marginalisiert.
Als das ZfL 1996 unter dem Namen Zentrum für Literaturforschung seine Arbeit aufnahm, gehörte der jüngst verstorbene Rainer Rosenberg zu den ersten Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Bis zu seiner Pensionierung 2001 leitete er das Projekt "Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft seit 1945 - Veränderungen des Literaturbegriffs", an dem auch Petra Boden mitarbeitete. In ihrem Nachruf erinnert sie an einen in der DDR sozialisierten Germanisten, der besonders mit seinen Arbeiten zur Literatur des Vormärz und zur Geschichte der Germanistik bekannt geworden ist.
A.E. Johann (1901-1996), relying on his experience of over sixty years of travelling around the world, left behind a wealth of literary and journalist material, in which he often addresses topics and issues related to the United States of America. This paper’s objective is to analyze the reflections and observations of this writer and journalist included in the travel report from the period of the Weimar Republic and entitled America. Untergang am Überfluß (1932) as compared with his later creative output of a more autobiographical nature and developed between 1989 to 1992 (Dies wilde Jahrhundert, 1989; Schön war die Welt. Erinnerungen an die großen Reisen, 1992). Thus, continuity and change in his perception and image of America will be investigated; moreover, at attempt will be made to answer the question to what extent this perception and image have evolved throughout six decades (or one should rather ask why this image hardly changes with the passage of time and the emergence of new circumstances). This once very popular writer, whose books were sold in high volume, for many years could not enjoy the attention and focus of literary scholars. Accordingly, this paper aims to expand the knowledge about him and boost the discussion on German (anti-) Americanism.
Johann Christoph Gottsched hatte als Aufklärer ein zentrales Ziel: Die Bildung der Frau. Denn, wie Steffen Martus in seiner Studie zur Epoche der Aufklärung schreibt, "an Töchtern, Ehefrauen und Müttern erprobte man, wie sich die neue Weltweisheit mit einer neuen Lebenshaltung verbinden" lässt. Wenn der Mensch tatsächlich von Natur aus vernunftbegabt ist, und zwar unabhängig von Stand, Geschlecht und ethnischer Herkunft, dann muss man Frauen auch zu Gelehrten, Dichterinnen oder gar zu Doktorinnen erziehen können. So argumentierten viele Intellektuelle in der Zeit. [...] Wie aber verhielt sich die Programmatik der weiblichen Aufklärung zur sozialen Realität? Welche Chancen hatten gebildete und dichtende Frauen wirklich, gab es die Möglichkeit zur Selbstfindung und Selbstverwirklichung? Oder handelt es sich letztlich nur um Männerphantasien, um leere Gedankengebäude von Akademikern, denen Frauen als intellektueller Spielball dienten? Ich denke, dass gerade die Rolle einer 'femme de lettre', einer gebildeten, selbstbewussten Frau in der Frühaufklärung in der Tat sehr ambivalent war: Man begegnet ihr mit Bewunderung, Anerkennung und Staunen – vom "Wunderthier" wie in einem Kuriositätenkabinett ist oft die Rede -, aber auch mit Misstrauen und Missgunst, Polemik und Sexismus. Diese Ambivalenz lässt sich am Beispiel einer Autorin besonders gut zeigen: Christiana Marianna von Ziegler - Verfasserin saftiger Satiren und sanfter Schäferlyrik, selbstbewusste Salonière und treusorgende Professorengattin, fromme Kantatendichterin und emanzipierte Aufklärungsfeministin.
All three hitherto published novels by Dana Grigorcea do explicitly refer to Romania. Had her first novel been set in the Danube Delta and her second in Bucharest, so the plot of the recently released novel "Die nicht sterben" is located in the touristic town B. (= Buşteni) at the foot of the Carpathian Mountains. Based on Bram Stoker’s Dracula as literary pre-text, the plot of "Die nicht sterben" interweaves elements of Romanian history, Romanian contemporary events as well as elements of the family history of the first-person narrator. The present paper is focused especially on the female narrator’s bodily, erotic and flying fantasies. The social and moral revolt which manifests itself first and foremost in the vampiresses’ urge to impale, subsides in the end in uncritical idyllic and narcissistic self-reflection.
Das "Wendt-Passionsbüchlein"
(2022)
Georg Büchners Fragment gebliebenes Drama "Woyzeck" (1837/1879) stellt eine Figur mit selbigem Namen ins Zentrum, die meint, Stimmen zu hören. Nicht nur leidet Woyzeck an akustischen Halluzinationen, diese drängen ihn zudem zu einer Mordtat, für die er schließlich hingerichtet werden soll. Von den diversen akustischen Halluzinationen, die im Clarus-Gutachten auftauchen, greift Büchner allerdings nur eine spezifische Konstellation heraus und montiert sie in sein Stück. Dessen ungeachtet zeigen dort die pietistischen Konventionen, die Sittenstrenge und die im Sprachbewusstsein eingelassenen Imperative eine eigentümliche Gewalt: Sie durchsetzen die Figurenrede, geben sich darin als Rede eines Anderen zu erkennen und können unabsehbare Impulse auslösen. Die gehörten Stimmen operieren dann gleich Vektoren, die einander begegnen oder durchdringen, was sogleich Handlungsketten durchtrennt und neu arrangieren lässt. Das trifft allerdings nicht nur auf die Hauptfigur zu, auch die übrigen Akteurinnen und Akteure zeigen sich von sozialen Imperativen durchherrscht, die einer eigenen Logik folgen. Die nachstehenden Überlegungen beabsichtigen, den Stimmen im Drama "Woyzeck" in bislang unversuchter Weise Gehör zu schenken. Wohl ist das Drama mitsamt der darin versammelten Stimmen Gegenstand unterschiedlicher Analysen geworden. Davon sich absetzend soll im Folgenden gezeigt werden, welche sprachstrukturellen Merkmale die herrschende Ideologie zeitigt, an welchen Stellen es ihr gelingt, ihre Subjekte anzurufen und wo sie fehlgeht - und schließlich soll ein bislang unentdeckt gebliebener Zusammenhang von Anrufung und den akustischen Halluzinationen Woyzecks zur Reflexion gebracht werden. Das wird in insgesamt vier Schritten geschehen, die jeweils theoretische Argumente begleiten, die den Arbeiten Louis Althussers und Jaques Lacans entnommen sind. Dieser Weg erlaubt eine Reflexion auf das im Drama angelegte Arsenal der Stimmen, mit dem zugleich eine spezifische Logik der Herrschaft zur Darstellung gebracht ist. Erstens wird die Funktion der Ideologie im Drama unter dem Aspekt der Anrufung untersucht. Zweitens wird das Misslingen der Anrufung an der Figur Woyzecks nachverfolgt, der auf ein davon abseitiges Genießen verfällt. Drittens wird daraus resultierend der Wahn als Installation einer anderen, psychotischen Anrufung erfasst. Und viertens wird anhand des wahnhaften Stimmenhörens eine metaleptische Reflexion im Drama aufgezeigt, welche die Funktion der Ideologie mit der Aufführungspraxis kombiniert.
