830 Literaturen germanischer Sprachen; Deutsche Literatur
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"Es ist hier vieles ganz anders, als man bei uns glaubt…" : Fanny Tarnows Reise nach St. Petersburg
(2009)
Auch die hier behandelte Fanny Tarnow, eine der Wegbereiterinnen weiblichen Berufsschriftstellertums in Deutschland, hat die Verbindlichkeit zeitgenössischer Geschlechternormen am eigenen Leib erfahren müssen, doch sie verstand es wie wenige, den männlichen Weiblichkeitsdiskurs für das eigene literarische Schaffen nutzbar zu machen. Sie hat sich in den ersten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts als Autorin sentimentaler Frauenromane etabliert und wurde als solche viel gelesen. In ihren Büchern stellt sie die Weiblichkeitsideale ihrer Zeit nicht ausdrücklich in Frage, denkt aber differenziert über das Spannungsverhältnis, das zwischen ihnen und den tatsächlichen Lebens- und Schaffensbedingungen der Frauen besteht, nach. Im Fokus des Interesses der germanistischen Forschung steht vor allem dieser Aspekt, zu den schriftlichen Zeugnissen ihres Russland-Aufenthaltes gibt es bisher keine umfangreicheren Untersuchungen.
Most Germans went first to Great Britain to witness and describe what in comparison to the conditions in the German petty principalities was very progressive in its industrial advancement, free trade, extraordinary wealth-creation, very advanced civil rights and parliamentary democracy and to hold it up as a model to the Germans. Some then added on a trip to Ireland, which after all was a part of the political entity "The United Kingdom", to see, as they thought, more of the same. Instead they came face to face with the most abject poverty any of them had ever experienced, including the professional ethnographer Johann Georg Kohl, who had been all over Europe and as far as Siberia. For the Vormärz authors this raised questions as to why "John Bull's other island", as George Bernhard Shaw would much later call Ireland, was so utterly neglected
Karl Nauwerck in Sizilien : eine Edition zweier früher sozialkritischer Bildungsreiseberichte
(2009)
Die vorliegenden Dokumente "Palermos Bettler" und "Wahnsinn aus Katania" sind sozialkritische literarische Genrebilder. Sie hatte Nauwerck nach der Rückkehr von seiner Italienreise ins väterliche Haus in Neustrelitz (31. März 1835) angefertigt. Diese Reise, die er am 17. Juli 1834 angetreten hatte, war offenbar der 'Lohn' für seine Promotion in Halle am 5. Juli 1834. Vermutlich beabsichtigte er eine Veröffentlichung der Skizzen. Erhalten blieben sie in seiner "Großen Aphorismensammlung" in seinem Nachlaß, die er unter dem Titel "Allerlei. Eigenes und Fremdes" ganz offensichtlich zu einer - dann allerdings nicht realisierten - Publikation vorbereitet und seiner Frau Julie gewidmet hatte. Darin hatte er alle jene Sentenzen aus seinem publizierten und nichtveröffentlichtem Lebenswerk, seinen Briefen, verlorenen Tagebüchern und anderen von ihm für wichtig gehaltenen Äußerungen zusammengetragen, unter anderem eben auch diverse frühe Schreibversuche. Beide Texte beweisen im Unterschied zur modischen antiklassischen Kritik an der angeblichen Italienschwärmerei ein 'echtes' soziales Engagement. Nauwerck geißelt die elenden gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen die Armen, Mühseligen, die untersten Schichten im zerfallenden spätfeudalen System des italienischen Südens und Siziliens leben müssen.
In diesem Beitrag sollen Aspekte des Zusammenhangs von Gender und Nation in Reisetexten von Frauen über England im Mittelpunkt stehen. Als Beispiele werden Fanny Lewalds "England und Schottland" (1851/52) und Emma Niendorfs "Aus London" (1855) daher daraufhin untersucht, inwieweit in diesen Texten Konzepte von nationaler Identität aus weiblicher Perspektive erkennbar sind. Dabei geht es vor allem um die Gesellschaftsentwürfe und die darin erkennbaren Bestimmungen der gesellschaftlichen Rolle des Weiblichen. Ein besonderes Augenmerk gilt daher der Frage, wie die Autorinnen den Ort der Frauen in der englischen Gesellschaft bestimmen und welche Rückschlüsse sich aus diesem Vergleich für die Konstruktion einer deutschen, weiblichen Identität ziehen lassen.
Publikationen zur Reiseliteratur der Aufklärung haben einen neuen Aufschwung erhalten und auch zu Schopenhauer sind in den letzten Jahren wichtige Beiträge erschienen. Die meisten Abhandlungen verweisen allerdings nur recht kursiv auf Schopenhauers Reisebericht, während die einschlägige Forschung zur Reiseliteratur Schopenhauer gar nicht erwähnt oder sich mit abwertenden Klischees begnügt: Ihr Bericht sei sentenziös und vom 'common sense' der Kaufmannsfrau geprägt, er hebe vor allem bürgerliche Tugenden hervor. [...] Die vorliegende Untersuchung der Schopenhauerschen Reise wird versuchen, sich dem "Sehpunkt" der Autorin so genau wie möglich zu nähern. Sie wird ihre weitläufige Bildung, ihr Selbstbewusstsein und ihre Urbanität berücksichtigen.