Andrea Polaschegg untersucht aus medienpoetischer Sicht die Friktionen zwischen dem Text und den philosophischen oder literarischen Ganzheitspostulaten, die an dessen Stoffe, Gegenstände oder gar Gattungszuschreibungen herangetragen werden. Den Text begreift Polaschegg als "transitorisches Medium", "das vorne beginnt und hinten endet" und das jede Bemühung unterläuft, "eine organische Einheit wechselseitiger Teil-Ganzes-Beziehungen oder eine statische Einheit aus übereinandergeschichteten Teilen zur Darstellung zu bringen". Dieser Einsicht hätten sich mit letzter Konsequenz allerdings bislang weder poetologische noch literaturwissenschaftliche Denktraditionen gestellt. Seit der Autonomieästhetik lasse sich ganz im Gegenteil eine Fülle an Versuchen beobachten, die fundamentale 'Sukzessivität' von Texten metaphorisch über konzeptionelle 'Simultaneisierungen' stillzustellen. In diesem Umfeld nimmt Polaschegg insbesondere die oft als Ganzheitsgarant dienende Metaphorik der Architektur in den Blick, die sie bis in das bekannte, den 'Aufbau' dramatischer Texte visualisierende Pyramidenmodell Gustav Freytags hinein verfolgt.
The novel “Wasserzeichen” was published at the Pop Publishing House in Ludwigsburg, Germany, in 2018. The destiny of the main character of the aforementioned literary work is undoubtedly linked to the Transylvanian city of Cluj-Napoca. After finishing high school in Brașov, the young Eginald – who is not the same as the author of the novel – arrives in Cluj-Napoca where he first goes to the Faculty of Protestant Theology, from which he is relegated; afterwards, he starts the courses of another faculty, but before finishing his studies he is arrested by the Securitate. The life story of the young Transylvanian Saxon turns out to be a troubled one – full of defining experiences for his existence. Due to the relationships with the people whom he meets there, the romantic entanglements, and the betrayals he experiences, he matures quickly. The 1st person narrator becomes a true man in this predestinate space.
Das von der A und A Kulturstiftung in Auftrag gegebene Repertorium zum Briefwechsel von Elise Reimarus soll der Forschung neue Impulse zur Beschäftigung mit der Hamburger Aufklärerin geben. Es lenkt die Aufmerksamkeit auf eine weit verzweigte, bislang aber nur ausschnitthaft bekannte Korrespondenz. Die Verzeichnung soll zum einen den Umfang der Überlieferung kenntlich machen und einen Überblick über das Korrespondenznetzwerk geben, zum anderen die inhaltliche Auswertung der überlieferten Briefe durch Standort- und ggf. Veröffentlichungsangaben erleichtern.
Le texte part d'une réflexion sur le rapport immanent aux paroles entre les termes "local" et "global", puisque chaque mot occupe un lieu particulier dans une phrase tout en participant de la nature transmissive de la communication. De plus, chaque phrase dite véhicule un sens qui présuppose un dire en acte qui, lui, ne saurait être dit. L'attention qui réunit ces deux modalités linguistiques qualifie entre autres le langage poétique, lequel ouvre sur une temporalité non-chronologique et une spatialité qui rend compte de l'espace entre les langues, domaine propre à la traduction. Les technologies digitales, notamment l'internet, sont en mesure de réaliser le rêve utopique d'une communication immatérielle. Ainsi entrent-elles dans une certaine mesure en concurrence avec la poésie (voire p.ex. le mythe d'Orphée ou "la Divine Comédie"). Avant de procéder à une analyse d'un poème du poète autrichien Franz Josef Czernin, dans laquelle Baschera se penche sur la différence entre ces deux approches, il attire l'attention sur celle existant entre les termes de globalisation et mondialisation.
In comparison to the Transsylvanian-Saxon or to the German-speaking Bukowina literature the modernists exerted a more reduced influence on the literature of the Banat Swabians. Franz Xaver Kappus (1883-1966) influenced the literary modernists in the Western part of Romania especially through his expressionistic texts. He became famous thanks to his correspondence with Rainer Maria Rilke. The masterpiece Die lebenden Vierzehn (The Fourteeen Survivors) (1918) is swayed by a collective catastrophe and represents a certain kind of utopia, which anticipates the end of the world. A dread causing image with a peculiar unreality shapes the event. Kappus’ fantasy does not shrink back from images of dread and horror. As in the expressionistic literature any destruction of the harmonious beautiful principle comes about in dread. The grotesque features belong to the expressionistic character of the book. It is interesting that the dreadful and the grotesque show their demonic side and with it they destroy the familiar reality. Such a development demonstrates that Kappus follows a tradition to which also E. T. A. Hoffmann, Frank Wedekind, Franz Kafka or Georg Heym belong. There are also streaks of naturalism in the novel.
Inhalt: Heidelberg in der Geschichte bis um 1800 / Das Heidelberger Schloss / Herder und der Traum vom "Volk" / "Des Knaben Wunderhorn", 1806-1808. Entstehung und Wirkung / Die Palatina, Bibliothek in Heidelberg und im Vatikan / Volksliedsammlung aus dem Raum Heidelberg nach dem "Wunderhorn" / Lieder über Heidelberg / "Wunderhorn"-Material / "Wunderhorn"-Rölleke: die historisch-kritische Edition / Zusammenfassendes über die Quellen und Vorlagen zum "Wunderhorn"
"Economy of the Unlost. (Reading Simonides of Keos with Paul Celan)", so nennt die Schriftstellerin, Theatermacherin, Buchgestalterin und Altphilologin Anne Carson eine 1999 erschienene längere Abhandlung. Die Formulierung des eingeklammerten Untertitels suggeriert eine ungewöhnliche Perspektive: Celan soll offenbar dabei helfen, Simonides zu lesen, der moderne Dichter in den Dienst einer Annäherung an den antiken Dichter treten - und nicht etwa umgekehrt der antike Dichter als Vorläufer und Wegbereiter Celans interpretiert werden. [...] Mit Simonides werden in Carsons Abhandlung verschiedene Themen assoziiert: eine Ökonomie der (poetischen) Mittel - unter anderem im Sinn eines 'Transports' von Kontrafaktischem zugleich mit Faktischem, also eines Sprechens mit gedoppelter Aussage - sowie eine poetische Kunst des Erinnerns. Von beiden Themen her stellt Carson Beziehungen zu Celan her, nicht unbedingt direkte Analogien, aber doch Korrespondenzen hinsichtlich der Poetik und der Auffassung über die Funktionen von Dichtung. Sie liest, hierin einer breiten Rezeptionsspur folgend, Celans Gedichte als Auseinandersetzung mit dem Tod und den Toten im Zeichen der Holocausterfahrung und des Wunsches nach Gedenken. Carson betrachtet auch Celan als einen 'ökonomischen' Dichter, ausgehend vom Bild des Sprachgitters, von Konzepten der Reinigung, Verknappung, Kondensierung. Auch Celan verbindet das Faktische mit dem Kontrafaktischen. [...] Carson präpariert aus poetischen Texten der von ihr kommentierten Dichter vor allem Sprachbilder heraus, um sie zu kommentieren, und sie denkt selbst dabei gern am Leitfaden von Sprachbildern. Welche Art von Wissen aber vermittelt ihr im Stil einer wissenschaftlichen Abhandlung verfasster Text über Celan? Und über Simonides? Das Echo, das "Economy of the Unlost" in Fachkreisen gefunden hat, war geteilt: teils ausnehmend kritisch, teils anerkennend. [...] Wie auch immer man den Erkenntniswert, die Vermittlungsleistung, den hermeneutischen (oder eben posthermeneutischen) Ertrag des Essays bewertet - über einen Gegenstand gibt er doch in jedem Fall Aufschluss: über Carsons eigene Poetik. Er kann als prägnante Heranführung an ihr eigenes Werk, ihre eigene Poetik gelesen werden.
Die Essayistik Herta Müllers
(2022)
The article follows the two volumes of essays The King Bows and Kills (2003) and Always the same snow and always the same uncle (2011) written by Herta Müller. Politics and aesthetics define the Nobel laureate’s writing, with her essays anchored in Romania’s recent history. They are of a political nature, offer retrospectives on their life in Romania beyond the Iron Curtain, insights into the dictatorial past, persecution by the secret service, the betrayal of closest friends, but also contain reflections on the role of the language, the preference for Romanian, on the use of “The King” in their fictional texts, explain their “alien gaze”. Always the same snow and always the same uncle focuses on the deportation of the Romanian Germans to the Ukraine, with the information serving as a companion work to the novel Hunger angel. The betrayal of closest friends is also discussed, whereby the insight into their files and the past of Oskar Pastior/Otto Stein’s files are used.
Die Italien-Artikel von Friedrich Engels im Revolutionsjahr 1848/49 in der Neuen Rheinischen Zeitung
(2022)
François Melis widmet sich den politischen Entwicklungen in Italien: "Die Italien-Artikel von Friedrich Engels im Revolutionsjahr 1848/49 in der Neuen Rheinischen Zeitung" sind das Thema seines Beitrages, der sowohl die Veröffentlichungs- und Rezeptionsgeschichte von Engels' Italienberichten als auch den Stellenwert der italienischen Revolution von 1848/49 in Marx' und Engels' Denken skizziert. Diese Revolution wird auch in die Geschichte europäischer Demokratiebewegungen einbezogen. Zudem zeichnet Melis Parallelen zwischen Italien und den deutschen Ländern aus der Perspektive v. a. Engels' nach und analysiert dessen Darstellungsschwerpunkte. Aufschlussreich sind Engels' Italien-Artikel auch noch aus einem weiteren Grund: Sie lassen Engels' Arbeitsweise, seinen Umgang mit Quellen, Informationen und journalistischen Genres, erkennbar werden.
The stories about the Vaser Valley in the northern Romanian Forest Carpathians have not only fascinated the population of the region, but also famous writers who have always tried to collect the stories and tales from the historical region of the Vaser Valley. The best-known author of this region, who turned his lifelong work into this spectacular project, is the German-speaking ethnologist and writer, of Romanian origin, Anton-Joseph Ilk. His book Die mythische Welt des Wassertales includes a remarkable collection of legends and tales from this region, presented in their orally transmitted stories. The main themes of the stories naturally include customs and traditions, whereby certain values and principles were passed on not only to he children and grandchildren, but also to all succeeding generations.
Mattia Luigi Pozzi liefert aus philosophiegeschichtlicher Perspektive einen Überblick über "Die Rezeption Stirners in Italien (1850-1920)". Pozzi kann zeigen, dass die Auseinandersetzung mit dem deutschen Denker eng verbunden ist mit der Ablehnung der Hegelschen Philosophie und eine starke Selbstreflexion der italienischen Zeitgenossen bewirkt. Kritik an Stirner und gleichzeitig eine starke Faszination durch dessen Theorien entwickeln sich im postrisorgimentalen Italien durch die Schlagworte Anarchismus und Individualismus. Diese werden immer wieder in Diskussionen von Schriften Stirners diskutiert. Pozzi kann zeigen, dass und wie sich die Stirner-Rezeption bis ins 20. Jahrhundert ununterbrochen fortsetzt. Sie wird auch für das Denken Benito Musselinis einflussreich.