Inmitten der politischen Kämpfe der Revolution von 1848 muss Friedrich Engels im Herbst aus Preußen flüchten. In dieser Zeit unternimmt er eine vierwöchige Fußwanderung von Paris über Genf nach Bern. [...] Die 25 Seiten umfassende handschriftliche Reisebeschreibung "Von Paris nach Bern" befindet sich im Marx-Engels-Nachlass des Amsterdamer Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (IISG). [...] Alles deutet darauf hin, dass Engels die Niederschrift für das Feuilleton der "Neuen Rheinischen Zeitung" vorgesehen hatte. Der leichte und bildhafte Stil, in den er seine Eindrücke über Land und Leute kleidet, sowie die darin pointiert eingebrachten politischen und ironischen Sentenzen lassen diesen Schluss zu. [...] Vertiefen wir uns in Engels' Schilderung seiner Fußwanderung, fällt sofort auf, dass er - wie für die Reiseliteratur im Vormärz charakteristisch - die vielfältigen Eindrücke über die verschiedenen Provinzen Frankreichs und die Begegnungen, insbesondere mit den Bauern, unmittelbar verbindet mit sozialen und historischen Reflexionen, einschließlich über ihre Sprache und ihre Dialekte. Er bringt seine radikale politische Sichtweise unverhohlen zum Ausdruck.
Schon in den beiden Jahrzehnten nach 1789 waren aus den meisten deutschen Revolutionstouristen, die zur Beobachtung der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen nach Paris geeilt waren, sehr bald Kulturreisende geworden, die sich fasziniert dem durch die napoleonischen Eroberungen stetig anschwellenden "Kunstkörper" der französischen Hauptstadt widmeten. Je deutlicher in ihren Berichten die Desillusionierung angesichts der politischen Entwicklungen wird, desto intensiver äußert sich in aller Regel das Interesse für Kunst und Kultur.
This essay focuses on Malwida von Meysenbug's (1816-1903) rebellious 'travel diary' entitled "Eine Reise nach Ostende" (1849) and her 'extravagant' travels to the Belgian seaside resort, which she undertook together with her girlfriends Anna Koppe and Elisabeth Althaus during June and July 1849. This text, which was written during the late summer and early autumn of 1949 and published posthumously in 1905 by Gabriel Monod, is both a very personal, almost intimate representation of the failing revolution and a performance of transgression by an unmarried 33-year old female member of the lower ranks of aristocracy.
Das eigentliche Spezifikum von Therese von Bacherachts Texten ist darin zu suchen, dass sie den Reisebericht vornehmlich zur Thematisierung von Innerlichkeit nützt, ihn also als Gattung einsetzt, die eine öffentliche Auseinandersetzung mit und Reflexion der eigenen Befindlichkeit ermöglicht. Ihre Texte zielen weniger auf Beschreibung der Reise selbst, sondern vielmehr auf Darstellung und Auseinandersetzung mit weiblicher Subjektivität. [...] Aufgrund der Dominanz des subjektiven Anteils zerfallen Bacherachts Texte bisweilen nachgerade in zwei inhaltliche Ebenen oder Teile. Dabei tritt gegenüber den ausführlichen Erkundungen der eigenen Emotionen, die mit Reflexionen über das Leben, die Vergänglichkeit allen Glücks und die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens verbunden sind, die Beschreibung der eigentlichen Reise in den Hintergrund. Diese Ausrichtung der Texte auf eine gefühlsbetonte Thematisierung von Subjektivität ist der Forschung oft genug Anlass und Argument für deren Abwertung als pathetisch. In dem vorliegenden Aufsatz soll dagegen der sentimentale Anteil der Texte in seinen vielschichtigen Funktionen ernst genommen und analysiert werden. Im Folgenden wird, nachdem kurz die Bedeutung sozialer Fragen in Bacherachts Reiseberichten untersucht wurde, vor allem auf diesen Aspekt weiblicher Selbstdarstellung und die damit einhergehende besondere Tonlage eingegangen werden.
Die skandalumwitterte und erfolgreiche Schriftstellerin Ida Gräfin Hahn-Hahn (1805-1880) war ihr Leben lang auf Reisen; sie war im ständigen Grenzenüberqueren zu Hause. In ihren Romanen und Reiseberichten hat sie Spiegelbilder ihrer eignen Seele und ihrer Zeit entworfen. "Ich reise, um zu leben" hat sie behauptet und sich damit ein wesentliches Motiv ihres Daseins bewußt gemacht. - Angesichts ihres ungewöhnlichen Lebenslaufs und ihrer unzähligen vorübergehenden Aufenthalte an unterschiedlichsten Orten ist man gleichwohl verblüfft und fühlt sich angehalten, wirkliche Erklärungen zu finden. Persönliche Sinnsuche scheint in diesem Fall ein lebenslänglicher Leitfaden gewesen zu sein. Die biographischen Hintergründe der Hahn-Hahnschen Reiselust liefern den Beleg.