Golo Maurer thematisiert in seinem Beitrag als einflussreiche Vorbilder der Italienbeschreibung Goethes "Italienische Reise" und Eichendorffs Novelle "Aus dem Leben eines Taugenichts" und setzt diese in Beziehung zu unbekannteren Autoren. So greifen der Kulturhistoriker Viktor Hehn, der Jurist Friedrich Johann Meyer und die Maler Joseph Führich und Ludwig Richter in ihren Italiendarstellungen auf Topoi der Italiendarstellung zurück, lassen aber auch individuelle Akzente in der Auseinandersetzung mit dem Land erkennen. Ausgehend von der These, dass die Hinwendung nach Italien immer mit der Abwendung vom Politischen, v. a. von der Situation in der Heimat, einherging, deutet Maurer die Auseinandersetzung mit der südlichen Wahlheimat als Form eines auf einen neuen Gegenstand verschobenen Patriotismus.
Otto Holzapfel, Liedverzeichnis [Hildesheim: Olms, 2006], online Update Januar 2022. Dateien: Lieder, Lexikon, ergänzende Dateien [Gesamtverzeichnis im Aufbau] - Dieses Verzeichnis wendet sich an Philologen und Literaturwissenschaftler, an Germanisten und an Musikwissenschaftler, aber auch an interessierte Laien, die Auskunft über ein Lied und über den Kontext zur Liedüberlieferung suchen.
Cosmin, a twelve-year-old Roma boy from Transylvania, only goes to school for a short while. For his mother, it is more important, that he, the only male of a household with many mouths to feed, help her with work. But Cosmin’s teacher does not give up and proposes a bargain: If Cosmin’s mother lets her children go to school, she will get electricity from the school to be able to watch TV. Due to this arrangement, Cosmin returns to school for a few days, becomes a little thief and embarks on a journey that can become an opportunity for him. A kind of a bildungsroman, a coming of age novel focused on the ups and downs between two worlds on Romanian soil, that could not be more different from one another: the Romanian majority and the Roma minority. This article sets out to document life at the brink of society, with all of its facets.
The article deals with the promotion of the German language abroad through Germany’s foreign cultural and educational policy. An important concern of the German intermediary organizations abroad is access to culture and education across geographic, political and social borders, but scientific and economic policy. interests, which benefit the needs of the German market, also play a major role. Regarding the fact that more and more skilled workers who are ultimately lacking in their countries of origin are migrating to Germany, the article questions whether it is always a so-called triple-win model.
Inhalt
I. Literaturwissenschaft und Landeskunde
Markus FISCHER (Bukarest):
Blaublütige Dracula-Fantasie mit idyllischer Coda –
Dana Grigorceas dritter Roman Die nicht sterben ……………….….. 15
Grazziella PREDOIU (Temeswar):
Die Essayistik Herta Müllers…………………………………………………….. 34
Claudia SPIRIDON-ȘERBU (Kronstadt):
Herta Müllers fiktionalisierter Raum, mit Karten lesen –
ein Beispiel aus der Praxis………………………………………………….…..….. 50
Andreea DUMITRU (Hermannstadt):
Das Werden eines Schicksals. Die Stadt Klausenburg als Angelpunkt
einer Existenz in Eginald Schlattners Roman Wasserzeichen .…….70
Roxana NUBERT/ Ana-Maria DASCĂLU-ROMIȚAN (Temeswar):
Der Schriftsteller Franz Xaver Kappus als Vertreter der literarischen
Moderne im Banat…………………………………………………………………….… 84
Sunhild GALTER (Hermannstadt/Sibiu):
Maria Haydls Dichtung als Erinnerungsort siebenbürgisch-sächsischer Kultur? ……………………………………………………………………………..114
Lăcrămioara-Marilena POPA (Hermannstadt/Sibiu):
Das Türkenbüchlein des Ungenannten Mühlbächers – ein
vergessener Bestseller des Mittelalters – heute wieder aktuell? 126
Marius-Daniel STROIA (Hermannstadt/Sibiu):
Schuld und Erlösung in Traugott Teutschs Erzählung
„Der Wortmann“……………..…………………………………………………… 136
Ioana CRĂCIUN-FISCHER (Bukarest):
“Aus jeder Schwäche schmiede ich ein Schwert.” Jüdische Identität und weibliches Selbstbewusstsein in Klara blums Lyrik ………..155
Elẑbieta NOWIKIEWICZ (Polen):
Amerikabild (er) des Reiseberichterstatters und Reiseschriftstellers
A.E. Johann …………………………….……………………………………………… 172
Ana KARLSTEDT (Bukarest):
Fremdheitskonstruktionen in Karin Gündischs Roman COSMIN.
Von einem der auszog, das Leben zu lernen……………………………..193
Teodora ȚUGUI-CARABA (Hermannstadt/Sibiu):
Die mythische Erzählwelt des Wassertales nach Anton Joseph-Ilk: phantastische Gestalten und ihre Symolik………………………………….208
II. Sprach- und Übersetzungswissenschaft
Doris SAVA (Hermannstadt/Sibiu):
Nix für die Katz: Laienlexikografie………………………..……….…… 225
Sigrid HALDENWANG (Hermannstadt/Sibiu):
Das Substantiv Pomānǝ,die damit belegten Wortbildungskonstruktionen und das Verb pomenin in den siebenbürgisch-
sächsischen Mundarten …………………………………………………..…. 243
Ellen TICHY (Prishtina/ Berlin)/Blerta ISMAJLI (Prishtina):
Förderung der deutschen Sprache durch die Auswärtige Kultur-
und Bildungspolitik Deutschland: ein Triple-Win-Modell?….258
Ioana CONSTANTIN (Hermannstadt/Sibiu):
Übersetzen zwischen Kompetenz and Identität ………………. 278
Georg SCHUPPENER (Ústí nad Labem):
Sprache und Kultur der deutschen Holzfäller in den Kleinen
Karpaten…………………………………………………………………….…….. 293
Adeline-Alexandra BERDIE (Hermannstadt/Sibiu):
Mehrsprachigkeit in Mediasch. Ein Beitrag zur Linguistik
Landscape..…..……………………………………………………………………. 305
III. Bücherschau
Maria SASS (Hermannstadt/Sibiu):
Zum mittelalterlichen Dichter und Philosophen Dante
Aligheri (1265-1321)…..……………………………………………..…….… 315
Maria SASS (Hermannstadt/Sibiu):
Rezension…………………………….……………………………………………… 322
Betrachtet man die Lesebiographien vieler Schüler:innen und Studierender, so fällt auf, dass diese meistens von weißen, deutschen, männlichen Autoren geprägt sind bzw. ausschließlich aus diesen bestehen. Dies widerspricht jedoch ganz klar der Vielfalt und Diversität der Literaturlandschaft. Angeregt durch das Seminar "Was lesen? Kanonfragen an Universität und Schule" bei Frau PD Dr. Wernli im Wintersemester 2021/22 habe ich mir als Lehramtsstudent und angehender Deutschlehrer folgende Frage gestellt: Inwieweit wird diese ungerechte Geschlechterdifferenz und Unterrepräsentanz von Autorinnen institutionell von unserem Lehrplan Deutsch gefördert und wie verankert ist diese Differenz in unseren Lehrplänen?
Goethe-Rezeptionen im Vormärz : Heine - August von Goethe - Laube - Lewald schreiben über Italien
(2022)
Anhand der vier Autoren zeigt Meyer, wie die Auseinandersetzung mit Goethes "Italienischer Reise" für jede Reisebeschreibung grundlegend wird, aber auch, welche Strategien Heine, Goethes Sohn August, Heinrich Laube und Fanny Lewald entwickeln, um ihr eigenes Schreiben von dem des unhintergehbaren Vorbildes abzugrenzen. Innovative Schreibverfahren gewinnen in Auseinandersetzung mit Überliefertem an Kontur. Intertextuell orientierte Schreibverfahren lassen Brüche und Kontinuitäten in ästhetischer wie inhaltlicher Hinsicht in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erkennen.
Using the example of Herta Müller‘s novels written after her emigration into the Federal Republic of Germany, the article shows how digital tools can be used to classify the fragmented space that unfolds in the writings of the Nobel Prize winner into a clear model structure. Quantitative research methods are combined with a database-driven GIS analysis toolkit to illustrate the weighting of the fictionalized locations given their gravity centers and polarities. The series of maps show both the density and spread of the action places, as well as the meanings which are attached to the literary space.
This article analyses processes of collective and individual identity formation in European travel writing from the late eighteenth and the middle of the nineteenth century and argues that these processes are based not least on the national stereotypes described and performed in the texts. I explore how the genre-specific stylistic elements of multilingualism and intertextuality inform the performance of auto- and hetero-images and in doing so suggest converging travel writing studies and imagological studies. To illustrate my thesis, I analyse travelogues by Charles Dickens and Karl Philipp Moritz.
Practices of rewriting and mouvance are central to medieval culture, but have been neglected by contemporary scholarship. This paper highlights how collaborative forms of writing such as religious song engage with complex theological thought, opening up a discourse from which the laity had previously been excluded. Using forms which defy conventional author-based aesthetic norms, these songs explore poetic practices which are both collective and inclusive.
The present essay engages with the short story 'The Burrow', written by Franz Kafka between 1923 and 1924, a few months before his death. The ambiguity of the original title, 'Der Bau', which defies translation by pointing at the same time at a construction and an excavation work, anticipates the multilayered image of the burrow itself. While both nature and function of the burrow are hard to pinpoint (is it a dwelling, a shelter, a fortress, a labyrinth, a ruin?), the initially reported success of its construction is revealed as illusory, thus prompting the ongoing first-person narration of the incessant builder's work. Similarly unsuccessful is any attempt of the reader to attain metaphorical closure. In the light of other impossible, i.e., unfinished, bound-to-fail, ruinous, or selfdismantling structures portrayed by Kafka, as well as on the background of coeval texts by Paul Valéry and Georg Simmel, the essay investigates the wide and deep significance of the burrow’s countering the classical ideal of architectural wholeness.
Wie kein anderes Land ist Italien im deutschsprachigen Raum seit mehr als 600 Jahren Gegenstand einer nahezu unüberschaubaren Auseinandersetzung in Kunst, Kultur, Philosophie und Politik. Als Kernland des römischen Imperiums, mit Rom als Zentrum der Christenheit und wichtiger Etappe auf dem Pilgerweg ins Heilige Land, durch jahrhundertelang politisch und wirtschaftlich mächtige Republiken wie beispielsweise Venedig, Genua und Florenz war Italien in vielerlei Hinsicht von besonderem Interesse. Dies gilt auch für die Zeit nach 1796, für die Zeit nach dem Einmarsch der französischen Truppen und die damit verbundene Umgestaltung der politischen Landkarte Italiens. Im ersten Teil stehen mit Blick auf das (post-)risorgimentale Italien zunächst exemplarische Untersuchungen in Literatur, Publizistik und Philosophie im Fokus. Der zweite Teil des Jahrbuchs ist dem Thema "Deutsche Künstler in Italien - zwischen politisch-ästhetischer Revolution und Traditionsbewahrung" gewidmet. Italien als Sehnsuchtsziel von Malern und Schriftstellerinnen sowie als Gegenstand von Reiseberichten, Gedichten und als Opernschauplatz bietet einerseits Inspiration und Freiraum zum künstlerischen Schaffen. Andererseits ist Italien aber auch ein kulturell seit Jahrhunderten beschriebenes Gebiet, das zu einer Auseinandersetzung mit den Kulturgeschichten beider Länder und bislang vorliegenden künstlerischen Gestaltungen herausfordert.
In der "Ästhetik" von 1853 hat Rosenkranz die Karikatur von der Frühzeit der Kunst bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts (Christian August Weißes Ästhetik über das Komische als Aufhebung des Hässlichen als Negation des Schönen erweiternd) als Aufhebung des Hässlichen als das "Negativschöne" (bzw. die "Schattenseite des Schönen") untersucht. Für Rosenkranz sollte die ideale, phantasiereiche Karikatur eine Befreiung vom Hässlichen ins Komische ermöglichen, wobei der Betrachter sich auch das Schöne vorstellen könne.
Otto Holzapfel, Liedverzeichnis [Hildesheim: Olms, 2006], online Update Januar 2022. Dateien: Lieder, Lexikon, ergänzende Dateien [Gesamtverzeichnis im Aufbau] - Eine erste [...] Fassung dieses "Lexikons" wurde gedruckt: O.Holzapfel, Lexikon folkloristischer Begriffe und Theorien (Bern 1996; Studien zur Volksliedforschung,17). Inhalt und Umfang sind seitdem in Form eines "Zettelkastens" erheblich erweitert worden. Das Lexikon von 1996 griff bewusst auf das "Handbuch des Volksliedes" (1973/75) zurück.
Otto Holzapfel, Liedverzeichnis [Hildesheim: Olms, 2006], online Update Januar 2022. Dateien: Lieder, Lexikon, ergänzende Dateien [Gesamtverzeichnis im Aufbau] - Eine erste [...] Fassung dieses "Lexikons" wurde gedruckt: O.Holzapfel, Lexikon folkloristischer Begriffe und Theorien (Bern 1996; Studien zur Volksliedforschung,17). Inhalt und Umfang sind seitdem in Form eines "Zettelkastens" erheblich erweitert worden. Das Lexikon von 1996 griff bewusst auf das "Handbuch des Volksliedes" (1973/75) zurück.
Otto Holzapfel, Liedverzeichnis [Hildesheim: Olms, 2006], online Update Januar 2022. Dateien: Lieder, Lexikon, ergänzende Dateien [Gesamtverzeichnis im Aufbau] - Eine erste [...] Fassung dieses "Lexikons" wurde gedruckt: O.Holzapfel, Lexikon folkloristischer Begriffe und Theorien (Bern 1996; Studien zur Volksliedforschung,17). Inhalt und Umfang sind seitdem in Form eines "Zettelkastens" erheblich erweitert worden. Das Lexikon von 1996 griff bewusst auf das "Handbuch des Volksliedes" (1973/75) zurück.
Otto Holzapfel, Liedverzeichnis [Hildesheim: Olms, 2006], online Update Januar 2022. Dateien: Lieder, Lexikon, ergänzende Dateien [Gesamtverzeichnis im Aufbau] - Eine erste [...] Fassung dieses "Lexikons" wurde gedruckt: O.Holzapfel, Lexikon folkloristischer Begriffe und Theorien (Bern 1996; Studien zur Volksliedforschung,17). Inhalt und Umfang sind seitdem in Form eines "Zettelkastens" erheblich erweitert worden. Das Lexikon von 1996 griff bewusst auf das "Handbuch des Volksliedes" (1973/75) zurück.
Otto Holzapfel, Liedverzeichnis [Hildesheim: Olms, 2006], online Update Januar 2022. Dateien: Lieder, Lexikon, ergänzende Dateien [Gesamtverzeichnis im Aufbau] - Eine erste [...] Fassung dieses "Lexikons" wurde gedruckt: O.Holzapfel, Lexikon folkloristischer Begriffe und Theorien (Bern 1996; Studien zur Volksliedforschung,17). Inhalt und Umfang sind seitdem in Form eines "Zettelkastens" erheblich erweitert worden. Das Lexikon von 1996 griff bewusst auf das "Handbuch des Volksliedes" (1973/75) zurück.
Hier geht es um Liedflugschriften, um kleine Heftchen, in denen etwa vier bis fünf Texte von bereits populären oder von neugedichteten Liedern stehen. Die Auswahl ergibt sich zum großen Teil aus dem Wunsch nach sensationellen Neuigkeiten (eine Mordtat wird zur Moritat) und nach schlagerartigen Texten, die etwa im 16. und 17. Jh. solche 'Zeitungsnachrichten' besingen (Newe Zeitung). Oft sind diese mit erklärender Prosa verbunden und in einfachster Weise illustriert (Titelholzschnitt).
Entstanden aus einem studentischen Projekt - Goethe-Universität Frankfurt am Main 2021/2022: Was Literatur im Einzelnen als transnationale charakterisiert, soll in diesem Heft anhand unterschiedlicher Zugänge untersucht werden. In einer kurzen begriffsklärenden Untersuchung beleuchtet Elisabeth Helle, in welches Verhältnis kulturelle und nationale Aspekte unter Verwendung der verschiedenen Präfixe multi-, inter- und trans- zueinander treten und bei welcher Begrifflichkeit Differenzen und Ähnlichkeiten am deutlichsten berücksichtigt werden. Iris Schultheis verhandelt am Beispiel der Frauenfiguren in Abbas Khiders Roman Der falsche Inder weibliche Stereotype und deren kulturelle Kodifizierung. Im Gespräch mit Shirin Helling und Elisabeth Helle erläutern Prof.‘in Susanne Komfort-Hein (Institut für deutsche Literatur und ihre Didaktik, Goethe-Universität Frankfurt) und Prof. Frank Schulze-Engler (Institut für Anglisitik, Goethe-Universität Frankfurt), wie das Konzept des Transnationalismus produktiv für die Literaturwissenschaften genutzt werden kann. Zuletzt setzt sich Larissa Smurago mit grundlegenden Motiven des Transnationalen in der jüdischen Kultur auseinander.
Lutherstil
(2022)
Wie Stil und Rhetorik in einem einzelnen Autor mit- und gegeneinander wirken können, zeigt Barbara N. Nagels Analyse der Texte Martin Luthers, dessen Stil die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache bekanntlich geradewegs bedingt haben soll. In engem Kontakt mit der jüngeren Lutherforschung arbeitet Nagel auf originelle Weise den antirhetorischen Affekt heraus, der Luthers Bibelstil, seinen deutschen Stil und den Disputationsstil grundiert. Was immer im Ausgang von Luther seit Buffons bekanntem Diktum und bis Nietzsche vom Stil behauptet worden ist, für Luther selbst war Stil Lüge und deshalb jüdisch konnotiert (und aus diesem Grund für ihn problematisch). Was heute 'hate speech' heißt und schon damals nicht auf das Reden beschränkt blieb, hat einen seiner Ursprünge in Luther.
The German-speaking Saxon minority from Transylvania, a region in Romania, has almost disappeared due to the historical events after World War II and the fall of communism in December 1989. Therefore, the literary work that was created before 1990 is often considered to be a “lieu de mémoire”, a place of remembrance, for the Saxon culture. This article deals with the question whether Maria Haydl’s short stories can be considered as such or do they show too much influence of the politically imposed writing style in order to be authentic.
This chapter makes the case for a literary history that accounts for the multilingual nature of medieval Denmark, giving particular attention to Danish, German, and Latin. It relates such a project to current research interests such as crossing the boundaries of national philologies; demonstrates the need for it by reviewing existing surveys of the period; and outlines some lines of enquiry, including the translation and transmission of texts, that it could pursue.
Nachruf auf Rainer Rosenberg
(2022)
The present contribution provides an analysis of Dirk Oschmann’s volume, Freiheit und Fremdheit. Kafkas Romane [Freedom and Foreignness. Kafka’s novels]. The main idea, already announced in the title, is followed throughout the entire volume. A corpus of texts consisting of Kafka’s three novels and some of his best short stories is analyzed (Die Verwandlung, Bericht für eine Akademie, and In der Strafkolonie). The selected texts are considered stories of internal or external displacement that address and depict freedom and foreignness mostly using spatial displacement. The method used is close reading, the author carefully interprets text passages, goes into details, nuances of meaning, and linguistic features of the Kafkaesque texts. The analysis draws on syntagms and statements made by characters who discuss these themes.
Nach strukturalistischen Theorien sind Detektiverzählungen allererst durch die Rekonstruktion des vor Beginn des 'discours' angesiedelten 'Vor-Falls' motiviert. Damit wird die Detektiverzählung nicht nur zu einer Meta-Erzählung über Erzählungen - "its classical structure a laying-bare of the structure of all narrative in that it dramatizes the role of 'sjužet' and 'fabula' and the nature of their relation" -, sie ist strukturell auch an ein spezifisches Zeichenverständnis gekoppelt, das für Detektiverzählungen konstitutiv ist und von Carlo Ginzburg als "Indizienparadigma" betitelt worden ist. Im Kern dieses Paradigmas steht die Annahme der Existenz "eines tiefen Zusammenhangs, der die Phänomene der Oberfläche erklärt", wobei dieser Zusammenhang "undurchsichtig" sei und nicht direkt erkannt werden könne. Mit dem Indizienparadigma, dessen Siegeszug zum Ende des 19. Jahrhunderts Ginzburg im synchronen Querschnitt anhand der Kunstgeschichte, Freuds Psychoanalyse und dem Detektivroman nachzeichnet, kommt nun ausgerechnet dem Wertlosen und Nebensächlichen ein gesteigertes Erkenntnispotential zu: Erst diese "unendlich feine[n] Spuren" erlauben es, die "tiefere, sonst nicht erreichbare Realität einzufangen." Dabei betont auch Ginzburg, dass dieses epistemologische Modell auf der paradigmatischen Selektion und der syntagmatischen Kombination basiert, die er mit Metapher und Metonymie identifiziert. In dieser weiten Konzeption, der hier gefolgt wird, werden die beiden ursprünglich rhetorischen Figuren zu Denkfiguren, die für das Funktionieren von Detektivromanen grundlegend sind. Und genau darum soll es in diesem Aufsatz gehen: Gegenübergestellt werden zwei Detektivromane, die die Metapher (Thomas Pynchons "The Crying of Lot 49") und Metonymie (Wolf Haas' "Komm, süßer Tod") in komplementärer Weise zum zentralen Strukturelement ihrer Geschichte erheben. Im Ergebnis entfaltet in beiden Romanen ein pathologisches Schreib- und Erkenntnismodell seine Kraft, das das Zeichenverständnis im klassischen Detektivroman fundamental in Frage stellt.
Die globalen Waren, mit denen die Literatur handelt, sind oftmals Gegenstände, die sich der Wertform des Kapitals entziehen: Sie sind Gaben, die - etwa im Sinne Greenblatts - eine Zirkulation sozialer Energien bewirken oder - im Sinne Derridas - ein die Ökonomie des Tauschprinzips unterbrechendes Ereignis stiften können. Das globale Moment der Literatur bestünde demnach darin, dass, wie es Goethe in "Dichtung und Wahrheit" formuliert hat, "die Dichtkunst überhaupt eine Welt- und Völkergabe sei". Diesem Verständnis von Literatur als "Welt- und Völkergabe" ist auch Paul Celans Werk verpflichtet. In der Gabenstruktur seiner Gedichte, die sich in der bewussten Hinwendung zum Anderen anzeigt, kommt auch der Weltbezug dieser Dichtung zum Ausdruck. Diesen vielfältigen Facetten von Celans literarischem Weltbezug sind die in diesem Themenschwerpunkt versammelten Beiträge gewidmet. Dem Werk Celans muss die Struktur der Globalisierung nicht erst künstlich zugeschrieben werden: Sie ist ihm inhärent. Denn zum einen hat die Erfahrung von Migration und Mehrsprachigkeit Celans Schreiben in hohem Maß geprägt; zum anderen ist aber auch die globale Dimension der Literatur, nämlich der weltliterarische Gestus seines Schreibens, in den Texten stets präsent.
In der Geschichte moderner Gesellschaften sind Zeitschriften und Öffentlichkeit so eng aufeinander bezogen, dass sie nahezu synonym erscheinen. Schließlich soll Öffentlichkeit derjenige Raum sein, in dem freie Menschen sich als Gleiche begegnen und über Belange kommunizieren, die von allgemeinem Interesse sind. In Gemeinwesen, in denen gesellschaftliche Auseinandersetzung und Selbstvergewisserung nicht durch unmittelbaren Kontakt garantiert sind, helfen Zeitschriften dabei, Öffentlichkeit - oder ausdifferenzierte Teilöffentlichkeiten - herzustellen. Sie tun dies, indem sie Texte und Bilder, Gattungen und Disziplinen, Stimmen und Stimmungen versammeln und bündeln, und indem sie in mal mehr, mal weniger regelmäßiger Folge öffentlichen Austausch auf Dauer stellen.
Laurenz Lütteken zeigt in seinem Beitrag "Revolution in Palermo. Zur Ästhetik von Wagners Liebesverbot", wie wichtig und symbolträchtig Italien - genauer: Sizilien - als Schauplatz ist. Lütteken arbeitet die vormärzlichen Wurzeln des Stücks heraus und bezieht die im Libretto thematisierte und ins 16. Jahrhundert transponierte Revolution auf die Entstehungszeit der Oper.
Für seine Märchenparodien zu den Geschichten der Brüder Grimm erhält der Illustrator und Kinderbuchautor Sebastian Meschenmoser die Grimm-Bürgerdozentur 2022 der Goethe-Universität Frankfurt am Main und der Stadt Hanau. Die Bürgerdozentur soll das Grimm’sche Leben und Werk für die Gegenwart aktualisieren, sichtbar machen und fortwirken lassen. Die Verleihung wird voraussichtlich am 20. März 2022 im Roten Saal von Schloss Philippsruhe durch den Präsidenten der Goethe-Universität Enrico Schleiff und den Hanauer Oberbürgermeister Claus Kaminsky vorgenommen. Die ersten Preisträger der seit 2016 verliehenen Grimm-Bürgerdozentur waren Tilman Spreckelsen und Irene Wellershoff.
Was einen "Edlen Verbrecher" ausmache, aus welchen habituellen oder biografischen Attributen er sich charakteristischerweise zusammensetze und welche Funktionen ihm als Sozialtyp, Männlichkeitskonzept und Heros der Literatur und des Dramas, des Marionettentheaters und des Volkslieds zukommen können, fesselte die Kulturgeschichtsschreibung bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. [...] An Typologien des Edlen Verbrechers als eines politik-, sozial- und psychohistorisch ausdeutbaren Fluchtpunkts kollektiver Phantasien mangelt es nicht. Sieht man genauer hin: nicht auf den ewiggleichen Typ, sondern auf dessen Modifizierung, Perspektivierung und Modellierung, kurzum: auf dessen Diskursivierung, bietet der edle Delinquent nichts weniger als eine einheitliche Moral oder Psychologie, sei sie nun idealisierend, kriminalisierend oder, wie im populären Marionettentheater üblich, komisierend. So spricht vieles dafür, dass die literarischen Gattungen und nicht-literarischen Textsorten - also all die Protokolle und "Aktenmäßigen Geschichten", Anekdoten und Lieder, Novellen und Romane, Laientheater- und Marionettentheaterstücke - die Typenbildung ganz unterschiedlich prägten beziehungsweise voneinander abweichende Typen mit differenten Biographien hervorbrachten. Womöglich bewohnt der historisch-anekdotische, der epische, lyrische und theatrale Schinderhannes im 19. Jahrhundert gar nicht jenes eine Haus des Edlen Verbrechers, das ihm die Geistes- und Kulturwissenschaften gebaut und zugewiesen haben? Und womöglich ist er weder als Figur noch überhaupt als Typus, sondern bloß als Name anzusehen, dem wechselnde Diskurse kriminalistischer, pädagogischer, moralischer, künstlerischer Ausrichtung wechselnde Bedeutungen, Funktionen und Plätze im kollektiven Gedächtnis wechselnder Gruppen gaben? [...] In der Folge soll die im 19. Jahrhundert von Anekdotik, Lied und (Marionetten-)Theater konstruierte fiktive Kollektivbiographie des Schinderhannes Johannes Bückler textsortenspezifisch re-vidiert und in eine Soziobiographie aus Dichtung und Wahrheit übergeführt werden.
Was einen "Edlen Verbrecher" ausmache, aus welchen habituellen oder biografischen Attributen er sich charakteristischerweise zusammensetze und welche Funktionen ihm als Sozialtyp, Männlichkeitskonzept und Heros der Literatur und des Dramas, des Marionettentheaters und des Volkslieds zukommen können, fesselte die Kulturgeschichtsschreibung bereits Mitte des 19. Jahrhunderts. [...] An Typologien des Edlen Verbrechers als eines politik-, sozial- und psychohistorisch ausdeutbaren Fluchtpunkts kollektiver Phantasien mangelt es nicht. Sieht man genauer hin: nicht auf den ewiggleichen Typ, sondern auf dessen Modifizierung, Perspektivierung und Modellierung, kurzum: auf dessen Diskursivierung, bietet der edle Delinquent nichts weniger als eine einheitliche Moral oder Psychologie, sei sie nun idealisierend, kriminalisierend oder, wie im populären Marionettentheater üblich, komisierend. So spricht vieles dafür, dass die literarischen Gattungen und nicht-literarischen Textsorten - also all die Protokolle und "Aktenmäßigen Geschichten", Anekdoten und Lieder, Novellen und Romane, Laientheater- und Marionettentheaterstücke - die Typenbildung ganz unterschiedlich prägten beziehungsweise voneinander abweichende Typen mit differenten Biographien hervorbrachten. Womöglich bewohnt der historisch-anekdotische, der epische, lyrische und theatrale Schinderhannes im 19. Jahrhundert gar nicht jenes eine Haus des Edlen Verbrechers, das ihm die Geistes- und Kulturwissenschaften gebaut und zugewiesen haben? Und womöglich ist er weder als Figur noch überhaupt als Typus, sondern bloß als Name anzusehen, dem wechselnde Diskurse kriminalistischer, pädagogischer, moralischer, künstlerischer Ausrichtung wechselnde Bedeutungen, Funktionen und Plätze im kollektiven Gedächtnis wechselnder Gruppen gaben? [...] In der Folge soll die im 19. Jahrhundert von Anekdotik, Lied und (Marionetten-)Theater konstruierte fiktive Kollektivbiographie des Schinderhannes Johannes Bückler textsortenspezifisch re-vidiert und in eine Soziobiographie aus Dichtung und Wahrheit übergeführt werden.